Ergebnisse & Perspektiven des Marxismus

Ergebnisse & Perspektiven des Marxismus, Nr. 1, Januar 2020

Nieder mit dem Lohnsystem!

Einleitung

Die vorliegende Broschüre enthält Texte, die als Ergänzung zu einem Studium von Marx’ Kapital dienen sollen. Der Artikel „Marxismus in unserer Zeit“ von Leo Trotzki (April 1939) gibt eine Einführung in Marx’ Analyse des Kapitalismus und das Programm der Vierten Internationale für weltweite sozialistische Revolution.

Die anderen zwei Artikel, „Kapitalistische Anarchie und die Verelendung der Arbeiterklasse“ sowie „Die ‚globalisierte Wirtschaft‘ und der Reformismus in der Arbeiterbewegung“ sind übersetzt aus Broschüren (herausgegeben 2009 bzw. 1999) der Spartacist League/U.S., US-amerikanischer Sektion der Internationalen Kommunistischen Liga (IKL). In den Artikeln wird unter anderem herausgearbeitet, wie der Aufstieg der Rechten – damals noch repräsentiert durch Ronald Reagan – durch den Verrat der Gewerkschaftsbürokratie vorbereitet und erleichtert wurde. In den USA hat sich das mit dem Wahlsieg von Donald Trump erneut gezeigt. In Deutschland gibt es trotz aller gravierenden Unterschiede der politischen Landschaft ein ähnliches Phänomen: die Vorreiterrolle der Sozialdemokratie – SPD und PDS/Linkspartei – bei der kapitalistischen Konterrevolution 1989/90 im deformierten Arbeiterstaat DDR und bei der nachfolgenden Demontage des „Sozialstaats“ zur Erhöhung der Ausbeutungsrate, durchgehend unterstützt von der prokapitalistischen Gewerkschaftsführung. Das soziale Elend und die Perspektivlosigkeit, die sich daraus ergeben, bereiten den Boden für den Aufstieg von rassistischen und faschistischen Kräften von AfD bis zu den Nazis.

Seitdem diese Artikel geschrieben wurden, gab es den ersten schwarzen US-Präsidenten, Barack Obama von den Demokraten. Auch unter seiner Regierung als Oberkommandierender des US-Imperialismus hat sich für Schwarze, Arbeiter oder andere Unterdrückte nichts verbessert, im Gegenteil – Abschiebungen erreichten einen neuen Höhepunkt, imperialistische Kriegseinsätze wurden ausgeweitet. Die weitere Ausweitung kapitalistischer Ausbeutung und rassistischer Unterdrückung unter seinem Republikaner-Nachfolger Donald Trump ist hinreichend bekannt.

Die Weltwirtschaftskrise Ende der 2000er-Jahre, die immer noch nicht überwunden ist, bedeutete größeres Elend für die Arbeitenden und staatliche Rettungen zur fortgesetzten Profitgewinnung für die Kapitalisten. Die Klassenspaltung der Gesellschaft ist deutlicher geworden, und positive Bezugnahmen auf Karl Marx haben weitere Kreise gezogen als zuvor. Die Illusionen in eine fortschrittliche oder zumindest internationalistischere Entwicklung des Kapitalismus, die sich im “Globalisierungs”-Hype ausdrückten, drücken sich heute u.a. in der Losung der “offenen Grenzen” aus, die vermeintlich durch das Staatenbündnis EU zumindest teilweise verkörpert werden. Die EU ist ein imperialistisches Bündnis unter Führung des deutschen Imperialismus, gegen die Arbeiter und konkurrierende Staaten. Es ist im Interesse der Arbeiter und aller Unterdrückten, sie durch gemeinsamen Klassenkampf zu zerschlagen und stattdessen die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa aufzubauen.

11. Januar 2020 (leicht korrigierte Einleitung: 20. Januar)

Editorische Hinweise: Dies ist keine Veröffentlichung der IKL. Wenn in den übersetzten Texten der IKL von „wir“ die Rede ist, so ist jeweils die IKL oder eine ihrer Sektionen gemeint, nicht die Herausgeber dieser Broschüre. Erklärungen in Fußnoten sind die der Herausgeber, nicht der IKL.


Leo Trotzki: Marxismus in unserer Zeit

April 1939. Zuerst erschienen als Vorwort zu der von Otto Rühle herausgegebenen Kurzfassung von Marx’ Kapital. Der Text basiert auf der Version im Marxists’ Internet Archive, die von Heinz Hackelberg überarbeitet und von Einde O’Callaghan formatiert wurde. Einige kleine Fehler in Grammatik und Zeichensetzung wurden stillschweigend korrigiert.

Dieses Buch von Otto Rühle bringt eine sehr gedrängte Darstellung der grundlegenden Lehren von Karl Marx. Im Grunde genommen hat noch niemand die Werttheorie besser dargelegt, als Karl Marx selbst. Bestimmte Argumente von Marx, insbesondere die schwierigen des ersten Kapitels können dem uneingeweihten Leser als spitzfindig, überflüssig oder metaphysisch erscheinen. In Wahrheit ist dieser Eindruck die Konsequenz der Tatsache, daß man nicht die Gewohnheit hat, die vertrautesten Erscheinungen wissenschaftlich zu betrachten. Die Ware ist ein so allgemein verbreitetes Element geworden, derart unserem täglichen Leben vertraut, daß wir uns nicht einmal zu fragen versuchen, warum sich die Menschen von Gegenständen höchster Wichtigkeit, notwendig für den Lebensunterhalt, trennen, um sie gegen kleine Scheiben aus Gold oder Silber ohne Nützlichkeit auszutauschen. Die Ware ist nicht das einzige Beispiel. Alle Kategorien der Warenwirtschart scheinen ohne Analyse erkannt zu sein, als wie sich von selbst verstehend, als ob sie die natürliche Basis der Beziehungen zwischen den Menschen bildeten. Indessen sind die Faktoren des ökonomischen Prozesses menschliche Arbeit, Rohstoffe, Werkzeuge, die Arbeitsteilung, die Notwendigkeit der Verteilung der Produkte unter alle jene, die am Produktionsprozeß teilnehmen usw., die Kategorien selbst aber, wie Ware, Geld, Löhne, Kapital, Profit, Steuer etc., nur halb mystische Reflexe der Menschen, verschiedene Aspekte des einen ökonomischen Prozesses, den die Menschen nicht verstehen, und der sich ihrer Kontrolle entzieht. Um sie zu entziffern ist eine wissenschaftliche Analyse unerläßlich.

In den Vereinigten Staaten, wo ein Mensch, der eine Million besitzt, betrachtet wird wie der Wert einer Million, sind die ökonomischen Vorstellungen tiefer gesunken als irgendwo anders. Noch vor kurzem schenkten die Amerikaner der Natur der ökonomischen Beziehungen sehr wenig Aufmerksamkeit. Im Lande des mächtigsten ökonomischen Systems blieb die wissenschaftliche Ökonomie extrem arm. Es war die heutige tiefe Krise der amerikanischen Wirtschaft nötig, um der öffentlichen Meinung mit aller Schärfe die fundamentalen Probleme der kapitalistischen Gesellschaft vor Augen zu führen. Wer nicht davon lassen kann, passiv, ohne kritischen Geist die ideologischen Reflexe des ökonomischen Prozesses hinzunehmen, der wird niemals, Marx folgend, die wesentliche Natur der Ware als fundamentale Zelle des kapitalistischen Systems zu durchschauen vermögen und wird daher unfähig sein, die wichtigsten Erscheinungen unserer Epoche wissenschaftlich zu erfassen.

Die Methode von Marx

Der Wissenschaft die Aufgabe des Erforschens der objektiven Erscheinungen der Natur stellend, bemüht sich der Mensch hartnäckig und eigensinnig. sich selbst der Wissenschaft zu entziehen und sich besondere Vorrechte zu sichern, sei es in der Form des Anspruches auf Beziehungen zu übernatürlichen Kräften (Religion) oder auf ewige moralische Gesetze (Idealismus). Marx hat dem Menschen endgültig diese widerwärtigen Vorrechte genommen, indem er ihn als natürliches Glied im Entwicklungsprozeß der materiellen Natur erkannte, die menschliche Gesellschaft ansieht als Organisation der Produktion und Verteilung, den Kapitalismus als ein Stadium der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft.

Es lag nicht in Marx’s Absicht, die ewigen Gesetze der Ökonomie zu entdecken. Solche gibt es nicht. Die Geschichte der menschlichen Gesellschaft ist die Geschichte der Aufeinanderfolge der verschiedenen ökonomischen Systeme, deren jedes seine eigenen Gesetze aufweist. Der Übergang von einem System zum anderen war immer bestimmt vom Wachstum der Produktivkräfte, d.h. der Technik und der Organisation der Arbeit. Bis zu einem bestimmten Grade haben die sozialen Veränderungen einen quantitativen Charakter, führen sie zu keinem grundlegenden Wandel im gesellschaftlichen Fundament, das heißt den herrschenden Eigentumsformen. Aber es kommt ein Zeitpunkt, wo die gesteigerten Produktivkräfte nicht mehr in den alten Eigentumsformen eingeschlossen bleiben können. Dann erfolgt in der sozialen Ordnung eine von Erschütterungen begleitete Veränderung. Dem Urkommunismus folgte, oder fügte sich hinzu, die Sklaverei; die Sklaverei wurde abgelöst von der Leibeigenschaft mit ihrem feudalen Überbau. Im 16. Jahrhundert führte die Entwicklung des Handels der europäischen Städte zum Aufkommen des kapitalistischen Systems, das in der Folge mehrere Stadien durchlief. Im Kapital erforscht Marx nicht die Ökonomie im allgemeinen, sondern die kapitalistische Ökonomie mit ihren eigenartigen Gesetzen. Von anderen ökonomischen Systemen spricht Marx nur gelegentlich und einzig zu dem Zweck, um den Charakter des Kapitalismus klarzulegen.

Die sich selbst genügende Wirtschaft der ursprünglichen bäuerlichen Familie hat keine politische Ökonomie nötig, denn sie ist einerseits von den Naturkräften, andererseits von der Tradition beherrscht. Die in sich abgeschlossene Naturalwirtschaft der alten Griechen und Römer, auf Sklavenarbeit fußend, hing ab vom Willen des Sklavenhalters, dessen Plan unmittelbar bestimmt war von seinem Willen und seiner Gewohnheit. Man kann dasselbe auch vom mittelalterlichen System mit seinen leibeigenen Bauern sagen. In allen diesen Beispielen waren die ökonomischen Beziehungen klar und durchsichtig, sozusagen im Rohzustand. Aber bei der gegenwärtigen Gesellschaft liegt der Fall völlig verschieden. Sie hat die alten Beziehungen der geschlossenen Wirtschaft und die Arbeitsweisen der Vergangenheit zerstört. Die neuen ökonomischen Beziehungen haben Städte und Dörfer, Provinzen und Nationen zusammengeschlossen. Die Arbeitsteilung hat den ganzen Planeten erfaßt. Nachdem Tradition und Gewohnheit gebrochen waren, hat sich dieser Zusammenschluß nicht nach einem bestimmten Plan vollzogen, sondern vielmehr unabhängig vom Bewußtsein und der Voraussicht der Menschen. Die Abhängigkeit der Menschen, der Gruppen, der Klassen, der Nationen voneinander, die sich aus der Arbeitsteilung ergibt, ist von niemandem geleitet. Die Menschen arbeiten füreinander ohne sich zu kennen, ohne die gegenseitigen Bedürfnisse zu erkunden, mit der Hoffnung und selbst der Gewissheit, daß sich die Beziehungen zwischen ihnen auf diese oder jene Weise von selbst regeln werden. Und im Ganzen genommen ergibt sich das auch, oder vielmehr, ergab sich das ehemals gewohnheitsmäßig.

Es ist absolut unmöglich, die Ursachen der Erscheinungen der kapitalistischen Gesellschaft im subjektiven Bewußtsein, in den Absichten oder Plänen ihrer Mitglieder zu finden. Die objektiven Erscheinungen des Kapitalismus waren nicht zu erkennen, bevor nicht ernstes Studium auf sie verwendet wurde. Bis zum heutigen Tage kennt die große Mehrheit der Menschen nicht die Gesetze, welche die kapitalistische Gesellschaft beherrschen. Die große Überlegenheit der Methode von Marx bestand darin, die ökonomischen Erscheinungen nicht vom subjektiven Gesichtspunkt bestimmter Personen zu nehmen, sondern vom objektiven Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Entwicklung in ihrer Gesamtheit, genau so, wie ein Naturforscher einen Bienenstock oder einen Ameisenhaufen vornimmt.

Für die wissenschaftliche Ökonomie hat entscheidende Bedeutung das, was die Menschen erzeugen und die Art und Weise, wie sie es erzeugen, und nicht, was sie selbst über ihr Handeln denken. Die Grundlage der Gesellschaft sind nicht Religion und Moral, sondern die natürlichen Hilfsquellen und die Arbeit. Die Marx’sche Methode ist materialistisch, weil sie vom Sein zum Bewußtsein geht und nicht umgekehrt. Die Methode Marx’s ist dialektisch, weil die Natur und Gesellschaft in ihrer Entwicklung betrachtet, und die Entwicklung selbst als beständigen Kampf der Gegensätze.

Der Marxismus und die offizielle Wissenschaft

Marx hat seine Vorläufer gehabt. Die klassische politische Ökonomie – Adam Smith, David Ricardo – erreichte ihren Gipfel, noch bevor der Kapitalismus ausgereift war, bevor er begann, den morgigen Tag zu fürchten. Marx hat diesen zwei Klassikern in tiefer Dankbarkeit seinen Tribut gezollt. Nichtsdestoweniger war es der fundamentale Irrtum der klassischen Ökonomie, den Kapitalismus als Existenzform der Menschheit für alle Epochen anzusehen, und nicht als eine bloße geschichtliche Etappe in der Entwicklung der Gesellschaft. Marx begann diese politische Ökonomie zu kritisieren, er erklärte ihre Irrtümer wie auch die Widersprüche des Kapitalismus selbst und zeigte den unvermeidlichen Zusammenbruch dieses Systems. Die Wissenschaft kann ihre Vollendung nicht in der hermetisch abgeschlossenen Gelehrtenstube finden, sondern nur in der menschlichen Gesellschaft, im Fleisch und Knochen. Alle Interessen, alle Leidenschaften, welche die Gesellschaft zerreißen, üben ihren Einfluß auf die Entwicklung der Wissenschaft aus, vor allem auf die politische Ökonomie, die die Wissenschaft vom Reichtum und von der Armut ist. Der Kampf der Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie nötigte die bürgerlichen Theoretiker, der wissenschaftlichen Analyse des Ausbeutungssystems den Rücken zu kehren und sich auf die einfache Beschreibung der ökonomischen Tatsachen, auf das Studium der Ökonomie der Vergangenheit zu beschränken und, was unendlich schlimmer ist, auf eine wirkliche Verfälschung der Wahrheit mit dem Ziel der Rechtfertigung des kapitalistischen Systems. Die ökonomische Theorie, welche heute an den offiziellen Lehranstalten gelehrt wird, und welche die bürgerliche Presse predigt, ist ein bezeichnender Beleg für diese Verfälschungsarbeit. Sie ist völlig unfähig, den ökonomischen Prozeß in seiner Gesamtheit zu begreifen und seine Gesetze und Perspektiven aufzudecken, was zu tun im übrigen nicht ihre Absicht ist. Die offizielle politische Ökonomie ist tot.

Das Wertgesetz

In der gegenwärtigen Gesellschaft ist der Handel das entscheidende Band zwischen den Menschen. Alle Arbeitsprodukte, die in den Handel gelangen, werden zu Waren. Marx hat bei seinen Forschungen mit der Ware begonnen und von dieser fundamentalen Zelle der kapitalistischen Gesellschaft die sozialen Beziehungen, welche sich aus ihr als Grundlage des Warenaustausches, unabhängig vom Willen des Menschen, ergeben, abgeleitet. Das ist die einzige Methode, welche das fundamentale Rätsel zu lösen erlaubte: wieso haben sich in der kapitalistischen Gesellschaft, wo jeder an sich selbst und niemand an den anderen denkt, die Beziehungen zwischen den verschiedenen Zweigen der Wirtschaft entwickelt, die unentbehrlich für das Leben sind? Der Arbeiter verkauft seine Arbeitskraft, der Bauer trägt sein Produkt auf den Markt, der Geldverleiher oder Bankier vergibt Darlehen, der Kaufmann bietet seine Waren-Auswahl an, der Fabrikant baut eine Fabrik, der Spekulant kauft und verkauft Warenlager und Aktien, jeder von ihnen hat seine eigenen Erwägungen, seinen eigenen Plan, seine eigenen Interessen hinsichtlich des Lohns oder des Profits. Nichtsdestoweniger ergibt sich aus diesem ganzen Chaos individueller Anstrengungen und Aktionen ein wirtschaftliches Zusammenwirken, das, so unharmonisch es ist, dennoch der Gesellschaft erlaubt, nicht nur zu existieren, sondern auch sich zu entwickeln. Das allein zeigt schon an, daß im Grunde dieses Chaos nicht auf jede Art ein solches ist, daß es in gewissem Maße automatisch und unbewußt geregelt ist. Das Begreifen dieses Mechanismus, welcher bei aller Verschiedenheit der ökonomischen Gesichtspunkte ein relatives Gleichgewicht ergibt: das ist die Entdeckung der objektiven Gesetze des Kapitalismus.

Offenkundig sind diese Gesetze, welche die verschiedenen Gebiete der kapitalistischen Ökonomie beherrschen, die Löhne, die Preise, die Grundrente, den Profit, den Zins, den Kredit, die Börse, zahlreich und verwickelt. Aber letzten Endes laufen sie alle auf ein einziges, von Marx entdecktes und gründlich erforschtes Gesetz hinaus: auf das Wertgesetz, das der grundlegende Regulator der kapitalistischen Gesellschaft ist. Das Wesen dieses Gesetzes ist sehr einfach. Die Gesellschaft verfügt über eine gewisse Reserve an lebendiger Arbeitskraft. Sich auf die Natur beziehend, erzeugen diese Kräfte die zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse notwendigen Produkte. Infolge der Arbeitsteilung zwischen den unabhängigen Erzeugern nehmen diese Produkte die Form von Waren an. Die Waren werden in einem bestimmten Verhältnis ausgetauscht, anfangs unmittelbar, später unter Zuhilfenahme eines Vermittlers: dem Gold oder dem Geld. Die wesentliche Eigenschaft der Ware, jene Eigenschaft, welche zur Folge hat, daß sich ständig ein bestimmtes Verhältnis zwischen ihnen herstellt, ist die menschliche Arbeit, welche nötig ist, um sie zu erzeugen, – die abstrakte Arbeit, die Arbeit im allgemeinen –, Grundlage und Maß des Wertes. Die Teilung der Arbeit unter Millionen von Produzenten führt nicht zur Auflösung der Gesellschaft, weil die Waren gemäß der zu ihrer Herstellung erforderlichen gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit ausgetauscht werden. Die Ware annehmend oder von sich weisend, stellt der Markt, der Schauplatz des Tausches, fest, ob sie die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit beinhaltet oder nicht. Dadurch bestimmt er auch die Quantität der der Gesellschaft zur Verfügung stehenden verschiedenen notwendigen Warenarten und damit die Verteilung der Arbeitskraft auf die verschiedenen Zweige der Produktion.

Die tatsächlichen Vorgänge auf dem Markt sind unendlich komplizierter als wir sie in den wenigen Zeilen dargestellt haben. So liegen die Preise, um den Wert der Arbeitskraft schwingend, bald unter, bald über diesem Wert. Die Ursachen dieser Abweichungen sind ausführlich dargelegt im dritten Band des Kapital, wo Marx den Prozeß der kapitalistischen Produktion, betrachtet in ihrem Zusammenhang, beschreibt. Nichtsdestoweniger, so beträchtlich die Abweichungen der Preise sind, die Summe aller Preise ist gleich der Summe aller Werte, die von der menschlichen Arbeit geschaffen wurden und die auf dem Markt erscheinen. Selbst wenn man das Preismonopol oder den Trust in Rechnung stellt, können die Preise nicht diese Grenze überschreiten; dort, wo die Arbeit keinen neuen Wert geschaffen hat, kann selbst Rockefeller nichts herausschlagen.

Die Ungleichheit und die Ausbeutung

Wenn aber die Waren gemäß der Quantität der Arbeit, welche sie beinhalten, ausgetauscht werden, wie kann sich Ungleichheit aus Gleichheit ergeben? Marx hat dieses Rätsel gelöst, besonders die Natur einer der Waren, die die Basis aller anderen Waren ist, darlegend – die Ware Arbeitskraft. Der Eigentümer der Produktionsmittel, der Kapitalist, kauft die Arbeitskraft. Wie alle anderen Waren wird diese gemäß der Menge der Arbeit, welche sie beinhaltet, geschätzt, das heißt, gemäß den Lebensmitteln, die zur Erhaltung und zur Reproduktion der Arbeitskraft notwendig sind. Aber der Verbrauch dieser Ware – der Arbeitskraft – ist die Arbeit, das heißt Schaffung von neuen Werten. Die Menge dieser Werte ist viel größer als die jener Werte, welche der Arbeiter erhält, und die er für seine Erhaltung benötigt. Der Kapitalist kauft die Arbeitskraft, um sie auszubeuten. Es ist die Ausbeutung, die die Ungleichheit erzeugt. Jenen Teil der Arbeitsprodukte, der dazu dient, den Lebensunterhalt des Arbeiters zu sichern, nennt Marx das notwendige Produkt, jenen Teil, welchen der Arbeiter mehr erzeugt, Mehrwert. Der Mehrwert wurde von den Sklaven geschaffen, sonst hätte der Sklavenhalter keine Sklaven unterhalten. Mehrwert wurde von den Leibeigenen erzeugt, sonst hätte die Leibeigenschaft keinerlei Nutzen für den großgrundbesitzenden Adel gehabt. Der Mehrwert wird ebenso, – aber in unendlich größerer Proportion, – vom Lohnarbeiter geschaffen, sonst hätte der Kapitalist keinerlei Interesse, die Arbeitskraft zu kaufen. Der Kampf der Klassen ist nichts anderes als der Kampf um den Mehrwert. Jener, der den Mehrwert besitzt, ist Herr des Staates: er besitzt den Schlüssel zur Kirche, zu den Tribunalen, zu den Wissenschaften und Künsten.

Die Konkurrenz und das Monopol

Die Verhältnisse unter den Kapitalisten, die die Arbeiter ausbeuten, sind von der Konkurrenz bestimmt, welche als die Haupttriebfeder des kapitalistischen Fortschrittes wirkt. Die großen Unternehmen haben im Verhältnis zu den kleinen die viel größeren technischen, finanziellen, organisatorischen, wirtschaftlichen und last but not least politischen Vorteile. Eine größere Kapitalmenge gibt unvermeidlich jenem, der sie besitzt, den Sieg im Konkurrenzkampf. So ist die Grundlage der Konzentration und Zentralisation des Kapitals beschaffen.

Den Fortschritt und die Entwicklung der Technik fördernd, zerstört die Konkurrenz nicht allein die Schicht der mittleren Unternehmer, sondern schließlich sich selbst. Auf den Kadavern und Halbkadavern der kleinen und mittleren Kapitalisten taucht eine immer kleinere Anzahl kapitalistischer Magnaten, immer mächtiger werdend, auf. So erwächst aus der ehrlichen, demokratischen und fortschrittlichen Konkurrenz unvermeidlich das schädliche, parasitäre und reaktionäre Monopol. Seine Herrschaft bahnte sich seit 1880 an und nahm um die Jahrhundertwende ihre endgültige Form an. Jetzt ist der Sieg des Monopols von den offiziellen Repräsentanten der bürgerlichen Gesellschaft offen anerkannt. (Der regulierende Einfluß der Konkurrenz – bedauert der Generalstaatsanwalt der Vereinigten Staaten, Cummings – ist beinahe ganz verschwunden und ist im Gesamten nur als schwache Erinnerung an einen früheren Zustand vorhanden.) Während Marx, durch die Analyse die Zukunft des kapitalistischen Systems voraussehend, zum erstenmal aufzeigt, daß das Monopol eine Folge der dem Kapitalismus innewohnenden Tendenzen ist, fährt die kapitalistische Welt dennoch fort, die Konkurrenz als ein ewiges Gesetz der Natur zu betrachten.

Die Ausmerzung der Konkurrenz durch das Monopol kennzeichnet den Beginn der Auflösung der kapitalistischen Gesellschaft. Die Konkurrenz war die Triebfeder, der Hauptschöpfer des Kapitalismus und die historische Rechtfertigung der Kapitalisten.

Die Ausmerzung der Konkurrenz zeigt die Umwandlung der Aktionäre in soziale Parasiten an. Die Konkurrenz erforderte gewisse Freiheiten, eine liberale Atmosphäre, eine demokratische Herrschaft und einen kaufmännischen Kosmopolitismus. Das Monopol beansprucht eine möglichst autoritäre Herrschaft, ummauerte Grenzen, eigene Rohstoffquellen und eigene Märkte (Kolonien). Das letzte Wort in der Auflösung des Monopolkapitalismus ist der Faschismus.

Die Konzentration des Kapitals und das Anwachsen der Klassengegensätze

Die Kapitalisten und ihre Advokaten bemühen sich mit allen Mitteln, vor den Augen des Volkes wie vor den Augen des Fiskus, die wirkliche Stufe der Konzentration des Kapitals zu verbergen. Zur Verschleierung der Wahrheit bemüht sich die bürgerliche Presse, die Illusion einer demokratischen Verteilung der investierten Kapitalien aufrecht zu erhalten. Die New York Times bemerkt, die Marxisten widerlegen wollend, daß es drei bis fünf Millionen isolierte Arbeitgeber gäbe. Es ist gewiß, daß die anonymen Gesellschaften eine viel größere Konzentration des Kapitals vorstellen, als die drei bis fünf Millionen individueller Arbeitgeber, obgleich die Vereinigten Staaten eine halbe Million Gesellschaften zählen.

Dieses Jonglieren mit runden Summen und Durchschnittswerten hat den Zweck, nicht die Wahrheit zu erhellen, sondern zu verbergen. Von Kriegsbeginn bis 1923 fiel die Anzahl der Werkstätten und Fabriken vom Index 100 auf 98,7, während die Masse der industriellen Produktion vom Index 100 auf 113 stieg. Während der Jahre der großen Prosperität (1923–1929), wo es schien, die ganze Welt sei im Begriff, reich zu werden, fiel der Index der Werkstätten und Fabriken von 100 auf 93,8, während die Produktion von 100 auf 156 stieg. Indessen ist die Konzentration der industriellen Unternehmen durch ihre materiellen plumpen Körper begrenzt, gegenüber der Konzentration ihrer Seele, das heißt ihrer Guthaben, weit zurück. Im Jahre 1929 zählten die Vereinigten Staaten tatsächlich mehr als 300000 Gesellschaften, wie die New York Times dies richtig angibt.

Man muß nur hinzufügen, daß 200 dieser Gesellschaften, also 0,07% der Gesamtzahl, die Kapitalien von 49% aller Gesellschaften direkt kontrollierten! Vier Jahre später ist dieser Proporz schon auf 56%, und während der Jahre der Regierung Roosevelts sicherlich noch weiter gestiegen. Und unter diesen 200 anonym geleiteten Gesellschaften fällt die tatsächliche Herrschaft einer kleinen Minderheit zu. (Ein Komitee des Senats der Vereinigten Staaten hat im Februar 1937 festgestellt, daß in den vergangenen zwanzig Jahren die Entscheidungen der zwölf größten Gesellschaften gleichbedeutend waren mit Entscheidungen für den größeren Teil der amerikanischen Industrie. Die Zahl der Verwaltungspräsidenten dieser Gesellschaften ist beinahe die gleiche wie die Zahl der Kabinettsmitglieder des Präsidenten der Vereinigten Staaten, der Regierung der Republik. Aber die Mitglieder dieser Verwaltungsräte sind unendlich mächtiger als die Mitglieder des Kabinetts.)

Derselbe Vorgang kann im System der Banken und Versicherungen beobachtet werden. Fünf der größten Versicherungsgesellschaften der Vereinigten Staaten haben nicht nur die anderen Versicherungsgesellschaften, sondern auch mehrere Banken aufgesaugt. Die Gesamtzahl der Banken verringerte sich durch Aufsaugung, hauptsächlich unter der Form, die man Fusionen nennt. Dieser Vorgang beschleunigte sich rapid. Über die Banken erhebt sich die Oligarchie der Überbanken. Das Bankkapital fusioniert sich mit dem Industriekapital in der Form des Finanzkapitals.

Angenommen, daß die Konzentration der Industrie und der Banken im selben Rhythmus wie während des letzten Vierteljahrhunderts anhält – in der Tat ist dieser Rhythmus in fortschreitender Entwicklung – so werden die Männer der Trusts im nächsten Vierteljahrhundert die ganze Wirtschaft des Landes überwuchert haben.

Wir bedienen uns hier der Statistiken der Vereinigten Staaten aus dem einzigen Grunde, weil sie sehr genau und charakteristisch sind. In seinem Wesen trägt der Prozeß der Konzentration internationalen Charakter. Durch die verschiedenen Stufen des Kapitalismus, durch alle Phasen der Konjunkturzyklen, durch alle politischen Regimes, durch friedliche wie durch Perioden bewaffneter Konflikte, setzte sich und wird sich der Prozeß der Konzentration der ganz großen Vermögen in eine immer kleinere Handvoll bis zum Ende fortsetzen. Während der Jahre des großen Krieges, als sich die Nationen zu Tode bluteten, die fiskalischen Systeme, die Mittelklassen mit sich reißend, dem Abgrund zurollten, rafften die Trustherren aus Blut und Dreck Gewinne zusammen wie nie zuvor. Während der Kriegsjahre verdoppelten, ver vervier-, verzehnfachten die größten Gesellschaften der Vereinigten Staaten ihr Kapital, und ihre Dividenden schwollen an bis zu 300, 400, 900 und mehr Prozenten.

Im Jahre 1840, acht Jahre vor der Veröffentlichung des Manifests der Kommunistischen Partei von Marx und Engels schrieb der bekannte französische Schriftsteller de Tocqueville in seinem Buch Die Demokratie in Amerika: Die großen Vermögen sind daran, zu verschwinden, die kleinen Vermögen sind daran, sich zu vermehren. Diese Gedanken sind bei jeder Gelegenheit für die Vereinigten Staaten, in der Folge für andere junge Demokratien, wie Australien und Neuseeland, zahllose Male wiederholt worden. Wahrlich, die Ideen Tocquevilles waren schon zu seiner Zeit Als indessen die wirkliche Konzentration des Kapitals nach dem amerikanischen Bürgerkrieg begann, starb die Auffassung de Tocquevilles. Zu Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts besaßen 2% der Bevölkerung der Vereinigten Staaten schon mehr als die Hälfte der Vermögen des Landes; im Jahre 1929 besaßen diese 2% drei fünftel des nationalen Vermögens. In derselben Epoche besaßen 36000 reiche Familien das gleiche Einkommen wie 11 Millionen mittlerer oder armer Familien. Während der Krise von 1929–1933 hatten die Trusts nicht nötig, einen Appell an die öffentliche Nächstenliebe zu richten, im Gegenteil, sie schwangen sich über den allgemeinen Verfall der nationalen Wirtschaft immer höher empor. Während der durch die Hefe des New Deal erzeugten neuerlichen industriellen Unsicherheit nahmen die Männer der Trusts neue Gewinne vorweg. Während die Zahl der Arbeitslosen im besten Falle von 20 auf 10 Millionen fiel, steckte im selben Zeitraum die Spitze der kapitalistischen Gesellschaft, im besten Falle 6000 Personen, phantastische Profite ein. Das enthüllte, auf Zahlen gestützt, der Generalstaatsanwalt Robert Jackson. Für uns aber kleidet sich der abstrakte Begriff des Monopolkapitals in Fleisch und Blut. Das, was das ökonomische und politische Schicksal einer großen Nation bedeutet, ist eine durch verwandtschaftliche Beziehungen und gemeinsame Interessen verbundene Handvoll von Familien einer geschlossenen kapitalistischen Oligarchie. Man muß anerkennen, daß sich das marxistische Gesetz von der Konzentration immerhin konform mit den Tatsachen offenbart. Der amerikanische Schriftsteller Ferdinand Lundberg, trotz seiner wissenschaftlichen Ehrlichkeit eher ein konservativer Ökonom, hat in einem Buch, das großes Aufsehen hervorrief, geschrieben: Die Vereinigten Staaten sind heute in wucherischen Händen und beherrscht von der Hierarchie der 60 aller reichsten Familien, denen sich 90 weniger reiche Familien anschließen. Zu diesen beiden Gruppen muß als dritte hinzugefügt werden ungefähr 300 weitere Familien, deren Einkommen 100 Millionen Dollar im Jahr beträgt. Die beherrschende Stellung kommt der ersten Gruppe zu, die nicht allein die Wirtschaft, sondern auch die Hebel der Regierung beherrscht. Sie stellt die wirkliche Regierung dar, die Regierung des Geldsacks in einer Demokratie des Dollars.

Ist die Lehre von Marx veraltet?

Die Fragen der Konkurrenz, der Konzentration des Kapitals und des Monopols führen natürlich zu der Frage, ob die ökonomische Theorie von Marx in unserer Epoche nicht mehr als ein historisches Interesse – wie zum Beispiel die Theorie von Adam Smith hat oder, ob sie noch immer aktuell ist. Das Kriterium, das die Beantwortung dieser Frage erlaubt, ist einfach.

Wenn die Marx’sche Theorie erlaubt, besser den Kurs der sozialen Entwicklung festzustellen und die Zukunft vorauszusehen als die anderen Theorien, so bleibt sie die fortgeschrittenste Theorie unserer Zeit, selbst wenn sie mehrere Jahrzehnte alt ist.

Der bekannte deutsche Ökonom Werner Sombart, der am Beginn seiner Karriere ein wirklicher Marxist war, später aber seine revolutionären Ansichten revidierte, stellte dem Kapital von Marx sein eigenes Der moderne Kapitalismus gegenüber, das wahrscheinlich die bekannteste apologetische Darstellung der bürgerlichen Ökonomie der letzten Zeit ist. Sombart schrieb: Karl Marx hat vorausgesagt: erstens, die fortschreitende Entwicklung des Elends der Lohnarbeiter, zweitens, die allgemeine Konzentration mit dem Verschwinden der Klassen der Handwerker und Bauern, drittens, den Zusammenbruch des Kapitalismus. Nichts von alldem ist eingetroffen.

Dieser irrigen Prognose stellt Sombart seine eigene streng wissenschaftliche Prognose gegenüber. Der Kapitalismus wird gemäß Sombart fortfahren, sich innerlich in jene Richtung umzuformen, in die er sich schon umzuformen begonnen hat in der Epoche seiner vollen Blüte. Alternd, wird er nach und nach ruhig, still, vernünftig. Wir versuchen nicht mehr, als in großen Zügen zu sehen, wer von beiden Recht hat: entweder Marx mit seiner Prophezeiung der Katastrophe, oder Sombart, der im Namen der ganzen bürgerlichen Ökonomie versprochen hat, daß die Dinge sich ruhig, still, und vernünftig gestalten werden. Der Leser wird zugeben, daß die Frage verdient, geprüft zu werden.

Die Verelendungstheorie

Die Akkumulation des Kapitals auf dem einen Pol, schrieb Marx 60 Jahre vor Sombart, hat zur Folge die Akkumulation des Elends, der Leiden, der Sklaverei, der Unwissenheit, der Brutalität, der geistigen Entwürdigung auf dem entgegengesetzten Pol, das heißt, auf der Seite jener Klassen, deren Produkt die Form von Kapital annimmt. Diese Theorie von Marx, bekannt unter dem Namen Verelendungstheorie, ist der Gegenstand ununterbrochener Angriffe der demokratischen Reformisten und Sozialdemokraten gewesen, insbesondere während der Periode 1890–1914, da sich der Kapitalismus rapid entwickelte und den Arbeitern, vor allem ihrer führenden Schicht, gewisse Konzessionen gewährte. Nach dem Weltkrieg, als die von ihren eigenen Verbrechen erschreckte und von der Oktoberrevolution in Angst versetzte Bourgeoisie sich auf den Weg allgemein gepriesener Reformen begab, Reformen, die in der Tat durch Inflation und Arbeitslosigkeit unmittelbar wieder aufgehoben wurden, erschien den Reformisten und bürgerlichen Professoren die Theorie der fortschrittlichen Umformung der kapitalistischen Gesellschaft vollkommen gesichert. Die Kaufkraft der Lohnarbeit, versicherte uns Sombart im Jahre 1908 und 1928, hat sich im direkten Verhältnis zur Expansion der kapitalistischen Produktion vergrößert!

In der Tat jedoch verschärfte sich der ökonomische Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat selbst in der gedeihlichsten Periode der kapitalistischen Entwicklung, wenn auch die Hebung des Lebensstandards bestimmter, für den Moment genügend umfangreicher Arbeiterschichten, die Verminderung des Anteils des ganzen Proletariats am nationalen Einkommen maskierte. So stieg zwischen 1920 bis 1930, eben vor dem Fall in die Krise, die industrielle Produktion der Vereinigten Staaten um 50%, während die an Löhnen ausbezahlte Summe sich nur um 30% erhöhte. Dies zeigt also eine außerordentliche Verminderung des Anteils der Arbeiter am nationalen Einkommen an. Im Jahre 1930 begann ein Anwachsen der Arbeitslosigkeit, was 1933 eine mehr oder weniger systematische Hilfe für die Arbeitslosen erzwang, die in Form von Unterstützungen kaum mehr als die Hälfte von dem, was sie an Löhnen verloren hatten, erhielten.

Die Illusion des ununterbrochenen Fortschrittes aller Klassen verschwand spurlos. Der relative Verfall des Lebensstandards der Massen hat einem absoluten Verfall Platz gemacht. Die Arbeiter beginnen an ihren mageren Vergnügungen, dann an ihrer Kleidung und zuletzt an der Nahrung zu sparen. Die Artikel und Produkte von mittlerer Qualität werden durch Schund und der Schund durch Ausschuß ersetzt. Die Syndikate beginnen jenem Menschen zu gleichen, der sich hoffnungslos am Treppengeländer festhält, indessen er eine steile Treppe hinabpurzelt.

Mit 6% der Erdbevölkerung besitzen die Vereinigten Staaten 40% des Weltkapitals. Dessen ungeachtet lebt ein Drittel der Nation, wie das Roosevelt selbst zugab, unterernährt, schlecht gekleidet, und unter menschenunwürdigen Bedingungen. Wie ist nun die Lage in den viel weniger privilegierten Ländern? Die Geschichte der kapitalistischen Welt seit dem letzten Kriege hat unwiderruflich die Theorie, genannt Verelendungstheorie, bekräftigt.

Das faschistische Regime, das nur die Grenzen des Verfalls bis zum äußerstem hinausschiebt, und das die dem imperialistischen Kapitalismus innewohnende Reaktion ausdrückt, wird unumgänglich, ob der Neigung des Kapitalismus zur Entartung, die Möglichkeit zur Aufrechterhaltung der Illusion von der Hebung des Lebensstandards des Proletariats vernichten. Die faschistische Diktatur läßt offen die Tendenz zur Verelendung erkennen, indessen die viel reicheren imperialistischen Demokratien sich noch bemühen, diese zu verbergen. Wenn Mussolini und Hitler den Marxismus mit solchem Haß verfolgen, so nur deshalb, weil ihr eigenes Regime die schreckliche Bestätigung der marxistischen Prophezeiung ist. Die zivilisierte Welt entrüstete sich, oder heuchelte, sich zu entrüsten, als Göring mit dem scharfrichterlichen und possierlichen Ton, der ihn charakterisiert, erklärte, Kanonen sind viel notwendiger als Butter, oder als Mussolini den italienischen Arbeitern erklärte, daß sie lernen müßten, den Gürtel um ihr schwarzes Hemd enger zu schnallen. Aber passiert nicht im Grunde genommen die selbe Sache in den imperialistischen Demokratien? Überall dient Butter zum Fetten der Kanonen. Die Arbeiter Frankreichs, Englands, der Vereinigten Staaten lernen ohne Schwarzhemd, den Gürtel enger zu schnallen.

Die industrielle Reservearmee und die neue Unterklasse der Arbeitslosen

Die industrielle Reservearmee bildet einen untrennbaren Teil der sozialen Mechanik des Kapitalismus, genau wie die Maschinen und Rohstoffe in einer Fabrik, oder wie ein Lager von Fabrikerzeugnissen in den Magazinen. Weder die allgemeine Ausdehnung der Produktion, noch die Anpassung an die periodische Ebbe und Flut industrieller Zyklen, war ohne eine Reserve an Arbeitskräften möglich. Von der allgemeinen Tendenz der kapitalistischen Entwicklung – Anwachsen des konstanten Kapitals (Maschinen und Rohmaterial) auf Kosten des variablen Kapitals (Arbeitskräfte), – zieht Marx folgenden Schluß: Je größer der gesellschaftliche Reichtum ist, desto größer ist die Masse der ständigen Überbevölkerung … desto größer ist die industrielle Reservearmee … desto größer ist das offizielle Massenelend. Dies ist das absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation. Diese unlöslich mit der Verelendungstheorie verknüpfte und durch Jahrzehnte für übertrieben, tendenziös, demagogisch erklärte These ist jetzt das tadellose Bild der Wirklichkeit. Die gegenwärtige Arbeitslosenarmee kann nicht mehr als industrielle Reservearmee betrachtet werden, weil ihre Hauptmasse nicht mehr hoffen kann, Arbeit zu finden; im Gegenteil, sie ist bestimmt, zu einer konstanten Flut neuer Arbeitsloser anzuschwellen. Die Auflösung, der Zerfall des Kapitalismus hat eine ganze Generation junger Leute geschaffen, die noch niemals einen Beruf gehabt haben, und die keinerlei Hoffnung haben, einen zu finden. Diese neue Unterklasse zwischen Proletariat und Halbproletariat ist genötigt, auf Kosten der Gesellschaft zu leben. Man hat kalkuliert, daß die Arbeitslosigkeit während neun Jahren, von 1930–1938, der menschlichen Gesellschaft mehr als 43 Millionen Jahre menschlicher Arbeit gekostet hat. Wenn man bedenkt, daß im Jahre 1929, am Gipfelpunkt der Prosperität der Vereinigten Staaten, zwei Millionen Arbeitslose vorhanden waren, und daß während der letzten neun Jahre die wirkliche Zahl der Arbeiter sich um 5 Millionen vermehrte, vervielfacht sich die Gesamtsumme der verlorenen Arbeitsjahre. Eine Gesellschaftsordnung, die von einer derartigen Geißel verwüstet wird, ist todkrank. Die genaue Diagnose dieser Krankheit wurde schon vor nahezu 80 Jahren gegeben, als die Krankheit selbst erst ein bloßer Keim war.

Der Verfall der Mittelklassen

Die Ziffern, die die Konzentration des Kapitals zeigen, zeigen zur selben Zeit, daß das spezifische Gewicht der Mittelklasse in der Produktion und sein Anteil am nationalen Einkommen nicht aufgehört haben, abzunehmen. Zur selben Zeit, da die kleinen Unternehmen herabgedrückt und ihrer Unabhängigkeit beraubt wurden, sind sie ein reines Symbol unerträglicher Leiden und höchster und hoffnungsloser Not geworden. Es ist wahr, die Entwicklung des Kapitalismus hat im selben Moment das Anwachsen der Armee von Technikern, Geschäftsführern, Beamten, Medizinern, mit einem Wort jener, welche man die neue Mittelklasse nennt, beträchtlich gefördert. Aber diese Schicht, deren Anwachsen schon für Marx kein Mysterium war, ähnelt der alten Mittelklasse wenig, die im Besitz ihrer eigenen Produktionsmittel eine fühlbare Garantie ihrer Unabhängigkeit fand. Die neue Mittelklasse ist von den Kapitalisten abhängiger als die Arbeiter. In der Tat steht sie in hohem Maße unter der Vorherrschaft dieser Klasse; im Übrigen ist eine beträchtliche Überproduktion an dieser neuen Mittelklasse festzustellen, mit ihrer Folge: sozialer Degradation.

Die statistischen Informationen zeigen glaubwürdig, daß zahlreiche industrielle Unternehmen ganz verschwunden sind, und daß sich eine fortschreitende Ausmerzung der kleinen Unternehmer als Faktor des amerikanischen Lebens ergibt, erklärt der Generalstaatsanwalt der Vereinigten Staaten, Cummings, ein vom Marxismus weit entfernter Mann, den wir schon zitiert haben. Sombart aber wendet ein, die allgemeine Konzentration, ungeachtet des Verschwindens der handwerklichen und bäuerlichen Klasse, ist noch nicht eingetreten. Wie alle Theoretiker, begann Marx die grundlegenden Tendenzen in ihrer reinen Form zu isolieren; andernfalls wäre es gänzlich unmöglich gewesen, das Geschick der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu verstehen. Marx war indessen fähig, die Lebenserscheinungen im Lichte der konkreten Analyse zu sehen, als Produkt der Verkettung der verschiedenen historischen Faktoren. Die Newtonschen Gesetze werden durch die Tatsache, daß die Geschwindigkeit des Falls der Körper variiert gemäß den verschiedenen Bedingungen, oder daß die Bahn der Planeten diesen Variationen unterworfen ist, nicht entkräftet. Um das, was man die Zählebigkeit der Mittelklasse nennt, zu verstehen, ist es gut, nicht zu übersehen, daß die zwei Tendenzen, – der Verfall der Mittelklassen und die Umwandlung dieser ruinierten Klassen in Proletarier – sich weder gleichmäßig, noch in den selben Grenzen entwickeln. Aus dem wachsenden Übergewicht der Maschinen über die Arbeitskraft ergibt sich, wie weit der Verfall der Mittelklassen vorangeschritten ist, wie weit der Prozeß ihrer Proletarisierung vor sich geht; in der Tat kann dieser in einem gewissen Moment vollkommen aufhören und selbst zurückgehen.

In derselben Weise, wie das Wirken der physiologischen Gesetze in einem gesunden oder in einem verfallenden Organismus verschiedene Ergebnisse hervorbringt, bestätigen sich die ökonomischen Gesetze der marxistischen Ökonomie unterschiedlich in einem sich entwickelnden oder sich auflösenden Kapitalismus. Dieser Unterschied erscheint mit einer besonderen Klarheit in den wechselseitigen Beziehungen zwischen Stadt und Land. Die Landbevölkerung der Vereinigten Staaten, welche im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung in einem viel langsameren Rhythmus anwächst, hat sich bis zum Jahre 1910 zahlenmäßig beständig vermehrt, dem Jahre wo sie 32 Millionen überschritt. Während der folgenden 20 Jahre fiel diese Zahl ungeachtet des rapiden Wachstums der Gesamtbevölkerung auf dem Lande auf 30,4 Millionen, das heißt, sie verminderte sich um 1,6 Millionen. Aber im Jahre 1935 stieg sie von neuem auf 32,8 Millionen, vermehrte sich also um 2,4 Millionen im Verhältnis zu 1930. Diese Umkehrung der Tendenz widerlegt, obgleich sie auf den ersten Blick überrascht, in keiner Weise weder die Tendenz der Stadtbevölkerung, sich auf Kosten der Landbevölkerung zu vermehren, noch die Tendenz der Mittelklassen, sich zu atomisieren – aber gleichzeitig zeigt sie sehr treffend die Auflösung des kapitalistischen Systems in seiner Gesamtheit. Das Anwachsen der Landbevölkerung während der Periode der höchsten Krise von 1930–1935 erklärt sich einfach durch die Tatsache, daß ungefähr 2 Millionen Städter, oder genauer, 2 Millionen ausgehungerte Arbeitslose auf das Land, auf kleine, von Farmern verlassene Grundstücke oder auf die Farmen ihrer Eltern und Freunde flüchteten, um ihre von der Gesellschaft zurückgewiesene Arbeitskraft durch produktive Arbeit in der Naturalwirtschaft zu verwenden, um an Stelle einer ganz elenden Existenz eine halbelende zu führen.

In diesem Falle handelt es sich also nicht um die Stabilität der kleinen Farmer, Handwerker und Händler, sondern vielmehr um das schreckliche Elend ihrer Lage. Weit entfernt eine Garantie des Kommenden zu sein, ist die Mittelklasse eine unglückliche und tragische Spur der Vergangenheit. Außerstande, sie vollkommen verschwinden zu machen, drückt sie der Kapitalismus bis zum letzten Grad der Degradation und höchsten Not herab. Der Farmer sieht sich nicht allein des Verkaufes seines Stückchens Erde und des Profits seines investierten Kapitals beraubt, sondern auch eines guten Teiles seines Lohns. Auf dieselbe Art haben die kleinen Leute der Stadt nach und nach ihre Reserven aufgeknabbert und schlagen in eine Existenz um, die nicht viel besser ist als der Tod. Die Verarmung der Mittelklasse ist nicht der einzige Grund ihrer Proletarisierung. Es ist daher schwer, in dieser Tatsache ein Argument gegen Marx zu finden, außer man beschönigt den Kapitalismus.

Die industrielle Krise

Das Ende des letzten Jahrhunderts und der Beginn des gegenwärtigen waren durch einen derartig gigantischen Fortschritt des Kapitalismus gekennzeichnet, daß die zyklischen Krisen nicht mehr zu sein schienen als zufällige Unannehmlichkeiten. Während der Jahre des nahezu allgemeinen kapitalistischen Optimismus versicherten uns die Kritiker Marx’, daß die nationale und internationale Entwicklung der Trusts, Syndikate und Kartelle auf dem Markt eine geplante Kontrolle einleite und verkündeten den endgültigen Sieg über die Krisen. Nach Sombart sind die Krisen schon vor dem Krieg, durch den Mechanismus des Kapitalismus selbst vertilgt worden, so daß das Problem der Krisen uns heute nahezu gleichgültig läßt. Jetzt, kaum zehn Jahre später, klingen diese Worte wie ein Scherz, weil sich gerade in unseren Tagen die Prophezeiung von Marx in ihrer ganzen tragischen Kraft verwirklicht. Es ist merkwürdig, daß sich die kapitalistische Presse anstrengt, das Monopol zu leugnen, aber zum selben Monopol Zuflucht nimmt, um die kapitalistische Anarchie zu leugnen. Wenn 60 Familien das ökonomische Leben der Vereinigten Staaten kontrollieren, bemerkt ironisch die New York Times, so erhärtet das, daß der amerikanische Kapitalismus, weit entfernt anarchisch und vom Fehlen eines Planes zu sein – mit großer Sorgfalt organisiert ist. Diesem Argument fehlt der Sinn. Der Kapitalismus war bis zum Ende unfähig gewesen, eine einzige seiner Tendenzen voll zu entwickeln. Selbst die Konzentration des Kapitals konnte nicht die Mittelklassen, das Monopol nicht die Konkurrenz vernichten, sie konnten nichts als wie sie verdrängen, einengen und hinunterdrücken. Wie dem immer auch sei, dies ist der Plan, jeder der 60 Familien, deren verschiedene Varianten dieser Pläne sich nicht im mindesten kümmern um die Koordinierung der verschiedenen Zweige der Ökonomie, sondern vielmehr um das Anwachsen der Profite ihrer monopolistischen Clique auf Kosten der anderen Cliquen und der ganzen Nation. Der Zusammenstoß aller dieser Pläne vertieft im Endergebnis nur die Anarchie in der nationalen Wirtschaft. Die Krise brach 1929 in den Vereinigten Staaten aus, ein Jahr nachdem Sombart die vollkommene Gleichgültigkeit seiner Wissenschaft zum Problem der Krise selbst proklamiert hatte. Wie nie zuvor war die Wirtschaft der Vereinigten Staaten vom Gipfel einer noch nicht da gewesenen Prosperität in den Abgrund schrecklicher Abzehrung gestürzt. Niemand aus der Zeit Marxens hätte ein derartiges Ausmaß dieser Zuckungen ersinnen können. Das nationale Einkommen der Vereinigten Staaten belief sich im Jahre 1920 zum ersten Mal auf 69 Milliarden Dollar, um im folgenden Jahr auf 50 Milliarden (d.h. um 27%) zu fallen. Infolge menschlicher Arbeit stieg das nationale Einkommen 1929 auf seinen höchsten Punkt, das heißt auf 81 Milliarden Dollar, um im Jahr 1932 auf 40 Milliarden, also um mehr als die Hälfte zu fallen. Während der neun Jahre, 1930–1938 wurden annähernd 43 Millionen Jahre menschlicher Arbeit und 133 Milliarden Dollar an nationalem Einkommen verloren! Arbeit und Einkommen wurden auf der Basis der Zahlen von 1939 berechnet. Wenn das alles nicht Anarchie ist, was könnte dieses Wort sonst bedeuten?

Die Zusammenbruchstheorie

Die Gemüter der Intellektuellen der Mittelklasse und der Gewerkschaftsbürokraten waren fast gänzlich hypnotisiert von den Resultaten des Kapitalismus in der Epoche vom Tode Karl Marx’ bis zum Ausbruch des Weltkriegs. Die Idee der Evolution schien für immer gesichert zu sein, während die Idee der Revolution als ein Weg der Barbarei betrachtet wurde. Der Prophezeiung Marx’ stellte man die gegenteilige Prophezeiung einer besser angeglichenen Verteilung des nationalen Einkommens durch die Milderung der Klassengegensätze und durch eine stufenweise Reform der kapitalistischen Gesellschaft entgegen. Jean Jaurès, der begabteste Sozialdemokrat dieser klassischen Epoche, hoffte, der politischen Demokratie wieder sozialen Inhalt zu geben. Darin besteht das Wesen des Reformismus. Dies war die Marx entgegengestellte Prophezeiung. Was ist von ihr übrig geblieben? Das Leben des Monopolkapitalismus ist eine Kette von Krisen. Jede Krise ist eine Katastrophe. Der Wunsch, diesen Katastrophen teilweise mit den Mitteln befestigter Grenzen, Inflation, Anwachsen der Staatsausgaben, Zoll, etc. zu entgehen, bereitet das Gebiet für neue, tiefere und ausgedehntere Krisen vor. Der Kampf um die Märkte, die Rohstoffe, um die Kolonien, macht die militärische Katastrophe unvermeidlich. Dies alles bereitet unausweichlich revolutionäre Katastrophen vor. Es ist wahrhaft nicht leicht, mit Sombart gelten zu lassen, daß der Kapitalismus mit der Zeit mehr und mehr still, ruhig, vernünftig wird. Es wird richtiger sein zu sagen, dass er auf dem Weg ist, seine letzten Spuren von Vernunft zu verlieren. Auf alle Fälle gibt es keinen Zweifel. daß die Zusammenbruchstheorie über die Theorie der friedlichen Entwicklung triumphiert hat.

Der Verfall des Kapitalismus

Wenn die Kontrolle der Produktion durch den Markt die Gesellschaft viel gekostet hat, ist es nicht weniger wahr, dass die Menschheit bis zu einer bestimmten Etappe, annähernd bis zum ersten Weltkrieg, sich durch alle Teil- und allgemeinen Krisen schob, bereicherte und entwickelte. Das Privateigentum an den Produktionsmitteln war in dieser Epoche ein relativ fortschrittlicher Faktor. Heute erweist sich die blinde Kontrolle durch das Wertgesetz als unbrauchbar. Der menschliche Fortschritt steckt in einer Sackgasse.

Trotz der letzten Triumphe der Technik wachsen die natürlichen Produktivkräfte nicht an. Das klarste Symptom des Verfalls ist der weltumfassende Stillstand, welcher in der Bauindustrie herrscht, als Folge des Stopps der Investitionen in die fundamentalen Zweige der Industrie. Die Kapitalisten sind nicht mehr im Stande, an die Zukunft ihres eigenen Systems zu glauben. Der Anreiz zur Bautätigkeit durch den Staat bedeutet eine Vermehrung der Steuern und spontane Verminderung des nationalen Einkommens, vor allem deshalb, weil der größte Teil der staatlichen Investitionen direkt für Kriegszwecke bestimmt ist.

Der Niedergang hat insbesondere in der Sphäre der ältesten menschlichen Tätigkeit, welche aufs engste mit den fundamentalen Lebensbedürfnissen des Menschen verbunden ist, einen degradierenden Charakter angenommen – in der Landwirtschaft. Nicht zufrieden mit dem Hindernis, welches das Privateigentum in seiner reaktionärsten Form, jener des kleinbürgerlichen Eigentums, vor die Entwicklung der Landwirtschaft stellte, sehen sich die kapitalistischen Staaten immer häufiger genötigt, sie mittels gesetzlicher und administrativer Maßnahmen, gleich jenen, welche die Handwerker von den Zünften in der Epoche ihres Verfalls abgeschreckt hatten, künstlich zu begrenzen.

Die Geschichte zeigt, daß die Regierungen der mächtigsten kapitalistischen Länder den Bauern Prämien geben, damit sie ihre Pflanzungen reduzieren, das heißt künstlich das schon fallende Nationaleinkommen zu vermindern. Die Ergebnisse sprechen für sich selbst: Trotz grandioser Produktionsmöglichkeiten, Ergebnis von Erfahrung und Wissenschaft, macht sich die Agrarwirtschaft nicht frei von einer Krise der Fäulnis, während die Zahl der Ausgehungerten des größten Teils der Menschheit anhaltend viel schneller anwächst, als die Bevölkerung unseres Planeten. Die Konservativen sehen die Verteidigung einer sozialen Ordnung, die bis zu einem gewissen Grade destruktivem Wahnsinn verfallen ist, als gefühlsmäßige, humanitäre Politik an und verurteilen den sozialistischen Kampf gegen einen solchen Wahnsinn als destruktiven Utopismus!

Faschismus und New Deal

Zwei Methoden rivalisieren auf der Weltarena, um den historisch verurteilten Kapitalismus zu retten: Der Faschismus und der New Deal. Der Faschismus gründet sein Programm auf die Auflösung der Arbeiterorganisationen, auf die Zerstörung sozialer Reformen und auf die komplette Annullierung der demokratischen Rechte, um eine Wiedergeburt des Klassenkampfes zu verhindern. Der faschistische Staat legalisiert offiziell die Degradation der Arbeiter und die Verarmung der Mittelklassen im Namen des Heils der Nation und der Rasse, dünkelhafte Worte, hinter welchen sich der verfallende Kapitalismus verbirgt. Die Politik des New Deal, welche sich in Übereinstimmung mit der Arbeiter- und Farmeraristokratie, diese privilegierend, anstrengt, die imperialistische Demokratie zu retten, ist in ihrer breitesten Anwendung nur für sehr reiche Nationen anwendbar und in diesem Sinne echt amerikanische Politik. Die amerikanische Regierung hat versucht, einen Teil der Kosten dieser Politik auf die Schultern der Trustherren abzuwälzen, mit dem Versuch, die Löhne zu erhöhen und den Arbeitstag zu verkürzen, um so die Kaufkraft der Bevölkerung zu steigern und die Produktion zu entwickeln. Léon Blum versuchte diese Predigt in die französische Elementarschule zu übertragen. Vergeblich! Der französische wie der amerikanische Kapitalist produziert nicht aus Liebe zur Produktion, sondern für den Profit. Er ist immer bereit, die Produktion einzuschränken, selbst Waren zu zerstören, wenn sein eigener Teil des nationalen Einkommens keinen Zuwachs aufweist.

Am unbeständigsten ist das Programm des New Deal darin, daß es einerseits an die kapitalistischen Magnaten Predigten auf die Vorteile der Teuerung hält, und daß andererseits die Regierung Prämien verteilt, um die Produktion zu senken. Kann man sich eine größere Konfusion vorstellen? Die Regierung verwirrt ihre Kritiker mit der Herausforderung: Könnt ihr es besser machen? Der Sinn aus all dem ist der, daß die Lage auf der Basis des Kapitalismus hoffnungslos ist. Seit Ende 1933, d.h. während der letzten sechs Jahre, haben die Bundesregierung, die Bundesstaaten und die Städte an die Arbeitslosen nahezu 15 Milliarden Dollar an Unterstützung verteilt, eine an sich ungenügende Summe, welche kaum die Hälfte der verlorenen Löhne repräsentiert, aber gleichzeitig eine kolossale Summe, wenn man die Verminderung des Nationaleinkommens betrachtet. Im Laufe des Jahres 1938, das ein Jahr der relativen Wiedergeburt der Wirtschaft wurde, vermehrte sich die Schuld der Vereinigten Staaten um 2 Milliarden Dollar und betrug 38 Milliarden, d.h., daß sie den höchsten Punkt zu Ende des ersten Weltkriegs um 12 Milliarden überschritt.

Zu Beginn 1939 überschritt sie 40 Milliarden. Und nachher? Das Anwachsen der nationalen Schuld ist unzweifelhaft eine Last für die künftigen Generationen. Aber der New Deal ist nur möglich auf Grund des kolossalen akkumulierten Vermögens der vorangegangenen Generationen. Nur eine sehr reiche Nation konnte sich eine derart extravagante Politik erlauben. Aber, auch eine derartige Nation kann nicht unbegrenzt fortfahren, auf Kosten vergangener Generationen zu leben. Die Politik des New Deal mit ihren Scheinresultaten und dem wirklichen Anwachsen der nationalen Schuld muß unweigerlich zu einer blutdürstigen kapitalistischen Reaktion und einer verheerenden Explosion des Imperialismus führen. Mit anderen Worten, sie führt zu dem gleichen Ergebnis wie die Politik des Faschismus.

Anomalie oder Norm?

Der Staatssekretär des Inneren der Vereinigten Staaten, Harold Ickes, betrachtet die Tatsache, daß Amerika seiner Form nach demokratisch, seinem Inhalt nach autokratisch ist, als eine sonderbare Anomalie der Geschichte: Amerika, das Land, in dem die Mehrheit regiert, wurde zumindest bis zum Jahre 1933 (!) durch die Monopole kontrolliert, welche auf ihre Art von einer kleinen Anzahl von Aktionären kontrolliert werden. Das Urteil ist korrekt, mit Ausnahme der Zuflüsterung Roosevelts, daß die Herrschaft des Monopols aufgehört oder sich abgeschwächt hat. Indessen ist das, was Ickes eine der sonderbarsten Anomalien der Geschichte nennt, in der Tat die unbestreitbare Norm des Kapitalismus. Die Beherrschung der Schwachen durch die Starken, der viel größeren Zahl durch einige wenige, der Arbeiter durch die Ausbeuter, ist ein fundamentales Gesetz der bürgerlichen Demokratie. Was die Vereinigten Staaten von den anderen Ländern unterscheidet, ist einzig der weit größere Raum, und die größere Ungeheuerlichkeit der kapitalistischen Widersprüche, Fehlen der feudalen Vergangenheit, immense natürliche Hilfsquellen, ein energisches und unternehmendes Volk, mit einem Wort, alle jene Bedingungen, die eine ununterbrochene demokratische Entwicklung ankündigten, haben in der Tat eine phantastische Konzentration des Reichtums erzeugt. Uns versprechend, diesmal den Kampf gegen die Monopole bis zum Sieg zu führen, nimmt Ickes unvorsichtiger Weise Thomas Jefferson, Andrew Jackson, Abraham Lincoln, Roosevelt und Woodrow Wilson zu Zeugen, als Vorläufer von Franklin Roosevelt. Alle unsere großen historischen Gestalten, sagte er am 30. Dezember 1937, sind gekennzeichnet durch ihren hartnäckigen, mutigen Kampf für die Verhinderung der Kontrolle durch den Reichtum und dessen Überkonzentration, sowie gegen die Konzentration der Macht in wenigen Händen. Aber es zeigen seine eigenen Worte, daß das Ergebnis dieses hartnäckigen und mutigen Kampfes die vollkommene Beherrschung der Demokratie durch die Plutokratie ist.

Aus einem unerklärlichen Grunde denkt Ickes, daß dieses Mal der Sieg gesichert ist, vorausgesetzt, daß das Volk versteht, daß der Kampf sich nicht zwischen dem New Deal und den mittleren Unternehmern abspielt, sondern zwischen dem New Deal und den 60 Familien, welche trotz Demokratie und den Anstrengungen der größten historischen Gestalten, ihre Herrschaft über den Rest der mittleren Unternehmer aufgerichtet haben. Die Rockefellers, die Morgans, die Mellons, die Vanderbilts, die Guggenheims, die Fords und Co. sind nicht von außen in die Vereinigten Staaten eingedrungen, wie Cortez in Mexiko, sie sind organisch aus dem Volk, oder genauer gesagt, aus der Klasse der industriellen und mittleren Geschäftsleute hervorgegangen und repräsentieren heute, gemäß Marxens Voraussage, den natürlichen Gipfelpunkt des Kapitalismus. Wenn eine junge und starke Demokratie in ihren besten Tagen nicht im Stande gewesen ist, der Konzentration des Reichtums Einhalt zu gebieten, solange dieser Prozeß noch an seinem Beginn war, ist es da möglich, auch nur eine Minute zu glauben, daß eine absteigende Demokratie imstande sein sollte, die Antagonismen der Klassen, welche ihre äußerste Zuspitzung erreicht haben, abzuschwächen? Es steht fest, daß die Erfahrungen des New Deal keinerlei Grund für irgendwelchen Optimismus geben.

Die Anklage der Schwerindustrie zurückweisend, hat R.H. Jackson, ein in den administrativen Sphären hochgestellter Mann, sich auf Zahlen stützend, bewiesen, daß die Profite der Kapitalmagnaten unter der Präsidentschaft Roosevelts eine Höhe erreicht haben, von welcher sie während der Präsidentschaft Hoovers zu träumen aufgehört hatten, was auf alle Fälle zeigt, daß der Kampf Roosevelts gegen die Monopole von keinem viel größeren Erfolg gekrönt war als der seiner Vorgänger.

Zurück in die Vergangenheit

Man kann mit Professor L.S. Douglas, dem ehemaligen Budget-Direktor der Administration Roosevelts, nur übereinstimmen, wenn er die Regierung verurteilt, weil sie die Monopole auf einem Gebiet attackiert und auf vielen anderen ermutigt. Es kann indessen in Wirklichkeit nicht anders sein: Nach Marx ist die Regierung der geschäftsführende Ausschuß der herrschenden Klasse. Diese Regierung kann nicht dermaßen gegen die Monopole im allgemeinen kämpfen, das heißt, gegen die Klasse, mit deren Willen sie regiert.

Während sie bestimmte Monopole attackiert, ist die Regierung genötigt, Verbündete in anderen Monopolen zu suchen. In Allianz mit den Banken und der Leichtindustrie kann sie gelegentlich einen Schlag gegen die Trusts der Schwerindustrie führen, die deshalb nicht aufhören, unterdessen phantastische Gewinne zusammenzuraffen.

Lewis Douglas opponiert nicht der offiziellen Scharlatanerie der Wissenschaft. Er sieht die Quelle des Monopols nicht im Kapitalismus, sondern im Protektionismus und zieht den Schluß, daß das Heil der Gesellschaft nicht in der Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln, sondern in der Herabsetzung der Zolltarife zu suchen sei. Solange die Freiheit der Märkte nicht wieder hergestellt ist, predigt er, ist zu bezweifeln, ob die Freiheit der Institutionen, Unternehmen, des Wortes, der Erziehung, der Religion weiter bestehen kann. Mit anderen Worten: Wenn man nicht die Freiheit des internationalen Handels wiederherstellt, muß die Demokratie überall und in dem Maße, wie sie überlebt ist, den Platz an eine revolutionäre oder faschistische Diktatur abtreten. Aber die internationale Handelsfreiheit ist undenkbar bei Herrschaft des Monopols. Unglücklicherweise hat sich Douglas, genau wie Ickes, wie Jackson, wie Cummings und wie Roosevelt selbst, nicht die Mühe gegeben, uns seine eigenen Heilmittel gegen den Monopolkapitalismus und folglich gegen eine Revolution oder ein totalitäres Regime zu zeigen.

Die Handelsfreiheit, sowie die Freiheit der Konkurrenz, der Wohlstand der Mittelklassen, gehören der Vergangenheit an. Uns wieder die Vergangenheit zurückzubringen, ist heute das einzige Heilmittel der demokratischen Reformisten des Kapitalismus: Wiedererlangen von mehr Freiheit für die kleinen und mittleren Industriellen und Unternehmer, Änderung des Geld- und Kreditsystems zu ihren Gunsten, den Markt von der Herrschaft der Trusts befreien, die Börse, die Berufsspekulanten abschaffen, die internationale Handelsfreiheit wiederaufrichten und so fort in unendlicher Folge. Die Reformisten träumen selbst davon, die Benützung der Maschinen zu begrenzen und ein Verbot auf die Technik zu legen, die das soziale Gleichgewicht stört und zahllose Umwälzungen verursacht.

Die Gelehrten und der Marxismus

In einem am 7. Dezember 1937 gehaltenen Vortrag für die Verteidigung der Wissenschaft machte Dr. Robert Millikan, einer der besten Physiker Amerikas, folgende Bemerkung: Die Statistiken der Vereinigten Staaten zeigen, daß der Prozentsatz der Bevölkerung, welcher lukrativ arbeitet, während der letzten 50 Jahre, während welcher die Wissenschaft am erfolgreichsten gewesen ist, nicht aufgehört hat, sich zu vergrößern.

Diese Verteidigung des Kapitalismus in Form einer Verteidigung der Wissenschaft kann nicht als sehr glücklich betrachtet werden. Gerade während des letzten halben Jahrhunderts hat sich die Wechselwirkung zwischen der Ökonomie und Technik tief geändert. Die Periode, von der Millikan spricht, umfaßt sowohl den Beginn des Verfalls des Kapitalismus als auch den Höhepunkt des kapitalistischen Wohlstands. Den Beginn dieses Verfalls, der weltumfassend ist, zu verhüllen, bedeutet, sich zum Apologeten des Kapitalismus machen. Mit Argumenten, welche selbst eines Henry Ford kaum würdig sind, den Sozialismus ungezwungen verwerfend, sagt uns Dr. Millikan, daß ohne Hebung des Produktionsniveaus kein Verteilungssystem die Bedürfnisse der Menschen zufrieden stellen kann. Das ist unbestreitbar, aber es ist bedauerlich, daß der gefeierte Physiker den Millionen amerikanischer Arbeitslosen nicht erklärt hat, wie sie an der Vermehrung des nationalen Einkommens teilnehmen könnten. Die Predigten auf die wunderbare Gnade der individuellen Initiative und auf die Höchstproduktion der Arbeit, verschaffen den Arbeitsuchenden bestimmt keine Arbeit, stoppen nicht das Fortschreiten des Budgetdefizites und bringen die nationale Wirtschaft nicht aus der Sackgasse.

Was Marx auszeichnet, ist die Universalität seines Genies, seine Fähigkeit, die Erscheinungen und den dazugehörigen Prozess auf den verschiedenen Gebieten in ihrem inneren Zusammenhang zu begreifen. Ohne Spezialist der Naturwissenschaften zu sein, war er einer der ersten, der die Bedeutung der großen Entdeckungen auf diesem Gebiet zu schätzen wußte, so z.B. die Theorie des Darwinismus. Was Marx diesen Vorrang sicherte, war vor allem seine Methode. Die von den Ideen der Bourgeoisie durchdrängten Wissenschaftler können glauben, sie stünden turmhoch über dem Sozialismus. Aber der Fall Robert Millikans ist vor allem eine Bestätigung der Tatsache, daß sie auf dem Gebiet der Soziologie nur hoffnungslose Scharlatane sind.

Die Möglichkeiten der Produktion und das Privateigentum

In seiner Botschaft an den Kongreß zu Beginn des Jahres 1937 drückte Roosevelt den Wunsch aus, das nationale Einkommen auf 90 oder 100 Milliarden Dollar zu erhöhen, ohne aber anzuzeigen, wie er das zustande bringen will. Dieses Programm ist an sich außerordentlich bescheiden. Im Jahre 1929 erreichte das nationale Einkommen 81 Milliarden, während es ungefähr zwei Millionen Arbeitslose gab. Die Aktivierung der tatsächlichen Produktivkräfte würde genügen, nicht nur das Programm Roosevelts zu verwirklichen, sondern es sogar beträchtlich zu überschreiten. Maschinen, Rohmaterial, Arbeitskraft, nichts fehlt – selbst nicht die Bedürfnisse der Bevölkerung. Trotz alle dem ist dieser Plan nicht zu verwirklichen. Der einzige Grund dafür ist der hemmende Antagonismus, der sich zwischen dem kapitalistischen Eigentum und dem Bedürfnis der Gesellschaft nach einer steigenden Produktion entwickelt. Die berüchtigte Nationale Kontrolle der Produktionskapazität, unter der Gönnerschaft der Regierung, kam zu der Schlußfolgerung, daß sich die Gesamtkosten der Produktion und des Transportes im Jahre 1929, auf Basis der Detailpreise errechnet, auf ungefähr 94 Mrd. erhöhten. Wenn indessen alle Möglichkeiten der Produktion wirklich ausgenützt worden wären, so würde sich diese Ziffer auf 135 Milliarden erhöhen, was durchschnittlich 4370 Dollar pro Jahr und Familie ergeben würde, eine Summe, die ein anständiges, komfortables Leben sichern würde. Es muß hinzugefügt werden, daß die Kalkulation der Nationalen Kontrolle auf der gegebenen Organisation der Produktion der Vereinigten Staaten beruhen, auf jener, zu der sie die anarchische Geschichte des Kapitalismus gemacht hat. Wenn diese Organisation auf dem Boden eines einheitlichen sozialistischen Planes reorganisiert würde, so könnten die Produktionsziffern beträchtlich überschritten werden und der ganzen Welt würde ein hoher Lebensstandard sowie Komfort auf Grundlage einer außerordentlich kurzen Arbeitszeit gesichert sein.

Um die Gesellschaft zu retten, ist es weder notwendig, die Entwicklung der Technik aufzuhalten, Fabriken zu schließen, Prämien für die Farmer festzusetzen, um die Landwirtschaft zu sabotieren, ein Drittel der Arbeiter in Bettler zu verwandeln, noch einen Appell an wahnsinnige Diktatoren zu machen. Alle diese Maßregeln, entschieden die Interessen der Gesellschaft gefährdend, sind unnötig. Unbedingt nötig ist die Trennung der Produktionsmittel von ihren parasitären Besitzern und die Organisation der Gesellschaft nach einem rationalen Plan. Dann erst wird es möglich sein, die Gesellschaft wirklich von ihren Übeln zu heilen. Alle, die arbeiten können, werden Arbeit finden. Die Länge des Arbeitstages wird stufenweise vermindert werden. Die Bedürfnisse aller Mitglieder der Gesellschaft werden mehr und mehr befriedigt werden. Die Worte Armut, Krise, Ausbeutung werden aus dem Sprachgebrauch verschwinden. Die Menschheit wird endlich die Schwelle zur wahren Menschlichkeit überschreiten.

Die Unvermeidlichkeit des Sozialismus

Mit der beständig abnehmenden Zahl der Kapitalmagnaten, sagt Marx, wächst die Masse des Elends, des Druckes, der Knechtschaft, der Entartung, der Ausbeutung, aber auch die Empörung der stets anschwellenden und durch den Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses geschulten, vereinten und organisierten Arbeiterklasse: Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt. Die Enteigner werden enteignet. Das ist die sozialistische Revolution. Das Problem der Rekonstruktion der Gesellschaft bringt für Marx keine durch eine persönliche Vorliebe motivierten Vorschriften hervor; sie resultiert als historische, unerbittliche Notwendigkeit, einerseits aus dem Anwachsen der Produktivkräfte bis zu ihrer vollen Reife, andererseits aus der Unmöglichkeit der Weiterentwicklung dieser Produktivkräfte unter der Herrschaft des Wertgesetzes.

Die Auslassungen bestimmter Intellektueller, nach welchen, trotz der Schule von Marx, der Sozialismus nicht unvermeidlich, sondern nur möglich ist, entbehrt jeden Sinnes. Es ist klar, daß Marx niemals sagen wollte, daß sich der Sozialismus ohne bewußte Intervention der Menschen verwirklichen läßt: eine derartige Idee ist einfach absurd.

Marx hat gelehrt, daß, um aus der ökonomischen Katastrophe herauszukommen, zu welcher die kapitalistische Entwicklung unweigerlich führen muß – und diese Katastrophe vollzieht sich vor unseren Augen – kein anderer Ausweg bleibt, als die Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Die Produktivkräfte benötigen einen neuen Organisator und einen neuen Herrn und, das Sein bestimmt das Bewußtsein, Marx bezweifelte nicht, daß die Arbeiterklasse, selbst um den Preis von Irrtümern und Rückschlägen, dazu gelangen wird, der Situation gerecht zu werden und früher oder später die praktischen Schlußfolgerungen zu ziehen, die sich aufdrängen.

Daß die Vergesellschaftung der von den Kapitalisten geschaffenen Produktionsmittel einen enormen ökonomischen Vorteil bietet, kann man heute nicht allein in der Theorie, sondern auch durch die Erfahrungen in der UdSSR, trotz ihrer Begrenztheit, als erwiesen ansehen. Es ist wahr, daß sich die kapitalistischen Reaktionäre nicht ohne Geschicklichkeit des stalinistischen Regimes gleich einer Vogelscheuche gegen die Idee des Sozialismus bedienen. Tatsächlich hat Marx jedoch niemals gesagt, daß sich der Sozialismus in einem Lande verwirklichen lasse und noch viel weniger in einem rückständigen Land. Die Entbehrungen, denen die Massen in der UdSSR ausgesetzt sind, die Allgewalt der privilegierten Kaste, die sich über die Nation und ihre Not erhoben hat, die unverschämte Willkür der Bürokraten ist nicht die Konsequenz des Sozialismus, sondern die der Isoliertheit und der historischen Rückständigkeit der UdSSR, die von der kapitalistischen Einkreisung in die Zange genommen ist. Das Erstaunlichste ist, daß es der planifizierten Wirtschaft auch unter außergewöhnlich ungünstigen Bedingungen gelungen ist, ihre unbestreitbare Überlegenheit zu beweisen.

Alle Retter des Kapitalismus, demokratischer wie faschistischer Art, bemühen sich, die Macht der Kapitalmagnaten zu begrenzen oder zumindestens zu verbergen, letzten Endes die Enteignung der Enteigner zu verhindern. Sie alle anerkennen, und gewisse unter ihnen geben das offen zu, daß die Niederlage ihrer reformistischen Versuche unweigerlich zur sozialistischen Revolution führen muß. Es ist ihnen allen gelungen zu zeigen, daß ihre Methoden zur Rettung des Kapitalismus nichts sind als reaktionäre und machtlose Scharlatanerie. Marxens Voraussage über die Unvermeidlichkeit des Sozialismus wird so durch die Absurdität bestätigt.

Die Propaganda der Technokratie, die in der Periode der großen Krise von 1929–1932 blühte, stützte sich auf die richtige Prämisse, daß die Wirtschaft nur durch die Verbindung mit der Technik auf die Höhe der Wissenschaft gehoben, mit dem in den Dienst der Gesellschaft gestellten Staat rationalisiert werden kann. Hier beginnt die große revolutionäre Aufgabe. Um die Technik aus dem Ränkespiel der Privatinteressen zu befreien und den Staat in den Dienst der Gesellschaft zu stellen, muß man die Enteigner enteignen. Nur eine kräftige, an ihrer eigenen Befreiung interessierte und den kapitalistischen Enteignern entgegengesetzte Klasse kann diese Aufgabe lösen. Nur in Verbindung mit einem proletarischen Staat kann die qualifizierte Schicht der Techniker eine wirklich wissenschaftliche, wirklich rationale, das heißt sozialistische Wirtschaft aufbauen. Natürlich würde das beste sein, dieses Ziel auf friedlichem, schrittweisem, demokratischen Weg zu erreichen. Aber die soziale Ordnung, die sich selbst überlebt hat, tritt niemals ohne Widerstand ihren Platz an ihren Nachfolger ab. Wenn die junge und kräftige Demokratie sich als unfähig erwies, das Wuchern des Reichtums und die Macht der Plutokratie zu verhindern, ist es da möglich zu hoffen, daß die senile und verwüstete Demokratie sich fähig zeigt, eine soziale Ordnung, die auf der schrankenlosen Vorherrschaft von 60 Familien fußt, umzuformen? Die Theorie und die Geschichte lehren, daß die Ersetzung einer sozialen Ordnung durch eine andere, höhere, die höchstentwickelte Form des Klassenkampfes voraussetzt, d.h. die Revolution. Selbst die Sklaverei in den Vereinigten Staaten konnte nicht ohne Bürgerkrieg abgeschafft werden. Die Gewalt ist die Geburtshelferin jeder alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht. Noch niemand ist imstande gewesen, Marx in diesem fundamentalen Prinzip der Soziologie der Klassengesellschaft zu widerlegen. Einzig die sozialistische Revolution kann die Bahn zum Sozialismus freilegen.

Der Marxismus in den Vereinigten Staaten

Die nordamerikanische Republik ist auf dem Gebiet der Technik und Organisation der Produktion den anderen Ländern weit voraus. Es ist nicht allein Amerika, sondern die ganze Menschheit, welche auf diesen Grundlagen weiterbauen wird. Die verschiedenen Phasen des sozialen Prozesses in einer und derselben Nation folgen indessen verschiedenen Rhythmen, die von bestimmten historischen Bedingungen abhängig sind. Während die Vereinigten Staaten auf dem Gebiete der Technik ein grandioses Übergewicht haben, bleibt das ökonomische Denken dieses Landes, sowohl nach rechts, wie nach links, außerordentlich zurück. John L. Lewis1 hat annähernd dieselben Gesichtspunkte wie Roosevelt. Wenn man die Natur seiner Funktion in Rechnung zieht, ist die von Lewis ungleich konservativer, um nicht zu sagen reaktionärer als jene Roosevelts. In bestimmten amerikanischen Kreisen ist eine Neigung vorhanden, diese oder jene revolutionäre Theorie ohne die mindeste wissenschaftliche Kritik der Einfachheit halber als unamerikanisch zu verwerfen. Aber wo können sie das Kriterium finden, welches erlaubt zu unterscheiden, was amerikanisch ist, und was nicht amerikanisch ist? Das Christentum wurde zur selben Zeit in die amerikanischen Staaten eingeführt wie die Logarithmen, die Poesie Shakespeares, die Begriffe der Menschen- und Bürgerrechte und bestimmte andere, nicht unwichtige Erzeugnisse des menschlichen Denkens. Heute findet sich der Marxismus in der selben Kategorie. Der amerikanische Staatssekretär für Landwirtschaft, H.A. Wallace, hat dem Autor dieser Zeilen eine dogmatische Beschränktheit, im höchsten Maße unamerikanisch zugeschrieben und stellt dem russischen Dogmatismus den opportunistischen Geist Jeffersons entgegen, der mit seinem Gegner zu verhandeln wußte. Augenscheinlich ist es Wallace niemals in den Sinn gekommen, daß eine Kompromißpolitik nicht der Ausdruck eines nationalen, immateriellen Geistes ist, sondern ein Produkt der materiellen Bedingungen. Eine Nation, deren Reichtum rapid wächst, hat genügend Reserven, um die Klassen und die feindlichen Parteien zu versöhnen. Wenn sich dagegen die sozialen Gegensätze verschärfen, so heißt das, daß die Basis der Kompromißpolitik dahinschwindet. Wenn die Amerikaner dogmatische Beschränktheit nicht gekannt haben, so deshalb, weil sie über einen großen Überfluß an jungfräulichem Boden und unerschöpfliche Quellen natürlichen Reichtums verfügten, und auch schien es die Möglichkeit unbegrenzter Bereicherung zu geben. Indessen verhinderte der Kompromißgeist, selbst unter diesen Bedingungen, nicht den Bürgerkrieg, als seine Stunde schlug. Alles in allem rücken heute die materiellen Bedingungen, welche die Basis des Amerikanismus formen, immer mehr in den Bereich der Vergangenheit. Daher die schwere Krise der traditionellen amerikanischen Ideologien. Das empirische Denken, auf die Zusammenfassung der unmittelbaren Aufgaben beschränkt, scheint sowohl in Arbeiter- als auch in Bourgeoisiekreisen zu genügen, obgleich schon lange das Wertgesetz von Marx das Denken eines jeden ergänzte. Aber heute erzeugt dieses Gesetz selbst eine entgegengesetzte Wirkung. Anstatt die Ökonomie zu fördern, ruiniert es ihre Grundlagen. Das versöhnliche eklektische Denken, mit seiner feindlichen und verachtenden Stellung gegen den als Dogma betrachteten Marxismus und mit seinem philosophischen Ausdruck, dem Pragmatismus, wird absolut unangemessen, immer unbeständiger, reaktionär und lächerlich. Im Gegenteil, die traditionellen Ideen des Amerikanismus sind ein Dogma ohne Leben geworden, sind versteinert, nur Irrtümer und Konfusion erzeugend. In der selben Zeit hat die ökonomische Lehre von Marx ein günstiges Terrain gefunden und in den Vereinigten Staaten ein speziell passendes. Obgleich das Kapital in seinen theoretischen Grundlagen auf internationalem Material ruht, vor allem auf englischem, ist es eine Analyse des reinen Kapitalismus, des Kapitalismus als solchem. Unzweifelhaft ist der Kapitalismus, der auf dem jungfräulichen Boden Amerikas und ohne Geschichte gewachsen ist, dem Idealtyp des Kapitalismus sehr nahe. Zum Verdruß von Mr. Wallace hat sich Amerika wirtschaftlich nicht nach den Prinzipien Jeffersons entwickelt, sondern nach den Gesetzen von Marx. Es ist nicht sehr beleidigend für den nationalen Stolz, zuzugeben, daß sich Amerika gemäß den Gesetzen des Kopernikus um die Sonne dreht. Das Kapital gibt eine genaue Diagnose der Krankheit und eine unersetzliche Prognose. In dieser Richtung ist die Lehre von Marx viel mehr vom neuen Amerikanismus durchdrungen als die Ideen von Hoover und Roosevelt, oder Green und Lewis.

Es ist wahr, daß in den Vereinigten Staaten eine originelle Literatur, den Krisen der amerikanischen Wirtschaft gewidmet, sehr verbreitet ist. In dem Maße, wie die Ökonomen gewissenhaft ein objektives Bild der zerstörerischen Tendenzen des amerikanischen Kapitalismus zeichnen, erscheinen die Ergebnisse ihrer Forschungen wie direkte Illustrationen zur Lehre von Marx. Die konservative Tradition dieser Autoren scheint indessen auf, wenn sie mit Starrsinn richtige Schlußfolgerungen abweisen, borniert zu nebulösen Prophezeihungen oder moralischen Banalitäten flüchten wie: Das Land muß verstehen, daß …, die öffentliche Meinung muß ernstlich erwägen … usw. Ihre Bücher gleichen Messern ohne Klingen.

Die Vereinigten Staaten haben in der Vergangenheit Marxisten gehabt, das ist wahr, aber das waren Marxisten eines eigenartigen Typs, oder besser dreier Typen. An erster Stelle waren es aus Europa vertriebene Emigranten, die taten, was sie konnten, denen es aber nicht gelang ein Echo zu finden. An zweiter Stelle gab es amerikanische Gruppen, isoliert wie die Leonisten, welche im Laufe der Ereignisse und in Folge ihrer eigenen Fehler sich in Sekten verwandelten. An dritter Stelle gab es Dilettanten, die, von der Oktoberrevolution angezogen, mit dem Marxismus, gleich einer ausländischen Lehre, welche mit den Vereinigten Staaten nichts gemein hat, sympatisierten. Diese Epoche ist vorbei. Heute beginnt eine neue Epoche, die der unabhängigen Klassenbewegung des Proletariats und damit die Epoche des wahren Marxismus. Auch auf diesem Gebiete wird Amerika Europa mit einigen Sprüngen einholen und es überholen. Seine fortschrittliche Technik und seine fortschrittliche ökonomische Struktur wird sich einen Weg in das Gebiet der Doktrin bahnen. Die besten Theoretiker des Marxismus werden auf amerikanischem Boden erscheinen. Marx wird der Führer der amerikanischen Arbeiter, ihrer Avantgarde werden. Für sie wird der dargestellte Auszug des ersten Bandes des Kapitals nur der erste Schritt zum vollständigen Studium von Marx sein.

Der ideale Spiegel des Kapitalismus

In der Epoche, wo der erste Band des Kapital veröffentlicht wurde, war die Weltherrschaft der englischen Bourgeoisie noch unbestritten. Die abstrakten Gesetze der Warenwirtschaft fanden natürlicherweise ihre vollkommenste Bestätigung in den Ländern, in denen der Kapitalismus seine höchste Entwicklung erreicht hatte, das heißt, die am wenigsten den Einflüssen der Vergangenheit unterworfen waren. So sehr Marx sich für seine Analyse auf England gestützt hat, hatte er nicht nur England, sondern die ganze kapitalistische Welt im Auge. Er hat das England seiner Zeit als besten Spiegel des Kapitalismus jener Epoche genommen.

Heute bleibt nur eine Erinnerung der britischen Hegemonie. Die Vorteile der kapitalistischen Erstgeburt haben sich in Nachteile verwandelt. Die technische und ökonomische Struktur Englands ist unbrauchbar geworden. Das Land bleibt hinsichtlich seiner Weltposition eher abhängig von seinem Kolonialreich, dem Erbe der Vergangenheit, als von seinem aktiven ökonomischen Potential. Das erklärt nebenbei die von Chamberlain geschaffene Nächstenliebe, welche die Welt wahrhaft in Erstaunen versetzt hat. Die englische Bourgeoisie kann sich nicht zurückziehen, sie weiß, daß ihr ökonomischer Verfall zur Gänze mit ihrer Position in der Weit unvereinbar geworden ist, und daß ein neuer Krieg den Fall des britischen Empire herbeizuführen droht. Die ökonomische Grundlage des Pazifismus Frankreichs ist im wesentlichen von der selben Natur.

Deutschland hat dagegen für seinen rapiden kapitalistischen Aufstieg die Vorteile seiner historischen Rückständigkeit benutzt, um sich mit der vollkommensten Technik Europas auszurüsten. Nur über eine national beschränkte Grundlage und wenige natürliche Hilfsquellen verfügend, wandelte sich die kapitalistische Dynamik Deutschlands mit Notwendigkeit zu einem explosiven, außerordentlich kräftigen Faktor im Gleichgewicht der Weltkräfte. Die epileptische Ideologie Hitlers ist nichts anderes als der Reflex der Epilepsie des deutschen Kapitalismus.

Abgesehen von den zahlreichen, unschätzbaren Vorteilen ihres historischen Charakters hat die Entwicklung der Vereinigten Staaten den ausnahmsweisen Vorteil gehabt, ein unermeßlich weit ausgedehntes Territorium mit unvergleichlich größerem natürlichem Reichtum als Deutschland zu besitzen. Großbritannien beträchtlich zurückdrängend, ist die nordamerikanische Republik mit Beginn dieses Jahrhunderts zur Hauptfestung der Weltbourgeoisie geworden. Alle Möglichkeiten, die der Kapitalismus enthielt, fanden in diesem Lande ihren höchsten Ausdruck. Die Bourgeoisie kann in keinem Teil unseres Planeten und in keiner Weise die Ergebnisse der kapitalistischen Entwicklung in der Dollarrepublik, die der vollkommene Spiegel der Entwicklung des Kapitalismus im 20. Jahrhundert geworden ist, überholen.

Aus denselben Gründen, die Marx veranlaßten, seine Darlegung auf englischen Statistiken zu basieren, haben wir in unserer bescheidenen prinzipiellen Einleitung zu den der ökonomischen und politischen Erfahrung der Vereinigten Staaten entlehnten Beweisen Zuflucht genommen. Unnütz zu ergänzen, daß es nicht schwer sein würde, Tatsachen und analoge Ziffern anzuführen aus dem Leben anderer kapitalistischer Länder, welche es auch seien. Aber das würde nichts Wesentliches hinzufügen. Die Schlußfolgerungen würden dieselben sein und nur die Beispiele weniger schlagend.

Die Volksfrontpolitik in Frankreich ist, wie das einer ihrer Finanziers ausdrückte, eine Ausgabe des New Deal für Liliputaner. Es ist vollkommen klar, daß es in einer theoretischen Analyse bequemer ist, zyklopische Größen zu handhaben als liliputanische. Selbst die Ungeheuerlichkeit des Experiments Roosevelts zeigt uns, daß nur ein Wunder die kapitalistische Weltordnung retten kann. So ergibt sich, daß die Entwicklung der kapitalistischen Produktion endigt mit der Produktion von Wundern. Darüber hinaus ist es klar, daß, wenn dieses Wunder der Wiederverjüngung des Kapitalismus sich vollziehen könnte, das nur in den Vereinigten Staaten möglich wäre. Aber die Verjüngung vollzieht sich nicht. Das, was für die Zyklopen unmöglich ist, ist noch viel weniger möglich für die Liliputaner. Die Begründung dieser einfachen Schlußfolgerung war Gegenstand unseres Ausfluges in die nordamerikanische Wirtschaft.

Mutterländer und Kolonien

Das industriell meist entwickelte Land, schrieb Marx im Vorwort zur ersten Ausgabe seines Kapital, zeigt den weniger entwickelten Ländern das Bild Ihrer eigenen Zukunft. Dieser Gedanke darf unter keinen Umständen wörtlich genommen werden. Das Anwachsen der Produktivkräfte und die Vertiefung der sozialen Gegensätze sind unzweifelhaft das Schicksal aller Länder, die an den Weg der bürgerlichen Entwicklung gebunden sind. Die Ungleichheit in den Rhythmen und Maßen, die sich in der Evolution der Menschheit zeigen, werden indessen nicht allein besonders scharf unter dem Kapitalismus, sondern haben zur Entstehung einer vollständigen gegenseitigen Abhängigkeit zwischen den Ländern verschiedener ökonomischer Typen geführt, die sich in Unterwerfung, Ausbeutung und Unterdrückung äußert. Nur eine Minderheit der Länder hat die systematische und logische Entwicklung vom Handwerkertum über die Manufaktur zur Fabrik, eine Entwicklung, die Marx einer sehr detaillierten Analyse unterzogen hat, ganz durchgemacht. Das kommerzielle, industrielle und finanzielle Kapital ist von außen in die zurückgebliebenen Länder eingedrungen, die primitiven Formen der Naturalwirtschaft zum Teil zerstörend und sie zum Teil dem Industrie- und Banksystem des Okzidents unterwerfend. Unter der Peitsche des Imperialismus haben sich die Kolonien und Halbkolonien genötigt gesehen, die Zwischenstadien zu vernachlässigen, sich völlig dem einen oder dem anderen Niveau künstlich anzuschließen. Die Entwicklung Indiens hat nicht die Entwicklung Englands reproduziert; es hat sie kombiniert. Um die Art der kombinierten Entwicklung der rückständigen und unterworfenen Länder wie Indien zu verstehen, ist es immer nötig, jenes klassische Schema vor Augen zu haben, das Marx aus der Entwicklung Englands gewonnen hat. Die Werttheorie leitet gleicherweise die Berechnungen der Londoner Spekulanten wie die Operationen der Geldwechsler in den zurückgezogensten Winkeln Bombays, mit dem beinahe einzigen Unterschied, daß sie in letzterem Falle viel einfachere und weniger verschlagene Formen annehmen.

Die Ungleichheit der Entwicklung hat den fortgeschrittenen Ländern enorme Vorteile geschaffen, welche, obgleich in verschiedenem Grade, sich weiterentwickelten auf Kosten der rückständigen Länder, diese ausbeutend, als Kolonie unterwerfend, oder zumindest ihren Aufstieg zur kapitalistischen Aristokratie verhindernd. Die Vermögen Spaniens, Hollands, Englands, Frankreichs sind nicht allein durch Plünderung ihres eigenen Kleinbürgertums, sondern auch durch die systematische Plünderung ihrer überseeischen Besitzungen entstanden. Die Ausbeutung der Klassen wurde vervollständigt und ihre Macht wuchs durch die Ausbeutung der Nationen. Die Bourgeoisie der Mutterländer ist imstande gewesen, ihrem eigenen Proletariat, vor allem dessen oberer Schicht, mittels eines Teils der aufgehäuften Überprofite aus den Kolonien eine privilegierte Position zu sichern. Ohne das würde die Beständigkeit der demokratischen Regimes unmöglich gewesen sein. In ihrer entwickeltsten Form ist und bleibt die Demokratie immer eine Regierungsform, welche nur den aristokratischen und ausbeutenden Nationen zugänglich ist. Die antike Demokratie fußte auf Sklaverei, die imperialistische Demokratie fußt auf der Ausplünderung der Kolonien.

Die Vereinigten Staaten, die formell fast keine Kolonien haben, sind nichtsdestoweniger die privilegierteste aller Nationen der Geschichte. Die aus Europa gekommenen aktiven Einwanderer ergriffen, die eingeborene Bevölkerung vertilgend, sich des besten Teils Mexikos bemächtigend, den Löwenanteil des Weltreichtums erwuchernd, Besitz von einem außergewöhnlich reichen Kontinent. Die so akkumulierten Fettreserven wurden, selbst jetzt in der Epoche des Zerfalles, fortdauernd zum Fetten der Getriebe und Räder der Demokratie benutzt.

Die jüngste geschichtliche Erfahrung wie auch die theoretische Analyse bezeugen, daß das Niveau der Entwicklung der Demokratie und ihre Stabilität im umgekehrten Verhältnis zur Schärfe der Klassengegensätze stehen. In den weniger privilegierten Ländern (auf der einen Seite Rußland, auf der anderen Deutschland, Italien etc.), die außerstande waren, eine Arbeiteraristokratie hervorzubringen, wurde die Demokratie niemals breit entwickelt und unterlag mit relativer Leichtigkeit der Diktatur. Die fortdauernde progressive Paralyse des Kapitalismus bereitet den Demokratien der privilegiertesten und reichsten Nationen das gleiche Schicksal vor. Der einzige Unterschied liegt in den Fristen. Das unwiderstehliche Absinken der Lebensbedingungen der Arbeiter erlaubt der Bourgeoisie immer weniger, den Massen das Recht zur Teilnahme am politischen Leben, selbst im begrenzten Rahmen des kapitalistischen Parlamentarismus, zu gewähren. Alle anderen Erklärungen dieses augenscheinlichen Prozesses der Entthrohnung der Demokratie durch den Faschismus, sind nichts als eine idealistische Verfälschung der Wirklichkeit, Betrug oder Selbstbetrug.

Während der Imperialismus in den alten kapitalistischen Mutterländern die Demokratie zerstört, hemmt er in der selben Zeit die Entwicklung der Demokratie in den zurückgebliebenen Ländern. Die Tatsache, daß in der gegenwärtigen Epoche nicht eine der Kolonien oder Halbkolonien ihre demokratische Revolution durchführte, speziell in der Agrarfrage, ist zur Gänze Schuld des Imperialismus, der zur Hauptbremse des ökonomischen und politischen Fortschritts geworden ist. Die natürlichen Reichtümer der zurückgebliebenen Länder vollkommen ausplündernd, und die Freiheit ihrer selbständigen Industrie hemmend, gewähren die Trustmagnaten und ihre Regierungen den halbfeudalen Gruppen eine finanzielle, politische und militärische Stütze zur Aufrechterhltung der reaktionärsten, parasitärsten Ausbeutung der Eingeborenen. Die künstlich erhaltene Agrarbarbarei ist heute gleichzeitig die schlimmste Geißel der Weltwirtschaft. Der Kampf der Kolonialvölker um ihre Befreiung verwandelt sich, die Zwischenetappen überspringend, mit Notwendigkeit in einen Kampf gegen den Imperialismus und unterstützt dadurch den Kampf des Proletariats in den Mutterländern. Die kolonialen Aufstände und Kriege untergraben die Fundamente der kapitalistischen Welt und machen das Wunder ihrer Wiedergeburt weniger denn je möglich.

Die planifiziertte Weltwirtschaft

Der Kapitalismus hat das doppelte historische Verdienst, die Technik auf ein hohes Niveau gebracht, und alle Teile der Welt durch das Band der Wirtschaft geeint zu haben. Auf diese Weise hat er die zur systematischen Nutzung aller Hilfsquellen unseres Planeten erforderlichen materiellen Bedingungen geschaffen. Jedoch ist der Kapitalismus nicht imstande, diese dringliche Aufgabe auszuführen. Die Basis seiner Expansion ist immer der Nationalstaat mit seinen Grenzen, Zöllen und Armeen. Indessen überschritten die Produktivkräfte längst die Grenzen des Nationalstaates, verwandeln auf diese Art das, was einst ein historisch fortschrittlicher Faktor war, in einen unerträglichen Zwang. Die imperialistischen Kriege sind nichts anderes als die Explosion der Produktivkräfte gegen die für sie zu eng gewordenen Grenzen des Staates. Das Programm der Autarkie ist nichts als ein Zurückgehen zu einer selbstgenügsamen Wirtschaft innerhalb der eigenen Grenzen. Es zeigt einzig und allein an, daß man die nationale Basis für einen neuen Krieg vorbereitet.

Nach der Unterzeichnung des Vertrages von Versailles glaubte man allgemein, daß der Erdball sehr gut aufgeteilt sei. Die neuesten Ereignisse haben uns aber wieder ins Gedächtnis gerufen, daß unser Planet noch immer Gebiete enthält, die noch nicht oder nicht genügend ausgeplündert wurden. Der Kampf um die Kolonien bleibt immer ein Teil der Politik des imperialistischen Kapitalismus. Dieser Kampf hört niemals auf, selbst wenn die Welt zur Gänze aufgeteilt ist, immer wieder verbleibt eine neue Wiederverteilung, konform mit den entstandenen Veränderungen im imperialistischen Kräfteverhältnis, auf der Tagesordnung. Das ist heute der wahre Grund der Aufrüstung, der diplomatischen Krisen und der Kriegsvorbereitung.

Alle Anstrengungen, den kommenden Krieg als einen Zusammenstoß zwischen den Ideen des Faschismus und der Demokratie darzustellen, gehören auf das Gebiet der Scharlatanerie oder der Dummheit. Die politischen Formen wechseln, die kapitalistischen Appetite bleiben. Wenn sich morgen ein faschistisches Regime beiderseits des Ärmelkanals etablieren würde – und man wird schwerlich wagen, diese Möglichkeit zu leugnen – so würden die Diktatoren von Paris und London ebenso außerstande sein, von ihrem Kolonialbesitz zu lassen, wie Hitler und Mussolini von ihren kolonialen Forderungen. Der wahnsinnige und hoffnungslose Kampf auf eine neue Wiederaufteilung der Welt bricht unwiderstehlich aus der tödlichen Krise des kapitalistischen Systems hervor.

Die Teilreformen und Flickschusterei führen zu nichts. Die historische Entwicklung ist an einer ihrer entscheidenden Etappen angelangt, wo einzig die direkte Intervention der Massen fähig ist, die reaktionären Hindernisse wegzufegen und die Grundlagen einer neuen Ordnung zu errichten. Die Vernichtung des Privatbesitzes an den Produktionsmitteln ist die erste Bedingung einer Ära der Planwirtschaft, das heißt der Intervention der Vernunft auf dem Gebiete der menschlichen Beziehungen, zuerst im nationalen Maßstab, und in der Folge im Weltmaßstab. Hat die soziale Revolution einmal begonnen, wird sie sich mit einer unendlich größeren Kraft, viel größer als die Kraft, mit der sich der Faschismus ausbreitete, von einem Land zum anderen ausbreiten. Durch das Beispiel und mit Hilfe der fortgeschrittenen Länder werden die zurückgebliebenen Länder ebenfalls in den großen Strom des Sozialismus einbezogen. Die völlig verfaulten Zollschranken werden fallen. Die Gegensätze, welche Europa und die ganze Welt teilen, werden ihre natürliche und friedliche Lösung im Rahmen der vereinigten sozialistischen Staaten finden, in Europa und in den anderen Teilen der Erde. Die befreite Menschheit wird ihrem höchsten Gipfel zustreben.

Kapitalistische Anarchie und die Verelendung der Arbeiterklasse

Dieser Teil ist übersetzt aus der Broschüre Capitalist Anarchy and the Immiseration of the Working Class, im Mai 2009 herausgegeben von der Spartacist League/U.S., US-Sektion der Internationalen Kommunistischen Liga (IKL).

Wall Street und der Krieg gegen die Arbeiter

Der Streik der Teamster-Gewerkschaft gegen UPS im August2 wurde allgemein als der erste bedeutende Sieg der Arbeiter [in den USA] seit der Zerschlagung des PATCO-Fluglotsenstreiks durch den republikanischen Präsidenten Ronald Reagan 1981 angesehen. Ein paar Tage vor dem Abschluss bei UPS, als klar war, dass der Streik nicht nur effektiv UPS dicht machte, sondern auch weithin populär war, erlitt die Wall Street den abruptesten Abverkauf in einem Tag seit sechs Jahren, und der Dow Jones fiel um 250 Punkte – mehr als 3 Prozent. Wenn sich die Aktienkurse seitdem auch etwas erholt haben, bleiben sie doch unter dem Höhepunkt von Anfang August.

Die ziemlich bescheidenen wirtschaftlichen Zugewinne der Fahrer und Lagerarbeiter waren nicht der Hauptgrund, weshalb die US-Kapitalisten über den UPS-Streik erbost waren. Was der herrschenden Klasse wirklich Sorgen bereitete, war die während des Streiks deutlich gewordene weitverbreitete Ansicht, dass die Gewerkschaften jetzt die Guten und die Konzernbesitzer und Manager die Bösewichte waren. Die Männer an der Spitze der Wall Street und der Fortune-500-Konzerne achten aus ihren eigenen Gründen empfindlich auf die Laune der Männer und Frauen, die sie ausbeuten. Und ihnen ist die stärker werdende Verbitterung und die steigende Wut bewusst, die ihnen potentiell gefährlich werden können.

Ein paar Tage nach dem Ende des Streiks brachte die New York Times3 unter dem Titel Die Arbeiter schlagen zurück4 einen Leitartikel von Stephen Roach, dem Chefökonomen des Hauptzweiges von J.P. Morgan, der bedeutendsten Finanzdynastie der USA. Roach beginnt, indem er unverblümt feststellt:

US-amerikanische Arbeiter fangen jetzt an, genau die Kräfte herauszufordern, die zu einer spektakulären Wiederbelebung der Profitabilität und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in den Vereinigten Staaten geführt haben. Sie sagen quasi Nein zu jahrelanger Kostensenkung durch die Unternehmen, die in erster Linie gegen die Arbeiterschaft des Landes gerichtet war.

Die Vorstellung, dass der Anstieg der Profitabilität und die daraus erwachsene Wall-Street-Hausse auf gesteigerter Produktivität durch Investitionen in fortgeschrittenere Technologie basieren, wird von Roach rundweg abgelehnt. Er verweist auf eine kürzliche Studie des US-Handelsministerium, derzufolge Produktivitätszuwächse in den USA während der 1990er durchschnittlich etwas weniger als 1 Prozent betrugen, kaum anders als in dem Jahrzehnt davor und weniger als die Hälfte der Zuwächse in den 1950ern bis 60ern. Roach beschreibt die gegenwärtige wirtschaftliche Situation als eine Erholung auf dem Rücken der Arbeiter – eine, die nur gedeiht, weil Amerikas Unternehmen unbarmherzigen Druck auf ihre Belegschaften ausüben, und er sagt voraus:

Anders als die produktivitätsbasierte Erholung ist die Erholung auf dem Rücken der Arbeiter nicht nachhaltig. Sie führt unweigerlich zu wachsenden Spannungen, wobei es zu einem direkten Machtkampf zwischen Kapital und Arbeit kommt. Investoren werden zunächst jenseits ihrer wildesten Träume belohnt, doch diese Gewinne könnten letztlich ausradiert werden, wenn die Arbeiter zurückschlagen.

Kurz nachdem diese Worte geschrieben waren, wurde San Francisco – die Finanzhauptstadt der US-Westküste – von einem einwöchigen Streik gegen das Bay-Area-Rapid-Transit-System (BART) erschüttert, das 40 Prozent des regionalen Pendlerverkehrs transportiert. Wie bei UPS war der BART-Streik zum großen Teil von Ablehnung des zweistufigen Lohnsystems befeuert, das insbesondere jüngere Arbeiter benachteiligt. In diesem Fall vereitelten die Gewerkschaftsbürokraten den Streik, ohne irgendwelche echten Verbesserungen für die Arbeiter zu erreichen. Dennoch bestätigte der BART-Streik Roachs Sorgen über ein Zurückschlagen der Arbeiter.

Wir wissen nicht, ob der Wall-Street-Ökonom Stephen Roach jemals Karl Marx’ Kapital studiert hat. Auf seine eigene empirische Weise erkennt Roach jedoch eine seiner wesentlichen Wahrheiten an: Der Marktwert des Kapitals – d.h. der Preis des Unternehmensvermögens – wird zum Großteil durch die Intensität der Ausbeutung der Arbeit bestimmt. Kapital sollte nicht mit den physischen Produktions- und Verteilungsmitteln an sich gleichgesetzt werden – mit den Fabriken, Kraftwerken, Ölraffinerien oder LKW. Kapital ist vielmehr eine soziale Beziehung, die gekennzeichnet ist durch die Monopolisierung der Produktionsmittel durch eine Klasse, die die Arbeit einer anderen Klasse ausbeutet. Karl Marx schrieb:5

Kapital ist kein Ding, sondern ein bestimmtes, gesellschaftliches, einer bestimmten historischen Gesellschaftsformation angehöriges Produktionsverhältnis… Das Kapital ist nicht die Summe der materiellen und produzierten Produktionsmittel. Das Kapital, das sind die in Kapital verwandelten Produktionsmittel, die an sich so wenig Kapital sind, wie Gold oder Silber an sich Geld ist. Es sind die von einem bestimmten Teil der Gesellschaft monopolisierten Produktionsmittel, die der lebendigen Arbeitskraft gegenüber verselbständigten Produkte und Betätigungsbedingungen eben dieser Arbeitskraft, die durch diesen Gegensatz im Kapital personifiziert werden.

Daher wird der Zustand der Finanzmärkte auf grundlegenster Ebene durch den Stand des Klassenkampfes zwischen der Arbeiterklasse und den Kapitalisten bestimmt. Gleichzeitig sind Gewerkschaftskämpfe für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen im Grunde eine Art Guerrilla-Kampf gegen das kapitalistische Wirtschaftssystem. Die Arbeiterklasse wird andauernden Versuchen zur Erhöhung der Ausbeutungsrate und der Drohung größerer Verarmung ausgesetzt sein, bis sie die kapitalistischen Profiteure durch eine sozialistische Revolution enteignet und eine geplante Wirtschaft errichtet, wo die Produktion dem Wohl der ganzen Gesellschaft dient.

Wall Street und der Klassenkampf

Der linke Londoner Verlag Verso brachte Anfang diesen Jahres6 Wall Street, eine Untersuchung des US-Schriftstellers Doug Henwood über die US-Finanzmärkte, heraus. Henwood, der von New York aus das Mitteilungsblatt Left Business Observer veröffentlicht, betrachtet sich selbst als Marxisten. Während der bürgerliche Analyst Stephen Roach die zentrale Bedeutung des Klassenkampfs bei der Festlegung der Bewegung der Finanzmärkte anerkennt, tut Henwood als Linker das paradoxerweise nicht. Stattdessen stellt Henwood die Wall Street als eine Welt ganz für sich dar, die nur von den Handlungen und dem Zusammenspiel von Investmentbankern, Geldverwaltern, Unternehmenschefs und anderen Spielern, wie er sich ausdrückt, bestimmt wird.

Henwood macht für die in den letzten paar Jahrzehnten rapide wachsende Lücke zwischen Reichen und Armen in den USA zum großen Teil die Reaganomics7 verantwortlich. Er gibt dem wachsenden Einfluss von Wall-Street-Finanziers auf Industrieunternehmen die Schuld am Verfall der Wirtschaft und am sinkenden Lebensstandard der Arbeitenden, und setzt dieser Situation eine Reihe von Wirtschaftsreformen entgegen:

Mit einer ernsthaften Erhöhung der Einkommenssteuer für die reichsten 1-2 % der Bevölkerung könnten allerlei öffentliche Programme, von kostenloser Bildung und Kinderbetreuung bis zu öffentlichen Arbeitsprogrammen, finanziert werden. Und eine Besteuerung von Reichtum an sich, neben Einkommen, wäre eine wunderbare Art, Gelder für, sagen wir, die Erhöhung des öffentlichen physischen und sozialen Kapitalbestandes zu beschaffen – um den Wiederaufbau der Städte, Massen-Nahverkehr, Forschung in alternativen Energien, und Umweltinstandsetzung zu finanzieren.

Die Arbeiterklasse kommt in Henwoods Bild der gegenwärtigen US-Wirtschaft nur als hilflose Opfer kapitalistischer Gier, personifiziert durch Wall-Street-Finanziers, vor. Im 16-seitigen Stichwortverzeichnis gibt es keinen Eintrag für die AFL-CIO oder Gewerkschaften im Allgemeinen. Tatsächlich spiegeln Henwoods Ansichten, wenn auch mit linkerer Wortwahl ausgedrückt, diejenigen der AFL-CIO-Bürokratie wider. So teilte CIO-Führer John Sweeney, während er über die Rechenschaftspflicht der Unternehmen und die Notwendigkeit stärkerer Aufsicht über die Finanzmärkte predigte, einem Treffen der Economic Strategy Institute Conference des Gewerkschaftsbundes in Washington, D.C. im April mit:

Das Problem ist nicht, dass die Regierungen zu stark sind, sondern dass sie zu schwach sind… Die internationale Gemeinschaft muss die Regeln aufstellen und durchsetzen, die nötig sind, um das Beste aus dem Wettbewerb herauszuholen, nicht das Schlimmste. Dazu gehören neue Regelungen in internationalen Finanzmärkten, um langfristige Investitionen statt kurzfristiger Spekulation zu fördern, sowie neue Beschränkungen gegenüber der Macht von Finanz-Freibeutern, nationale Wirtschaftsmaßnahmen zu kippen.

Die Arbeiterbürokratie hat schon immer Illusionen in einen reformierten und wohltätigen Kapitalismus geschürt, der dauerhaften Wohlstand für alle produziere. Durchgeführt werden soll diese wundersame Verwandlung durch die US-Regierung. Die falsche Ansicht, dass diese Regierung die Interessen aller Schichten der Gesellschaft vertrete, soll die wahre Natur des kapitalistischen Staates als staatlichen Ausschuss der herrschenden Klasse als Ganzer verschleiern. Besonders seit den 1930ern, als die neu gegründeten Industriegewerkschaften des CIO politisch an die Demokratische Partei gekettet wurden, findet die Unterordnung der Gewerkschaften unter den Klassenfeind seitens der Gewerkschaftsspitzen dergestalt statt, dass sie versuchen, diese kapitalistische Partei unter Druck zu setzen, als Freund der Arbeiter zu handeln.

Ein Markenzeichen des Verrats der AFL-CIO-Irreführer ist ihr Gehorsam gegenüber dem Taft-Hartley-Verbot von mittelbaren Streiks [d.h. Solidaritätsstreiks], einer der machtvollsten Taktiken, die der Arbeiterbewegung zur Verfügung stehen. Der Economist8 – das Londoner Sprachrohr der internationalen Finanziers – kommentierte neulich: Nachdem Ronald Reagan 1981 die Fluglotsengewerkschaft zerschlagen hatte, fühlten sich US-amerikanische Manager nicht mehr durch die Drohung von Streiks eingeschüchtert; sie strukturierten um, reduzierten Kapazitäten und lagerten aus.

Das war jedoch nicht unvermeidlich. Wenn die Maschinisten und andere Fluglinienarbeiter 1981 in Solidarität mit den Streikenden bei PATCO die Arbeit niedergelegt, Reagon getrotzt und die Flughäfen des Landes dicht gemacht hätten, wäre die wirtschaftliche Geschichte der Vereinigten Staaten – und eine Menge anderer Dinge – in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten deutlich anders verlaufen.

Die Gewerkschaftsbürokratie, die als politische Handlanger der Bourgeoisie dient, hält militante Arbeitskämpfe gegen die Bosse und ihren Staat nieder; sie lehnt jeden ernsthaften Kampf gegen die tiefsitzende rassistische Unterdrückung schwarzer Menschen, die Kernbestandteil des US-Kapitalismus ist, ab; und gleichzeitig unterstützt sie den US-Imperialismus gegen die Ausgebeuteten und die unterdrückten Völker der Welt. Im Namen von Antikommunismus unterstützte die Arbeiterbürokratie bis zum Letzten die Kampagne des Kalten Krieges, die zur Zerstörung der Sowjetunion beitrug. Und die AFL-CIO-Spitzen haben Millionen ausgegeben, um für Handelsprotektionismus zu werben – eine schädliche Politik, die US-amerikanische Arbeiter gegen ihre Klassenbrüder und -schwestern in anderen Ländern stellt. Indem er das verschweigt, spricht Henwood die prokapitalistische Gewerkschaftsbürokratie – mit ihrem Verrat, ihrer Niederlagen-Orientierung und ihrer Klassenzusammenarbeit – von jeder Verantwortung für die generationenübergreifenden Angriffe auf Löhne und Arbeitsbedingungen frei.

Die Verelendung, unter der arbeitende Menschen der letzten Generation in den USA leiden, ist nicht das Ergebnis von schlechten Regierungsprogrammen oder schlechten Ideen bei den Betreibern der bundesstaatlichen Bürokratien, der Wall-Street-Banken oder der großen Unternehmen. Die US-amerikanische Arbeiterklasse ist konfrontiert mit dem Drang der Kapitalbesitzer, unter Bedingungen von niedrigem Produktivitätswachstum und zunehmender Rivalität mit Deutschland und Japan ihre Profite zu maximieren. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR glauben die US-Herrscher, sie wären die Herren einer Welt mit einer alleinigen Supermacht. Henwood schenkt den zunehmenden Konflikten zwischen dem US-amerikanischen, dem deutschen und dem japanischen Imperialismus, die nicht mehr durch ihre antisowjetische Allianz gebunden sind, jedoch keine Beachtung. Diese hatten bereits einen tiefgreifenden Einfluss auf alles von den Wechselkursen des US-Finanzministeriums bis zur verstärkten Durchdringung Mexikos seitens der Wall Street mittels des Freihandels-Abkommens NAFTA.

Darüber hinaus würde man beim Lesen von Wall Street nie darauf kommen, dass die Vereinigten Staaten eine tiefgehend rassistisch gespaltene Gesellschaft sind. Es war der Einsatz rassistischer Demagogie gegen die Armen aus [ethnischen] Minderheiten, die es Anfang der 1980er Reagan und dem von den Demokraten kontrollierten Kongress ermöglichten, Steuern für die Reichen zu senken, und durch die in diesem Jahr9 [der demokratische US-Präsident Bill] Clinton und der von den Republikanern kontrollierte Kongress die Sozialhilfe abschaffen konnten. Es kann keinen wirksamen Widerstand gegen die kapitalistische Offensive gegenüber der Arbeiterklasse geben, bis die Arbeiterbewegung den Kampf gegen die besondere Unterdrückung von Schwarzen und anderen Minderheiten führt. Wie wir in einem Extrablatt zum UPS-Streik mit dem Titel Entfesselt die Macht der Arbeiter!10 schrieben:

Die kapitalistischen Herrscher haben Rassenhass angefacht und die Rassenschranke zu einer grundlegenden Trennlinie in diesem Land gemacht, um die unüberbrückbare Klassentrennung zwischen Arbeit und Kapital zu vernebeln. Stellten sie einst eine Reservearmee von Arbeitern dar, die von den Bossen bei Bedarf eingesetzt wurden, so wurden die Armen in den Ghettos inzwischen von der herrschenden Klasse, die ihre Arbeitskraft nicht mehr braucht, fallengelassen. Schwarze Arbeiter sind jedoch weiterhin ein bedeutender Teil der organisierten Arbeiter. Sie sind in strategisch wichtigen Bereichen des Proletariats integriert, in dessen Händen die Macht liegt, um die Ketten der kapitalistischen Ausbeutung und der rassistischen Unterdrückung zu zerbrechen.

Industrielle und Finanziers: zwei Klassen im Konflikt?

Während Henwood den Kampf zwischen Arbeit und Kapital versteckt, konzentriert er sich in Wall Street stattdessen auf die angeblichen Konflikte zwischen verschiedenen Teilen und Fraktionen der Bourgeoisie. Den Vertretern ökonomischer Theorien, die in herrschenden Kreisen der USA aktuell oder kürzlich in Mode sind oder waren, misst Henwood außerordentlichen Einfluss in der wirklichen Welt bei; so etwa der Angebotspolitik, die von Reagan’schen Ideologen wie Jude Wanniski und Robert Bartley propagiert wurde. Die Angebotler behaupteten, dass Steuersenkungen, insbesondere für die Reichen, einen Schwall unternehmerischer Energie freisetzen und so das Wirtschaftswachstum drastisch beschleunigen würden. Das sich daraus ergebende höhere Niveau nationalen Einkommens würde dann eine ähnliche Masse an Steuern einbringen, aber zu niedrigeren Steuersätzen. Somit, behaupteten sie, würden Steuersenkungen keine großen Haushaltsdefizite erzeugen.

Zunächst einmal kann man die Wirtschaftspolitik der Reagan-Regierung nicht verstehen, wenn man nicht den gewaltigen Anstieg der Militärausgaben in Betracht zieht, mit denen Druck auf die Sowjetunion ausgeübt werden sollte. Wall-Street-Bankiers und Unternehmensführer waren nicht bereit, die Spesen für die aufgemotzte Kriegsmaschinerie des Pentagon zu bezahlen, indem sie höhere Steuern auf ihre Profite und ihr Einkommen akzeptierten. Und eine Erhöhung der Sozialhilfeabgaben oder der Einkommenssteuern zum Ausgleichen der aufgeblähten Haushaltsdefizite hätte schnell Gegenwind aus der Bevölkerung gegen dieses rechte Republikaner-Regime provoziert.

Entgegen der liberalen Mythologie waren die Wirtschaftsmaßnahmen der Reagan-Bande, mit Unterstützung des von den Demokraten kontrollierten Kongresses, nicht wirklich durch die spinnerten Theorien von Wanniski, Bartley, Arthur Laffer und anderen Betbrüdern der Angebotspolitik inspiriert. Wie Reagans Direktor für Haushaltswesen, David Stockman, zugab: Ich habe nie geglaubt, dass Steuersenkungen allein zu einer Ausweitung der Produktion und der Beschäftigung führen werden.11

Die Reagan-Leute fabrizierten absichtlich gewaltige Haushaltsdefizite – die Schulden des Bundes verdreifachten sich zwischen 1981 und 1990 –, um den finanziellen Druck und die entsprechenden politischen Bedingungen zu schaffen, unter denen sie den Sozialstaat demontieren konnten. Und die Strategie ging auf. Siehe die Quasi-Abschaffung von Aid to Families with Dependent Children [Programm zur Unterstützung armer Familien] unter dem Demokraten [Bill] Clinton, oder die drohenden Angriffe auf Sozialhilfe und Medicare [staatliche Krankenversicherung für Alte und Behinderte]. Henwood gibt den Finanziers die ganze Schuld: Der enorme Anstieg der Staatsverschuldung seit Beginn des Reagan-Experiments brachte die wachsende politische Macht der Märkte mit sich, was normalerweise Kürzungen bei Sozialprogrammen im Namen fiskaler Redlichkeit bedeutet. Möchte Henwood uns glauben machen, dass die Vorstände von [Industriekonzernen wie] General Motors, Du Pont und Exxon weniger versessen darauf sind, Sozialprogramme zu kürzen, als ihre Pendants bei [den Finanzkonzernen] Citicorp und Morgan Stanley?

Im Grunde ist Henwoods Buch Ausdruck eines Neopopulismus, der die Schuld an den schlimmsten Übeln und Auswüchsen des US-amerikanischen Kapitalismus den Bankiers und anderen Finanzakteuren gibt. Diese politisch-intellektuelle Strömung enstand im 19. Jahrhundert um das Programm des billigen Geldes und wurde in etwas abgewandelter Form in den 1930ern mit dem Liberalismus des New Deal weitergeführt. Bestimmend für die liberal-populistische Sichtweise ist der Glaube, dass die Kapitalistenklasse sozusagen in zwei Klassen geteilt ist: in diejenigen, die mit der Produktion und der Vermarktung von Gütern und Dienstleistungen zu tun haben, und denjenigen, deren Einkommen aus Finanzgeschäften stammt. Erstere werden als zumindest relativ fortschrittlich angesehen, während letzere als völlig reaktionär gelten.

Diese Sichtweise dient als fadenscheinige theoretische Rechtfertigung für das Programm der Gewerkschaftsbürokratie und diverser Liberaler und Reformisten, die einen Teil der Kapitalistenklasse dazu drängen wollen, Maßnahmen im Interesse der Arbeiter durchzuführen. So beschwert sich das Economic Policy Institute, eine linksliberale, teilweise von den Gewerkschaften finanzierte Denkfabrik über das Umfeld niedriger Inflation, das von Investoren, der Wall Street und dem Anleihenmarkt bevorzugt wird.12 Und die reformistische Kommunistische Partei verbreitet seit den Tagen von Franklin D. Roosevelts New Deal der 1930er das Konzept einer Anti-Monopol-Koalition mit fortschrittlichen Kapitalisten – das auf die imperialistischen USA gemünzte Gegenstück zur klassenversöhnlerischen Strategie der antiimperialistischen Einheitsfront mit der nationalen Bourgeoisie, die die Stalinisten für die koloniale und halbkoloniale Welt vertreten.

Die liberal-populistische Sichtweise, wie der Kapitalismus in dieser Beziehung funktioniert, lässt sich folgendermaßen zusammenfassen. Die Manager und Hauptbesitzer eines Industrieunternehmens seien dem Unternehmen als Institution treu und strebten normalerweise danach, den Marktanteil der Firma zu erhöhen, was gesteigerte Produktionskapazität und Beschäftigung bedeute. Die Bankiers, Anleihebesitzer und anderen Kreditgeber andererseits sind angeblich vor allem daran interessiert, dass die Firma ausreichende Geldströme hat, um ihre Schulden zu bedienen. Deshalb lehnten sie alle als riskant eingeschätzten Investitionen, wie z.B. in neue Technologie, ab und sind angeblich immer bereit, eine Firma in den Bankrott zu zwingen und deren Vermögenswerte zu liquidieren, um ihr Anleihekapital wieder hereinzubekommen. In Bezug auf die Regierungspolitik wird entsprechend angenommen, dass Industrielle eher eine expansive Geld- und Finanzpolitik befürworten, die die Nachfrage nach ihren Produkten steigert, während davon ausgegangen wird, dass Finanziers immer knappes Geld und finanzielle Sparsamkeit wollen.

Der Mythos vom fortschrittlichen Unternehmer

Während der Weltwirtschaftskrise der 1930er teilte John Maynard Keynes, der das liberale Denken in Bezug auf die Wirtschaft für die nächsten Jahrzehnte bestimmte, die Kapitalistenklasse in Unternehmer und Rentner (Rentiers) ein. Unternehmer waren diejenigen, die den positiven Akt, einen bestimmten Produktionsvorgang einzuleiten oder fortzuführen,13 vollzogen. Rentiers, auf der anderen Seite, lebten einfach von dem Einkommen, das ihr Finanzbesitz erzeugte, vor allem den Zinsen aus Regierungs- und Unternehmensanleihen. Henwood unterstützt Keynes’ Schema in dieser Hinsicht, wenn er sich beschwert: Die gesteigerte Bedeutung von institutionellen Investoren an der Börse, insbesondere Pensionsfonds, hat die Macht der Rentiers über die Unternehmensstrategie gesteigert. Für Henwood ist das, wie für Keynes, auf jeden Fall eine schlimme Sache.

Keynes trat dafür ein, dass die Regierung handelt, um den Zinssatz relativ zum Profit zu senken, durch finanz- und geldpolitische Maßnahmen und öffentliche Arbeitsprogramme. Er argumentierte, dies würde den Unternehmern erlauben, die Produktion und Beschäftigung auszuweiten und so den Kreislauf von Aufschwung und Krise des Kapitalismus zu überwinden. Keynes prophezeite sogar den sanften Tod des Rentners14 – ein Zeitpunkt, wo der Ertrag des Geldkapitals auf Null gefallen sein würde.

In den 1980ern kam Anti-Wall-Street-Populismus angesichts der Orgie von feindlichen Übernahmen, fremdfinanzierten Aufkäufen und Schrottanleihen wieder in Mode. Filme wie Wall Street und Das Geld anderer Leute stellten die neue Generation von Finanzakteuren als gierig und verabscheuenswürdig im Vergleich zu ehrlichen, ehrenwerten Kapitalisten der alten Schule dar. Henwood merkt an, wie die CEOs der Fortune 500 regelmäßig darüber klagen, dass die Geldverwalter und Analysten der Wall Street Druck machen, damit sie schnelle Profitzuwächse hinlegen. Ohne solchen Druck von außen würden die US-amerikanischen Unternehmen mutmaßlich ihre Belegschaft auf nettere, sanftere und großzügigere Weise behandeln, mehr für Forschung und Entwicklung ausgeben, sowie Produktion und Beschäftigung erweitern, selbst wenn das zu einer niedrigeren Ertragsrate ihres Kapitals führte. Wer das glaubt, glaubt bestimmt auch an die Zahnfee.

Während Henwood nicht ganz so naiv ist, fällt er trotzdem auf die Vorstellung herein, dass die Besitzer, Manager und Kreditgeber von Amerikas Konzernen wesentlich verschiedene und widerstreitende Interessen haben:

Aktienbesitzer wollen hohe Aktienpreise; Anleihebesitzer und andere Kreditgeber wollen, dass ihre Zinsen regelmäßig getilgt und letztlich ihr Grundkapital zurückgezahlt wird; und Manager wollen ein friedliches Leben mit hohen Gehältern und minimaler äußerer Einmischung… Diese Ziele stoßen oft zusammen.

Diese schematische Analyse mag eine gewisse Gültigkeit haben bei Firmen, wo Manager, Aktienbesitzer und Anleihebesitzer im Wesentlichen aus unterschiedlichen Leuten bestehen. Viele Manager halten jedoch ein großes Paket an Aktien ihrer Firma. Darüberhinaus haben einige große Konzerne ihre eigenen, vom Management geführten Pensionsfonds, deren größtes Vermögen die Aktien der Firma sind. In einer Studie zum Vergleich der Finanzstruktur Britanniens, der Vereinigten Staaten und Japans wurde in Bezug auf solche Pensionsfonds festgestellt: In vielen der US-amerikanischen Fälle waren diese internen Fonds die größten Aktienbesitzer ihrer eigenen Unternehmen, was die Macht des aktuellen Vorstands untermauerte, der die Verwendung und Verfügung dieser Fonds letztlich kontrollierte.15

Grundsätzlicher hat Henwoods dreigliedriges Schema keine Grundlage in der Wirklichkeit, wenn man sich die US-Kapitalistenklasse als Ganze ansieht. Die großen institutionellen Investoren, wie Treuhandabteilungen von Banken, Pensionsfonds und Anlagefonds handeln sowohl mit Aktien als auch mit Anleihen. Wohlhabende Menschen besitzen ein gemischtes Wertpapierportfolio, dessen Zusammensetzung sich ständig ändert. Die Spitzenmanager der Fortune 500 bewahren ihr Geld nicht unter dem Kopfkissen oder auf dem Sparbuch einer örtlichen Bank auf. Auch sie investieren in Aktien und Anleihen, auch von anderen Firmen als ihrer eigenen. Eine andere und sehr bedeutsame Ebene: Die Kinder von Bankiers und von Vorständen nicht-finanzieller Unternehmen heiraten häufig untereinander, so dass die Familie – die grundlegende soziale Einheit der US-Bourgeoisie und der Klassengesellschaft als Ganzer – die Trennung zwischen industriell und finanziell durchkreuzt.

Die gemeinsamen Interessen aller Teile der US-Kapitalistenklasse – ob Wall-Street-Bankiers, Fabrikanten im Mittleren Westen, texanische Ölbarone oder kalifornische Agrarindustrielle – sind qualitativ umfangreicher und wichtiger als ihre Gegensätze. Alle wollen die Ausbeutung der Arbeit maximieren und die Extrakosten für staatliche Sozialprogramme minimieren.

Obwohl Henwood sich in Wall Street fast völlig auf den Zustand der US-Wirtschaft konzentriert, leitet er aus diesem Material weitreichende Verallgemeinerungen über das kapitalistische System an sich ab. Die Finanzstruktur von sogenannten bankenbasierten Wirtschaften wie Deutschland und Japan unterscheidet sich sehr von den marktbasierten Wirtschaften der USA und Britanniens. Bei ersteren ist es besonders sinnlos, von einer Trennung, geschweige denn einem Gegensatz, zwischen Industrie- und Finanzkapitalisten zu reden. Der japanische Kapitalismus z.B. ist seit dem späten 19. Jahrhundert um die heute als Keiretsu bekannten, fest verschränkten Gruppen von Finanz-, Industrie-, Transport- und Handelskapital organisiert (deren Ursprünge auf die Zaibatsu von vor 1947 zurückgehen).

In Deutschland haben die drei großen Banken – Deutsche Bank, Dresdner Bank und Commerzbank – Vertreter in mehr als 40 Prozent der Aufsichtsräte der Aktiengesellschaften des Landes. Diese Aufsichtsräte ernennen, entlassen und überwachen das Management der größten Konzerne. 10 Prozent der Stammaktien deutscher Unternehmen sind im direkten Besitz von Banken. Wichtiger noch: Andere Aktienbesitzer übertragen ihr Stimmrecht normalerweise vertretungsweise auf die Hausbank einer Firma, und nicht ihr Management, weil sie erstere als besten Hüter ihrer Investitionen ansehen.

Den größten Teil der Periode nach dem Zweiten Weltkrieg schnitten die bankenbasierten Wirtschaften Deutschlands und Japans besser ab als die marktbasierten Wirtschaften der Vereinigten Staaten und Britanniens, mit höheren Wachstumsraten des Nationaleinkommens und der industriellen Produktivität. Wenn die USA im letzten Jahrzehnt oder so eine gewisse Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten zurückgewonnen haben, dann nur wegen der brutalen Verschärfung der Ausbeutung der Arbeit, wofür Gewerkschaftsbürokraten und liberale Intellektuelle Reaganomics und ihre Nachwirkungen verantwortlich machen. Ironischerweise besteht die deutsche Bourgeoisie jetzt darauf, dass die relativ hohen Löhne und Sozialleistungen ihrer Belegschaften fast oder ganz auf das Niveau der britischen und US-amerikanischen Arbeiter gesenkt werden, während in diesen Ländern viele Gewerkschafter den Grund für den höheren Lebensstandard der deutschen Arbeiter in der angeblich stärker Industrie-gestützten deutschen Wirtschaft sehen.

Neo-Populismus und das Jahrzehnt der Gier

In den 1950ern und ’60ern wurde der US-amerikanische Kapitalismus gerne mit großen Industriekonzernen wie General Motors, U.S. Steel, Du Pont und IBM gleichgesetzt. Der CEO der Pentagon-Kriegsmaschinerie, auch als Verteidigungsministerium bekannt, war typischerweise ein ehemaliger Vorstandschef einer der Großen Drei Autohersteller. Charles Wilson, der diesen Posten in den 1950ern unter dem republikanischen Präsidenten Eisenhower bekleidete, verkündete: Was gut ist für General Motors, ist auch gut für die USA. Sein Nachfolger in den 1960ern unter den Demokraten Kennedy und Johnson war Robert McNamara, ehemaliger Chef der Ford Corporation und Hauptarchitekt des Vietnam-Kriegs.

In den 1980ern schienen jedoch Finanzakteure eines neuen Typs die Kraftprotze des US-amerikanischen Kapitalismus zu werden. Absolute Heuschrecken wie Carl Icahn und T. Boone Pickens, Abzocker wie Donald Trump und Schrottaktien-Barone wie Michael Milken waren in aller Munde. Aber wieviele Leute konnten die Vorstandsvorsitzenden von General Motors, Exxon oder Citicorp benennen? Die Schuld an den schlechter werdenden Bedingungen für die US-amerikanischen Arbeitenden – Entlassungen, Betriebsschließungen, Kürzungen bei Löhnen und Sozialleistungen – wurde nun den neuen Finanzoperationen, wie fremdfinanzierten Übernahmen, gegeben. Heuschrecken und ihren Finanz-Schergen wurde nun von Gewerkschaftsführern und liberalen Intellektuellen vorgeworfen, den amerikanischen Traum zu zerstören.

Gut dargestellt wurde die liberal-populistische Sicht auf die sich verändernde US-amerikanische Wirtschaft in dem Film Das Geld anderer Leute von 1991. Die Handlung dreht sich um die Bemühungen eines Wall-Street-Spekulanten, Larry der Liquidator – von Danny De Vito als neunmalklugen Fiesling gespielt –, ein kleines Industrieunternehmen in Neuengland zu übernehmen. Die Profite der Firma sind am Boden, da ihre Hauptsparte wegen des niedrigen Niveaus an Bauinvestitionen in den USA Geld verliert. Der patriarchale Chef des Unternehmens, gespielt von Gregory Peck, schwärmt nostalgisch von den späten 1940ern, als Harry Truman vor dem Fabriktor eine Wahlkampfrede hielt. Pecks Figur sagt: Das war das goldene Zeitalter, der Wiederaufbau Amerikas. Auf einer wichtigen Aktionärsversammlung verkündet er: Hier sorgen wir uns um uns viel mehr als um den Stand unserer Aktien. Hier sorgen wir uns um die Menschen. Eine andere Figur kommentiert: An der Wall Street sind Firmenliquidationen der große Renner. Die unterschwellige Botschaft ist, dass an der Wall Street früher etwas anderes, konstruktiveres der Renner war und dass die jüngste Welle von Entlassungen und Betriebsschließungen den Eigentümern und Managern alter Schule gegen ihren Willen von äußeren Finanzinteressen aufgezwungen wurde.

Während der 1980er machte die Finanzstruktur des US-amerikanischen Kapitalismus eine echte und bedeutende Veränderung durch. Während der ersten vier Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg blieb das Verhältnis von Schulden zu Vermögen bei Nicht-Finanz-Unternehmen praktisch konstant. Dann gab es eine regelrechte Explosion der Unternehmensschulden, die von 900 Milliarden Dollar 1980 auf 2,4 Billionen am Ende des Jahrzehnts stiegen. Die gewaltige Schuldenerhöhung wurde verwendet, um Übernahmen zu finanzieren oder abzuwenden. In einer Untersuchung über solche Finanzoperationen zwischen 1983 und 1989 fanden die liberalen Ökonominnen Margaret Blair und Martha Schary heraus, dass die beteiligten Firmen ihr Verhältnis von Schulden zu Vermögen durchschnittlich von 60 auf 90 Prozent steigerten.16 Dem folgte in der Regel ein Schrumpfen der Produktionskapazität und damit, selbstverständlich, auch der Belegschaft.

Um die plötzlichen und tiefgreifenden Veränderungen der US-Unternehmenslandschaft in den 1980ern zu verstehen, muss man sich frühere, normalere Perioden ansehen. Nach der Weltwirtschaftskrise der 1930er bauten die USA ihre Industrieanlagen und Infrastruktur (z.B. Fernverkehrsstraßen) in den Jahren während und nach dem Zweiten Weltkrieg massiv wieder auf. Bis Anfang/Mitte der 1950er hatten die USA die mit Abstand größte und technologisch fortgeschrittenste Produktionskapazität unter allen kapitalistischen Ländern. Produkte aus US-Fertigung dominierten den Welthandel, während der Dollar, der damals als so gut wie Gold galt, die internationalen Finanzmärkte dominierte.

Unter diesen Umständen konnten die Konzerne ihren Arbeitern regelmäßige, bescheidene Lohnerhöhungen zubilligen, ohne den Kapitalertrag zu mindern. Wenn eine bestimmte Sparte oder ein neues Investitionsprojekt Geld verlor, wurde das durch ordentliche Profite aus anderen Geschäften mehr als ausgeglichen. Daher konnte die Unternehmensleitung einen Tarifvertrag aushandeln, eine neue Fabrik errichten oder eine neue Produktlinie starten, ohne sich vorher zu vergewissern, wie die Aktionäre reagieren würden. Wie Margaret Blair es formulierte: Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Investitionsgelegenheiten dreißig Jahre lang im Allgemeinen gut genug und die Opportunitätskosten des Kapitals niedrig genug, dass Finanzinteressen sich nicht in die [Unternehmens-]Strategien zum Sparen und Reinvestieren einzumischen versuchten.

Bis Mitte der 1960er hatten jedoch Deutschland und Japan die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Industriekapazität wieder aufgebaut. In vielen Fällen verkörperten die neuen Betriebe fortgeschrittenere Technologie als die, die in US-amerikanischen Fabriken vorherrschte. US-Konzerne sahen sich nun auf den Weltmärkten und sogar im heimischen Markt einer zunehmend effektiven Konkurrenz ausgesetzt. Weiter geschwächt wurde die US-Wirtschaft durch den Inflationsdruck, der durch ihren langen, verlorenen imperialistischen Krieg in Vietnam erzeugt wurde. Wenn man die Inflation mit in Betracht zieht, war 1965 der Höhepunkt für Unternehmensprofite während dieses stürmischen Jahrzehnts. In Realwerten erreichten die Unternehmensprofite dieses Niveau bis Anfang der 1970er nicht wieder.

Nach Jahren über Jahren gewaltiger Handelsbilanzdefizite, insbesondere mit Japan, wertete der republikanische US-Präsident Nixon 1971 den Dollar ab, was das Ende der imperialistischen Hegemonie der USA anzeigte. Der Verfall des US-amerikanischen Kapitalismus wurde durch den weltweiten Wirtschaftsabschwung von 1974/75 weiter offenbar, als die Profite von US-Konzernen nach Steuern innerhalb kaum mehr als eines Jahres um 21 Prozent abstürzten. Zwischen 1972 und 1974 sackte der Dow Jones von mehr als 1000 auf unter 600 ab.

Die Ära des Verzichts und die Arbeiterbürokratie

Die kapitalistischen Herrscher der USA reagierten auf diese unerfreulichen Entwicklungen mit einer koordinierten Kampagne, um die Ausbeutung der Arbeit zu verschärfen. Die Manager der Unternehmen forderten von den Gewerkschaften Verzichts-Verträge, und die AFL-CIO-Bürokraten gaben pflichtbewusst nach. Zweistufige Lohnsysteme wurden breit eingeführt, und dadurch wurde die Überausbeutung junger und insbesondere Minderheiten angehörender Arbeiter institutionalisiert. Die Produktion wurde vom gewerkschaftlich organisierten Norden und Mittleren Westen in die Niedriglohngebiete im Süden und Südwesten und auch nach Ostasien und Lateinamerika verlagert. Die AFL-CIO-Spitzen sahen über die Notwendigkeit hinweg, den Süden mit seinen open shops [d.h. gewerkschaftsfreien Betrieben] zu organisieren, wofür die Arbeiterklasse zum Kampf gegen die gewerkschaftshassenden KKK-Faschisten und die allseitige rassistische Unterdrückung mobilisiert werden müsste. Und anstatt internationale Arbeitersolidarität zu fördern, drehte die Arbeiterbürokratie ihre chauvinistischen Rufe nach amerikanischer Arbeit für amerikanische Arbeiter lauter. Währenddessen setzte die AFL-CIA ihr jahrzehntelanges Paktieren mit dem US-Imperialismus zur Untergrabung klassenkämpferischer Gewerkschaften in anderen Ländern fort.

Zum Teil als Ergebnis der Angriffe auf die Arbeiter erholten sich die Profitmargen der US-Unternehmen zum Ende der 1970er etwas. Doch dann kam die Weltwirtschaftskrise von 1981/82, die schlimmste seit den 1930ern. Blair und Schary haben berechnet, dass die Profitrate nicht-finanzieller Unternehmen in den USA von 18 Prozent 1979 auf 15 Prozent 1983 fiel. Genau an dieser Stelle traf die Orgie von feindlichen und fremdfinanzierten Übernahmen die Wall Street mit der Gewalt eines Wirbelsturms. Blair und Schary benennen den wesentlichen Grund:

Die Kapitalkosten, die den Minimalertrag darstellen, den Investoren benötigen, um zukünftige Investitionen zu finanzieren, stiegen in der ersten Hälfte der 1980er dramatisch. Der Anstieg war in manchen Industriezweigen schlimmer als in anderen, aber in einem gewissen Maß waren alle Industriezweige betroffen. Das Jahrzehnt unterschied sich auch in der Hinsicht von seinen Vorgängern, dass die realisierten Kapitalerträge in vielen Industriezweigen sanken.

Auf ihre eigene, empirische Weise erkennen diese liberalen Ökonomen einen wesentlichen Aspekt des marxistischen Verständnisses vom kapitalistischen System an. Es sind Veränderungen in der Profitrate, d.h. des Verhältnisses des gewonnenen Profits zur Menge des investierten Geldkapitals, die die Ausweitung und Schrumpfung der Produktion regeln. Wie Marx in Band III des Kapital schrieb:17

Es treten daher Schranken für sie ein schon auf einem Ausdehnungsgrad der Produktion, der umgekehrt unter der andren Voraussetzung weitaus ungenügend erschiene. Sie kommt zum Stillstand, nicht wo die Befriedigung der Bedürfnisse, sondern wo die Produktion und Realisierung von Profit diesen Stillstand gebietet.

Anfang der 1980er war die US-amerikanische Kapitalistenklasse nicht bereit, die geringere Profitrate zu akzeptieren, die sich aus dem relativen Verfall der Wirtschaft und dem damals an die Arbeiterklasse gehenden Anteil des Nationaleinkommens ergab. Aktionäre forderten, dass Unternehmensmanager die Löhne und Sozialleistungen weiter zusammenkürzten, überflüssige Arbeiter – Büroangestellte ebenso wie Arbeiter in der Produktion – rausschmissen und Betriebe dicht machten, die Geld verloren oder nur knapp profitabel waren.

Wenn Aktionäre den Eindruck hatten, dass das Management diese Forderungen nicht ausreichend umsetzte, waren sie mehr als bereit, ihre Anteile mit einem Zuschlag über den bestehenden Marktpreis an Heuschrecken (oder die amtierenden Manager) zu verkaufen. Um die Aktionäre zu bestechen und aufzukaufen, mussten die Heuschrecken und/oder amtierenden Manager riesige Geldbeträge borgen. Das schlagartige Wachstum der Unternehmensschulden in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten ist eine finanzielle Auswirkung der Kampagne zur Verschärfung der Ausbeutung der Arbeit. Es ist eine Wirkung, keine Ursache der Verelendung der Arbeitenden in den USA.

Obwohl sie die US-Wirtschaft durch den Zerrspiegel liberaler bürgerlicher Ideologie betrachtet, erkennt Margaret Blair an, dass die Aktionäre (d.h. Eigentümer), und nicht die Heuschrecken, Investmentbanker und anderen Finanzakteure, die Hauptverursacher des Jahrzehnts der Gier waren:

In vielen Fällen konnten verbesserte Erträge [für Aktionäre] nur durch Zugeständnisse von Zulieferern oder Kunden, durch die Verringerung der Steuerzahlungen, durch Lohnzugeständnisse oder durch Kürzungen beim Angestelltenapparat erreicht werden. Oder sie konnten durch reduzierte Investitionen kommen. Mit anderen Worten mussten die verbesserten Erträge für Aktionäre auf Kosten anderer sozialer Ziele der Unternehmen erreicht werden.

Das einzige soziale Ziel eines kapitalistischen Unternehmens ist die Vergrößerung des Reichtums seiner Eigentümer. Die Vorstellung, dass große Konzerne andere, im Konflikt stehende Ziele wie das Wohlergehen ihrer Arbeiter oder die Ausweitung der Produktion haben, ist ein liberaler Mythos. Die Vorstellung, dass die Interessen einiger Gruppen oder Teile der Kapitalistenklasse mit denen der Arbeitenden übereinstimmen, ist jedoch in der politischen Kultur der USA tief verwurzelt. Und wenn die Arbeiterklasse es erfolgreich mit den Kapitalisten, ihren politischen Schergen in der Demokratischen und der Republikanischen Partei und ihren Arbeiterleutnants in der AFL-CIO-Bürokratie aufnehmen soll, muss diese Vorstellung mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden.

US-amerikanischer Populismus im 19. Jahrhundert

Die Vereinigten Staaten sind das einzige fortgeschrittene kapitalistische Land, wo die Arbeiterklasse nicht einmal ein minimales Niveau politischen Klassenbewusstseins erreicht hat. Das Gros der US-Arbeiterklasse hat niemals eine Partei unterstützt, deren erklärtes Endziel die Ersetzung des kapitalistischen Systems durch eine sozialistische Gesellschaft ist, oder die auch nur behauptet, einfach für die Interessen der Arbeiter in ihren alltäglichen Kämpfen gegen die Unternehmer einzutreten.

Seit der Entstehung einer organisierten Arbeiterbewegung Ende des 19. Jahrhunderts stand die US-amerikanische Arbeiterklasse immer unter dem ideologischen Einfluss des liberalen Populismus, dessen Hauptträger die Demokratische Partei ist. Wenn heutzutage Jesse Jackson auf einer Gewerkschaftskundgebung spricht, verbreitet er Vorstellungen und Werte, die das Handwerkszeug nicht nur von Franklin D. Roosevelts Demokratischer Partei der 1930er waren – insbesondere FDRs Vizepräsident in der dritten Amtszeit, Henry Wallace, war ein viel gepriesener Fortschrittlicher –, sondern schon der Demokratischen Partei von William Jennings Bryan, der in den 1890ern die finanziellen Interessen, angehäuften Reichtum und Kapital, herrisch, überheblich, mitleidlos verurteilte.

Wie ein früher sozialdemokratischer Historiker der Arbeiterbewegung schrieb: Die US-amerikanische Arbeiterschaft neigte schon immer dazu… sich in Weltanschauung, Interessen und Aktionen mit der großen unteren Mittelschicht zu identifizieren, den Bauern, kleinen Fabrikanten und Geschäftsleuten – kurz, mit den produzierenden Klassen und ihren wiederkehrenden Anti-Monopol-Kampagnen (Selig Perlman, A Theory of the Labor Movement, 1928.). Nach der populistischen Sichtweise werden alle wirtschaftlichen Übel durch bestimmte Gruppen der Kapitalistenklasse verursacht – die Räuberbarone, die Monopolisten, die Wall-Street-Bankiers –, die auf moralischer Ebene verurteilt werden, sie hätten kein Mitgefühl für ihre Mitmenschen. Wenn die Regierung bloß die richtigen Maßnahmen ergreifen würde – billiges Geld, Monopolzerschlagung, Ausgaben für öffentliche Arbeiten, Besteuerung der Reichen –, dann würde ein solcher reformierter Kapitalismus allgemeinen und dauerhaften Wohlstand erzeugen.

Während man für die Vorherrschaft des liberalen Populismus über die US-Arbeiterklasse während der vergangenen hundert Jahre mehrere erklärende Faktoren ausmachen kann, gibt es zwei fundamentale Gründe, die beide in den Ursprüngen des Landes wurzeln. Einer ist das gewaltige soziale Gewicht von kleinen kapitalistischen Eigentümern; der andere ist die ethnische und rassenmäßige Mannigfaltigkeit der Arbeiterklasse und der gesamten Bevölkerung als Ergebnis des Sklavenhandels und aufeinanderfolgender Einwanderungswellen. In Europa (und auch Japan) entwickelte sich das kapitalistische System aus bereits existierenden feudalen Sozialgefügen. Im Unterschied dazu wurde der US-amerikanische Nationalstaat durch die europäische Kolonialbesiedlung eines kontinentweiten Landes geschaffen, das vorher durch eine spärliche eingeborene Bevölkerung von Jägern, Sammlern und einfachen Landwirten bewohnt war; im Süden beruhte das soziale/wirtschaftliche System am Anfang wesentlich auf der Nutzung versklavter schwarzer Afrikaner (nach dem Bürgerkrieg durch Naturalpacht und Pacht ergänzt).

Das Erbe des Sklavensystems – die allumfassende Unterdrückung von Schwarzen im Kapitalismus – ist weiterhin die entscheidende Frage der sozialistischen Revolution in den USA. Rassische und ethnische Spaltungen innerhalb der Arbeiterklasse, die von der Bourgeoisie gezielt aufrechterhalten werden, sind bisher das größte Hindernis für die Entwicklung proletarischen Klassenbewusstseins in diesem Land.

Außer im Süden brachten das Fehlen eines feudalen Erbes beim Landbesitz, der relative Mangel an Arbeitskräften und die Verfügbarkeit einer Fülle fruchtbaren Landes eine hoch-kommerzialisierte und mechanisierte, auf der Familienfarm basierende kapitalistische Landwirtschaft hervor. Verglichen mit den verarmten und gottverlassenen Bauerndörfern in Europa waren die ländlichen USA im 19. Jahrhundert wohlhabend und wirtschaftlich dynamisch. Mit der richtigen Mischung aus Geschäftssinn und Glück konnte ein Farmer eine Menge Geld machen, viel mehr als ein Fabrikarbeiter.

Die US-Arbeiterklasse entwickelte sich also in einem sozialen Umfeld, das von kleinbürgerlichen republikanischen Einstellungen und Werten durchdrungen war. Der Farmer, der Händler, der selbständige Mechaniker- oder Tischlermeister wurden als das Rückgrat der US-amerikanischen Republik, als die hauptsächlichen Hüter ihrer demokratischen Lebensweise angesehen. Auf einen bezahlten Arbeiter wurde herabgeblickt als jemanden, dem die Moral, der Unternehmergeist oder die Intelligenz fehlen, um wirtschaftlich unabhängig zu sein.

Selbst nachdem die Vereinigten Staaten eine von riesigen Konzernen und Banken dominierte Industriemacht geworden waren, hielt die offizielle bürgerliche Ideologie immer noch das Ideal einer Nation von Kleineigentümern aufrecht. In den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts schrieb ein rechter US-Bundesrichter, Peter Grosscup: Die Aneignung von Eigentum durch die Individuen, die die Hauptmasse des Volkes ausmachen sei die Seele des republikanischen Amerika.18 Fast ein Jahrhundert später streben viele Arbeiter, auch Gewerkschafter, immer noch danach, sich selbständig zu machen.

Ungeachtet dieses völlig falschen Bewusstseins war das US-amerikanische Proletariat auf der wirtschaftlichen Ebene historisch eines der kämpferischsten der Welt. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts sah erbitterte Klassenschlachten – wie den Eisenbahnerstreik von 1877, den Kampf für den Achtstundentag in Chicago 1886 (gekennzeichnet vom berüchtigten Haymarket-Massaker, das zum Ersten Mai als internationalem Arbeiterfeiertag führte) und den Streik bei den Homestead-Stahlwerken 1892. Diese Geschichte setzte sich mit den explosiven, ganze Städte umfassenden Generalstreiks und Betriebsbesetzungen fort, die in den 1930ern zur Bildung von Industriegewerkschaften führten. Trotz alledem schuf die US-amerikanische Arbeiterklasse aber niemals ihre eigene politische Massenpartei.

Das Proletariat stammte Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zu großen Teilen von aufeinanderfolgenden Einwanderungswellen aus verschiedenen Ländern ab. Diese Einwanderer, die oft kein Englisch sprachen, ließen sich üblicherweise in den gleichen Städten oder Wohngegenden in Großstädten wie ihre Landsleute nieder. Das erzeugte ein Gefühl von ethnisch-kultureller Identität, die Klassengrenzen durchkreuzte. Ein gelernter deutsch-amerikanischer Maschinist evangelischer Konfession mag das Gefühl gehabt haben, er hätte mehr mit einem deutsch-amerikanischen Händler oder sogar kleinen Fabrikanten gemeinsam als mit einem irisch-katholischen Bauarbeiter oder gar einem ungelernten Arbeiter. Ethnische und religiöse Gegensätze – besonders zwischen angelsächsischen und deutschen protestantischen Arbeitern und solchen mit irischem, italienischem oder osteuropäischem katholischen Hintergrund – verhinderten die Bildung von industriellen Massengewerkschaften bis zu den 1930ern.

Im Süden verhinderte unterdessen die Feindschaft und Verachtung selbst der ärmsten Weißen gegenüber Schwarzen jede Entwicklung irgendeiner bedeutenden Arbeiterbewegung. Der Bürgerkrieg, der das auf Sklavenarbeit aufgebaute Plantagensystem zerschlug, hatte die Freiheit der Schwarzen in Aussicht gestellt. Durch die im Kompromiss von 1877 festgeschriebene Niederlage der Reconstruction wurde dieses Versprechen vernichtet. In der Folge waren die meisten Südstaatler – sowohl weiße als auch schwarze – fürchterlich ausgebeutete Naturalpächter oder Pachtbauern, die das Land bearbeiteten, das der Bourbon-Elite gehörte. Gegen Ende des Jahrhunderts unternahmen Südstaaten-Populisten bewunderswerte und heldenhafte Anstrengungen, um arme schwarze und weiße Farmer um ihre gemeinsamen Interessen herum zu vereinen. Diese Bewegung wurde jedoch besiegt, als die örtliche herrschende Klasse eine neue Welle von rassistischer Demagogie und Gewalt lostrat.

Viele Populisten-Führer, wie Tom Watson, machten sich den Rassismus unverhohlen zu eigen, um sich in der Demokratischen Partei der Südstaaten ein Plätzchen zu verschaffen, die gemeinsam (und oft in Personalunion) mit den Rassenterror-Banden des Ku Klux Klan das Jim-Crow-System von fest verankerter Rassentrennung führte. Watsons Werdegang war nicht außergewöhnlich. Schwarzenfeindlicher Rassismus und immigrantenfeindlicher Nativismus sind historisch wichtige Bestandteile populistischer Bewegungen in den USA gewesen. Solches reaktionäres Gift, das dazu dient, eingewanderte und schwarze Arbeiter zu Sündenböcken für die von der kapitalistischen Ausbeutung erzeugten sozialen Übel zu machen, hat die Arbeiterbewegung schon von Anfang an befallen. Beispielsweise kämpften Ständegewerkschaften in Kalifornien erfolgreich für ein Verbot chinesischer und japanischer Einwanderung; 1877 wurden chinesische Immigranten in San Francisco Opfer von Pogromen. Gleichzeitig schlossen Ständegewerkschaften routinemäßig schwarze Arbeiter aus oder zwangen sie in abgetrennte Ortsgruppen.

In jüngeren Jahren diente der Begriff Populismus als Deckung für unverhohlen rassistische und immigrantenfeindliche Bewegungen, die vielfach mit dem KKK oder anderen faschistischen Gruppierungen verbunden waren. 1968 waren die Appelle von George Rassentrennung für immer Wallace an den kleinen Mann in seiner Präsidentschaftskampagne einfach eine fadenscheinige Abdeckung für bösartige rassistische Angriffe auf die minimalen Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung. Der weiße Gegenschlag der späten 1960er und frühen 1970er half, die Bedingungen für eine erfolgreiche kapitalistische Offensive gegen die ganze Arbeiterklasse zu schaffen: zweistufige Lohnsysteme, Gewerkschaftsfeindlichkeit, fallende Lebensstandards. Doch selbst die Bewegungen, die ethnische/rassische Spaltungen im Namen der gemeinsamen Interessen der US-amerikanischen Arbeitenden teilweise überwanden – der Populismus der 1890er, die New-Deal-Koalition der 1930er, die Arbeiter und Minderheiten an FDRs liberale Demokraten fesselte –, waren von Illusionen in einen reformierten, fortschrittlichen und wohltätigen Kapitalismus durchdrungen.

Die sozialen Wurzeln des Populismus im 19. Jahrhundert

Frei von feudalem Erbe und auf den jungfräulichen Boden der Neuen Welt verpflanzt, entwickelte sich die agrarische Wirtschaft der USA des 19. Jahrhunderts auf historisch einzigartige Weise. In Europa bauten Kleinbauern Ackerfrüchte immer noch hauptsächlich zur Ernährung ihrer Familien an, und mit dem Wenigen, was übrig blieb, wurden Steuern bezahlt. In den USA, wo in den 1830ern bis 40ern in großem Stil Kanäle und Eisenbahnen gebaut wurden, produzierten Farmer im Norden und Mittleren Westen zunehmend für den Markt und entwickelten die soziale Mentalität von kapitalistischen Kleinunternehmern. Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts spekulierten viele Farmer schon mit Landbesitz, veränderten ihre Anbaumischung von Jahr zu Jahr im Lichte bestehender und erwarteter Marktnachfrage und liehen sich ausgiebig von Banken, um neue und verbesserte Landwirtschaftsmaschinen zu kaufen.

US-amerikanische Familienfarmen waren nicht nur im Durchschnitt deutlich größer als europäische Ackerparzellen, sie wurden auch von weniger Händen bearbeitet. Französische und deutsche ländliche Dörfer wurden üblicherweise über Jahrhunderte von den selben Familien bewohnt, während die erwachsenen Kinder US-amerikanischer Farmer-Familien für gewöhnlich von zuhause weg gingen, um in die aufblühenden Städte zu ziehen, oder weiter nach Westen, um ihre eigenen Farmen aufzubauen. Der chronische Arbeitskräftemangel in den Farmgebieten der USA trieb die Mechanisierung der Landwirtschaft zu einem in der Alten Welt ungekannten Ausmaß an. Die Erfinder-Unternehmer der Yankees, wie Cyrus McCormick und John Deere, revolutionierten in den Jahrzehnten vor dem Bürgerkrieg die Landwirtschaftstechnologie.

Die hoch kommerzialisierten und mechanisierten Familienfarmen schufen einen riesigen und wachsenden Markt für Fertigprodukte. Dies wiederum führte zur Herausbildung einer großen, aus den Reihen des Kleinbürgertums und sogar der Arbeiterklasse gespeisten, Klasse von Industrie-, Handels- und Finanzkapitalisten. Unternehmenslustige Yankee-Mechaniker und -Tischler liehen sich Geld, um kleine Fabriken zu gründen. Die Söhne gut betuchter Farmer des Mittleren Westens wurden Bankiers oder Eigentümer von Sägewerken oder Kornspeichern. Für den Kleinstadtbankier, der den örtlichen Bundesstaats-Senator in der Tasche hatte, gab es in Britannien, Deutschland oder Japan, wo das Finanzkapital weit stärker konzentriert war, im 19. Jahrhundert keine Entsprechung.

Die US-Bourgeoisie unterschied sich von der in Europa oder Japan in dieser Periode nicht nur in ihrer relativen Größe und Struktur, sondern auch in ihrer Sozialpsychologie. Europäische Großhändler und Finanziers waren die Nachkommen (oft wortwörtlich) der Zunftmeister des späten Mittelalters. Jahrhunderte des Kampfes gegen die feudale Aristokratie, und dann die Angst vor sozialer Revolution von unten, brachten eine europäische Bourgeoisie mit einem hohen Niveau von Klassenbewusstsein, Zusammenhalt und Organisierung hervor. US-amerikanische kapitalistische Unternehmer, andererseits, waren normalerweise Selfmademen, die [sich selbst hochgearbeitet hatten und] stolz auf ihre eigenen rücksichtslosen Fähigkeiten waren. Die volkstümliche Bezeichnung Räuberbaron brachte den anarchistischen Individualismus der Platzhirsche der US-amerikanischen Geschäftswelt zum Ausdruck.

Ein führender Räuberbaron, Cornelius Commodore Vanderbilt, rief: Gesetz? Was kümmert mich das Gesetz? Habe ich nicht die Macht? Ende der 1860er bekämpften sich Vanderbilt und eine Bande von Räuberbaronen, geführt von Jay Gould und Jim Fisk, in einer Schlacht um die Kontrolle der Eisenbahngesellschaft Erie Railroad. Der Begriff Schlacht ist hier wörtlich, im militärischen Sinn, zu verstehen. Einmal stellten die Kräfte von Gould/Fisk ihre eigene Privatarmee auf, die rund um das Büro der Eisenbahngesellschaft in New Jersey Kanonen postierte.

Solche Späße wären zu der Zeit in Britannien, Frankreich oder Deutschland, wo der Staat über einzelne Industrielle und Finanziers weit stärkere Kontrolle ausübte, unvorstellbar gewesen. Aus diesem Grund war der Klassencharakter dieser Staaten als Hüter der neuen bürgerlichen Ordnung den europäischen Arbeiterklassen im Allgemeinen klar. Doch in den USA machte man für die brutale Ausbeutung der Arbeit, für Finanzpaniken und den periodischen Zusammenbruch der Produktion sämtlich die Handlungen einer kleinen Anzahl gieriger und skrupelloser Männer verantwortlich. Schon der Begriff Räuberbaron unterstellte, dass die Anführer von Industrie und Finanzen irgendeine traditionell akzeptierte Wirtschaftsordnung verletzten. Während der Progressiven Ära zu Beginn des 20. Jahrhunderts würden liberale Intellektuelle dann zwischen verantwortungsvollem und verantwortungslosem Reichtum unterscheiden. Ihre ideologischen Nachfolger in den 1980ern würden auf ähnliche Weise zwischen Heuschrecken und Finanzverwaltern, die etablierte Unternehmen zerstören, und altgedienten Managern, die sie erhalten wollen, unterscheiden.

Auch ein anderes Merkmal des US-amerikanischen Kapitalismus im 19. Jahrhunderts hatte großen Einfluss bei der Herausbildung der populistischen Ideologie. Weil die Nachfrage nach Investitionskapital zum Inganghalten der dynamischen Wirtschaft des Landes das Angebot an einheimischen Spareinlagen weit überstieg, nahmen US-amerikanische Kapitalisten Kredite an europäischen, hauptsächlich britischen, Geldmärkten auf. Die Auslandsschulden (staatliche und private) der Vereinigten Staaten stiegen mehr als ein Jahrhundert lang ständig und massiv an, von 60 Millionen Dollar, als der US-amerikanische Staat 1789 gegründet wurde, bis auf 3,3 Milliarden 1896. Nicht zufällig markierte dieses Jahr auch den Höhepunkt des Populismus, mit der Präsidentschaftskampagne von William Jennings Bryan auf der Liste der Demokratischen Partei.

In einer klassischen Untersuchung über das Haus Morgan erklärte der marxistische Intellektuelle Louis Fraina (unter dem Pseudonym Lewis Corey) die Bedingungen, die zum Aufstieg der erstrangigen Finanzdynastie der USA führten:19

Die ungeheure Ausweitung von Landwirtschaft, Industrie und Handel ermunterten die Regierungen der Bundesstaaten und die kommerziellen Unternehmen, neue Kredite an ausländischem Kapital aufzunehmen. Die Vereinigten Staaten waren vorwiegend eine agrarische Wirtschaft, und ihr Bedarf an Gütern und Kapital überstieg das Angebot. Der Außenhandel vervierfachte sich zwischen 1820 und 1860, und die Einfuhr von Fertigprodukten versechsfachte sich. Es gab eine unvorteilhafte Handelsbilanz, die sich ständig verschlimmerte, wobei unser Überschuss an Importen gegenüber Exporten großteils durch den Verkauf von US-amerikanischen Wertpapieren in Europa bezahlt wurde.

Der Ursprung des Haus Morgan liegt in den 1830ern, als der zum Investmentbanker gewandelte wohlhabende Yankee-Kaufmann George Peabody nach London zog, um Anleihen von US-Bundesstaaten und -Unternehmen (hauptsächlich Eisenbahnen) zu verkaufen. In den 1850ern zog sein Juniorpartner und Nachfolger Junius Morgan ebenfalls nach London, denn dort war das Geld. Das Haus Morgan war in dieser Hinsicht typisch für die obersten Ränge der US-amerikanischen Finanziers dieser Periode. Beispielsweise war ungefähr für ein Jahrzehnt nach dem Bürgerkrieg die bekannteste Figur in New Yorker Finanzkreisen August Belmont, der US-Vertreter der Rothschilds, der großen deutsch/französisch/britischen jüdischen Bankiersdynastie. Für den Großteil des 19. Jahrhunderts fungierte die Wall Street als Zweigstelle der Finanziers von der City of London.

Dementsprechend war die populistische Feindschaft gegen östliche Bankiers mit amerikanischem Nativismus verbunden, der nicht nur von Feindseligkeit gegen Britannien, sondern auch von Antisemitismus erfüllt war. Der Feind wurde als das Anglo-amerikanische Goldkartell20 bezeichnet, dem eine Verschwörung zur Versklavung der US-amerikanischen Nation und ihrer ehrlichen arbeitenden Menschen vorgeworfen wurde. Mitte der 1890er hieß es in einem Manifest, das von führenden Personen in der People’s Party herausgegeben wurde:21

Schon 1865/66 fanden sich die Goldspekulanten von Europa und Amerika zu einer Verschwörung zusammen…

Jede Möglichkeit des Verrats, jedes Mittel der Staatskunst, und jede List, die dem geheimen Zirkel des internationalen Goldrings bekannt sind, werden zur Anwendung gebracht, um dem Wohlstand des Volkes und der finanziellen und kommerziellen Unabhängigkeit des Landes einen Schlag zu versetzen.

Das Allheilmittel des billigen Geldes

Warum fanden solche Ansichten die breite Unterstützung sowohl von Industriearbeitern als auch von Farmern? Von Ende der 1860er bis Ende der 1890er war billiges Geld der hauptsächliche Schlachtruf des linken Radikalismus in den Vereinigten Staaten. Etwa ein halbes Dutzend Parteien – die Labor Reform Party, Greenback Party, Greenback Labor Party, Antimonopolist Party, People’s Party – bildeten sich um die zentrale Forderung, ein goldbasiertes Währungssystem durch eines auf der Grundlage von Papiergeld und/oder Silber zu ersetzen. Alle diesen Parteien genossen die Unterstützung bedeutender Teile der damaligen Arbeiterbewegung.

Vor dem Bürgerkrieg bestand Geld in den USA aus Goldmünzen und von den Bundesstaaten herausgegebenen Banknoten, die in Gold umgetauscht werden konnten. Um die gewaltigen Ausgaben des Bürgerkriegs zu finanzieren, gab die US-Bundesregierung nicht-umtauschbare Geldscheine heraus, die im Volksmund [wegen der grünen Rückseite] Greenbacks genannt wurden. Nach dem Krieg befürworteten Währungsradikale die Weiterführung und Ausweitung des Greenback-Systems. Es setzten sich jedoch die Kräfte des Konservatismus in der Währungsfrage durch. Die Ausgabe von neuen Greenbacks wurde gestoppt, die in Umlauf befindliche Menge allmählich verringert, und 1879 wurde alles von der US-Bundesregierung herausgegebe Papiergeld in Gold einlösbar gemacht. Die Währungsradikalen änderten dann ihren Kurs und setzten sich für die unbeschränkte Münzprägung aus Silber, das damals in den westlichen Bundesstaaten in wachsendem Überfluss verfügbar war, ein.

Heutzutage ist es schwer nachzuvollziehen, warum sich das Konzept, wonach ein steigendes Angebot an Geld das Tor zu allgemeinem und dauerhaftem Wohlstand aufstoßen würde, so weitverbreiteter Beliebtheit erfreute. Diesem Glauben hingen nicht nur ein paar intellektuelle Spinner an, sondern verantwortungsvolle und beliebte Führer der Arbeitenden. Ende der 1860er verkündete William Sylvis, Chef der National Labor Union – der ersten derartigen Organisation in der US-Geschichte:22

Wir kommen nun zu der größten Frage, die sich dem amerikanischen Volk stellt – eine Frage von allerhöchster Wichtigkeit für jeden Produzenten des Landes – eine Frage, bei der es um die Freiheit oder Sklaverei jedes arbeitenden Mannes in Amerika geht – eine Frage, welche die Macht einer monströsen, reichen Aristokratie zerstören oder alle Arbeiter der Nation, weiß oder schwarz, an das Gold ketten muss – diese Frage ist die der Finanzen.

Einer der Führer der Greenback Party in Massachusetts in den 1870ern war Wendell Phillips, ein ehemaliger radikaler Abolitionist [Sklavereigegner]. Er erklärte, der Kampf gegen das Geldmonopol sei tiefgreifender revolutionär als der Kampf gegen die Sklaverei.

Es ist üblich, den Populismus des 19. Jahrhunderts als eine Bewegung von kleinen Farmern zu betrachten, die durch die Abwertung der Währung die Last ihrer Bankschulden verringern wollten. Tatsächlich erreichte die Agitation für billiges Geld ihren Höhepunkt in den 1890ern, einer Periode schwerer Depression bei landwirtschaftlichen Preisen, die eine große Anzahl von Farmern mit dem Bankrott bedrohte. Die Hochburgen der People’s Party und der Demokraten unter Bryan lagen im Korngürtel der Great Plains und den Teilen des ländlichen Südens, die von Baumwoll- und Tabakanbau abhingen.

Allein auf Grundlage des wirtschaftlichen Eigeninteresses von schuldengeplagten kleinen Farmern können die Breite und Intensität der Unterstützung für Währungsradikalismus jedoch nicht angemessen verstanden werden. Die Führer der populistischen Bewegung waren, um die zeitgenössische Sprache zu benutzen, zutiefst gottesfürchtige Männer, die glaubten, sie kämpften für die Interessen aller produktiven Mitglieder der Gesellschaft, wozu Arbeiter ebenso gehörten wie Farmer und kleine Geschäftsleute. Darüberhinaus waren die Führer der wesentlichen Arbeiterorganisationen (z.B. die Knights of Labor) genauso auf billiges Geld eingeschworen wie die der Farmer’s Alliance, mit denen sie einen politischen Block bildeten.

Warum glaubten intelligente Männer wie William Sylvis und Wendell Phillips, die den Interessen der arbeitenden Klassen ergeben waren, dass der Goldstandard eine mächtige Waffe der Reichen gegen die Armen war? Warum glaubten sie, dass die beständige Ausweitung der Geldmenge Finanzpaniken, wirtschaftliche Depressionen und sogar weit klaffende soziale Ungleichheiten beseitigen würde? Die Antwort gibt Alexander Campbell, ein führender Theoretiker der Populisten, in seinem Traktat The True American System of Finance:23

Der Zinssatz auf Geld bestimmt den Zins oder Nutzen allen Eigentums, und daher den Ertrag der Arbeit. Die Zentralisierung des Eigentums der Nation in den großen Städten und in den Taschen einiger weniger Kapitalisten steht im Verhältnis zum Zinssatz auf Gelddarlehen, der über die durchschnittliche Wachstumsrate des nationalen Reichtums hinaus aufrechterhalten wird.

Campbell und seinen Gesinnungsgenossen zufolge würde eine Vergrößerung des Geldangebots den Zinssatz senken, den Bankiers für Darlehen verlangten, und so Farmer und andere kleine Geschäftsleute ermuntern, sich mehr für produktive Investitionen zu leihen. Angestellte Arbeiter würden von der Ausweitung der Beschäftigung und einem angespannteren Arbeitsmarkt profitieren, und hätten bessere Chancen, sich ihrerseits selbständig zu machen. Weiterhin stünde, wenn Kleinproduzenten weniger ihrer Erträge als Zinsen an die Banken gäben, mehr Geld zur Erhöhung der Löhne der Arbeiter zur Verfügung. Diese Art ökonomischen Denkens war keineswegs eine Besonderheit des US-amerikanischen Populismus des 19. Jahrhunderts. Während der Weltwirtschaftskrise der 1930er entwickelte und popularisierte der liberale britische Ökonom John Maynard Keynes eine im Wesentlichen ähnliche theoretische Lehre und ein entsprechendes politisches Programm.

Marxistische Ökonomie kontra Währungsradikalismus

Die revolutionären Arbeiterführer Karl Marx und Friedrich Engels lehnten die Vorstellung, eine Ausweitung des Geldangebots könnte die grundlegenden Widersprüche des Kapitalismus überwinden, ab. Als die US-Regierung die begrenzte Prägung von Silvermünzen 1893 beendete und zu einem reinen Goldstandard zurückkehrte, bemerkte Engels in einem Brief an seinen deutsch-amerikanischen Genossen Friedrich Sorge:24

Die Abschaffung des Silberkaufgesetzes hat Amerika vor einer schweren Geldkrise bewahrt, und wird den industriellen Aufschwung befördern. Aber ich weiß nicht, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn dieser Krach wirklich gekommen. Die Phrase vom cheap money25 scheint Euren Bauern des Westens gar fest in den Knochen zu sitzen. Erstens bilden sie sich ein, wenn viel Zirkulationsmittel im Lande vorhanden, dann müsse der Zinsfuß sinken, wobei sie aber Zirkulationsmittel und disponibles Geldkapital verwechseln, worüber im III.Band [von Marxs Kapital] sehr aufklärende Dinge an den Tag kommen werden. Zweitens aber paßt es allen Schuldnern, erst in guter Währung Schulden zu machen und sie später in depreziierter Währung zurückzuzahlen.

Engels brachte es auf den Punkt: die Theorie verwechselt die Menge des Geldes mit der Verfügbarkeit von Geldkapital für produktive Investitionen.

Im 19. Jahrhundert gab es unter bürgerlichen Ökonomen und Finanziers zwei konkurrierende Strömungen der Währungstheorie: die Währungs-Schule und die Banken-Schule. Die Währungs-Schule war der Ansicht, dass die Menge des Geldes das Ausmaß wirtschaftlicher Aktivität allgemein bestimmte. Dieser Ansicht zufolge würde eine Zustrom von Geld ins Land dazu führen, dass Bankiers die Zinssätze senkten, um den zusätzlichen Geldbestand zu verleihen. Das wiederum würde industrielle und kommerzielle Kapitalisten ermuntern, sich mehr zu leihen und mehr zu investieren, und so die Produktionsmenge und/oder die Preise zu erhöhen. Eine Schrumpfung der Geldzufuhr hätte gegenteilige Auswirkungen.

Die Banken-Schule meinte, dass die Ausweitung oder Schrumpfung des Geldkapitals sich den Bedürfnissen des Handels anpasse: während einer wirtschaftlichen Hochkonjunktur steigt die Kreditmenge rasch an, weil sowohl Unternehmer als auch Finanziers glauben, dass die Darlehen aus den gesteigerten Profiten neuer Investitionen zurückgezahlt werden würden. Während einer Krise ist das Gegenteil der Fall. Innerhalb grober Grenzen passt sich der Geldfluss der wirtschaftlichen Aktivität insgesamt durch das an, was bürgerliche Ökonomen die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes nennen. Marx unterstützte in dieser Beziehung die Ansichten der Banken-Schule:26

Das Gesamtresultat ist, daß in Perioden der Prosperität die Masse der Umlaufsmittel [Geld], die zur Verausgabung von Revenue dient, entschieden wächst.

Was nun die Zirkulation betrifft, die zum Übertrag von Kapital, also nur zwischen den Kapitalisten selbst nötig ist, so ist diese flotte Geschäftszeit zugleich die Periode des elastischsten und leichtesten Kredits…

Solange die Geschäftslage derart ist, daß die Rückflüsse für die gemachten Vorschüsse regelmäßig eingehn und also der Kredit unerschüttert bleibt, richtet sich die Ausdehnung und Zusammenziehung der Zirkulation [des Geldes] einfach nach den Bedürfnissen der Industriellen und Kaufleute.

Die Gültigkeit von Marxs Ansichten zeigte sich deutlich während der Weltwirtschaftskrise, die durch den Börsenzusammenbruch von 1929 ausgelöst wurde. Mitte bis Ende der 1930er schwammen US-Banken in überschüssigen Reserven, mit wenigen Kreditnehmern. Nach einem weiteren drastischen Abschwung 1937 nahm das Federal Reserve Bulletin, das offizielle Organ der US-Zentralbank, zur Kenntnis, dass eine reichliche Goldversorgung und eine Billig-Geld-Politik nicht vor einem Preisverfall bewahren..27

Die ein Jahrzehnt währende Krise und die Linksradikalisierung der US-amerikanischen Arbeiterklasse brachten eine neue Variante liberaler populistischer Ideologie hervor, die Illusionen in einen fortschrittlichen Flügel der Kapitalistenklasse verfestigte. Eine Schlüsselrolle dabei spielte die stalinistische Kommunistische Partei, die die klassenversöhnlerische Volksfront-Politik auf US-amerikanisches Terrain übertrug und dazu beitrug, ein Aufbrausen von militanten Arbeiterkämpfen in Unterstützung für Roosevelts New-Deal-Demokraten abzulenken. Das war entscheidend dafür, den Weg zur Entwicklung einer unabhängigen politischen Partei der Arbeiterklasse in den USA zu versperren.

Der New Deal der 1930er und der Reformismus in der Arbeiterbewegung

Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise in Verbindung mit dem Sieg des Faschismus in Deutschland 1933 führten während der 1930er zu einer linksgerichteten Radikalisierung der US-amerikanischen Arbeiterklasse. In den zwei Jahren nach dem Börsenzusammenbruch vom Oktober 1929 – dem Schwarzen Freitag – schoss die Arbeitslosigkeit von 500000 auf über neun Millionen in die Höhe. 1934 gab es in den USA drei Generalstreiks, die jeweils eine ganze Stadt umfassten – in San Franscisco, Minneapolis und Toledo, Ohio –, und alle waren von Roten geführt, in gleicher Reihenfolge von den Stalinisten, den Trotzkisten und A. J. Mustes American Workers Party, die bald darauf mit den Trotzkisten fusionierte.

In den nächsten paar Jahren kam es zur Herausbildung der Industrie-Massengewerkschaften der CIO, wiederum vielfach unter der Führung von erklärten Kommunisten oder Sozialisten. Eine entscheidende Taktik bei der gewerkschaftlichen Organisierungskampagne war der Sitzstreik [d.h. Betriebsbesetzung], bei dem die Arbeiter eine Fabrik oder ein Warenlager besetzen und damit die kapitalistischen Eigentumsrechte unverblümt missachten. Im Gründungsdokument der trotzkistischen Vierten Internationale, dem Übergangsprogramm von 1938, heißt es: Die beispiellose Streikwelle mit Fabrikbesetzungen und das erstaunlich rasche Wachstum der Industriegewerkschaften in den Vereinigten Staaten (der CIO) sind ein ganz unbestreitbarer Ausdruck des instinktiven Strebens der amerikanischen Arbeiter, sich auf die Höhe der ihnen von der Geschichte gestellten Aufgaben zu erheben.28

Während die US-amerikanische Arbeiterklasse die Bosse auf industrieller Ebene herausforderte, gab es keine dementsprechende Herausforderung auf der politischen Ebene. Die linksgerichtete Radikalisierung verblieb innerhalb der ideologischen und politischen Grenzen des von der Demokratischen Partei unter Franklin Delano Roosevelt repräsentierten bürgerlichen Liberalismus. 1932 zum Präsidenten gewählt, versprach FDR den arbeitenden Menschen der USA einen New Deal29 – eine Rückkehr zu Vollbeschäftigung und eine Zukunft von dauerhaftem und allgemeinem Wohlstand. Selbst ein millionenschwerer Sprössling der reichen Aristokratie, prangerte Roosevelt seine rechten Kontrahenten innerhalb der Kapitalistenklasse, wie den Industriellen Henry Ford, demagogisch als ökonomische Royalisten an.

Ausgerechnet die Führer der neuen Industriegewerkschaftsbewegung trugen Roosevelts liberale bürgerliche Politik in die Arbeiterklasse. Darunter war ein Teil der alten AFL-Gewerkschaftsbürokratie unter Führung von John L. Lewis, der nie vorgab, irgendwelche Sympathie für Sozialismus oder gar rote Revolution zu haben, und der im Gegenteil meinte, dass die Arbeiterbewegung das stärkste Bollwerk des Antikommunismus sein sollte. Doch auch die Kommunistische Partei (KP), mit Abstand die stärkste Kraft in der US-amerikanischen Linken, gehörte dazu. Im Verlauf ihrer stalinistischen Degeneration während des vorangegangenen Jahrzehnts hatte die KP Ende der 1920er eine Dritte Periode genannte Phase ultralinken Sektierertums durchgemacht und war Anfang der 1930er dazu übergegangen, für eine Volksfront mit fortschrittlichen bürgerlichen Politikern einzutreten, wobei sie mit Illusionen in einen reformierten und wohltätigen Kapitalismus hausieren ging.

Die Entwicklung der US-amerikanischen Arbeiterklasse in den 1930ern war also höchst widersprüchlich. Einerseits entstanden zum ersten Mal in der Geschichte der USA industrielle Massengewerkschaften (außer im Süden), die auf Rasse oder Ethnie basierende Spaltungen durchkreuzten und vielfach von erklärten Gegnern des kapitalistischen Systems geführt wurden. Gleichzeitig wurde der politisch-ideologische Einfluss des bürgerlichen Liberalismus gestärkt und nicht geschwächt.

Heute, angesichts des Aufstiegs der neuen Demokratischen Partei, die der Arbeiterbewegung mit unverhohlener Verachtung begegnet, unter dem rassistischen Yuppie [Bill] Clinton, sehnen sich die AFL-CIO-Bürokratie und ihre reformistischen Anhängsel (einschließlich der halbtoten KP) nach einer neuen New-Deal-Koalition, wobei sie die Rooseveltsche Ära als Glanzzeit von fortschrittlicher Politik darstellen. In Wirklichkeit wurde diese klassenversöhnlerische Koalition als eine Antwort auf den militanten Aufschwung von Arbeiterkämpfen in den 1930ern gebildet. Sie stellte einen Verrat der CIO-Gewerkschaftsspitzen und der Stalinisten dar, die die Möglichkeit einer unabhängigen Arbeiterpartei zunichte machten und die Arbeiterklasse hinter die Demokraten trieben, die sich heuchlerisch als Freunde der Arbeiter ausgaben.

Die New-Deal-Koalition versetzte die Arbeiterbewegung in eine unheilige Allianz nicht nur mit ihren liberalen Klassenfeinden im Norden, sondern auch mit den Dixiecrats im Süden, denen Roosevelt bei der Verbreitung nackten rassistischen Terrors gegen Schwarze und Gewerkschaften freie Hand ließ. Die Unterstützung der Arbeiterbürokratie für Roosevelt – von der Aufrechterhaltung des Jim-Crow-Systems strikter Rassentrennung im Süden bis zum Einreihen der Arbeiterklasse hinter den imperialistischen Herrschern bei Anbruch des Zweiten Weltkriegs – war den Klasseninteressen des Proletariats auf ganzer Linie entgegengesetzt.

James P. Cannon, der wichtigste Führer des US-amerikanischen Trotzkismus, erklärte 1942, warum die ökonomische Militanz der 1930er nicht auf den politischen Bereich ausgeweitet wurde: Roosevelt erschien den Arbeitern immer noch als ihr Fürsprecher, und sein Sozialreform-Programm wurde als Ersatz für eine unabhängige politische Bewegung der Arbeiter angenommen.30 Das Sozialprogramm des New Deal war überhaupt nicht neu, sondern eine abgewandelte Version des liberalen Populismus, der die US-amerikanische Arbeiterklasse schon seit dem Aufkommen einer organisierten Arbeiterbewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dominiert hatte.

Das Konzept des fortschrittlichen Managerialismus

Die bestimmenden Merkmale der New-Deal-Variante des liberalen Populismus beruhten auf dem Märchen, dass große Konzerne dazu gebracht werden könnten, den Interessen der ganzen Gesellschaft zu dienen und dass die von dem britischen Ökonomen John Maynard Keynes vorgeschlagene Sorte staatlicher Maßnahmen zu Vollbeschäftigung und Wohlstand für die arbeitenden Menschen führen könnten. In einer aktuellen Untersuchung des US-amerikanischen Populismus im 19. Jahrhundert, Goldbugs and Greenbacks, beschreibt Gretchen Ritter die der Bewegung zugrundeliegende Ideologie als Produzententum31 – den Glauben an die natürliche Einheit und Harmonie all derer, die mit der Produktion von Gütern und Dienstleistungen zu tun haben, im Gegensatz zu Finanzparasiten: Reformer argumentierten, dass die Produzenten – Farmer, Arbeiter, kleine Geschäftsleute – die wahre Gesellschaft seien. Sie stellten die Legitimität von Nicht-Produzenten wie Bankiers und Anleiheinhabern in Abrede. In den 1890ern konnten sich Populisten immer noch eine auf Kleineigentümern aufgebaute Gesellschaft, also ohne große Industriekonzerne, Wall-Street-Bankiers oder Aktienbörsen, vorstellen.

Drei Jahrzehnte später war so ein Programm aber eindeutig eine Phantasterei. Die Wirtschaft wurde von großen Konzernen beherrscht, und die geschrumpfte Anzahl von Kleinfabrikanten trug keinen wesentlichen Anteil mehr zur Industrieproduktion des Landes bei. In den 1920ern machten die studierten Söhne von gut situierten Geschäftsleuten ihre Karrieren üblicherweise schon bei den Managementbürokratien von AT&T, Standard Oil, General Motors, U.S. Steel und International Harvester. In den 1930ern wurde eine neue Variante des Produzententums entwickelt, bei der Unternehmensmanager die kleinen Geschäftsleute der früheren Version ersetzten.

Diese Ideen wurden 1932 von zwei jungen liberalen Intellektuellen, Adolph A. Berle und Gardner C. Means, in einem höchst einflussreichen Buch, The Modern Corporation and Private Property, dargelegt. Ersterer sollte bald ein führendes Mitglied von FDRs Denkfabrik von Wirtschaftsberatern werden. Berle und Means vertraten die Ansicht, dass in einem modernen, großen Unternehmen die Leitung oder das Management von der Position des Eigentümers abgetrennt worden sei, und dass dies, zumindest potentiell, eine fortschrittliche Entwicklung sei. Sie bemerkten, dass die große Mehrheit der Aktien in großen Unternehmen über Tausende vereinzelter Investoren verteilt waren und dass Anleihebesitzer und andere Kreditgeber wenig Einfluss auf die Unternehmensstrategie nahmen, solange die Firma nicht mit ihrem Schuldendienst in Verzug kam, und so behaupteten Berle und Means, dass Unternehmensmanager eine besondere soziale Gruppe seien, deren Einkommen und Status nicht direkt an das Streben nach immer höheren Profiten gebunden seien:

Diejenigen, die das Schicksal des typischen modernen Unternehmens lenken, besitzen einen so unbedeutenden Bruchteil der Aktien des Unternehmens, dass die Erträge vom profitablen Führen des Unternehmens ihnen nur zu einem sehr geringen Teil zukommen. Die Aktionäre, andererseits, an die die Profite des Unternehmens gehen, können durch diese Profite nicht zu einer effizienteren Nutzung des Eigentums angetrieben werden, da sie alle Verfügung darüber an diejenigen abgetreten haben, die das Unternehmen leiten.

Nach dieser Ansicht hatten Unternehmensmanager kein überzeugendes persönliches Motiv, zugunsten der Aktionäre und zu Lasten der Kunden die Löhne niedrig zu halten oder zu senken oder die Preise zu erhöhen. Berle und Means behaupteten nicht, dass die Männer, die damals die großen Konzerne der USA führten, wohltätige Gutmenschen seien, denen nur das Wohl der Gesellschaft am Herzen liege; sondern nur, dass große, moderne Konzerne, anders als kapitalistische Unternehmen in der Vergangenheit, nicht vom Streben nach Maximierung der Profite getrieben seien. Unternehmensmanager könnten deshalb durch Gesetze, staatliche Maßnahmen und die öffentliche Meinung gezwungen werden, dem zu dienen, was Berle und Means als die höchsten Interessen der Gemeinschaft bezeichneten:

Sobald ein überzeugendes System von gemeinschaftlichen Verpflichtungen ausgearbeitet und allgemein akzeptiert ist, muss das passive Eigentumsrecht von heute den größeren Interessen der Gesellschaft nachgeben. Sollten zum Beispiel die Unternehmensführer ein Programm vorlegen, das aus gerechten Löhnen, Sicherheit für Angestellte, vernünftigem Dienst an der Öffentlichkeit, und der Stabilisierung des Geschäfts besteht – was alles einen Teil der Profite von den Besitzern des passiven Eigentums abzweigen würde –, und sollte die Gemeinschaft solche Regelungen allgemein als logische und humane Lösung der industriellen Schwierigkeiten anerkennen, dann müssten die Interessen der passiven Eigentümer zurückstecken.

Heute scheinen diese Worte äußerste liberale Naivität auszudrücken. Die 1980er zeigten vor aller Augen und auf höchst dramatische Weise die Macht der Aktionäre, Unternehmensmanager, die sie ihre Interessen missachten sahen, loszuwerden. In einer kritischen Einleitung zu einer neuen Ausgabe von The Modern Corporation and Private Property von 1991 sprachen die bürgerlichen Mainstream-Ökonomen Murray Weidenbaum und Mark Jensen einfach das Offensichtliche aus: Die Welle feindlicher Übernahmen Ende der 1980er war eine Reaktion auf Manager, die den Sorgen der Aktionäre nur ungenügende Aufmerksamkeit widmeten… Ein Geschäft ist eine wirtschaftliche Einrichtung, dazu da, den Kunden Güter und Dienstleistungen zu liefern, um den Aktionären zu nutzen.

Der Klassiker von Berle und Means wurde ursprünglich während der größten Wirtschaftskrise der Moderne veröffentlicht, als viele Arbeiter sogar in den USA – einer widersprüchlichen Gesellschaft, die eine fortgeschrittene Wirtschaft mit sozialer Rückständigkeit kombiniert – der Aussicht auf eine rote Revolution aufgeschlossen gegenüberstanden. Indem sie den Glauben beförderte, dass die Übel des Kapitalismus wegreformiert werden könnten, war die illusorische Vorstellung, dass große Konzerne dazu gebracht werden könnten, den größeren Interessen der Gesellschaft zu dienen, wichtig, um die Ausgebeuteten und Unterdrückten an die kapitalistische Ordnung gefesselt zu lassen.

Keynes und liberaler Pseudo-Sozialismus

Einen noch wichtigeren Beitrag zur Ideologie des New Deal als die Vorstellung des fortschrittlichen Managerialismus leisteten die Theorien von John Maynard Keynes. Um zu verstehen, warum Keynes’ Ideen zu dieser Zeit eine solch wichtige Rolle in der US-amerikanischen Politik spielten, ist es nützlich, ihn im Kontext der britischen Politik zu verorten. Er war ein führender Intellektueller der kleinen Liberalen Partei, die von rechts durch die Konservative (Tory-) Partei und von links durch die Labour-Partei in den Schatten gestellt wurde.

Während des 19. Jahrhunderts waren jedoch die Liberalen (oder Whigs) und die Tories die wichtigsten Parteien in Britannien. Jede vertrat nicht nur eine unterschiedliche Politik, sondern auch einen anderen Teil der besitzenden Klassen. Die Tories repräsentierten die Teile, die vom Landadel, der alten landbesitzenden Aristokratie, abstammten oder ihm am nächsten standen. Ihre führenden Mitglieder waren eher Rentiers als Unternehmer, sie lebten von Zinsen aus ihrem Gutsbesitz oder von Einkommen aus ihren Finanzvermögen. Die Liberalen repräsentierten vor allem industrielle Kapitalisten – in vielen Fällen die Söhne von Kleinhändlern, selbständigen Handwerkern oder freien Bauern – und genossen die Unterstützung der Gewerkschaften.

Die Unterstützung der Arbeiter für die Partei der industriellen Kapitalisten spiegelte zumindest teilweise wieder, dass der britische Imperialismus mit den Extraprofiten, die er aus seinen Kolonien zog, die Arbeiterführer und die Oberschicht der Arbeiteraristokratie bestechen kann,32 wie W.I. Lenin, der Führer der russischen Bolschewiki es später in einem 1920er Vorwort zu seinem Werk Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus (1916) beobachtete. Mit dem relativen Niedergang des britischen Imperialismus am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zerbrach die politische Allianz zwischen der fortschrittlichen Bourgeoisie und den Gewerkschaften. Ursprünglich ein Komitee innerhalb der Liberalen, um den Einfluss der Gewerkschaften auf die Parteipolitik zu stärken, wurde die Labour-Partei in den frühen 1900ern als Abspaltung von den Liberalen gegründet.

Um den radikalisierenden Einfluss abzulenken, den die bolschewistische Revolution von 1917 auf die britische Arbeiterklasse ausübte, ergänzte Labour 1918 sein Grundsatzprogramm, um formell für die Vergesellschaftung der Produktionsmittel einzutreten, wenn auch mit strikt parlamentarischen Mitteln. In der Praxis war diese Klausel IV einfach ein linkes Feigenblatt für Reformismus und Klassenverrat, während aufeinanderfolgende Labour-Regierungen den britischen Kapitalismus treu verwalteten, wobei sie gelegentlich am System herumflickten, aber nie danach strebten, es durch Sozialismus zu ersetzen. In jüngerer Zeit wurde Klausel IV komplett verworfen, als der Führer von New Labour, Tony Blair, darauf hinarbeitete, die Partei in eine ausdrücklich kapitalistische umzuformen.

Während der Zwischenkriegsperiode war Keynes einer der sehr wenigen prominenten bürgerlichen Intellektuellen, die innerhalb der Liberalen Partei aktiv blieben. Seine ungefähre politische Strategie wurde später von seinem offiziellen Biografen Roy Harrod, selbst ein herausragender britischer Wirtschaftswissenschaftler, zusammengefasst:33

Während der Zwanziger hoffte er auf eine Verständigung zur Zusammenarbeit zwischen der Liberalen Partei und der Labour-Partei; in den Dreißigern mag er die Hoffnung gehegt haben, dass, wenn er den vollendeten Ausdruck seiner eigenen Ansichten erreicht haben würde, die Stichhaltigkeit seiner Argumente die Labour-Partei vom Staatssozialismus entwöhnen und ihre Mitglieder zu seinen eigenen Jüngern machen würde.

Zu diesem Zweck entwickelte Keynes eine Lehre, die als liberaler Pseudo-Sozialismus charakterisiert werden kann. Er schlägt vor, dass eine kapitalistische Wirtschaft mit einer bestimmten Auswahl an staatlichen Maßnahmen die Ziele erreichen könnte, die traditionell mit Sozialismus verbunden werden: dauerhafte Vollbeschäftigung, ständige Ausweitung der Produktion im Einklang mit technologischen Fortschritten und Möglichkeiten, ja sogar das allmähliche Verschwinden der sozialen Klasse, die von ihrem angehäuften Reichtum lebte – und zwar sehr gut lebte.

Keynes’ Ansichten über einen wohltätigen Kapitalismus

Keynes zufolge war das Hauptproblem am modernen Kapitalismus, dass diejenigen, die Ersparnisse besaßen, üblicherweise die Erben großer Vermögen, andere waren und abweichende Interessen hatten als die industriellen Manager, die für Investitionen in zusätzliche Produktionskapazität verantwortlich waren und für diesen Zweck Geld von Banken oder über den Anleihemarkt liehen. Keynes war der Ansicht, dass das allgemeine Niveau wirtschaftlicher Aktivität entscheidend von der Differenz zwischen den Zinsen auf Geldkapital und dem Profit aus neuen Investitionen abhing. Dieser Ansicht zufolge würden die Manager eines großen Industrieunternehmens eine neue Fabrik bauen, wenn die erwartete Profitrate des Projekts z.B. 6 Prozent betrüge, während die Zinsen auf das zur Baufinanzierung notwendige Geld bei 3 Prozent stünden – dass sie aber nicht bauen würden, wenn ein höherer Zinssatz zu tief in die Gewinnspanne einschnitte.

Wenn Rentiers übertrieben hohe Zinssätze verlangten, würden Investitionen und daher auch Produktion und Beschäftigung fallen. Das war, kurzgefasst, Keynes’ damalige Erklärung der Weltwirtschaftskrise, die 1929 begann:

jetzt etwas plötzlich zwischen den Vorstellungen der Kreditnehmer und der Kreditgeber, das heißt zwischen dem natürlichen Zins und dem Marktzins, eine ungewöhnlich breite Kluft aufgetan…

Ich wage deshalb zu prophezeien, daß sich die Stockung von 1930 den künftigen Wirtschaftshistorikern als der Todeskampf des Kriegszinsfußes und das Wiedererstehen des Vorkriegszinsfußes34 darstellen wird.

Keynes’ Lösung für dieses Problem war eine expansive Geldpolitik. Er war ein entschiedener Gegner des Goldstandards und trat für eine verwaltete Währung ein, um einen niedrigen Zinssatz zu erreichen und beizubehalten.

Die Erfahrungen der 1930er führten jedoch auch Keynes vor Augen, dass eine Politik des billigen Geldes an sich nicht ausreichte, um eine kapitalistische Wirtschaft aus einer tiefen Krise zu ziehen. Der Leitzins der Vereinigten Staaten – der Diskontsatz, den das Federal Reserve System [System der US-Zentralbanken] ihren Mitgliedsbanken abverlangt – war bis Mitte der 1930er auf gerade einmal 1 Prozent, von 4,5 Prozent 1929, gefallen. Dennoch blieben Produktion und Beschäftigung weit unter dem Niveau der 1920er. Selbst bei niedrigsten Zinssätzen wollten industrielle Kapitalisten nichts für neue Fabriken oder Ausrüstung ausgeben, wenn sie ohnehin schon mit gewaltigen Überkapazitäten, stagnierender Nachfrage und Unsicherheiten über zukünftige wirtschaftliche und politische Entwicklungen zu tun hatten.

Als Reaktion auf diese Umstände sprach sich Keynes Mitte der 1930er für ein radikaleres Wirtschaftsprogramm aus. Wenn kapitalistische Unternehmer nicht in genügendem Maße Kredite aufnehmen und investieren, solle der Staat das an ihrer Stelle tun. Er forderte ein gewaltiges Programm öffentlicher Arbeiten – Eisenbahnen, Schnellstraßen, Wasserkraftwerke, Bürogebäude, Wohnungen –, das statt durch Steuererhöhungen durch Kredite finanziert werden sollte. Keynes trat für einen Nationalen Investitionsausschuss ein; dieser würde auf die eine oder andere Weise bei weitem den größten Teil der Investitionen steuern. Private Unternehmen (also die Industrie) benötigen so einen winzigen Teil der gesamten Ersparnisse, dass sie sich wahrscheinlich um sich selbst kümmern könnten. Bau, Verkehr und öffentliche Versorgungsbetriebe sind fast die einzigen Bereiche, wo neues Kapital in großem Umfang gebraucht wird.35

Keynes glaubte, dass Industrielle und Finanziers keine andere Wahl hätten, als dieses Programm zu akzeptieren, wenn sie dazu von einer demokratischen Regierung angewiesen würden – selbst, wenn es ihren Interessen schadet. Und ein solches Programm würde ihren Interessen schaden, denn unter Bedingungen von Vollbeschäftigung neigen die Löhne dazu, auf Kosten der Profite zu steigen. Ohne eine Reservearmee von Arbeitslosen, wie Marx es nannte, können Firmen ihre Belegschaft nur vergrößern, indem sie höhere Löhne und verbesserte Sozialleistungen anbieten, um Arbeiter dazu zu bewegen, ihre aktuelle Beschäftigung aufzugeben; Gewerkschaften sind eher zum Streiken bereit und den Bossen fällt es schwerer, Streikbrecher anzuheuern.

Keynes war sich völlig darüber im Klaren, dass Bedingungen von Vollbeschäftigung die Arbeiter bei der Festlegung der Löhne gegenüber dem Kapital begünstigen. Aber er glaubte, dass eine kapitalistische Wirtschaft bei sinkender Ertragsrate privater Investitionen, und insbesondere bei sinkendem Zinssatz, mit höchster Effizienz arbeiten könnte. Tatsächlich prophezeite er eine Zeit – den sanften Tod des [Rentiers] – wo die Ertragsrate des Geldes, des angehäuften Reichtums, auf Null gesenkt sein würde, und er meinte, dies könnte der vernünftigste Weg sein, um allmählich die verschiedenen anstößigen Formen des Kapitalismus los zu werden..36

Wie gesagt, jetzt erscheint das als weltfremde liberale Naivität, ja Utopismus. Man muss verstehen, dass diese Worte geschrieben wurden, als Kommunisten Hungermärsche von Kohlebergleuten und anderen arbeitslosen Arbeitern durch Mittelengland anführten. Das soll nicht heißen, dass Keynes ein Heuchler oder ein Demagoge war. Er glaubte aufrichtig daran, dass sein Programm eine gute und praktikable Alternative zu dem war, was er Staatssozialismus nannte. Doch damit drückte er das falsche Bewusstsein eines bürgerlichen Liberalen aus, der glaubt, dass Kapitalisten willens sind und dazu gebracht werden können, den größeren Interessen der Gesellschaft zu dienen.

Die Wirtschaft des New Deal: Mythen und Wirklichkeit

Der landläufigen Meinung zufolge, insbesondere in liberalen Kreisen, waren es die Wirtschaftsmaßnahmen der Roosevelt-Regierung, die die USA aus der Weltwirtschaftskrise holten, und diese Maßnahmen waren angeblich von Keynes’ Theorien inspiriert. Beide dieser Behauptungen sind vollkommen falsch.

Als Roosevelt Anfang 1933 den Republikaner Herbert Hoover im Weißen Haus ersetzte, hatte die Wirtschaftskrise gerade ihren Tiefpunkt erreicht. FDRs erste Amtszeit fiel zufällig mit einer mäßigen Erholung zusammen, die Produktion und Beschäftigung aber trotzdem weit unter dem Niveau der späten 20er beließ. 1937/38 wurde die US-Wirtschaft von einem weiteren abrupten Abschwung getroffen, als die Industrieproduktion innerhalb eines Jahres um ein Drittel abstürzte. In einem Standardwerk zur Geschichte der Weltwirtschaftskrise weist der US-amerikanische Ökonom Charles Kindleberger hin: Der schärfste Konjunktureinbruch in der Geschichte der USA, durch den bei vielen Indizes die Hälfte des Geländegewinnes seit 1932 verlorenging, zeigte, daß die wirtschaftliche Erholung in den Vereinigten Staaten auf Illusionen gebaut war.37

Es war der Zweite Weltkrieg, der die USA letztlich aus der Wirtschaftskrise holte. Die Industrieproduktion erreichte ihr Niveau von 1929 erst 1940 wieder, als US-amerikanische Waffenhändler ein florierendes Geschäft mit Britannien begannen, das da schon mit Deutschland im Krieg stand. Und die Anzahl der Arbeitslosen fiel erst 1943, als die Kriegswirtschaft auf Hochtouren lief, unter die Marke, bei der sie am Vorabend des Zusammenbruchs 1929 gestanden hatte.

Anspruchsvolle liberale Ökonomen wie Kindleberger argumentieren, dass die Krisenzustände bis zum Krieg ausgedehnt wurden, weil die Roosevelt-Administration Keynes’ Rezept von gewaltigen, durch Schulden finanzierten öffentlichen Arbeiten nicht umsetzte. Tatsächlich verfolgte FDR überhaupt kein stimmiges und konsequentes Wirtschaftsprogramm. Während drei der acht Jahre von Roosevelts ersten zwei Amtszeiten war das Haushaltsdefizit des Bundes kleiner als im letzten Jahr der Hoover-Administration. 1938, als mehr als 10 Millionen Arbeiter – ein Fünftel der Arbeiterschaft – arbeitslos waren, war der Haushalt sogar ausgeglichen.

Keynes selbst erkannte an, dass die Wirtschaftsmaßnahmen des New Deal völlig wirkungslos waren. 1940, als die USA in Erwartung ihres eigenen Kriegseintritts mit umfangreicher Aufrüstung begannen, kommentierte er:38

Die wohlstandschaffenden Kapazitäten, die jetzt in den Vereinigten Staaten verderben, sind so weit außerhalb unseres Ermessens, dass es nutzlos ist zu wagen, eine Zahl dafür zu nennen. Die Schlussfolgerung ist, dass in der ganzen jüngsten Zeit die Investitionsausgaben auf einem Niveau lagen, das für das Problem hoffnungslos unzureichend ist… Selbst wenn eine vollständige Harmonie zwischen der [Roosevelt-] Administration und privaten Unternehmen zeitweise eine befriedigende wirtschaftliche Erholung erreicht hätte, dann hätte sie, mit den heute bestehenden Institutionen und der Verteilung der Kaufkraft, nicht länger als ein paar Monate angehalten…

Es scheint, dass es für eine kapitalistische Demokratie politisch unmöglich ist, Ausgaben auf dem Niveau zu organisieren, wie es für das großartige Experiment, welches meine Position bestätigen würde, notwendig ist – außer unter Kriegsbedingungen. [unsere Hervorhebung]

Keynes gab also zu, dass eine kapitalistische Demokratie ihre volle Produktionskapazität nur zur Herstellung von Waffen für den Massenmord an anderen Völkern in Gang setzen kann. Erst als die USA in den Zweiten Weltkrieg eintraten, übernahm Roosevelt Keynes’ Programm der schuldenfinanzierten öffentlichen Arbeiten, wobei die öffentlichen Arbeiten Kriegsschiffe, Bomber, Panzer und schließlich Atombomben waren. Während der ersten acht Jahre der Roosevelt-Administration summierte sich das Haushaltsdefizit des Bundes auf 20 Milliarden Dollar. Um den Krieg zu führen, lieh sich Washinton innerhalb von vier Jahren das Achtfache dieses Betrags.

Wie oben erwähnt, neigen die Löhne unter Bedingungen von Vollbeschäftigung dazu, auf Kosten der Profite zu steigen. Während eines größeren imperialistischen Krieges sind jedoch die Gesetze, die den Arbeitsmarkt normalerweise regeln, außer Kraft gesetzt – da die kapitalistische Regierung Streiks verbietet; Lohn- und Preisniveaus festlegt, um eine großzügige Gewinnspanne sicherzustellen; und Linke und Gewerkschaftsaktivisten inhaftiert, die als Bedrohung für die Kriegsbemühungen angesehen werden. Mit der sogenannten Little Steel Formula39 fror Roosevelts War Labor Board die Löhne auf dem immer noch von den Bedingungen der Wirtschaftskrise beeinflussten Vorkriegsniveau ein. Überstundenzuschläge wurden gestrichen und die Arbeiter wurden einer heftigen Arbeitszeitverdichtung unterworfen. Das Ergebnis war eine enorme Verschärfung der Ausbeutungsrate, wobei die Profite der produzierenden Unternehmen sich zwischen 1940 und 1943 verdreifachten.

Wie schon der frühere interimperialistische Konflikt, hob der Zweite Weltkrieg den grundsätzlichen Unterschied zwischen dem reformistischen und dem revolutionären Flügel der Arbeiterbewegung hervor und erbrachte den schlagenden Beweis für den Verrat der New-Deal-Koalition. Während die stalinistische KP den Kriegseintritt der USA während der zweijährigen Dauer des Hitler-Stalin-Pakts kurzzeitig abgelehnt hatte, vollzog sie nach der Nazi-Invasion in die Sowjetunion im Juni 1941 eine Kehrtwende, wobei sie die Verteidigung des degenerierten Arbeiterstaats Sowjetunion fälschlich mit Unterstützung von Russlands imperialistischen Alliierten gleichsetzte. Nachdem sie schon zuvor erklärt hatte: Kommunismus ist der Amerikanismus des zwanzigsten Jahrhunderts, stand die KP an vorderster Front, den Streikverzicht der CIO-Bürokratie durchzusetzen und die Arbeiter als Kanonenfutter für die imperialistische Kriegsmaschinerie zu mobilisieren, während sie danach schrie, die kapitalistische Regierung solle die Linken, die den imperialistischen Krieg ablehnten (von der KP als Fünfte Kolonne bezeichnet), ins Gefängnis werfen.

An vorderster Stelle waren dabei die Trotzkisten, die an der leninistischen Position des revolutionären Defätismus gegenüber allen imperialistischen Mächten festhielten, während sie zur bedingungslosen militärischen Verteidigung der Sowjetunion aufriefen. James P. Cannon, Führer der damals revolutionären Socialist Workers Party (SWP), und 17 weitere Führer der SWP und der Teamster-Gewerkschaft in Minneapolis wurden von Roosevelt ins Gefängnis gebracht. Sie waren die ersten Opfer des antikommunistischen Smith-Act, der später während der Nachkriegs-Hexenjagd gegen die Stalinisten selbst benutzt wurde. In dem Artikel The Workers and the Second World War40 (Oktober 1942) schrieb Cannon:

Der Krieg wurde genau an dem Tag erklärt, als wir verurteilt wurden – 8. Dezember 1941. Das war in der Tat ein symbolträchtiger Zufall. Nichts könnte unsere unversöhnliche Opposition zu dem imperialistischen Krieg, und zu dem den Krieg vorbereitenden kapitalistischen Staat besser symbolisieren; und nichts könnte auch die Anerkennung unserer Haltung durch unsere Feinde besser symbolisieren als diese unauslöschliche Tatsache: dass sie am selben Tag den Krieg erklärten und die Parteiführer zu Gefängnis verurteilten.

Während des ganzen Krieges kämpfte die SWP gegen den Streikverzicht und stellte sich jedem Versuch der Stalinisten und Liberalen entgegen, Kämpfe für die Gleichheit der Schwarzen im Interesse der Kriegsanstrengung zu unterdrücken. Damit folgten die Trotzkisten der gleichen Strategie des Klassenkampfs, die, wie Cannon es ausdrückte, sie anleitete, als sie 1934 die Streiks der Teamster in Minneapolis zum Sieg führten. Dieser Strategie der proletarischen Klassenunabhängigkeit völlig entgegengesetzt war die erbärmliche Klassenzusammenarbeit der Stalinisten. 1939, am Vorabend des Krieges, krähte KP-Chef Earl Browder: Wir Kommunisten halfen, überall die fortschrittliche und demokratische Einheitsfront aufzubauen, und arbeiteten mit Republikanern ebenso wie mit Demokraten und anderen Parteien und Arbeitergruppierungen zusammen… Wir lernen, wie wir unseren Platz innerhalb des traditionellen US-amerikanischen Zwei-Parteien-Systems einnehmen.41 Während des Kriegs nahm die KP ihren Platz als Verteidiger des US-Imperialismus an vorderster Front ein.

Insbesondere seitdem es klar wurde, dass die USA und ihre Alliierten den Krieg gewinnen würden, riefen die während des Krieges eingestrichenen aufgeblähten Profite brodelnde Wut in den Betrieben hervor. In den letzten Jahren des Krieges gab es Tausende kleiner Streiks, die nicht nur der Roosevelt-Truman-Regierung, sondern auch den Bürokratien der AFL und der CIO trotzten. Und 1946 gingen während der größten Streikwelle der US-Geschichte deutlich mehr als hundert Millionen Arbeitstage durch Streiks verloren, als viereinhalb Millionen Arbeiter auf den Streikpostenketten standen. Zu dem nie gesehenen Aufruhr der Arbeiter trug die weitverbreitete Angst bei, dass mit dem Ende der Kriegsproduktion, wie schon 1920/21, eine einschneidende Wirtschaftskrise eintreten würde.

Zusätzlich zu diesen wirtschaftlichen Bedenken wirkte ein anderer Faktor auf die Klassenkämpfe von 1945/46 ein. Der Sieg der Roten Armee über Nazideutschland rief selbst unter relativ rückständigen US-amerikanischen Arbeitern Sympathie für Sowjetrussland hervor. Und linkere Arbeiter verstanden, dass für den sowjetischen Sieg über den mächtigsten kapitalistischen Staat in Europa die geplante, vergesellschaftete Wirtschaft der UdSSR entscheidend war. Mit alledem konfrontiert, versprach der liberale Flügel der US-amerikanischen herrschenden Klasse der arbeitenden Bevölkerung eine strahlende neue wirtschaftliche Zukunft, und hielt sogar in einem Gesetz, dem Employment Act von 1946, das Versprechen fest, maximale Beschäftigung, Produktion und Kaufkraft zu fördern. Dieses Versprechen war schnell vergessen. Zur gleichen Zeit startete die Bourgeoisie eine üble Säuberung von neuerdings radikalen KPlern und anderen Aktivisten aus den Gewerkschaften. Diese Säuberungskampagne schlug der Arbeiterbewegung den Kopf ab und wurde in andere Gesellschaftsschichten ausgeweitet.

Das Bündnis des New Deal: Von Stalinisten bis zu Klan-Mitgliedern

Mitte der 1950er schrieb der bekannte liberale Historiker Richard Hofstadter eine anerkannte Studie, The Age of Reform: From Bryan to FDR, die zu einem Standardtext in College-Kursen über moderne US-Geschichte wurde. Das ist Hofstadters leuchtende Charakterisierung des New Deal:

Die Forderungen einer großen und mächtigen Arbeiterbewegung, verbunden mit den Interessen der Arbeitslosen, gaben dem späteren New Deal einen sozialdemokratischen Einschlag, den es vorher bei US-amerikanischen Reformbewegungen nie gegeben hatte… Der US-amerikanische politische Reformismus war von da an dazu bestimmt, in großem Ausmaß Verantwortung für Sozialversicherung, für Arbeitslosengeld, Löhne und Arbeitsstunden und für Wohnungen zu übernehmen.

Die Unterdrückung der Schwarzen kommt in Hofstadters Darstellung des New Deal nicht ein einziges Mal vor. Wir sehen hier ein Musterbeispiel davon, wie durch Auslassung eine liberale Verfälschung der US-amerikanischen Geschichte stattfindet. Roosevelt und sein Nachfolger Harry Truman unterstützten und wurden unterstützt von den rassistischen Polizeistaaten im Süden, die den Schwarzen jedes demokratische Recht vorenthielten. Roosevelts Vizepräsident war von 1933 bis 1940 John Nance Garner, ein kompromissloser Verfechter der Überlegenheit der Weißen, aus dem Open-Shop42-Bundesstaat Texas, wo es fast keine Gewerkschaftsbewegung gab. Das New-Deal-Bündnis umfasste buchstäblich sowohl schwarze Gewerkschaftsorganisatoren der Kommunistischen Partei im Mittleren Westen als auch Südstaaten-Sheriffs, die Mitglieder der lokalen Ortsgruppe des [Ku Klux] Klan waren!

Der Preis, den Schwarze, ebenso wie weiße Arbeiter, für dieses klassenversöhnlerische Bündnis der Arbeiterbürokratie, Sozialdemokraten und Stalinisten mit den Nordstaaten-Liberalen und den Dixiecrats bezahlten, war die Fortführung von rassistischem Terror im Süden und das Ausbleiben einer gewerkschaftlichen Organisierung dieser wichtigen Region. 1946 kündigte die CIO ein pompöses, groteskerweise Operation Dixie genanntes Projekt an, 400 Gewerkschaftsorganisatoren in den Süden zu schicken. Doch jeder Versuch, der Rassenunterdrückung entgegenzutreten, die schwarze und weiße Arbeiter im Herzen des tiefen Südens trennte, hätte einen üblen Gegenschlag vonseiten der Dixiecrats in den Parlamenten der Bundesstaaten und den Verwaltungssitzen der Counties sowie ihren faschistischen Anhängseln vom Ku Klux Klan hervorgerufen, was zur Auflösung des New-Deal-Bündnisses geführt hätte. Angesichts der rasanten Verschärfung des antisowjetischen Kalten Kriegs und des Schreckgespensts von schwarzen Arbeitern, die sich mit kommunistischen Organisatoren vereinen, ließen die CIO-Führer die Operation Dixie nach nur zwei Jahren den Bach runter gehen.

Im Verlauf des nächsten Jahrzehnts wurde durch die umfangreiche Abwanderung von Schwarzen aus dem ländlichen Süden in die Städte des Nordens und auch des Südens die soziale Basis des New-Deal-Bündnisses untergraben und so das Jim-Crow-System der gesetzlich erzwungenen Rassentrennung, das auf der Einschüchterung vereinzelter und verarmter schwarzer Farmpächter beruhte, aufgeweicht. Die Massenkämpfe für die Gleichheit der Schwarzen während der Bürgerrechtsbewegung – erst im Süden, dann im Norden – sprengten die Koalition der Demokratischen Partei. Seit Ende der 60er gewann die Republikanische Partei, auch im früher fest von Dixiecrats kontrollierten Süden, die Oberhand als Partei des weißen Gegenschlags.

Der Verlauf der jüngeren US-amerikanischen Geschichte zeigt, dass es keine bedeutenden und dauerhaften Errungenschaften für die Arbeiterklasse geben kann, solange nicht die Arbeiterbewegung beim Kampf gegen die Unterdrückung der Schwarzen und anderer Minderheiten an vorderster Stelle steht. Und der Kampf für die Gleichheit der Schwarzen kann keine Wirkung entfalten, solange er nicht mit dem Kampf der Arbeiter gegen das Kapital, letztlich dem Kampf für eine Arbeiterregierung und eine geplante, sozialistische Wirtschaft, verbunden ist.

Liberale Gewerkschaftsbekämpfung im amerikanischen Jahrhundert

In den 1960ern war es normal, dass ein Arbeiter mittleren Alters an den amerikanischen Traum glaubte. Seine wirtschaftlichen Umstände waren viel besser und die Aussichten für seine Kinder waren sehr viel besser als für ihn, als er während der Weltwirtschaftskrise der 1930er aufwuchs. Er fuhr ein Auto neuester Bauart und lebte in einem Vorstadthaus mit einer erschwinglichen, staatlich subventionierten Hypothek. Seine Kinder gingen auf eine Universität des Bundesstaats oder ein College in der Stadt mit niedrigen Studiengebühren und leicht verfügbaren, staatlich garantierten Studentenkrediten. Er war wahrscheinlich ein Veteran des für die Demokratie geführten Zweiten Weltkriegs, in dem die USA gewonnen hatten, und hatte vielleicht selbst die Ausbildungsförderung der GI Bill [Gesetz zur Wiedereingliederung] für zurückgekehrte Soldaten genossen.

Heute sieht das Bild sehr anders und viel blasser aus. Reallöhne von Produktionsarbeitern erreichten ihren Höhepunkt Anfang der 1970er und sind seitdem um 20 Prozent gefallen. Männliche Highschool-Absolventen, die gerade erst auf den Arbeitsmarkt treten, bekommen fast 30 Prozent weniger, und weibliche Absolventen fast 20 Prozent weniger als die vorige Generation. In einer detaillierten statistischen Untersuchung (The State of Working America 1996–97) des Economic Policy Institute – einer links-liberalen, teilweise von den Gewerkschaften finanzierten Denkfabrik – wird zusammengefasst:

US-amerikanische Familien werden von einem langfristigen Verfall der Löhne, schlechter werdender Arbeitsqualität und größerer wirtschaftlicher Unsicherheit geplagt…

Unsere Betrachtung der Indikatoren weist darauf hin, dass die Veränderungen in der Wirtschaft nur Entbehrungen ohne Verbesserungen bedeuteten; dass die Faktoren, die das Leid größerer Verwerfungen, wirtschaftlicher Unsicherheit und sinkender Löhne bewirken, nicht zu einer besseren Wirtschaft führen oder einen Gewinn erzeugen, der möglicherweise an die Verlierer umverteilt werden könnte. Stattdessen scheint es eine beträchtliche Umverteilung von Macht, Reichtum und Einkommen zu geben, die nicht zu verbesserter wirtschaftlicher Effizienz, Kapitalakkumulation oder Wettbewerbsfähigkeit geführt hat oder damit verbunden ist.

Die Autoren dieser Studie spiegeln die Ansichten der AFL-CIO-Bürokratie wieder und machen für diese Verschlechterung allgemeine deregulierende, Laissez-faire-Verschiebungen in der Wirtschaft und Kräfte, die die Verhandlungsmacht der Arbeiter geschwächt haben verantwortlich. Viele der entscheidenden Faktoren hinter der gegenwärtigen Verelendung der Arbeiterklasse und dem Ausweiden der Arbeiterbewegung existierten jedoch sogar während des Jahrzehnts nach dem Zweiten Weltkrieg, also genau der Periode, als der amerikanische Traum am realistischsten aussah.

Die antikommunistische Hexenjagd Ende der 1940er und Anfang der 50er vertrieb Rote und andere Aktivisten aus den Gewerkschaften und verfestigte eine Arbeiterbürokratie, die unverhohlen prokapitalistisch war und sich mit den Zielen des US-Imperialismus auf internationaler Ebene identifizierte. Die Führungen von AFL und CIO fügten sich dem Taft-Hartley-Gesetz und anderen gewerkschaftsfeindlichen Gesetzen, die die Arbeiterbewegung insbesondere bei Organisierungskampagnen lähmten. Die kämpferischen Taktiken, mit denen die Industriegewerkschaften der CIO in den 1930ern aufgebaut worden waren – Betriebsbesetzungen (Sitzstreiks), Massen-Streikposten, mittelbare Streiks – konnten jetzt nur noch angewandt werden, indem die strengen Anti-Arbeiter-Gesetze des Landes missachtet und die engen Verbindungen der Gewerkschaftsspitzen zur Demokratischen Partei in Frage gestellt wurden.

Zu einem der schwersten Opfer der Gefolgstreue der Bürokratie gegenüber dem New-Deal-Bündnis, das die Gewerkschaften an Liberale im Norden und die Dixiecrats im Süden kettete, gehörte eine Kampagne zur Organisierung von Arbeitern in den Südstaaten Ende der 1940er. Groteskerweise Operation Dixie genannt, wurde sie nach zwei Jahren aufgegeben, während derer die antikommunistischen CIO-Spitzen mehr dafür taten, die wenigen bereits existierenden rassenübergreifenden Gewerkschaftsorganisationen durch das Vertreiben von linken Aktivisten zu zerstören, als irgendetwas neues aufzubauen. Der Preis dieser Niederlage ist bis auf den heutigen Tag von der Arbeiterbewegung zu spüren, da viele Produzenten in den 1970ern anfingen, ihre Betriebe vom industriellen Mittleren Westen zu verlagern, um sich gewerkschaftlich nicht organisierte Niedriglohn-Arbeit im Süden zunutze zu machen.

Schwarze waren vom Wohlstand der ersten beiden Nachkriegsjahrzehnte im Allgemeinen ausgeschlossen. Ein großer Anteil lebte immer noch in den rassistischen Polizeistaaten im Süden. Aber auch im Norden waren schwarze Arbeiter sprichwörtlich die letzten, die eingestellt und die ersten, die rausgeworfen werden. Mitte der 1960er betrug das Durchschnittseinkommen einer schwarzen Familie 60 Prozent desjenigen einer weißen Familie. Selbst ein gewerkschaftlich organisierter schwarzer Industriearbeiter im Mittleren Westen oder Nordosten lebte eher in einem innerstädtischen Ghetto als in einem von Bäumen gesäumten Vorort. Und er hatte viel eher einen Sohn im Gefängnis oder eine Tochter auf Sozialhilfe als auf einem College-Campus.

Die Bürgerrechtsbewegung, die Massenkämpfe um demokratische Rechte und soziale Gleichheit für Schwarze, erreichten ihren Höhepunkt zu einer Zeit, als der US-amerikanische Kapitalismus sich keine wesentlichen Verbesserungen in den wirtschaftlichen Umständen seiner Arbeiterklasse mehr leisten konnte. Die industriellen Wirtschaften Deutschlands und Japans hatten sich von der Verwüstung des Zweiten Weltkriegs erholt und drangen tief in die Weltmärkte, einschließlich des US-amerikanischen Marktes, ein. Die Wettbewerbsposition und Gesamtstärke der US-Wirtschaft wurden durch den langen, niederlagenträchtigen Kolonialkrieg in Vietnam weiter untergraben. Ende der 1960er stagnierten die Löhne bereits und gute Arbeitsplätze wurden, insbesondere für jüngere Arbeiter, selten. Der amerikanische Traum – zu dem Schwarze nie dazugehören sollten – begann sich sogar für weiße Arbeiter zu verflüchtigen.

Angesichts dieser sich verändernden Umstände griffen rassistische Demagogen wie der ehemalige Gouverneur von Alabama, George Rassentrennung für immer Wallace, die Unsicherheiten weißer Arbeiter auf und machten Sozialhilfeprogramme, die angeblich nur den schwarzen Armen zugute kamen, für die wachsenden wirtschaftlichen Probleme des Landes verantwortlich. Die prokapitalistische AFL-CIO-Bürokratie machte mit rechten Politikern wie Wallace und Richard Nixon gemeinsame Sache, schwarzen Radikalismus anzugreifen, indem sie beispielsweise die blutige Unterdrückung der Black Panther Party durch das FBI und örtliche Polizeikräfte unterstützten. Gleichzeitig taten die radikalen schwarzen Nationalisten und die meisten weißen linken Studenten die Masse der weißen Arbeiter als vom US-Imperialismus gekauft und unverbesserlich rassistisch ab.

Unter dem Strich wurde jeder militante Kampf für Schwarzenrechte zerschmettert und die Gewerkschaftsbewegung geschwächt – die politischen Bedingungen für die letzten zwei Jahrzehnte von Gewerkschaftsbekämpfung, Verzichtsabschlüssen, zweistufigen Lohnsystemen, Massenobdachlosigkeit und dem Zusammenstreichen fast jedes Sozialprogramms für die Armen. Ohne die Kampfeinheit der Gewerkschaften und der schwarzen und lateinamerikanischen Armen kann und wird es keinen wirksamen Widerstand gegen die Verelendung der US-amerikanischen arbeitenden Menschen geben. Dafür braucht es eine revolutionäre Arbeiterpartei, die in Gegnerschaft zu den kapitalistischen Demokraten geschmiedet wird und dem Kampf für eine Arbeiterregierung verpflichtet ist, die als einzige Rassengleichheit schaffen kann, indem sie durch eine geplante, vergesellschaftete Wirtschaft ein angenehmes Leben für alle ermöglicht.

Die Arbeiterbewegung und der Kalte Krieg

Das Vorspiel zu der Nachkriegs-Offensive auf die Gewerkschaften war das Abkommen, das Roosevelts Weißes Haus und die Führungen von AFL und CIO zu Beginn des Zweiten Weltkriegs ausgehandelt hatten. Die Bundesregierung akzeptierte die gewerkschaftliche Organisierung der florierenden Kriegsindustrie; die Führer der Arbeiterbewegung wiederum – ganz vorne die Unterstützer der stalinistischen Kommunistischen Partei (KP) – schworen, ein Streikverbot durchzusetzen und sich staatlichen Lohnregelungen zu unterwerfen.

Als der Krieg 1945 endete, war ein ganzes Drittel der nicht-landwirtschaftlichen Arbeitskräfte des Landes gewerkschaftlich organisiert. Gleichzeitig löste sich der Pakt der Arbeiterbürokratie mit der Demokraten-Regierung. Als die größte Streikwelle der US-Geschichte das Land überzog, reagierte die herrschende Klasse mit Zuckerbrot und Peitsche. Das Zuckerbrot war eine deutliche Verbesserung der materiellen Bedingungen der Arbeiterklasse; diese wurde ermöglicht durch die internationale Vorherrschaft des US-amerikanischen Kapitalismus nach der Verwüstung seiner imperialistischen Hauptrivalen Deutschland und Japan. Die Peitsche war politische Unterdrückung und die juristische Knebelung der Gewerkschaftsmacht.

Der Taft-Hartley-Act von 1947 schloss jeden erklärten Kommunisten davon aus, einen Gewerkschaftsposten zu übernehmen, und verbot eine Reihe kämpferischer Streiktaktiken, wie etwa die mittelbaren Streiks, die für Organisierungsanstrengungen entscheidend waren. Obwohl die AFL- und CIO-Spitzen Taft-Hartley ritualartig als Sklavenarbeits-Gesetz verdammten, hielten sie sich trotzdem daran. 1949 schloss die CIO-Bürokratie elf kommunistische Gewerkschaften, fast 20 Prozent ihrer Mitgliedschaft, aus. Von Kommunisten geführte Gewerkschaften wie die United Electrical Workers (UE) wurden Razzien unter ihrer Mitgliedschaft ausgesetzt und zu einem nebensächlichen Dasein herabgedrückt, während eine Reihe mit der KP verbundener Funktionäre in anderen Gewerkschaften, wie Mike Quill von der Transport Workers Union und Joe Curran von der National Maritime Union, fanatische Antikommunisten wurden, um ihre Posten zu sichern. Personifiziert durch Joseph McCarthy, den republikanischen Senator von Wisconsin, wurde die antikommunistische Hexenjagd ausgeweitet, um alle Schichten der US-amerikanischen Gesellschaft, insbesondere die Universitäten und die Filmindustrie in Hollywood, zu treffen.

Staatliche Repression oder, besonders seit dem Ausbruch des US-geführten imperialistischen Kriegs in Korea 1950–53, die Übernahme der für den Kalten Krieg typischen Feindseligkeit gegenüber der Sowjetunion seitens der Masse der US-amerikanischen Arbeiter (wofür auch die weitverbreitete Abneigung gegenüber Stalins blutigem Despotismus ausgenutzt wurde) reichen nicht aus, um die rasante Zerstörung der Industriebasis der KP zu erklären. Das unerschütterliche Eintreten der US-amerikanischen Stalinisten für staatlichen Streikbruch während des Zweiten Weltkriegs hatte sie bei einer bedeutenden Schicht kämpferischer Gewerkschafter diskreditiert. Die Säuberungskampagne gegen die Roten breitete sich gegen alle Linken, einschließlich der Trotzkisten, aus, von denen viele eine führende Rolle bei den wilden Streiks der Kriegszeit und bei früheren militanten Arbeiterkämpfen gespielt hatten – wie den Kampagnen, die die Teamster zu einer mächtigen Industriegewerkschaft machten, die alle Fernverkehrs-Trucker vertrat.

Die Säuberung der Roten stärkte den Griff des kapitalistischen Staates, obwohl das sicher nicht die Absicht derjenigen Arbeiter war, die sich in sie hineinziehen ließen. Kurzsichtig sahen diese Arbeiter nur ihre Löhne, Sozialleistungen und allgemeinen Lebensumstände sich verbessern, während die Gewerkschaften stärker als je zuvor erschienen. Der Hintergrund dieser Sichtweise war die Tatsache, dass die USA aus dem Krieg mit der bei weitem größten und technologisch fortgeschrittensten industriellen Produktionskapazität der Welt hervorgegangen waren. In einer kürzlich erschienenen Geschichte von Amerikas herausragender Finanzdynastie werden die 1950er beschrieben als Höhepunkt industrieller Macht, bevor die europäischen Wirtschaften sich erholten oder der [West-]Rand des Pazifiks drohte, als die Vereinigten Staaten bei Automobilen, Stahl, Öl, Aluminium und anderer Schwerindustrie dominierten.43 Die Männer, die die Wall Street und die Fortune-500-Konzerne führten, konnten sich also zu Bedingungen, die für ihre Vorgänger ebenso wie für ihre Nachfolger unvorstellbar waren, Klassenfrieden kaufen.

Das Muster der Beziehungen zwischen Arbeit und Kapital in der Anfangszeit des Kalten Kriegs wird veranschaulicht durch die Abmachung zwischen der Gewerkschaft United Auto Workers (UAW) und General Motors von 1950, die jährliche Produktivitäts-Erhöhungen der Löhne um 3 Prozent und eine Anpassung an die Lebenshaltungskosten als Inflationsausgleich bot. Wie der linke Historiker der Arbeiterbewegung, Mike Davis, in Prisoners of the American Dream44 (1986) kommentierte: In Verbindung mit dem System des Dienstalters und der betriebsinternen Beförderung wurde das Lohnsystem, das für den Kern, und nur für den Kern, der Wirtschaft eingerichtet wurde, relativ unempfindlich für die periodischen Entlassungen und das Auf und Ab der Reservearmee der Arbeiter. Mit der massiven Auswanderung von Schwarzen aus dem Süden in die Städte des Nordens während und nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Spaltung zwischen älteren gewerkschaftlich organisierten Arbeitern in den großen Produktionsbetrieben und der Reservearmee der Arbeitslosen ein zunehmend rassisch geprägtes Erscheinungsbild an.

Ende der 1940er begann die soziale und rassische Geografie der Vereinigten Staaten einen bedeutenden Umbruch durchzumachen. Ein entscheidender Faktor war die wesentliche Zunahme von Wohneigentum unter bessergestellten Arbeiterfamilien, die durch staatliche Maßnahmen gezielt gefördert wurde. Behörden wie die Federal Housing Administration und die Veterans Administration versicherten oder garantierten Eigenheim-Hypotheken gegen Zahlungsausfall oder Zwangsversteigerung, während Zinszahlungen auf Wohnhypotheken, anders als Mieten, zu steuerlich absetzbaren Ausgaben erklärt wurden. Der Anteil weißer Familien, die Eigenheime besaßen, erhöhte sich von 1940 bis 1970 um die Hälfte. Als die Weißen raus in die Vororte zogen, wurden die Innenstädte zunehmend schwarz und in manchen Fällen lateinamerikanisch.

Diese Entwicklung sollte große Auswirkungen auf den zukünftigen Verlauf der US-amerikanischen Politik haben. Rassistische Opposition gegen Integration am Wohnort wurde durch Panikmache über sinkende Immobilienwerte verstärkt. Die Bürgerrechtsbewegung wurde geschlagen, als sie Mitte der 1960er nach Norden zog und nicht nur die vom Jim-Crow-System des Südens aufgezwungenen formal-juristischen Beschränkungen der Rechte von Schwarzen überwinden wollte, sondern auch die tiefverwurzelte soziale Abtrennung der schwarzen Massen. Ein Mob rassistischer Fanatiker hielt Martin Luther King Jr. 1967 in Cicero, einem blütenweißen Vorort von Chicago, davon ab, gegen Rassentrennung zu demonstrieren. Ein Jahrzehnt später half die Steuerrevolte – eine reaktionäre Bewegung, die sich auf weiße Eigenheimbesitzer in den Vorstädten stützte – dabei, ein paar Jahre später den rechten Republikaner Ronald Reagan ins Weiße Haus zu katapultieren. Der politische Aufstieg der Rechten in den vergangenen zwei Jahrzehnten wurde durch den Bankrott des Liberalismus angesichts des Verfalls des US-amerikanischen Kapitalismus geprägt.

Kennedy, Galbraith und gewerkschaftsfeindlicher Liberalismus

In der frühen Nachkriegszeit lieferten AFL und CIO die organisierte Massenbasis für den liberalen Nordstaaten-Flügel der Demokratischen Partei, und sie waren entscheidend bei Harry Trumans überraschendem Sieg über den Republikaner Thomas Dewey 1948. Das hielt Truman natürlich genauso wenig wie Roosevelt vor ihm davon ab, Nationalgarde und Armee zu holen, um im nationalen Interesse Streiks zu brechen. Dennoch posierten liberale Politiker Ende der 1940er und Anfang der 50er für gewöhnlich als Freunde der Arbeiter und äußerten Kritik an Taft-Hartley.

Ende der 1950er entstand im liberalen Nordstaaten-Flügel der Demokratischen Partei jedoch eine wichtige Strömung, die der Ansicht war, die Gewerkschaften seien zu mächtig geworden und würden diese Macht auf eine Weise gebrauchen, die für die Mehrheit der US-Amerikaner schädlich war. Diese Strömung wurde auf politischer Ebene durch John F. Kennedy vertreten und auf ideologischer Ebene durch John Kenneth Galbraith, der später ein wichtiger Wirtschaftsberater für Kennedys Weißes Haus werden sollte.

Als Senator von Massachusetts erlangte Kennedy gemeinsam mit seinem Bruder Robert erste landesweite Bekanntheit als Anführer einer neuen staatlichen Offensive gegen die organisierte Arbeiterbewegung. Unmittelbares Ziel war die Teamster-Gewerkschaft und ihr schillernder Präsident, Jimmy Hoffa. Diese Gewerkschaft wurde ins Fadenkreuz genommen, weil sie sowohl wirtschaftlich machtvoll als auch politisch angreifbar war. Außerhalb des AFL-CIO-Zusammenschlusses und diesem feindselig gegenüber stehend, wurden Hoffas Teamster mit ihren gut bekannten Verbindungen zur Mafia landläufig als die bösen Jungs der Arbeiterbewegung angesehen. Gleichzeitig waren die Teamster, denen der Schwenk der Transportwirtschaft von der Schiene zu Fernverkehrs-LKW zugute kam, zur größten und am schnellsten wachsenden Gewerkschaft des Landes geworden. Außerdem drängte Hoffa auf einen einzigen General-Tarifvertrag für alle Fernverkehrs-Fahrer in den USA. In seinem Machwerk gegen die Teamster von 1960, Gangster drängen zur Macht,45 wetterte Robert F. Kennedy:46

Die [Teamster-Gewerkschaft] ist die machtvollste Organisation der USA – außer der Bundesregierung selbst…

So kann man im wahrsten Sinne des Wortes sagen, daß unser aller Leben sich in den Händen von Hoffa und seinen Lastwagenfahrern befindet.

Aber obwohl die große Mehrheit der Funktionäre und der Mitglieder anständige Leute sind, ist die [Teamster-Gewerkschaft] unter Hoffa in vieler Hinsicht nicht mehr als sauber zu betrachten. Wie Hoffa die Gewerkschaft führt, ist sie eine verbrecherische Organisation.

Die Speerspitze der Angriffe auf die Teamster waren die Anhörungen eines Senats-Komitees unter Vorsitz des Demokraten John McClellan 1957. John Kennedy fungierte als McClellans rechte Hand, und sein Bruder als Chefberater des Komitees. Die AFL-CIO-Spitzen versuchten sich von den Teamstern zu distanzieren – der liberale UAW-Boss Walter Reuther sagte sogar als Zeuge der Anklage aus. Die Senats-Anhörungen hatten dennoch die beabsichtigte Wirkung, die organisierte Arbeiterbewegung als Ganze in Verruf zu bringen. Meinungsumfragen zeigten, dass der allgemeine Zuspruch der Gewerkschaften von 75 Prozent vor den Anhörungen auf 68 Prozent danach fiel und während der ganzen 60er auf diesem Niveau blieb. Die öffentliche Verleumdung der Teamster trug entscheidend zur Verabschiedung des Landrum-Griffith-Gesetzes von 1959 bei, dass der Bundesregierung enorm erweiterte Einflussmöglichkeiten in internen Gewerkschaftsangelegenheiten gab, während es das Taft-Hartley-Verbot mittelbarer Streiks und von hot-cargoing (die Weigerung, Streikbrecher-Waren zu bearbeiten) stärkte.

Während sie die Arbeiterbewegung angriffen, indem sie die Teamster kriminalisierten, strebten die Kennedys weiterhin nach Wahlunterstützung durch die Mainstream-Gewerkschaften der AFL-CIO. Galbraith wiederum hatte als Akademiker freie Hand, auf einer allgemeineren Ebene eine theoretische Breitseite gegen die organisierte Arbeiterbewegung abzufeuern. Während die bei den Republikanern beheimateten rechten Feinde der Gewerkschaftsmacht eine Rückkehr zur arbeiterfeindlichen Umgebung des freien Marktes der 1920er forderten, befürwortete Galbraith das, was in Europa und Lateinamerika als korporatistischer Staat bezeichnet wird: eine starke Regierung, die ein hohes Maß an direkter Kontrolle über die Wirtschaft ausübt.

In seinen einflussreichen Büchern der 1950er – Der amerikanische Kapitalismus im Gleichgewicht der Wirtschaftskräfte47 und Gesellschaft im Überfluss48 – breitete Galbraith das Bild aus, dass die großen Unternehmen und die große Arbeiterbewegung ihre Monopolposition zulasten des Rests der US-amerikanischen Gesellschaft ausnutzten. Unter den Wachstumsbedingungen der Nachkriegszeit, argumentierte er, konnten starke Industriegewerkschaften wie die UAW immer höhere Löhne und Sozialleistungen fordern und abzweigen. U.S. Steel, General Motors und Konsorten gaben dann diese höheren Kosten, nachdem sie ein bißchen zur Erhöhung ihrer Gewinnspannen draufgeschlagen hatten, in Form von höheren Preisen an die Konsumenten weiter:49

Lohn-Preis-Profitspirale [entsteht] in jenem Sektor der Wirtschaft, in dem Unternehmen mit einer starken (oligopolistischen) Marktposition starke Gewerkschaften gegenüberstehen. Diese Preisbewegungen erstrecken sich dann auf die gesamte Wirtschaft, beeinflussen jedoch die verschiedenen Schichten auf ganz unterschiedliche Art. Dort, wo die Unternehmen und die Gewerkschaften stark sind, wird niemand sehr, wenn überhaupt, unter der Inflation zu leiden haben…

Das andere Extrem bilden jene Personen, die zwar die Preissteigerungen zu spüren bekommen, deren Einkommen jedoch im großen und ganzen unverändert bleibt, weil es durch Gesetz oder Gewohnheit fixiert oder durch andere Personen auf ein Minimum hinabgedrückt wird. In dieser Lage befinden sich Lehrer, Pfarrer, Beamte, zum Teil auch die freien Berufe, die Angestellten und alle diejenigen, die für Dienste, die sie früher einmal der Gesellschaft geleistet haben, Pensionen oder ähnliche Zahlungen erhalten.

Mit anderen Worten sollte ein Oberschullehrer, wenn er sich das gewünschte neue Auto nicht leisten konnte, nicht nur dem Management von GM, sondern auch Walter Reuthers UAW die Schuld geben. Tatsächlich gab es nach Galbraith Ansicht kaum einen Unterschied zwischen den beiden. In Der amerikanische Kapitalismus schrieb er über die volle Tragweite des Zusammenschlusses zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaft, die zum Teil verdeckt [war] durch konventionelle Äußerungen gegenseitiger Animosität.50

Galbraith lehnte das traditionelle rechte Programm zur Inflationsbekämpfung – Bremsen der Wirtschaft durch straffe Geldpolitik, höhere Steuern und Kürzungen von Staatsausgaben – ab. Er argumentierte: zur Stabilisierung der Preise erforderliche Arbeitslosigkeit [dürfte] zwar insgesamt nicht sehr groß…, aber niemals gleichmäßig verteilt sein… Vor allem die Neger und die Hilfsarbeiter werden die ersten sein, die Stellen verlieren.51 Galbraiths Alternative war steuerpolitische Maßnahmen mit einer Preis- und Lohnkontrolle zu verbinden52. Diesem Rezept folgten Anfang der 1960er Kennedy und dessen Nachfolger Lyndon B. Johnson, der den großen Arbeitergewerkschaften Lohn-Richtlinien aufzwingen wollte. Dieses Vorgehen wurde letzlich 1966 durch einen Streik der Fluglinien-Maschinisten aufgebrochen.

Noch wichtiger ist, dass Galbraith als erster prominenter liberaler Intellektueller behauptete, dass die Interessen gewerkschaftlich organisierter Arbeiter im strategischen Kernbereich der Wirtschaft den Interessen der schwarzen Armen entgegengesetzt seien. Diese Position sollte während der 1960er von jungen Radikalen, die den damals modischen Lehren des Maoismus und des Guevarismus huldigten, in linkerer Form weiterentwickelt werden. Nach Ansicht der Neuen Linken waren weiße Arbeiter Juniorpartner des US-amerikanischen Imperialismus, die von der Ausbeutung und Erniedrigung der verelendeten Arbeitenden in Asien, Afrika und Lateinamerika sowie der schwarzen Armen in den heimischen Ghettos profitierten. Auf diese Weise half die radikale Linke ein politisches Vakuum zu erzeugen, dass es rassistischen Demagogen wie George Wallace erlaubte, weiße Arbeiter zu erreichen, die weder einen Überfluss noch wirtschaftliche Sicherheit verspürten.

Die Arbeiterbewegung und der Kampf für die Rechte der Schwarzen

Die 1960er waren die wichtigste längere Periode sozialer Massenkämpfe und linker Radikalisierung in den USA seit den 1930ern. Der soziale und politische Charakter – sowie das Ergebnis – der Kämpfe während dieser zwei Perioden war sehr unterschiedlich. In den 30ern drehten sich die Schlachten (außer im Süden) um den Aufbau von industriellen Massengewerkschaften, wodurch die rassisch-ethnischen Spaltungen, die die US-amerikanische Arbeiterklasse bis dahin gelähmt hatten, teilweise überwunden wurden. In vielen Fällen wurden diese Gewerkschaften von erklärten Kommunisten oder Sozialisten geführt. Im Gegensatz dazu gab es in den 1960ern eine sich vertiefende Rassen-Spaltung innerhalb der US-amerikanischen Arbeiterklasse, während die aus der Bürgerrechtsbewegung und der Bewegung gegen den Vietnamkrieg entstehenden Hauptströmungen von jungen Radikalen der organisierten Arbeiterbewegung gegenüber desinteressiert oder feindlich eingestellt waren. Die Hauptverantwortung für diese Entwicklung trug die rassistische, antikommunistische Gewerkschaftsbürokratie.

Die Spartacist League, die Anfang der 1960er entstand, kämpfte für ein anderes Ergebnis. In die Bürgerrechtsbewegung und die nachfolgenden Kämpfe der Schwarzen griffen wir um das Programm und die Perspektive des revolutionären Integrationismus herum ein, womit wir den Kampf für Rassengleichheit mit dem für proletarische Macht verbanden:53

Die überwältigende Mehrheit der Schwarzen – sowohl im Norden als auch im Süden – sind heute Arbeiter, die wie der Rest der US-amerikanischen Arbeiterklasse ihre Arbeitskraft, um die Notwendigkeiten des Lebens sicherzustellen, an diejenigen verkaufen müssen, die Arbeitskraft kaufen, um Profit zu machen. Die Käufer der Arbeitskraft, die Kapitalisten, sind eine kleine Minderheit, deren Herrschaft nur aufrechterhalten wird, indem die Mehrheit, die für sie arbeitet, gespalten und fehlgeleitet gehalten wird. Die grundlegende Spaltung, die absichtlich entlang rassischer Linien geschaffen wurde, hat die schwarzen Arbeiter, die ganz unten in den US-amerikanischen Kapitalismus kamen, immer noch ganz unten gehalten. Letzten Endes besteht ihr Weg zur Freiheit allein im Kampf gemeinsam mit dem Rest der Arbeiterklasse, um den Kapitalismus abzuschaffen und an seiner Stelle eine egalitäre, sozialistische Gesellschaft zu errichten…

Wegen ihrer Stellung als der sowohl unterdrückteste als auch bewussteste und erfahrenste Teil sind revolutionäre schwarze Arbeiter dazu auserkoren, in der kommenden US-amerikanischen Revolution eine herausragende Rolle zu spielen.

Die Bürgerrechtsbewegung des Südens, in der ganze schwarze Nachbarschaften gegen die örtlichen weiß-suprematistischen Regime mobilisierten, bot eine einzigartig günstige Gelegenheit, die Staaten der alten Konföderation [der Sklavenhalter] endlich gewerkschaftlich zu organisieren. Das hätte die Arbeiterbewegung sowohl auf wirtschaftlicher als auch auf politischer Ebene unermesslich gestärkt und hätte die harte Front der rassistischer Reaktion im Süden entlang von Klassenlinien aufbrechen können. Die AFL-CIO-Oberen taten jedoch immer noch nichts, um den Süden zu organisieren, denn das hätte ihr politisches Bündnis mit den Dixiecrats erschüttert, von dem die nationale Vorherrschaft der Demokratischen Partei abhing.

Beim Parteitag der Demokratischen Partei 1964 in Atlantic City forderte eine Gruppe überwiegend schwarzer Bürgerrechtsaktivisten, die sich Mississippi Freedom Democratic Party54 nannten, anstelle der offiziellen, weiß-suprematistischen Delegation von Mississippi deren Plätze einzunehmen. Hubert Humphrey, die führende liberale Figur der Partei und Liebling des AFL-CIO-Funktionärsapparats, lavierte erfolgreich herum, um die Dixiecrats gegen die schwarzen Herausforderer zu verteidigen. Diese und unzählige ähnliche Aktionen führten zu einer rasanten Entfremdung junger schwarzer Bürgerrechtskämpfer vom Liberalismus der Demokratischen Partei und ihrer Arbeiterleutnants.

Darüber hinaus hatte die AFL-CIO ihren eigenen Bereich mit Rassentrennung: das Baugewerbe, die Hochburg der Zunftgewerkschaften vor den 1930ern. Die Mitgliedschaft wurde vom Vater an den Sohn und vom Onkel an den Neffen vererbt. Liberale Bürokraten wie Victor Reuther kritisierten die unverhohlen rassistischen Praktiken der Baugewerkschaften sporadisch, taten aber nichts dagegen. In den 1960ern waren große Industriegewerkschaften wie die United Auto Workers (UAW) und die United Steel Workers schon zu einem großen Teil – sogar überproportional – schwarz. Doch in den Augen vieler Schwarzer, insbesondere derer außerhalb der Gewerkschaften, brachte das rein weiße Baugewerbe die Arbeiterbewegung insgesamt in Verruf.

Allein mit dem Blick auf Kämpfe innerhalb der Vereinigten Staaten kann die Politik der 1960er selbstverständlich nicht verstanden werden. Die Schwarzen, die dem Klan und den White Citizens Councils55 in Alabama und Mississippi trotzten und die in den Ghettos von Los Angeles und Detroit gegen die Bullen kämpften, identifizierten sich mit dem Aufstand der dunkelhäutigen Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas gegen den westlichen Imperialismus und wurden teilweise von ihm inspiriert. Die Kubanische Revolution, der algerische Unabhängigkeitskrieg und vor allem der blutige imperialistische Krieg in Vietnam hatten eine tiefgreifende Wirkung auf die US-amerikanische Politik, insbesondere auf das Bewusstsein junger Linker. Während Schwarze mit überwältigender Mehrheit den Krieg ablehnten, blieben die von George Meany angeführten antikommunistischen Fanatiker in der AFL-CIO-Bürokratie auch dann noch verbissene Verfechter des Vietnamkriegs, als ihn selbst der republikanische Präsident Richard Nixon Anfang der 1970er als aussichtslos aufgegeben hatte.

Die Spartacist League kämpfte für unabhängige Aktionen der Arbeiterklasse – einschließlich Arbeiterstreiks gegen den Krieg –, in Opposition zum Reformismus von Organisationen wie der ehemals trotzkistischen Socialist Workers Party, die eine Strategie verfolgte, Druck auf liberale bürgerliche Politiker auszuüben. Eine Welle wichtiger Streiks, darunter der landesweite Poststreik von 1970, Streiks der öffentlichen Angestellten und wilde Streiks der Teamster, zeigten die potentielle Macht der Arbeiter im Gegensatz zu den von den Liberalen bevorzugten kraftlosen Friedensspaziergängen. Um diese Macht gegen die Krieg zu wenden, wäre ein Bruch mit der Klassenzusammenarbeit nötig gewesen, in hartem Gegensatz zum liberalen, der Demokratischen Partei treuen Flügel der Arbeiterbürokratie.

Der Aufstieg des schwarzen Nationalismus

Alle diese Faktoren führten Mitte der 1960er eine bedeutende Strömung schwarzer Aktivisten dazu, unter der Losung schwarze Macht56 nach links von Martin Luther King Jr. und dem Liberalismus der Demokratischen Partei wegzubrechen. Wir schrieben 1966:57

Im Unterschied zum Reformprogramm der Bürgerrechtsbewegung sind die Forderungen der schwarzen Massen notwendigerweise und grundsätzlich Klassenforderungen, und zwar Forderungen, die die herrschende Klasse nicht erfüllen kann. Die Rufe nach Jobs, nach Wohnungen, und nach Befreiung von Polizeigewalt (welche direkt die Grundlage des Staates angreifen) – diese können nicht durch eine weitere Erklärung der Bürgerrechte aus Washington beantwortet werden. Das Streben nach ihnen führt unweigerlich zu einer schärferen und schärferen Konfrontation mit der herrschenden Klasse. Genau dieser Übergang wird durch die Losung der schwarzen Macht ausgedrückt. Ihre Popularisierung drückt die Zurückweisung von Alibipolitik, liberaler Bevormundung, Vertrauen auf die Bundesregierung, und der gewaltlosen Philosophie der moralischen Appelle aus.

Gleichzeitig warnten wir, die Losung schwarze Macht kann von kleinbürgerlichen schwarz-nationalistischen Elementen benutzt werden, die den sozialen Kuchen entlang von Farb- statt Klassenlinien aufteilen und reaktionären Farbmystizismus verbreiten wollen. Noch schlimmer kann sie dazu herabgewürdigt werden, bloße Unterstützung für schwarze Politiker zu bedeuten, die innerhalb des Systems agieren. Und das ist in der Tat, was passiert ist.

Mitte bis Ende der 1960er explodierten die großen städtischen Ghettos – Harlem, Watts in L.A., Chicago, Newark, Detroit und anderswo –, als schwarze Jugendliche auf die Straße gingen, gegen die Bullen kämpften und Geschäfte plünderten. Diese Rebellionen wurden von der Polizei, der Nationalgarde und sogar von Armeeeinheiten brutal unterdrückt. Zur gleichen Zeit machte sich die herrschende Klasse daran, eine Schicht von Aktivisten der schwarzen Gemeinschaft, einschließlich nationalistischer Demagogen, mit Geld der Zentralregierung aus Armuts-Programmen zu bestechen. Dabei halfen pseudo-nationalistische Akteure – diese Entwicklung wurde von der radikaleren Black Panther Party als porkchop nationalism58 bezeichnet. In den nächsten Jahren würden viele große Städte schwarze Demokraten-Bürgermeister bekommen, die im Interesse der Wall Street und der Fortune-500-Konzerne die Aufsicht über die Ghettos übernahmen.

Ein Manifest des Porkchop-Nationalismus war Stokely Carmichaels gemeinsam mit dem schwarzen Akademiker Charles Hamilton verfasstes Buch Black Power: Die Politik der Befreiung in Amerika von 1967.59 Carmichael (jetzt Kwame Ture) war ein führender Aktivist in den Bürgerrechtskämpfen im Süden. Nun forderten er und Hamilton, dass schwarzen Politikern für die Verwaltung der Ghettos freie Hand gelassen wird, während sie großzügig vom US-Finanzministerium finanziert würden. Wie zu erwarten, standen sie den Gewerkschaften feindselig gegenüber, wobei sie die rassistische und pro-imperialistische Politik der AFL-CIO-Bürokratie mit der organisierten Arbeiterbewegung an sich gleichsetzten:60

…[Die] organisierte Arbeiterschaft [war] beteiligt an der Ausbeutung der Farbigen im Ausland und der schwarzen Arbeiter in der Heimat. Die Schwarzen beginnen sich heute zu einem Zeitpunkt durchzusetzen, zu dem die alten kolonialen Märkte verschwinden; ehemalige afrikanische und asiatische Kolonien kämpfen um das Recht, frei über die natürlichen Reichtümer ihrer Länder verfügen zu können, ungehindert von der Ausbeutung durch westlichen und amerikanischen Kapitalismus. Auf welche Seite wird sich der wirtschaftlich gesicherte, organisierte Arbeiterstand schlagen, zu den Großunternehmen der Ausbeutung oder zu dem armen, farbigen Volk, das in unsicheren Verhältnissen lebt? … Unglücklicherweise scheint die Antwort nur zu klar.

Diese Ansichten waren keineswegs nur bei Carmichael und Hamilton anzutreffen, sondern Teil der landläufigen Meinung des US-amerikanischen Radikalismus Ende der 1960er. Die vom Maoismus beeinflussten Black Panther dachten, dass alle angestellten Arbeiter, ob schwarz oder weiß, von der herrschenden Klasse bestochen waren und dass schwarze Lumpenproletarier die revolutionäre Avantgarde waren.

Ein prominenter linker Intellektueller war damals Paul Sweezy, dessen Magazin Monthly Review eine Menge sich nach links bewegender junger Liberaler mit stalinistischer Ideologie in ihrer maoistischen Spielart bekannt machte. Sweezy wollte den vorherrschenden arbeiterfeindlichen Vorurteilen der Neuen Linken und der schwarzen Nationalisten eine ausgefeilte, marxistisch-leninistische Rechtfertigung verleihen. Er bemerkte, Lenin habe argumentiert, dass die Kapitalisten der imperialistischen Länder einen Teil ihrer Beute benutzen können und tatsächlich benutzen, um eine Aristokratie der Arbeiter zu bestechen und für ihre Seite zu gewinnen, und Sweezy behauptete: Was die Logik des Arguments angeht, könnte es auf eine Mehrheit oder sogar alle Arbeiter in den industrialisierten Ländern erweitert werden.61

Diese Behauptung wurde genau in dem Moment aufgestellt, als der US-amerikanische Kapitalismus bei den wirtschaftlichen Bedingungen seiner Arbeiterklasse keine wesentlichen Verbesserungen mehr zugestehen konnte. Im darauffolgenden Jahrzehnt würde es zu stagnierenden Löhnen gefolgt von der Verschärfung der Ausbeutungsrate und einem Frontalangriff auf die Arbeiterbewegung kommen.

Der Bankrott des Liberalismus und der Aufstieg der Rechten

Während der 1950er und frühen 1960er wurde die strukturelle Schwäche der Gewerkschaftsbewegung und der verräterische Charakter ihrer prokapitalistischen Führung teilweise durch die Tatsache verdeckt, dass der US-amerikanische Kapitalismus immer noch stark genug war, um für eine Mehrheit der Arbeiterklasse den Lebensstandard zu heben und dennoch ein hohes Niveau von Profiten beizubehalten. Ende der 1960er war das schon nicht mehr der Fall. Die zugrundeliegenden Ursachen der Schwäche – alternde Industrieanlagen, abnehmende internationale Wettbewerbsfähigkeit – wurden durch den Inflationsdruck des Vietnam-Kriegs noch verschärft. Während der zweiten Hälfte der 1960er stiegen die Wochen-Reallöhne von Arbeitern ohne Leitungsfunktion um winzige 2 Prozent, und gingen in zwei der Jahre sogar zurück. Die Gewerkschaftsführer hatten ihren Mitgliedern auf der grundlegenden Ebene des Lebensnotwendigen nichts mehr zu bieten, während das Gerede von einer Gesellschaft im Überfluss seitens liberaler Intellektueller sowohl unter schwarzen als auch weißen Industriearbeitern für Verbitterung sorgte.

In dieser Periode kam es auch zum Eintritt einer neuen prolatarischen Generation – den Baby-Boomern der Nachkriegszeit – in den Arbeitsmarkt. Ihr soziales und politisches Bewusstsein war, anders als das ihrer Eltern, nicht von der Erfahrung der Weltwirtschaftskrise und der Arbeiterkämpfe der 1930er und 40er geprägt. Sie verspürten weder zur AFL-CIO noch zur Demokratischen Partei eine starke Treue. Junge weiße Arbeiter waren daher offen für rechte Demagogie und dafür, die sozialen und wirtschaftlichen Probleme des Landes auf schwarzen Radikalismus und Wohlfahrts-Liberalismus zu schieben, während junge schwarze Arbeiter und arbeitslose Ghetto-Jugendliche für nationalistische Verunglimpfungen der organisierten Arbeiterbewegung als Bollwerke weißer Privilegien empfänglich waren.

Im Nachhinein betrachtet, haben die Ghetto-Rebellionen und Proteste gegen den Vietnam-Krieg die Tatsache verschleiert, dass die späten 60er und frühen 70er auch eine Zeit beträchtlicher Unzufriedenheit und Unruhe der Arbeiter in den Betrieben waren. 1968 wurde jeder achte durch die Gewerkschaftsbürokraten ausgehandelte Tarifvertrag von den Mitgliedern abgelehnt, während das in den 1950ern fast nie passierte. Noch wichtiger: das gleiche Jahr markierte auch einen Nachkriegshöhepunkt von wilden Streiks, am dramatischsten in den Autofabriken des Mittleren Westens.

Die Feindschaft der Basis gegenüber dem Regime von Walter Reuther bei der UAW und gegenüber ähnlichen Gewerkschaftsbürokratien polarisierte sich jedoch, auf politischer Ebene, entlang von Rassenlinien. In Detroit bildeten schwarze Aktivisten, die an den wilden Streiks beteiligt waren, die stark von maoistischer Ideologie beeinflusste League of Revolutionary Black Workers.62 Die League rief zu einer separaten Gewerkschaft für schwarze Autoarbeiter auf und verknüpfte berechtigte Forderungen gegen die rassistischen Praktiken der Autobosse (z.B. für mehr schwarze Facharbeiter-Lehrlinge) mit Forderungen nach mehr schwarzen Vorarbeitern und anderen Vorgesetzten. Zur gleichen Zeit stimmten von den weißen Arbeitern, die an den wilden Streiks gegen die drei großen Autohersteller beteiligt waren, bei den Präsidentschaftswahlen von 1968 viele für den rassistischen Demagogen George Wallace aus Alabama oder für den siegreichen Richard Nixon, gegen den Freund der Arbeiter-Demokraten Hubert Humphrey. Das geschah zum Teil aus Feindschaft gegenüber der Reuther-Bürokratie.

Unmittelbar nach diesen Wahlen veröffentlichte der rechte selbsterklärte Populist Kevin Phillips ein einflussreiches Buch, The Emerging Republican Majority, in dem er argumentierte:

Die Hauptkraft, die das (New-Deal-) Bündnis der Demokraten aufbrach, war die sozioökonomische Revolution der Neger… Die allgemeine Opposition, die die Demokratische Partei entthronte, kam zum großen Teil von erfolgreichen Demokraten, die es ablehnten, dass Washington ihre Steuergelder für Programme vergeudete, die ihnen nichts nützten. Die Demokratische Partei fiel dem ideologischen Anstoß eines Liberalismus zum Opfer, der sie über Programme zur Besteuerung der Wenigen zugunsten der Vielen (dem New Deal) zu Programmen zur Besteuerung der Vielen im Dienste der Wenigen (der Great Society63) getrieben hatte.

Phillips verbindet hier parteiische Verzerrung und Demagogie mit wichtigen Körnchen von Wahrheit. Die Vorstellung, dass durch Präsident Lyndon Johnsons Great-Society-Programme beträchtliche Mengen an Steuergeldern des Bundes an die schwarzen Armen in den Ghettos gingen, war eine Lüge. 1968, dem letzten Jahr der Johnson-Humphrey-Administration, wurden etwas weniger als 12 Milliarden US-Dollar für Sozialhilfe und alle ähnlichen Programme ausgegeben (wovon der Großteil an Weiße ging); das entsprach einem Siebtel des Militärbudgets. Zinszahlungen auf Bundes-Schulden beliefen sich auf 11 Milliarden US-Dollar – eine Art Sozialhilfe für Wall-Street-Finanziers. Verglichen mit Programmen des New Deal der 1930er, wie Social Security,64 waren die Great-Society-Armuts-Programme sehr kleine Brötchen.

Phillips hatte allerdings Recht damit, dass liberale Demokraten irgendwelche wesentlichen Wirtschaftsreformen zugunsten der Mehrheit der arbeitenden Menschen nicht einmal mehr versprachen. Zu Johnsons Great Society gehörte keine öffentliche medizinische Versorgung, kostenlose allgemeine höhere Bildung oder massiver öffentlicher Wohnungsbau zu niedrigen Mieten. Liberale sprachen nicht einmal mehr davon, Einkommen vom Kapital zur Arbeit hin umzuverteilen. Sofern sie überhaupt für die Ausweitung von Sozialprogrammen eintraten, schlugen sie vor, diese durch allgemein höhere Steuern zu finanzieren. Da die Reallöhne während des nächsten Jahrzehnts sanken, gewannen rechte Angriffe auf Liberalismus der Sorte Steuern erheben und ausgeben an zunehmender Wirkungsmacht.

Im Bestreben, das Weiße Haus zurückzugewinnen, schickten die Demokraten 1976 einen ausgesprochen unternehmerfreundlichen Südstaaten-Demokraten, den früheren Gouverneur von Georgia, Jimmy Carter, als Kandidaten in den Präsidentschaftswahlkampf. Pflichtbewusst mobilisierten die AFL-CIO-Bürokratie und schwarze liberale Politiker ihre Basis für den rechtesten Präsidentschaftskandidaten der Demokraten seit einem halben Jahrhundert. Bestrebt, nach dem Vietnam-Krieg das angeschlagene Image der USA aufzupolieren, legte Carter unter dem Mantel eines Menschenrechts-Kreuzzugs die ideologische Grundlage für den Zweiten Kalten Krieg. Seine unglückselige Regierung beaufsichtigte den schlimmsten Verfall der wirtschaftlichen Bedingungen der US-amerikanischen Arbeiter seit den 1930ern.

Der weltweite Wirtschaftsabschwung von 1974/75 legte die Schwächen des US-amerikanischen Kapitalismus bloß, als die Nettoprofite von US-Konzernen um 20 Prozent absackten. Die US-amerikanische herrschende Klasse reagierte mit einer koordinierten Kampagne zur Verringerung der Arbeitskosten durch Stellenabbau, Arbeitsbeschleunigung, zweistufige Lohnsysteme und Produktionsverlagerungen in den nicht gewerkschaftlich organisierten Süden und Südwesten mit ihren niedrigen Löhnen, sowie nach Lateinamerika und in den Fernen Osten. 1978 beschuldigte der UAW-Präsident Douglas Fraser die Führer der großen Unternehmen, sie führten einen einseitigen Klassenkrieg in diesem Land.

Es war tatsächlich ein einseitiger Klassenkrieg, weil Fraser und seine Kollegen Arbeiterbürokraten auf der Seite des Kapitals kämpften. Das wurde im folgenden Jahr deutlich sichtbar, als Chrysler, der drittgrößte Autohersteller des Landes, am Rande des Bankrotts stand. Das Management des Konzerns setzte sich, in enger Zusammenarbeit mit den UAW-Spitzen, erfolgreich für eine staatliche Rettung ein. Im Rahmen dieses Deals forderte die Carter-Regierung und der von den Demokraten kontrollierte Kongress, dass die Chrysler-Arbeiter Einschnitte bei Löhnen und Sozialleistungen hinnehmen. Der Chrysler-Deal stieß die Tür für Verzichts-Verträge in der gesamten gewerkschaftlich organisierten Industrie auf, wobei die Arbeiterbürokraten als aktive und unmittelbare Handlanger des Kapitals bei der Intensivierung der Ausbeutung von Gewerkschaftsmitgliedern fungierten.

Im letzten Jahr der Carter-Regierung war die ungewöhnliche Kombination eines scharfen Wirtschaftsabschwungs mit steigender, auf 20 Prozent pro Jahr zugehender, Inflation zu beobachten. Die rasante Inflation verschob Arbeiterfamilien in höhere Steuerklassen, so dass die Nettolöhne sogar noch schneller sanken als Reallöhne vor Steuern. Der rechte Republikaner Ronald Reagan gewann die Wahlen, indem er große Steuersenkungen in Verbindung mit Kürzungen bei Sozialprogrammen versprach, die vermeintlich hauptsächlich armen Schwarzen und Latinos zugute kamen (z.B. Sozialhilfe, Essensmarken). Diese Demagogie tat ihren Dienst, da die Hälfte der weißen Gewerkschaftsmitglieder, die überhaupt in den Wahlen von 1980 abstimmten, Reagan gegenüber Carter unterstützten.

Ein paar Monate vor den Wahlen wiesen wir darauf hin: Die Steuerrevolte ist der weiße Gegenschlag über zwei oder drei Ecken. Doch im Gegensatz zu den Liberalen bestanden wir darauf: Der weiße Gegenschlag ist jedoch nicht das Ergebnis von Reagan, dem Republikaner, sondern von Jahrzehnten des Verrats am Klassenkampf durch die Arbeiterbürokraten und die liberalen schwarzen Führer, die an die Demokratische Partei gebunden sind. Und nur durch vereinten Klassenkampf können rassistische Demagogie und Angriffe bekämpft und umgekehrt werden.65

Für eine Arbeiterregierung!

Verbalattacken seitens der Liberalen und Gewerkschaftsführer gegen Reaganomics zum Trotz drückten die Hauptmaßnahmen der Reagan-Regierung die allgemeinen Interessen der US-amerikanischen herrschenden Klasse aus, einschließlich der Teile und Fraktionen, die von der Demokratischen Partei vertreten werden. In der Tat wurden alle von Reagans größeren Maßnahmen und Programmen, von der gewaltigen Aufrüstung gegen die UdSSR bis zu Steuersenkungen für die Reichen, vom Kongress unterstützt, den die Demokraten kontrollierten. Wie wir in einem Dokument schrieben, das von der Nationalkonferenz der SL/U.S. 1987 angenommen wurde:

Die wesentlichen Ziele der Reagan-Präsidentschaft entsprechen einem reaktionären bürgerlichen Konsens, dessen grundlegende Bestandteile folgende sind: 1) Das Vietnam-Syndrom – d.h. Enttäuschung über den Kalten Krieg gegen den Sowjet-Block und den Widerwillen, im Dienste des Antikommunismus Opfer zu bringen – auf der Ebene landläufiger Einstellungen zu überwinden; 2) den militärischen und wirtschaftlichen Druck auf die Sowjetunion, ihre Verbündeten und Satellitenstaaten zu erhöhen; … 3) die organisierte Arbeiterbewegung durch eine Kombination von Verzichts-Tarifverträgen, Gewerkschaftsbekämpfung und die Ausweitung gewerkschaftsfreier Betriebe entscheidend zu schwächen; und 4) die begrenzten und symbolischen Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung umzukehren sowie Sozialprogramme zusammenzukürzen und auseinanderzunehmen, die vor allem armen Schwarzen und Latinos sowie Älteren zugute kommen.

Dieser reaktionäre bürgerliche Konsens wurde deutlich zur Schau gestellt, als nach 12 Jahren Republikaner-Herrschaft wieder, in der Person eines weiteren Ex-Gouverneurs, ein Demokrat ins Oval Office einzog. Das zentrale Sozialhilfe-Programm Aid to Families with Dependent Children wurde unter Bill Clinton – nicht unter Reagan und auch nicht unter dessen republikanischem Nachfolger George Bush – beseitigt. Und die beiderseitige Vereinbarung, bis 2002 den Bundeshaushalt auszugleichen, kann nur durch massives Zusammenkürzen [der Sozialprogramme] Social Security und Medicare umgesetzt werden. Nachdem sie bei ihrem jahrzehntealten Ziel Erfolg hatten, die Sowjetunion – einen, wenn auch deformierten, Arbeiterstaat – zu zerstören, und nachdem sie zwei Jahrzehnte lang auf die Gewerkschaften eingeprügelt haben, glauben die Männer, die in diesem Land herrschen, nun, sie könnten mit den Arbeitern, den Armen, den Alten, den Gemeinschaften der Schwarzen und der Latinos alles machen, ohne die geringste Gefahr von sozialem Aufruhr – ganz zu schweigen von Revolution.

Der plötzliche Zusammenbruch des ostasiatischen Wirtschafts-Wunders, der auf den weltweiten Finanzmärkten verheerende Auswirkungen zeigt, hat jedoch die Zerbrechlichkeit der post-sowjetischen globalen kapitalistischen Ordnung offengelegt. Und der Teamster-Streik bei UPS im letzten Sommer zeigte in kleinem Rahmen die Macht der organisierten Arbeiterbewegung, was an der Wall Street zu Befürchtungen vor einem Gegenschlag der Arbeiter führt.

Der Wille, zu kämpfen, sowie eine Stimmung der Wut gegen die überheblichen CEOs der US-amerikanischen Unternehmen sind eindeutig vorhanden. Doch das allein ist nicht genug. Es braucht Führung und Organisation, aufbauend auf dem Verständnis, dass Gewerkschaftsrechte und Schwarzenrechte gemeinsam voranschreiten oder getrennt untergehen. Wie wir in einem WV-Extrablatt zu den Lehren des UPS-Streiks schrieben:66

Vor der Arbeiterklasse liegen zwei mögliche Wege. Es gibt zum einen die revolutionäre Strategie, die wir Marxisten vorschlagen. Im Verlauf scharfen Klassenkampfs und mittels einer revolutionären Partei, die die Arbeiterklasse geduldig nicht nur über ihre soziale Macht, sondern auch über ihre historischen Interessen aufklärt, werden sich die Arbeiter ihrer selbst bewusst werden als einer Klasse, die für sich und alle Unterdrückten gegen die gesamte Kapitalistenklasse und ihren Staat kämpft. Oder es gibt andererseits die Fortsetzung der Nachgiebigkeit der Bürokraten gegenüber dem, was unter dem Kapitalismus möglich und praktikabel ist, die während der letzten zwei Jahrzehnte und länger zum Desaster geführt hat.

Für die Mobilisierung des Proletariats in seinem eigenen Klasseninteresse ist ein politischer Kampf gegen die prokapitalistischen Gewerkschaftsspitzen nötig. Diese Auseinandersetzung ist untrennbar verbunden mit dem Aufbau einer revolutionären Arbeiterpartei, um für eine Arbeiterregierung zu kämpfen, die den heute von den Kapitalisten monopolisierten produktiven Reichtum enteignen wird, um eine egalitäre, sozialistische Gesellschaft aufzubauen.

Die globalisierte Wirtschaft und der Reformismus in der Arbeiterbewegung

Dieser Teil ist übersetzt aus der Broschüre Imperialism, the Global Economy and Labor Reformism, im September 1999 herausgegeben von der Spartacist League/U.S., US-Sektion der Internationalen Kommunistischen Liga (IKL).

In den letzten paar Jahren wurde in einer Flut von Büchern und Artikeln dieses strukturell neue und immer noch unzureichend verstandene Gebilde namens globalisierte Wirtschaft, wie es die Washington Post67 in einer Kolumne nannte, verkündet oder analysiert. Egal ob sie es loben oder verdammen: sowohl bürgerliche Mainstream-Ökonomen als auch linke Vordenker argumentieren, dass die in vergangenen Jahren von multinationalen Konzernen durchgeführte Verlagerung von Produktionsbetrieben aus Nordamerika, Westeuropa und Japan in die sogenannte Dritte Welt eine grundlegende, strukturelle Veränderung des kapitalistischen Weltsystems darstellte. Die liberale Zeitschrift Nation widmete der Globalisierung vergangenen Juli68 eine ganze Sonderausgabe. Die sozialdemokratischen Reformisten, die die Workers’ World News herausgeben, sprechen von einer fundamentalen Veränderung, so tiefgreifend wie die industrielle Revolution des [19.] Jahrhunderts.69 In einem Essay über die globale Wirtschaft gab der Soziologe Ulrich Beck im Spiegel die Skepsis eines Teils der deutschen Bourgeoisie gegenüber europäischer wirtschaftlicher Integration wider. Er warnte: Wir laufen auf einen Kapitalismus ohne Arbeit zu, und behauptete: Es geht um die politische Freiheit und Demokratie in Europa.70

Während die katastrophaleren Vorhersagen zur Globalisierung nicht alle allgemein anerkannt sind, ist es eine gemeinsame Litanei dieser Veröffentlichungen, dass die Möglichkeit von erfolgreichen Verteidigungskämpfen der Arbeiterklasse gegen die Angriffe einer einzelnen kapitalistischen Regierung oder eines einzelnen Unternehmens zunehmend der Vergangenheit angehöre. In einem bemerkenswerten intellektuellen Zusammengehen haben Wortführer der Wall Street ebenso wie liberale und radikale Ideologen, Gewerkschaftsbürokraten in den USA und Europa und auch eine Gruppe, die sich als trotzkistische (d.h. revolutionär-marxistische) internationale Organisation ausgibt, allesamt erklärt, dass die Globalisierung den Gewerkschaften weltweit die Macht genommen habe, Löhne, Sozialleistungen oder Arbeitsbedingungen zu beeinflussen.

Gewerkschaften durch globale Wirtschaft bedroht, krähte das Wall Street Journal.71 Dessen Herausgeber behaupten auch, der heutige Kapitalismus habe das Problem des Konjunkturzyklus gelöst. Unterdessen benutzen Gewerkschaftsführer die Globalisierung als jüngste Ausrede, um Kämpfe auszuverkaufen oder zu vermeiden, die tatsächlich aber gewonnen werden können. Vom mittleren Westen der USA bis zum deutschen Ruhrgebiet sagen die Gewerkschaftsbürokraten ihren Arbeitern: Wenn ihr keine Nullrunde oder sogar Kürzungen von Löhnen und Sozialleistungen akzeptiert, werden die Bosse euren Betrieb dicht machen und die Produktion nach Indien oder Mexiko verlagern. In dieses demoralisierende Lied stimmt das von einem gewissen David North geführte sogenannte Internationale Komitee der Vierten Internationale (IK) ein, das nicht nur jede Möglichkeit erfolgreichen gewerkschaftlichen Kampfes leugnet, sondern Gewerkschaften insgesamt als Arbeiterorganisationen irgendeiner Art ablehnt – mit Ausnahme nicht-existierender, von North & Co. geführter Gewerkschaften.

Die Vorstellung, dass die kapitalistische Marktwirtschaft global ist; dass Banken und Konzerne sich jene (Niedriglohn-)Länder aussuchen, wo sie den höchsten Ertrag aus ihren Investitionen ziehen können; dass in der Tat die Internationalisierung des Finanzkapitals ein bestimmendes Merkmal des gegenwärtigen Profitsystems ist – diese Vorstellung ist bei weitem nicht neu. 1916, vor mehr als 100 Jahren, bemerkte W. I. Lenin, der Führer der russischen Bolschewiki, in seinem Werk Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus: Das 20. Jahrhundert ist also der Wendepunkt vom alten zum neuen Kapitalismus, von der Herrschaft des Kapitals schlechthin zu der Herrschaft des Finanzkapitals. In einer zusammenfassenden Definition erklärte er:

Der Imperialismus ist der Kapitalismus auf jener Entwicklungsstufe, wo die Herrschaft der Monopole und des Finanzkapitals sich herausgebildet, der Kapitalexport hervorragende Bedeutung gewonnen, die Aufteilung der Welt durch die internationalen Trusts begonnen hat und die Aufteilung des gesamten Territoriums der Erde durch die größten kapitalistischen Länder abgeschlossen ist.

Lenin analysierte nicht nur die ökonomische Funktionsweise des imperialistischen Systems – er entlarvte auch die bürgerlichen Ökonomen, die dieses System rechtfertigten, und die reformistischen und zentristischen Möchtegern-Marxisten, die die Bedeutung dieser neuen Stufe der kapitalistischen Entwicklung herunterspielen wollten, um die dringende Notwendigkeit der sozialistischen Revolution zu leugnen. Lenin zielte insbesondere auf den deutschen Sozialdemokraten Karl Kautsky, dessen Hypothese eines einheitlichen weltweiten Ultra-Imperialismus die wachsenden Widersprüche des kapitalistischen Systems und Kautskys eigene Rolle als Anwalt der sozialchauvinistischen und sozialimperialistischen Befehlsempfänger der deutschen Bourgeoisie verschleiern sollte.

Lenin kennzeichnete den Imperialismus als Epoche von Kriegen und Revolutionen. Tatsächlich war die Broschüre inmitten des ersten interimperialistischen Weltkriegs geschrieben worden, als die kapitalistischen Hauptmächte Millionen junger Männer in den Tod schickten, in einem blutigen Gerangel zur Neuaufteilung von Märkten, Einflusssphären und kolonialen Besitztümern. Und kaum mehr als ein Jahr nach der Fertigstellung seiner Broschüre führten Lenins Bolschewiki die Arbeiter Russlands in der ersten erfolgreichen proletarischen Revolution der Geschichte an die Macht, zerschlugen den kapitalistischen Staat, fegten die Bankiers, Bosse und Großgrundbesitzer beiseite und wurden ein Vorbild für Arbeiter weltweit.

Wenn man sich die gegenwärtige Literatur über Globalisierung ansieht, ist es erstaunlich, wie weitgehend all die liberalen und reformistischen Rechtfertigungen und Patentrezepte, die heute vorgetragen werden, schon vor Hundert Jahren von Lenin aufgegriffen, entlarvt und zerstört worden waren. Während bestimmte quantitative Veränderungen in den letzten paar Jahrzehnten tatsächlich stattgefunden haben, spiegelt ein Großteil des gegenwärtigen Wirbels um Globalisierung keinerlei grundlegende neue ökonomische Umwälzung wider, sondern eine grundlegende politische Niederlage, die konterrevolutionäre Zerstörung des bürokratisch degenerierten Arbeiterstaats Sowjetunion. In deren Folge hat sich die reformistische und zentristische Linke dem imperialistischen Siegestaumel über den angeblichen Tod des Kommunismus ergeben.

Michael Harrington (), ein Vordenker der Sozialdemokratie in den USA, definierte sein politisches Programm als den linken Flügel des Möglichen. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Zunahme interimperialistischer Rivalitäten betreiben die Bourgeoisien der USA, Westeuropas und Japans eine umfassende Offensive gegen die Arbeiterklasse und ethnische Minderheiten. Dementsprechend vertreten die Gewerkschaftsbürokratien in diesen Ländern den Standpunkt, dass der linke Flügel des Möglichen weit nach rechts verschoben wurde. Diese reformistische Sichtweise wurde von den North-Leuten zu ihrem logischen Endpunkt getrieben: kategorischer Defätismus gegenüber allen Kämpfen der Arbeiterklasse in dieser Periode.

Nicht zufällig erfolgte Norths Grabrede auf die Gewerkschaften in der selben Rede, in der er Das Ende der UdSSR72 verkündete. Obwohl sie alle ihre politischen Gegner gewohnheitsmäßig kleinbürgerliche Radikale nennen, marschiert Norths IK im ideologischen Gleichschritt nicht nur mit der kleinbürgerlichen Linken und den Gewerkschaftsbürokratien, sondern auch mit bürgerlichen Liberalen und Schlimmerem. Nachdem sie jahrelang ebenso wie die Spitzen der AFL-CIA jede konterrevolutionäre Kraft unterstützt haben, die es auf die Zerstörung des sowjetischen Arbeiterstaats abgesehen hatte, nahm Norths Gruppierung den Tod der Sowjetunion als Rechtfertigung, unverhohlenen Streikbruch zu entschuldigen. Gleichzeitig haben sie sich eine neuzeitliche Variante von Kautskys Ultra-Imperialismus zu eigen gemacht, die sie als Ausrede benutzen, um auf die Kämpfe von unterdrückten Nationen und von den imperialistischen Bourgeoisien versklavten kolonialen und halbkolonialen Völkern zu spucken. Mit Verweis auf umfassende Veränderungen in der Weltwirtschaft und der weltpolitischen Lage73 lehnt das IK heute das Recht auf nationale Selbstbestimmung unverhohlen ab.

Globalisierung und der Defätismus der North-Leute

Globalisierung ist bloß eine neue Variante eines alten Liedes. In den 1950ern und frühen 60ern wurden dem Begriff Automatisierung die selben apokalyptischen, welterschütternden Auswirkungen zugeschrieben. Liberale Intellektuelle sagten voraus, dass die industrielle Arbeiterklasse großteils durch Roboter und andere Maschinen ersetzt werden würde. Eine Schlussfolgerung war, dass Gewerkschaften über kurz oder lang überflüssig werden würden. Schließlich kann man Industrieroboter nicht gewerkschaftlich organisieren. Zur gleichen Zeit sagten Gewerkschaftsbürokraten ihrer Basis, dass sie ihre Jobs durch Automatisierung verlieren würden, wenn sie das Niveau von Löhnen und Sozialleistungen zu hoch treiben würden.

Heute ist es intellektuell angesagt, den drastischen Verfall des Lebensstandards der arbeitenden US-Bevölkerung während der letzten Generationen als ein Ergebnis der Globalisierung zu erklären, insbesondere der Verlagerung der Produktion durch große (multinationale oder transnationale) US-Konzerne in Niedriglohnländer in Ostasien und Lateinamerika. Bei einer Rede in Rom vor einigen Jahren sagte Paul Samuelson, der Hohepriester der liberalen US-Ökonomen, voraus: Wenn die Milliarden in Ostasien und Lateinamerika lebenden Menschen sich für gute, moderne Jobs qualifizieren, wird die halbe Milliarde Europäer und Amerikaner, die bisher den Rest der Welt übertrumpften, der Aufwärtsentwicklung ihres Lebensstandards harten Widerstand entgegengebracht sehen. In seinem Buch Die neue Weltwirtschaft: das Ende der nationalen Ökonomie74 schrieb der frühere Arbeitsminister unter Bill Clinton, Robert Reich: Amerikan [wird] Teil eines internationalen Arbeitsmarktes, der Asien, Afrika, Lateinamerika, West- und zunehmend auch Osteuropa und die ehemalige Sowjetunion umfaßt.75 Die AFL-CIO News,76 offizielles Organ der US-Gewerkschaftsbürokratie, klagt: Jobs sind weiterhin US-Exportschlager.

Tarifflucht, Outsourcing und Produktionsverlagerungen in Niedriglohngebiete wie den Süden der USA oder Mexiko und andere halbkoloniale Länder haben tatsächlich, vor allem im Nordosten und mittleren Westen, zu einem drastischen Rückgang von gewerkschaftlich organisierten Industrie-Arbeitsplätzen geführt. Anstatt aber zu versuchen, gegen die Angriffe auf Jobs und Gewerkschaften internationelen Klassenkampf zu organisieren, betätigt sich die AFL-CIO-Bürokratie als Aufseher über die Arbeiterbewegung im Dienste der kapitalistischen Herrscher der USA, während sie versucht, die Schuld für Entlassungen hierzulande auf Arbeiter im Ausland abzuwälzen.

Die von Samuelson, Reich und den prokapitalistischen Spitzen der AFL-CIO vertretenen obigen Ansichten sind zu einem wesentlichen ideologischen Merkmal der North-Tendenz geworden. In einer Rede in Detroit behauptete North 1992:77

Der Zusammenbruch der alten Organisationen der Arbeiterklasse ist im Grunde das Ergebnis besonderer historischer und ökonomischer Umstände. Diese Umstände zu verstehen bedeutet nicht, daß wir die Führer dieser Organisationen von der Verantwortung für das Geschehene freisprechen. Es ermöglicht uns aber zu erkennen, daß die Niedertracht der Führer selbst nur der subjektive Ausdruck eines objektiven Prozesses ist…

Die globale Integration der kapitalistischen Produktion unter der Regie riesiger transnationaler Konzerne und die Todeskrise des Nationalstaatensystems haben das geo-ökonomische Fundament zerschlagen, auf das die alten Organisationen der Arbeiterklasse ihre Tätigkeit begründeten. Auf Nationalstaaten bezogene Arbeiterorganisationen sind einfach unfähig, international organisierte Konzerne ernsthaft herauszufordern. (unsere Hervorhebung)

Norths Dementi zum Trotz bedeutet sein Konzept von Globalisierung tatsächlich, die Gewerkschaftsbürokratie von der Verantwortung für den Niedergang der Gewerkschaftsbewegung und den Verfall der Arbeiterklasse freizusprechen. Es ist kein Zufall, dass Norths Ansichten auch, fast wortgleich, von Vertretern der Gewerkschaftsbürokratie vorgebracht werden. So argumentierte Dan Gallin, der Generalsekretär der Internationalen Gewerkschaft der Nahrungsmittelarbeiter:78

Nationalstaaten werden irrelevant… Nationale Regierungen haben nicht mehr die Kontrolle über den Fluss des Finanzkapitals. Daher können sie ihre eigenen Wirtschaften nicht mehr kontrollieren. Das wiederum schwächt die Macht von demokratischem Druck auf nationaler Ebene seitens Arbeiterparteien und Gewerkschaften.

Gallin, der wenigstens intellektuell aufrichtiger ist als North, vertritt offen eine Volksfront-Perspektive, eine breite Volksbewegung aufzubauen, um den Auswirkungen der Globalisierung entgegenzuwirken.

North verurteilt die Irreführer der Gewerkschaften aber auch nicht dafür, dass sie die ökonomische Macht der Arbeiterbewegung sowie politische Unterstützung in der Bevölkerung nicht gegen die kapitalistische Offensive mobilisieren. Stattdessen argumentiert er, dass die Gewerkschaften an sich durch objektive Veränderungen in der Weltwirtschaft machtlos geworden sind. Noch deutlicher und kategorischer wird diese Position von Nick Beams, dem Chef der australischen Sektion von Norths Internationalem Komitee, ausgedrückt: Solange der Mehrwert noch innerhalb der festen Grenzen eines Staates gewonnen wurde, war es der Arbeiterklasse möglich, Reformen und Zugeständnisse vom Kapital zu erzwingen, indem sie Druck auf den Staat ausübte. Darin bestand das Programm der Gewerkschaften und Arbeiterorganisationen. Dies ist nicht mehr möglich.79 Mit anderen Worten sind die North-Leute der Ansicht, dass es der Arbeiterklasse nicht länger möglich ist, sich durch Streiks und andere Aktionen gegen die Raubzüge des Kapitals zu verteidigen, egal welche Taktiken oder welche Politik sie verfolgt.

Diese Position ist grundfalsch, und wenn sie akzeptiert wird, kann das in der Arbeiterklasse nur zu Demoralisierung und Niedergeschlagenheit führen. Bei keinem der großen Streiks, die den Rückgang und die Niederlage der US-amerikanischen Arbeiterbewegung in den 1980ern markierten – der PATCO-Fluglotsen, der Busfahrer bei Greyhound, der Kupferbergleute bei Phelps-Dodge, der Maschinisten von Eastern Airlines oder der Fleischverarbeiter bei Hormel – spielten ausländische Konkurrenz oder die auswärtigen Tätigkeiten der Multis irgendeine entscheidende Rolle. Greyhound, Eastern Airlines und Hormel gewinnen fast ihren gesamten Mehrwert aus Arbeit innerhalb der Grenzen der USA.

Selbstverständlich gab es in den letzten Jahren bedeutende Arbeitskämpfe gegen große Unternehmen, die entscheidend von internationalem Handel und Verlagerung ins Ausland abhängen, insbesondere den zweimonatigen Streik beim Flugzeughersteller Boeing Ende 1995. In diesem Fall fing der Streik tatsächlich an, Boeing weh zu tun, als die Führer der Maschinisten-Gewerkschaft den Streik für minimale Verbesserungen abbliesen, während sie gleichzeitig anti-asiatischen Chauvinismus und Protektionismus schürten.

Für eine Klassenkampf-Perspektive!

Der Niedergang der Arbeiterbewegung in den USA ist grundlegend nicht durch objektive Auswirkungen der Globalisierung verursacht, sondern durch die verräterische Niederlagen-Strategie der AFL-CIO-Irreführer. Wie die Spartacist League direkt nach der Niederlage des Greyhound-Streiks schrieb:80

Keine wesentliche Errungenschaft der Arbeiter wurde jemals in einem Gericht oder durch einen Beschluss des Kongresses [d.h. des Parlaments] gewonnen. Alles von Wert, was die Arbeiterbewegung jemals gewonnen hat, wurde erreicht durch die Mobilisierung der Reihen der Arbeiter in hartem Kampf, auf den Streikpostenketten, bei den Betriebsbesetzungen. Was zählt, ist Macht. Die Stärke der Gewerkschaften liegt in ihrer Mitgliederzahl, ihrer Militanz, ihrer Organisation und Disziplin und in ihrer Position an den entscheidenden Produktionsmitteln der modernen kapitalistischen Gesellschaft. Die Bosse gewinnen, weil die Stärke der Arbeiter, ihre Macht, den Feind entscheidend zu lähmen und zu schädigen, nicht zum Zug gebracht wurde.

Die AFL-CIO-Bürokratie spielt bei allen Streiks nach den Regeln der Bosse, selbst im Dienstleistungsbereich, wo keine ausländische Konkurrenz besteht. So beim Streik der Hausmeister und anderer Gebäudearbeiter in New York City vergangenen Winter. Wie üblich bestanden die Gewerkschaftsspitzen auf durchlässigen Streikpostenketten. Im Ergebnis wurden die streikenden Arbeiter durch schätzungsweise 15000 Streikbrecher ersetzt, und die Bürogebäude funktionierten mehr oder weniger wie gewohnt. Doch stellen wir uns vor, was passiert wäre, wenn die organisierte Arbeiterbewegung versucht hätte, die arbeitenden Menschen von New York City zu mobilisieren, und an die besitzlose Bevölkerung der Ghettos und Barrios appeliert hätte, die zu großen Teilen aus Minderheiten stammenden oder immigrierten Gebäudearbeiter aktiv zu unterstützen.

Dutzende und Hunderte von streikenden und anderen Arbeitern – Gewerkschafter und Nicht-Gewerkschafter – hätten, gemeinsam mit schwarzen und Latino-Jugendlichen, jedes größere Bürogebäude in der Stadt umstellen und jeden am Hineingehen hindern können. David North zum Trotz hätten die CEOs der US-Multis nicht damit geantwortet, ihre New Yorker Hauptquartiere zu schließen und ihre Geschäfte aus Neu-Delhi oder Mexiko-Stadt zu führen. Stattdessen hätten die Bullen die Streikpostenketten angegriffen und versucht zu brechen, und kämpferische Arbeiter und ihre Unterstützer verhaftet. Das Ergebnis wäre dann davon bestimmt gewesen, inwiefern die Arbeiterbewegung von New York City fähig gewesen wäre, wirkungsvolle, von breiter Unterstützung insbesondere unter der schwarzen und Latino-Bevölkerung getragene Aktionen zu organisieren. Ein eintägiger Nahverkehrsstreik zum Beispiel hätte die Mächtigen in der Welt-Finanzhauptstadt überzeugen können, den Immobilienbaronen eine den Gebäudearbeitern entgegenkommende Vereinbarung aufzudrücken.

Um ein internationales Beispiel zu wählen: Die Niederlage des britischen Bergarbeiterstreiks von 1984-85 durch die konservative Regierung von Premierministerin Margaret Thatcher bereitete den Boden für durchschlagende Angriffe auf alle Gewerkschaften in Britannien. Die einjährige Kampf der Bergarbeiter war bei weitem die bedeutendste Klassenschlacht in Westeuropa in den 1980ern. Während der Import von ausländischer Kohle in diesem Streik tatsächlich eine Rolle spielte, lag der Hauptgrund für seine Niederlage in der Weigerung der Führer der Labour-Partei und des Trades Union Congress [des Gewerkschaftsverbandes], gemeinsame Streikaktionen seitens anderer Teile der britischen Arbeiterklasse zu befürworten, selbst als Arbeiter von Frankreich bis Südafrika durch das Verhindern der Lieferung von Streikbrecher-Kohle und durch das Sammeln finanzieller Unterstützung ihre Solidarität mit den britischen Bergarbeitern ausdrückten.

Da sie versuchen, den Gewerkschaftskampf auf das zu beschränken, was für die kapitalistischen Herrscher akzeptabel ist, gehen die reformistischen Irreführer der Arbeiter im Allgemeinen jeder Gelegenheit von wirklicher internationaler Arbeitersolidarität aus dem Weg. Beispielhaft steht dafür die Führung der United Auto Workers (UAW), womöglich immer noch eine der mächtigsten Industriegewerkschaften in den USA. Anstatt Organisierungsbemühungen im Süden der USA und im Maquiladora-Industriegürtel südlich der US-Grenze zu unterstützen, reagieren die UAW-Führer auf Outsourcing, Produktionsverlagerungen und Tarifflucht, indem sie ihren Mitgliedern ein Zugeständnis nach dem anderen abverlangen, während sie Washington um protektionistische Maßnahmen anbetteln. Die UAW-Bürokratie ist weit davon entfernt, koordinierte Streikaktionen gemeinsam mit kanadischen und mexikanischen Arbeitern anzustreben. Während der Tarifverhandlungen mit den Big Three [Chrysler, Ford und General Motors], deren Betriebsabläufe inzwischen in ganz Nordamerika völlig miteinander verzahnt sind, verurteilte sie vergangenen Herbst einen Streik von GM-Arbeitern in Kanada, weil sie diesen als hinderlich für die Wiederwahl des Demokraten Bill Clinton als US-Präsidenten ansah.

Die Existenz von multinationalen Konzernen unterstreicht einfach die historische Notwendigkeit einer internationalistischen Klassenkampfperspektive, die über beschränktes, national begrenztes Gewerkschaftertum hinausgeht. In der Tat war eines der Motive für die Formierung der von Karl Marx gegründeten Ersten Internationale, Gewerkschaftssolidarität zwischen Arbeitern in Britannien und dem kontinentalen Europa zu organisieren.

Was durch noch so militanten Gewerkschaftskampf erreicht werden kann, hat natürlich Grenzen. Wenn ihre Arbeitskosten über einen bestimmten Punkt steigen, werden die Kapitalisten reagieren, indem sie umstrukturieen (d.h. weniger profitable Betriebe dicht machen), neue arbeitssparende Technologie einführen sowie einige Betriebsteile in Niedriglohn-Länder verlagern. Die Gewerkschatfsbürokratie verweist auf die Fähigkeit der Kapitalisten, Errungenschaften der Gewerkschaften mit solchen Maßnahmen zu bekämpfen, um zu argumentieren, dass die Arbeiter bestehende, oder sogar schlimmere, Bedingungen kampflos akzeptieren müssen. Gleichzeitig schieben sie die Schuld auf Arbeiter in anderen Ländern, dass sie amerikanische Jobs klauen. Als revolutionäre Marxisten verweisen wir auf die Begrenzungen des Gewerkschaftertums, um die Notwendigkeit des Sturzes des kapitalistischen Ausbeutungssystems zu verdeutlichen. Wie Karl Marx vor mehr als 150 Jahren schrieb:81

Gewerkschaften tun gute Dienste als Sammelpunkte des Widerstands gegen die Gewalttaten des Kapitals… Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen als einen Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, d.h. zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems.

Die North-Leute weisen diese grundlegende marxistische Position nun unverhohlen zurück. Sie behaupten, dass Gewerkschaften nicht weiter als Zentren des Widerstands gegen die Raubzüge des Kapitals dienen können, und sie stellen eine sozialistische Umwälzung der Verteidigung der Interessen der Arbeiter innerhalb des Kapitalismus entgegen. Der Weisheit von Nick Beams zufolge ist es so: Solange der Mehrwert noch innerhalb der festen Grenzen eines Staates gewonnen wurde, war es der Arbeiterklasse möglich, Reformen und Zugeständnisse vom Kapital zu erzwingen, indem sie Druck auf den Staat ausübte. Darin bestand das Programm der Gewerkschaften und Arbeiterorganisationen. Dies ist nicht mehr möglich.82

Auf den ersten Blick mag das wie eine furchtbar revolutionäre Position aussehen. In Wirklichkeit verrät es eine niedergeschlagene und unbeteiligt-außenstehende Haltung gegenüber den wirklichen Kämpfen der Arbeiterklasse – ohne diese Kämpfe ist aber alles Gerede vom Umsturz der sozialen Beziehungen, die auf Kapital und Lohnarbeit basieren, nur leere Rhetorik. Wie Leo Trotzki schrieb: Der Sieg der proletarischen Revolution im Weltmaßstab ist das Endresultat vielfältiger Bewegungen, Kampagnen und Kämpfe und keineswegs eine feststehende Voraussetzung für die automatische Lösung aller Fragen (Die Unabhängigkeit der Ukraine und die sektiererischen Wirrköpfe, Juli 1939).83

Die Masse der Arbeiter kann sozialistisches Bewusstsein nur vermittels des Eingreifens einer revolutionären Partei in die tagtäglichen Kämpfe des Proletariats erreichen. Das ist ein Leitmotiv des Übergangsprogramms von 1938, dem Gründungsprogramm von Trotzkis Vierter Internationale:84

Die Bolschewiki-Leninisten stehen bei allen Formen des Kampfes, selbst wenn es um die bescheidensten materiellen Interessen oder demokratischen Rechte der Arbeiterklasse geht, in der vordersten Reihe. Sie beteiligen sich aktiv am Leben der Massengewerkschaften in dem Bemühen, sie zu stärken und ihren Kampfgeist zu heben… Nur auf der Grundlage einer solchen Arbeit ist innerhalb der Gewerkschaften ein erfolgreicher Kampf gegen die reformistische und darunter auch stalinistische Bürokratie möglich. Sektiererische Versuche, kleine revolutionäre Gewerkschaften als Zweitauflage der Partei aufzubauen oder zu unterhalten bedeuten in Wirklichkeit den Verzicht auf den Kampf um die Führung der Arbeiterklasse.

Die neueste Pose der politischen Banditen

Norths Workers League agitierte jahrelang dafür, dass die rassistische, pro-imperialistische, fanatisch antikommunistische AFL-CIO-Bürokratie unter Meany/Kirkland eine Arbeiterpartei bildet. Nun verurteilt die North-Bande nicht nur die AFL-CIO-Führer als Reaktionäre, sondern setzt die Gewerkschaften mit einer gelben Gewerkschaft oder einer Streikbrecher-Organisation gleich. Nachdem sie sich neulich in Socialist Equality Party (SEP) umbenannt haben, erklären die North-Leute jetzt:85

Arbeiter müssen sich der Tatsache stellen, dass die AFL-CIO eine gescheiterte Organisation ist, die nicht auf die Forderungen der Arbeiter eingehen wird. Arbeiter brauchen demokratisch gesteuerte Gewerkschaften, die der kompromisslosen Verteidigung ihrer Interessen verpflichtet sind. Solche Gewerkschaften können nur als industrieller Arm einer politischen Massenpartei der Arbeiterklasse verwirklicht werden, und diese Partei kann nur in schonungslosem Kampf gegen die Gewerkschaftsbürokratie aufgebaut werden. Für diese Perspektive kämpft die Socialist Equality Party.

Die wirklichen ökonomischen Massenorganisationen der US-amerikanischen Arbeiterklasse sollen also ersetzte werden durch nicht-existierende industrielle Arme einer nicht-existierenden Arbeitermassenpartei.

Wären North, Beams & Co. ehrliche und mutige, wenn auch fehlgeleitete, Politiker, würden sie die US-amerikanischen Arbeiter auffordern, massenhaft die AFL-CIO zu verlassen; die australischen Arbeiter, aus dem australischen Gewerkschaftsbund auszutreten; britische Arbeiter, den Trades Union Congress zu verlassen, usw. Den North-Leuten zufolge sind nicht nur die Gewerkschaften reaktionär geworden, sondern auch Streiks: Selbst wenn die Bürokratie zu einem Streik aufruft, tut sie das zu dem Zweck, die Arbeiter wirkungsvoller zu demoralisieren und niederzuwerfen.86 Wenn es so ist, sollten die North-Leute den Arbeitern raten, niemals in den Streik zu treten, und sie sollten Streiks, die stattfinden, keine Unterstützung geben. Mit dieser Linie gibt es für die Socialist Equality Party keinen Grund, Streikbruch abzulehnen.

Tatsächlich brachte Norths International Workers Bulletin87 nach dem Ausverkauf eines 17-monatigen, mit weitverbreitetem Streikbruch konfrontierten UAW-Streiks bei Caterpillar 1995 eine unverhohlene Rechtfertigung für Streikbruch: Sie setzten das Wort Streikbrecher in Anführungszeichen und erklärten wohlwollend, die große Mehrheit der 4000 Gewerkschaftsmitglieder, die zur Arbeit zurückkehrten, waren nicht rechts oder gewerkschaftsfeindlich, und sie griffen die Gewerkschaftsführer von rechts an, weil sie die Wut der Streikenden auf die Streikbrecher ablenkten, d.h. jene Gewerkschaftsmitglieder, die sich entschlossen, Streikpostenketten zu überqueren. Um die gleiche Zeit machten sich Norths britische Anhänger einen Ruf unter streikenden Hafenarbeitern in Liverpool, indem sie internationale Arbeitersolidarität mit deren Kampf verunglimpften. In einem obszönen Artikel, Dockers Must Reject Fake Internationalism,88 griffen sie Pläne internationaler Hafengewerkschaften als Betrug an, die Verarbeitung von Schiffen zu verweigern, die von Streikbrechern in Liverpool beladen wurden.89 Diese Pläne wurden noch im selben Monat umgesetzt.

In ihrem Wahlprogramm für eine parlamentarische Zwischenwahl-Kampagne maßte sich die britische SEP dann jedoch an zu betonen: Arbeiter in Britannien müssen nach Unterstützung durch Arbeiter in anderen Ländern streben.90 Das sind politische Quacksalber, die ständig mit gespaltener Zunge sprechen. Einerseits verunglimpfen sie die Gewerkschaften als gescheiterte Organisationen, womit sie sich an Arbeiter anbiedern wollen, die die endlosen Ausverkäufe der Bürokratie satt haben und angesichts fallender Lebensstandards wütend und frustriert sind. Andererseits versuchen sie gut auszusehen, indem sie gegenüber Arbeitern, die im Kampf stehen, eine wohlwollende Pose einnehmen.

Vor vielen Jahren charakterisierten wir die von Gerry Healy (), Norths Mentor, geführte Strömung als politische Banditen, deren Praxis in scharfem Gegensatz zu ihren angeblichen Prinzipien stand; die heute das genaue Gegenteil dessen sagen und tun, was sie gestern sagten und taten und was sie morgen sagen und tun würden. Nachdem sie den prokapitalistischen Irreführern der Gewerkschaften bis vor wenigen Jahren unterwürfig nachgelaufen sind, machen die North-Leute nun eine Kehrtwende und lehnen die Gewerkschaften rundherum ab. Die Gewerkschaftsbürokratie war jedoch damals nicht weniger reaktionär als heute – und das selbe kann man von David North & Co. sagen.

Während des Zweiten Kalten Kriegs, in der antisowjetischen Kriegshysterie der 1980er, marschierten die North-Leute in ideologischem Gleichschritt mit den AFL-CIO-Führern, indem sie jede pro-imperialistische, antikommunistische nationalistische Bewegung in und um den Sowjet-Block begeistert unterstützten – von den CIA-unterstützten afghanischen Mudschaheddin über die konterrevolutionäre polnische Solidarność bis zu den Vertretern der unterjochten Nationen im Baltikum. In Britannien setzten Healys und Norths IK ihre Unterstützung von Solidarność für eine provokative Hexenjagd gegen die kämpferische Bergarbeitergewerkschaft und ihren Führer, Arthur Scargill, ein, gemeinsam mit den rechtesten Kräften in und um die Arbeiterbewegung. Ende 1983 zettelten die Healy-Leute antikommunistische Aufregung über Scargills Beschreibung von Solidarność als antisozialistisch an, um die Bergarbeiter gerade, als sie sich für die Schlacht gegen Thatcher und [das staatliche Kohleunternehmen National] Coal Board rüsteten, vom Rest der britischen Gewerkschaftsbewegung zu isolieren. Und 1991 warfen North & Co. sogar der US-Regierung unter Bush [Senior] vor, nicht aggressiv genug die von Faschisten durchsetzte litauische Organisation Sąjūdis zu unterstützen, die im Rahmen ihres Eintretens für die Wiederherstellung des Kapitalismus zur Abtrennung von der Sowjetunion aufrief.

Solange die Forderung nach Selbstbestimmung als demokratisches Feigenblatt für Angriffe auf den degenerierten Arbeiterstaat Sowjetunion diente, schwärmten die North-Leute wortgewandt von ihrer Unterstützung für nationale Rechte. Jetzt verunglimpfen sie die Forderung nach Selbstbestimmung und behaupten, dass nationale Unabhängigkeit in einer globalisierten Wirtschaft unmöglich, ja reaktionär, geworden sei. Nachdem sie die konterrevolutionäre Zerstörung der Sowjetunion – die größte Niederlage des internationalen Proletariats seit Jahrzehnten – unterstützt haben, haben die North-Leute eine defätistische, auf Niederlage orientierte Position gegenüber allen Kämpfen der Arbeiterklasse und der unterdrückten Völker in der nachsowjetischen Welt eingenommen.

Marx gegen das eherne Lohngesetz

Die Ansichten der North-Leute zur Globalisierung – d.h., zur massenhaften Produktionsverlagerung in die Dritte Welt durch multinationale Konzerne – und ihren Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Arbeit und Kapital ist eine zeitgenössische Version dessen, was im 19. Jahrhundert als ehernes Lohngesetz91 bezeichnet wurde. Das war eine Auffassung, wonach die Löhne, unabhängig von den – ökonomischen und/oder politischen – Aktionen der Arbeiterklasse nicht dauerhaft über ein festgelegtes Niveau steigen könnten. Ursprünglich war das eherne Gesetz zwar von britischen bürgerlichen Ökonomen entwickelt worden, zu seinen Anhängern gehörten aber fast alle der frühen sozialistischen oder anarchistischen Strömungen – die britischen Owenisten, die französischen Proudhonisten und die deutschen Lassalleaner.

Warum die Ideologen der Bourgeoisie behaupteten, dass das vorhandene Lohnniveau durch die unveränderlichen Gesetze des kapitalistischen Marktes bestimmt sei, ist unmittelbar verständlich. Aber warum sollten Linke, die das kapitalistische System ablehnten, ebenfalls so eine Position einnehmen? Weil sie glaubten, dass die Arbeiter nur dann für das Programm des Sozialismus (oder, im Fall von Proudhon, des Anarchismus) gewonnen werden könnten, wenn sie überzeugt wären, dass es hoffnungslos wäre, ihre Lebensbedingungen innerhalb des Kapitalismus verbessern zu wollen.

Es gab verschiedene Spielarten, wie das eherne Gesetz angeblich wirkte. Der Erfinder dieser Lehre, der Pfarrer Thomas Malthus, behauptete: Wenn die Löhne über das Existenzminimum stiegen, würden die Arbeiter mehr Kinder bekommen, von denen mehr das Erwachsenenalter erreichen würden. Der Zuwachs des Angebots an Arbeitskräften würde deshalb die Löhne wieder auf das Existenzminimum drücken. Die linken Anhänger des ehernen Gesetzes vertraten allgemein die Auffassung, dass jeder Anstieg der Geldlöhne schnell und vollständig durch einen Anstieg der Preise aufgehoben würde. Daher betrachteten sie Gewerkschaftstätigkeit als nutzlos oder gar schädlich für die Arbeiterklasse.

Proudhons letztes Werk, Die politischen Fähigkeiten der Arbeiterklassen92 (1865 posthum veröffentlicht), war ein umfassender Angriff auf die Gewerkschaftsbewegung, die in Frankreich gerade erst in bedeutendem Umfang entstanden war:

Unter der Drohung, zu streiken, haben einige von ihnen [Gewerkschafter], ja sogar die Mehrheit, einen Anstieg der Löhne gefordert, andere haben eine Verringerung der Arbeitsstunden gefordert, und wieder andere beides zur selben Zeit. Sicherlich haben sie immer gewusst, dass steigende Löhne und verringerte Arbeitsstunden nur zu einem allgemeinen Preisanstieg führen können.

Bei seiner Ablehnung von Streiks brachte Proudhon zusätzlich das Argument, dass die finanziellen Mittel der Kapitalisten so viel größer seien, dass die Arbeiter niemals gewinnen könnten:93

Stellen wir uns vor, ein Industrieunternehmen habe ein Kapital von drei Millionen und beschäftige eintausend Arbeiter, die eines Tages in den Streik treten. Der Dienstherr lehnt ihre Forderungen ab… Nach einem Monat haben die Arbeiter ihre Gelder aufgebraucht und werden sich an die Pfandleihe wenden müssen. Der Kapitalist wird lediglich ein Zwölftel seines Zinses verloren haben, und sein Kapital wird nicht angetastet worden sein. Der Kampf ist eindeutig ein ungleicher.

Wenn man in obigem Abschnitt Industrieunternehmen durch transnationaler Konzern ersetzt, gibt er die aktuelle Linie der North-Leute zutreffend wieder.

Während seines ganzen Lebens als revolutionärer Arbeiterführer bekämpfte Marx alle Vertreter des ehernen Lohngesetzes. Seine ausführlichste Behandlung dieser Frage ist die Broschüre Lohn, Preis und Profit von 1865 – eine polemische Antwort auf einen alten owenistischen Sozialisten, George Weston, der damals ein Mitglied des Generalrats der Ersten Internationale war. Darin zeigt Marx wissenschaftlich auf, dass bei der Ausbeutungsrate (dem Verhältnis des Mehrwerts zum Wert der Löhne) eine unendliche Stufenleiter von Variationen möglich ist:94

Die Fixierung ihres faktischen Grads erfolgt nur durch das unaufhörliche Ringen zwischen Kapital und Arbeit, indem der Kapitalist ständig danach strebt, den Arbeitslohn auf sein physisches Minimum zu reduzieren…, während der Arbeiter ständig in der entgegengesetzten Richtung drückt.

Die Frage löst sich auf in die Frage nach dem Kräfteverhältnis der Kämpfenden.

Die tatsächlichen Erfahrungen der Arbeiterklasse während der Entwicklung von Massengewerkschaften in Europa und Nordamerika Ende des 19. Jahrhunderts bestätigten Marx’s theoretische Widerlegung des ehernen Lohngesetzes. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts war das eherne Gesetz in der Arbeiterbewegung und Linken allgemein in Verruf gekommen. Eine beachtenswerte Ausnahme war der US-amerikanische Sozialist Daniel De Leon, der gewerkschaftlichen Kämpfen für höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten den Sturz des kapitalistischen Systems entgegenstellte.

In Übereinstimmung mit der vor 1914 geltenden sozialdemokratischen Orthodoxie betrachteten die Anhänger De Leons den Wahlsieg ihrer Partei, der Socialist Labor Party (SLP), über die bürgerlichen Parteien als das entscheidende Ereignis der sozialistischen Revolution. Der SLP angeschlossen war ein industrieller Arm namens Socialist Labor and Trade Alliance, der mit der Zeit zu einer künstlichen Organisation nach Art eines potemkinschen Dorfs wurde, die ausschließlich aus den eigenen Unterstützern der SLP bestand. Trotz ihres Namens war die Socialist Labor and Trade Alliance keine Gewerkschaft irgendeiner Art. Sie befürwortete keine Kämpfe, um die Löhne oder Lebensbedingungen der Arbeiter zu verbessern, und noch weniger beteiligte sie sich an ihnen. Was war dann ihr Zweck? Nach dem erwarteten Wahlsieg der SLP sollte die Socialist Labor and Trade Alliance die Produktionsmittel von den Kapitalisten in Besitz nehmen und halten und in der Folge die sozialistische Wirtschaft verwalten.

Dritte-Welt-Löhne bedeuten… Dritte-Welt-Wirtschaften

Die aktuelle Pose der North-Gruppe ähnelt dem alten De-Leon-Programm – nur waren die Anhänger De Leons prinzipienfeste, wenn auch fehlgeleitete, Sozialisten. Eine Hauptbeschäftigung von Norths Socialist Equality Party (SEP, ehemals Workers League) und der anderen SEPs, die jüngst von IK-Sektionen in Britannien und Australien gegründet wurden, besteht darin, in bürgerlichen Wahlen für verschiedene Regierungsebenen anzutreten. In Bezug zu den Kämpfen der Gewerkschafts-Massenbewegung haben sie eine bestenfalls teilnahmslose Position eingenommen. Und zumindest auf dem Papier planen die North-Leute jetzt den Aufbau von etwas ähnlichem wie der Socialist Labor and Trade Alliance.

In ihrer Broschüre The Globalization of Capitalist Production & the International Tasks of the Working Class von 1993 stellen es die North-Leute so dar:

Transnationale Unternehmen verlagern systematisch die arbeitsintensivsten Produktionsbereiche in verarmte Regionen, wo die Löhne nur ein Bruchteil der bestehenden Niveaus in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern betragen. Selbst hochtechnologische und fachkundige Arbeit kann billig in Indien, Teilen von Lateinamerika, Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion eingekauft werden. Das unaufhaltsame Ergebnis sind eine Angleichung der Löhne und Lebensstandards nach unten und gnadenlose Angriffe auf vergangene soziale Reformen und rechtliche Einschränkungen der Ausbeutung der Arbeit durch das Kapital in den imperialistischen Zentren.

Wie bereits angedeutet, vertreten die North-Leute hier, hinter einer dünnen Fassade marxistischer Rhetorik, eine Position, die gegenwärtig von einem weiten Feld bürgerlicher und kleinbürgerlicher Liberaler vorgebracht wird. So wurde in einem Artikel in Foreign Affairs95 kürzlich gewarnt, Ungleichheit, Arbeitslosigkeit und chronische Armut seien die Erfüllungsgehilfen der globalen Wirtschaft. Und in einer Sonderausgabe der liberalen Nation96 behaupten die grünen Wortführer Colin Hines und Tim Lang:

Die Globalisierung führt unbestreitbar zu Ökonomien mit niedrigeren Löhnen. Der britische Ökonom Adrian Wood hat eine nicht unwesentliche Verlagerung von 9 Millionen Arbeitsplätzen vom Norden in den Süden [d.h. von den industrialisierten Ländern in die Dritte Welt] in den letzten Jahren berechnet… Unterdessen bewirbt sich Britannien als Niedriglohnland, um Industrie anzulocken. Die Entwicklungsrichtung ist deutlich.

Die von North und anderen propagierte, auf der angeblichen Globalisierung der Produktion basierende Version des ehernen Lohngesetzes hat genauso wenig Gültigkeit wie die verschiedenen Versionen aus dem 19. Jahrhundert. Löhne in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern werden aus zwei wesentlichen Gründen – einem politischen und einem wirtschaftlichen – nicht annähernd auf Dritte-Welt-Niveau herabgedrückt werden.

Wie wir sehen werden, erfordern gesteigerte Investitionen von westlichen und japanischen Banken und Konzernen in rückständigen Ländern, insbesondere im verarbeitenden Sektor, die Aufrechterhaltung starker imperialistischer Staaten, um die Investitionen zu beschützen. US-Kapitalisten werden keinen Großteil ihrer Stahlproduktion in Südkorea oder Brasilien herstellen lassen, denn sie brauchen einen garantierten Zugriff auf diesen Stahl für den Fall von Kriegen gegen ihre imperialistischen Rivalen – Deutschland und Japan – sowie für militärisches Eingreifen gegen Revolutionen in ehemaligen Kolonialländern wie Südkorea und Brasilien.

Im Kommunistischen Manifest, 1848 von Karl Marx und Friedrich Engels geschrieben, wird die moderne Staatsgewalt definiert als ein Ausschuß, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet. Eine der Aufgaben dieses staatlichen Ausschusses ist sicherzustellen, dass einzelne Kapitalisten beim Streben, ihre eigenen Profite zu maximieren, nicht die lebenswichtigen Interessen der nationalen Bourgeoisie als Ganzer verletzen. So hinderte Washington vor ein paar Jahren die Geschäftsführung und die Anteilseigner von Continental Oil daran, in die Modernisierung iranischer Ölfelder zu investieren, weil der Aufbau der iranischen Wirtschaft den aktuell wahrgenommenen Interessen des US-Imperialismus zuwiderlief. Es ist gut möglich, dass die USA, Deutschland und Japan in den nächsten paar Jahren – gegen die unmittelbaren Interessen und Wünsche von Teilen ihrer eigenen Kapitalistenklassen – Handelsprotektionismus, Kontrollen von Außenhandelstransaktionen und strenge Beschränkungen auf den Im- und Export von Kapital verhängen.

Darüber hinaus gibt es eine grundlegende wirtschaftliche Grenze der Globalisierung der Produktion. Industrielöhne in Ostasien und Lateinamerika betragen seit Jahrzehnten nur einen kleinen Bruchteil der Löhne in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern. Warum produziert dann Siemens immer noch die meisten ihrer Elektromaschinen in Deutschland und General Motors die meisten seiner Autos in Nordamerika? Weil im industriellen Produktionsprozess 15 ungelernte Arbeiter in Indonesien (die deutlich unter einem Dollar pro Stunde bekommen) einen ausgebildeten Maschinisten in den USA (der 15 Dollar pro Stunde bekommt) oder in Deutschland (25 Dollar pro Stunde) nicht ersetzen können.

Das technisch-kulturelle Niveau der Arbeitskräfte in Europa, Nordamerika und Japan ist qualitativ höher als in der Dritten Welt. Die jährlichen Ausgaben für Grund- und weiterführende Schulbildung pro Schüler betragen mehr als 5000 Dollar in den USA, fast 4000 Dollar in Japan, 600 Dollar in Lateinamerika und der Karibik, und 70 Dollar auf dem indischen Subkontinent! Die gewaltigen Unterschiede können im Rahmen des kapitalistisch-imperialistischen Systems nicht spürbar verringert werden.

Die Grundannahme von Trotzkis Theorie der permanenten Revolution ist, dass Länder mit verspäteter kapitalistischer Entwicklung in der imperialistischen Epoche das allgemeine Niveau wirtschaftlicher Produktivität der Regionen, die Vorreiter der bürgerlichen Revolution waren – Westeuropa, Nordamerika und später Japan –, nicht erreichen können. Das ist die weltwirtschaftliche Grundlage für die Aufteilung der Welt in imperialistische Länder einerseits und neokoloniale Länder, die von ersteren ausgebeutet und unterdrückt werden, andererseits. Wenn Indiens Arbeitsproduktivität annähernd die der USA oder Japans betragen würde, wäre Indien selbst eine bedeutende imperialistische Macht, denn seine industrielle Arbeiterschaft (rund 30 Millionen Arbeiter) ist zahlenmäßig so groß wie die der USA und 50 Prozent größer als die Japans.

In seinem theoretischen Kern ist das North’sche Konzept von Globalisierung eine Zurückweisung des trotzkistischen Verständnisses von permanenter Revolution, denn es behauptet eine Tendenz zur Angleichung der weltweiten wirtschaftlichen Bedingungen durch ein Anheben der Produktivität in den rückständigen kapitalistischen Ländern und ein Absenken der Produktivität in den fortgeschrittenen. Die wirkliche Globalisierung der Produktion erfordert aber eine international geplante sozialistische Wirtschaft – nur diese kann die Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas auf das technisch-kulturelle Niveau der jetzt so genannten Ersten Welt heben.

Wirtschaftliche Globalisierung: Mythos und Realität

Ein Artikel in der erwähnten Sonderausgabe der Nation97 über die Frage der Globalisierung fängt mit folgender bedeutungsschweren Behauptung an: Die wirtschaftliche Globalisierung bedeutet wohl die grundlegendste Umgestaltung und Zentralisierung der politischen und wirtschaftlichen Zustände des Planeten seit der industriellen Revolution. Ähnlich behauptet der australische Führer der North-Leute, Nick Beams: Globalisierung bezeichnet die Internationalisierung des Kreislaufs des produktiven Kapitals, und das stelle eine qualitative Transformation des weltweiten kapitalistischen Systems dar.98

In Wirklichkeit war die Geschichte des industriellen Kapitalismus von einem früheren Umbruch in der geografischen Verteilung der Produktion gekennzeichnet, der viel tiefgreifender war als der gegenwärtige. Die industrielle Revolution begann im frühen 19. Jahrhundert in England und Schottland und breitete sich bis zur Mitte des Jahrhunderts nach Frankreich und in die Niederlande (Belgien und Holland) aus. Am Ende des 19. Jahrhunderts waren Deutschland, die Vereinigten Staaten und Japan die Schwellenländer ihrer Zeit.

Friedrich Engels schrieb in den 1890ern, dass Deutschland, welches zur Zeit der 1848er Revolution wirtschaftlich noch von bäuerlicher Landwirtschaft und kleiner Handwerksmanufaktur dominiert war, zu einem Industrieland ersten Ranges geworden war.99 Im gleichen Zeitraum wurden auch die Vereinigten Staaten zu einem Industrieland ersten Ranges. Die industrielle Entwicklung in den USA hing, insbesondere im Schlüsselsektor des Eisenbahnbaus, stark von Investitionen durch britisches Kapital ab. Nach dem Sturz der Feudalordnung im Zuge der Meiji-Restauration der 1860er ahmte Japan gezielt die fortgeschrittenen kapitalistischen Ökonomien des Westens nach, beginnend mit dem Export leichter Fertigwaren, die von billigen, ungelernten Arbeitern hergestellt wurden. Auch das zaristische Russland erlebte von den 1890ern bis zum Ersten Weltkrieg ein rasantes, großteils durch westeuropäisches, vor allem französisches, Kapital finanziertes Industriewachstum.

Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts hatten jedoch die bestehenden fortgeschrittenen kapitalistischen (d.h. imperialistischen) Länder eine solche Vorherrschaft über die rückständigeren Regionen erreicht, dass sie die Entwicklung neuer rivalisierender Industriemächte verhindern konnten. So kam es zur aktuellen Einteilung der Welt in die sogenannte Erste und Dritte Welt.

Da Norths Internationales Komitee behauptet, der Weltkapitalismus habe gerade eine qualitative Transformation durchgemacht, würde man erwarten, dass die angeblich marxistische Organisation ihre Analyse mit einer umfassenden Untersuchung der relevanten Wirtschaftsdaten untermauert. Lenins Arbeit Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus von 1916 enthält zum Beispiel Seiten mit statistischen Tabellen, die die Analyse in allen Aspekten beleuchten und unterfüttern. Im Gegensatz dazu fehlt es den Schriften und Reden von North und seinen Schergen über Globalisierung selbst an oberflächlichen Daten zu Entwicklungslinien der globalen Produktion, der Investitionen und des Handels. Ihre Broschüre The Globalization of Capitalist Production & the International Tasks of the Working Class von 1993 enthält keine einzige statistische Tabelle oder Grafik.

Ein paar grundlegende und leicht zugängliche Statistiken widerlegen die Vorstellung von einer qualitativen Transformation des Weltkapitalismus. Westliche/japanische Investitionen in die sogenannten Schwellenländer beliefen sich 1993, in einem Spitzenjahr, auf etwa 100 Milliarden Dollar. Diese Rekordsumme betrug jedoch nur 3 Prozent der gesamten Kapitalinvestitionen in Nordamerika, Westeuropa und Japan. Mit anderen Worten investieren die imperialistischen Bourgeoisien immer noch mehr als 30 Mal soviel in ihrer eigenen Ersten Welt als in der Dritten Welt. Für jeden Dollar, den sie in Produktionsmittel in den Vereinigten Staaten ausgeben, investieren US-Kapitalisten 9 Cent in Kanada und Westeuropa und nur 5 Cent im gesamten Rest der Welt.

Warum dann das ganze Geschrei um ökonomische Globalisierung? In den letzten paar Jahrzehnten, und besonders seit der Zerstörung der Sowjetunion, ist die kapitalistische Weltwirtschaft in gewisser Hinsicht zum Normalzustand der imperialistischen Ordnung vor 1914 zurückgekehrt. Um die Orientierung zu behalten, sollte man verstehen, dass das Verhältnis des Welthandels zur globalen Produktion erst Anfang der 1970er wieder das Niveau erreicht hatte, das es 1914, am Vorabend des ersten imperialistischen Weltkriegs, hatte. Dennoch erwähnen die heutigen Theoretiker der Globalisierung selten, wenn überhaupt, Lenins wegweisende Studie über den Aufstieg des imperialistischen Systems, zu der sie außer Verwirrung wenig bis nichts hinzuzufügen haben. Wie wir in einem früheren Artikel bemerkten:100

Die Idee von einer Ära der globalen wirtschaftlichen Integration, die North darstellt, als wäre sie wieder eine seiner einzigartigen theoretischen Durchbrüche, ist der marxistischen Bewegung nun schon mehr als ein Jahrhundert bekannt. Man nennt das sonst Imperialismus!

Der Begriff Globalisierung bezieht sich auf gewisse bedeutende quantitative Veränderungen in der gegenwärtigen Struktur der weltweiten Produktion und des Handels. 1970 bestanden 85 Prozent aller Exporte (nach Wert betrachtet) aus Afrika, Lateinamerika und asiatischen Ländern außer Japan aus landwirtschaftlichen Produkten, Öl, Mineralerzen und anderen Primärprodukten. Seitdem sind die Exporte von verarbeiteten Gütern aus Ländern der Dritten Welt preisbereinigt durchschnittlich 15 Prozent pro Jahr gestiegen und machen nun deutlich mehr als die Hälfte des Werts ihrer gesamten Exporte aus. Ein Großteil dieser Industrieproduktion wird entweder direkt oder mittels lokaler Subunternehmer, Lizenznehmer usw. von westlichen/japanischen Konzernen finanziert und organisiert. Das Wachstum international konkurrenzfähiger Industriebetriebe in Ostasien und Lateinamerika ist jedoch umkehrbar und kann nicht annähernd in dem Tempo weiter wachsen wie in den vergangenen Jahrzehnten. Das ist eine politische, wirtschaftliche und, ja, auch mathematische Tatsache.

US-amerikanische Geschäftsleute kennen das Sprichwort: Es gibt Lügner, verdammte Lügner, und Statistiker. Man kann Statistiken immer irreführend auswählen und darstellen. Eine der häufigsten Arten dafür ist, dramatische prozentuale Zuwächse von einer niedrigen Ausgangsbasis zu zeigen und dann ähnliche prozentuale Zuwächse für die Zukunft anzunehmen. Wenn beispielsweise ein Arbeiter, der 5 Dollar pro Stunde macht, eine Lohnerhöhung von einem Dollar bekommt, hat er einen Zuschlag von 20 Prozent erhalten, während ein Arbeiter, der 13 Dollar pro Stunde macht, bei einer Lohnerhöhung von einem Dollar einen Zuschlag von 8 Prozent erhalten hat. Der zweite Arbeiter steht aber trotzdem weit besser da als der erste. Und der Niedriglohnarbeiter weiß ganz genau, dass er nicht für die nächsten zehn Jahre weiter jedes Jahr eine 20-prozentige Lohnerhöhung bekommen wird.

Ein Großteil dessen, was über die Weltwirtschaft geschrieben und diskutiert wird – sowohl von bürgerlichen Ideologen als auch von linken Intellektuellen – beruht jedoch auf dieser Art von fehlerhafter Methodik. Zum Beispiel wuchs Japans gesamtnationale Produktionsmenge zwischen 1950 und der Mitte der 1970er mit einer zwei- bis dreifach höheren jährlichen Rate als die der USA. In den 1970ern schrieben namhafte US-Intellektuelle breit beworbene Bücher – wie Herman Kahns The Emerging Japanese Superstate101 oder Ezra Vogels Japan as Number One –, in denen sie voraussagten, dass Japan bis Ende des Jahrhunderts die Vereinigten Staaten als führende kapitalistische Macht der Welt ablösen würde. Nicht lange, nachdem diese Bücher herauskamen, fiel die japanische Wachstumsrate scharf zurück, und während des vergangenen Jahrzehnts stagnierte Japans Wirtschaft. Heute ist Japans gesamtnationale Produktionsmenge immer noch nur halb so groß wie die der USA.

Die gegenwärtige Endzeitvision der wirtschaftlichen Globalisierung beruht auf den gleichen falschen Voraussetzungen wie die Japan wird Nummer Eins-Literatur der 1970er. Beispielsweise stieg Chinas Anteil an den weltweiten Exporten von Schuhen zwischen 1985 und 1994 von 1,5 auf 15,5 Prozent – ein Zuwachs von 1000 Prozent. Wenn man den gleichen Zuwachs für die nächsten zehn Jahre voraussagt, wird China für 150 Prozent des Welthandels an Schuhen aufkommen – eine mathematische Unmöglichkeit. Ein anderes Beispiel: Investitionen von westlichen/japanischen Konzernen in Fabriken und Ausrüstung in rückständigen Ländern, zu denen jetzt auch Osteuropa und die ex-UdSSR gehören, sind letztes Jahr um 13 Prozent gestiegen. Es ist jedoch falsch, anzunehmen, dass diese Tendenz sich in der Zukunft unbegrenzt fortsetzen wird.

Die Entwicklung des modernen Imperialismus

Um die wirkliche Bedeutung und die Grenzen der jüngsten Veränderungen in der Weltwirtschaft zu verstehen, muss man diese Veränderungen aus einer breiteren historischen Perspektive betrachten. In seiner Broschüre Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus von 1916 beschrieb Lenin den modernen Imperialismus als jene Epoche des Kapitalismus, die gekennzeichnet ist durch den Export von Kapital und die Aufteilung der Welt in Einflusssphären durch einige wenige große fortgeschrittene kapitalistische Staaten. Die zwei wesentlichen Institutionen der imperialistischen Ordnung vor 1914 waren der Kolonialismus und der Goldstandard.

Vor allem Britannien und Frankreich, aber auch andere westeuropäische Staaten, die Vereinigten Staaten und Japan übten direkte Staatsgewalt über Hunderte Millionen Arbeitende weltweit aus. Britische Plantagenbesitzer in Indien brauchten sich keine Sorgen machen, dass die indische Regierung hohe Steuern auf ihr Eigentum erheben oder arbeiterfreundliche Gesetze erlassen würde, denn die Regierung von Indien war ihre Regierung. Verglichen mit Britisch-Indien waren ausländische Investitionen in China in der Ära vor 1914 relativ gering, weil das Land von politischer Unruhe geplagt war und den Schauplatz von Konflikten zwischen einer Reihe rivalisierender imperialistischer Mächte bildete.

Gleichzeitig sicherte der Goldstandard einen Grad von finanzieller Integration unter den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, der seitdem nie wieder erreicht wurde. Die Wechselkurse zwischen den Währungen waren festgesetzt, es gab kaum oder keine Beschränkungen für die internationale Bewegung des Kapitals, und die Realzinsen waren stabil und eng verknüpft mit den wichtigsten Finanzmetropolen – London, Paris, New York. Britische Eigner von US-Eisenbahnaktien brauchten nicht befürchten, dass ihre Vermögenswerte durch Hyperinflation oder durch die Abwertung des Dollars gegenüber dem Pfund abgewertet würden.

Unter diesen Bedingungen blühte die Globalisierung des Kapitals wie niemals zuvor oder seitdem, wie man den folgenden paar Statistiken für Britannien und Frankreich entnehmen kann (aus Herbert Feis, Europe – The World’s Banker 1870–1914, 1964). Das Einkommen, das britische Kapitalisten aus ihren ausländischen Besitztümern bezogen, stieg von 4 Prozent des gesamten britischen Nationaleinkommens in den 1880ern auf 7 Prozent im Jahr 1903 und fast 10 Prozent am Vorabend des Ersten Weltkriegs 1914. Auslandsinvestitionen waren in Britanniens eigenen Kolonien (vor allem Indien, Südafrika, Kanada und Australien) sowie in den Vereinigten Staaten und in geringerem Ausmaß in Argentinien konzentriert. Bis 1914 beliefen sich die gesamten produktiven Vermögenswerte britischer Kapitalisten außerhalb Britanniens auf deutlich mehr als ein Viertel des Kapitalbestandes innerhalb Britanniens selbst!

Während die Globalisierung des britischen Kapitalismus in der Zeit vor 1914 historisch einzigartig ist, spielten Auslandsinvestitionen für den französischen Kapitalismus in dieser Periode ebenfalls eine weit größere Rolle als bei irgendeinem heutigen imperialistischen Land. Zwischen 1909 und 1913 stammten fast 5 Prozent des französischen Nationaleinkommens aus französischen Auslandsinvestitionen (hauptsächlich in Russland, der Türkei, dem Balkan und in Frankreichs eigenen Kolonien in Afrika und Asien). Bis 1914 belief sich der Gesamtwert der langfristigen französischen Auslandsinvestitionen (45 Milliarden Francs) auf 15 Prozent des produktiven Reichtums innerhalb Frankreichs (295 Milliarden).

Schauen wir uns nun vergleichbare Zahlen für die Vereinigten Staaten heute an. 1994 betrug das gesamte Einkommen von US-Kapitalisten aus Auslandsbesitz, sowohl aus Direktinvestitionen als auch aus Aktien- und Anleihebesitz, 167 Millarden Dollar. Das bedeutete etwas weniger als 2 Prozent des US-Bruttoinlandsprodukts von 6,7 Billionen Dollar. Der aktuelle Gesamtwert von US-amerikanischen Direktinvestitionen im Ausland beträgt etwa eine Billion Dollar, also etwas weniger als 10 Prozent der 10,5 Billionen Dollar an privaten industriellen Vermögenswerten (Betriebe und Ausrüstung) innerhalb der Vereinigten Staaten. Im Falle Japans ist das relative Gewicht der Auslandsinvestitionen sogar noch geringer als bei den USA, und im Fall von Deutschland ist es wesentlich geringer.

Erster Weltkrieg und Russische Revolution

Wie die obigen Zahlen andeuten, bewirkten der Erste Weltkrieg und die bolschewistische Revolution von 1917 in Russland einen tiefgehenden und lang anhaltenden Umbruch in der kapitalistischen Weltwirtschaft. Zuerst einmal brachte der Krieg den Goldstandard zur Strecke. Alle Kriegsparteien finanzierten ihre riesigen, nie dagewesenen Militärausgaben, indem sie Geld druckten und gleichzeitig strenge Kontrollen über alle internationalen Transaktionen verhängten. Als der Krieg 1918 endete, stand das Preisniveau in den wesentlichen kapitalistischen Ländern weder zu Vorkriegs-Wechselkursparitäten noch zu realer Kaufkraft in irgendeinem Verhältnis.

Ein Versuch, den Goldstandard Mitte der 1920er wiederzubeleben, wurde unter den Trümmern der Weltwirtschaftskrise der 1930er begraben. Dieses Jahrzehnt brachte den Zusammenbruch des Welthandels, den Aufstieg von Handelsprotektionismus, um die Nachbarn zu Bettlern zu machen,102 die weitverbreitete Anwendung von Außenhandelskontrollen (besonders in Nazi-Deutschland), und die Einrichtung regionaler, von einer einzigen imperialistischen Macht dominierter Wirtschaftsblöcke (z.B. Japans Großostasiatische Wohlstandssphäre).

Zu den Effekten der Weltwirtschaftskrise und sich verschärfenden interimperialistischen Konflikten kamen die Auswirkungen der Russischen Revolution hinzu. Nicht nur wurde ein bedeutendes Land aus dem Wirkungsbereich kapitalistischer Ausbeutung herausgerissen – die imperialistischen Bourgeoisien waren nun durchdrungen von der Angst vor roter Revolution auch anderswo, vor allem in rückständigen Ländern, wo die sozialen und politischen Bedingungen offenkundig instabil waren. Die riesigen Verluste, die französische Finanziers und andere Eigner von russischen zaristischen Anleihen erlitten, warfen in den 1920ern und 30ern lange Schatten über die weltweiten Kapitalmärkte. Kreditvergabe an halbkoloniale Länder wie China und Mexiko wurde gehemmt durch die spürbare Gefahr revolutionärer Unruhen und linker Regierungen, die die Auslandsschulden der Länder nicht anerkennen würden. Die einzigen bedeutenden ausländischen Investitionen in China während der Zwischenkriegszeit wurden von den Japanern in der Mandschurei getätigt – nachdem sie diese Region 1931 erobert und besetzt hatten.

Vom Zweiten Weltkrieg zum Kalten Krieg

Der Kampf der wesentlichen kapitalistischen Mächte um die Neuaufteilung von Märkten und Ausbeutungssphären führte 1939–41, wie schon 1914, zu einem interimperialistischen Weltkrieg – obwohl es sich diesmal bei einem der Hauptbeteiligten um einen (degenerierten) Arbeiterstaat, die Sowjetunion, handelte. (Deshalb riefen revolutionäre Marxisten im Zweiten Weltkrieg – während sie gegenüber allen imperialistischen Mächten, wie schon im vorherigen Weltkrieg, eine defätistische Position einnahmen – zur bedingungslosen militärischen Verteidigung der UdSSR auf.) Das Ergebnis des Zweiten Weltkriegs verfestigte und vertiefte die Störung und Zersplitterung der Weltwirtschaft. Indem sie ihre imperialistischen Hauptrivalen, Deutschland und Japan, besiegten, wurden die Vereinigten Staaten zur beherrschenden kapitalistischen Macht. Die globale Vorherrschaft des US-Imperialismus wurde jedoch durch die Sowjetunion in Schach gehalten, die aus dem Krieg als zweitstärkster Staat der Welt hervorgegangen war. Von Ostasien über Westeuropa bis Südamerika war der Verlauf wirtschaftlicher Entwicklungen zwischen 1945 und 1991 untrennbar mit dem Kalten Krieg verbunden.

In Westeuropa und auch Japan wirkten die Verwüstungen des Krieges in Verbindung mit einer nach links gerichteten Radikalisierung der Arbeiterklasse einer Rückkehr zur Politik des Freihandels und des freien Marktes der Ära vor 1914 entgegen. Bis auf die USA verlegten sich in der ersten Phase der Nachkriegsperiode alle großen fortgeschrittenen kapitalistischen Länder auf ein hohes Maß an staatlichen Eingriffen in die Wirtschaftstätigkeit. Fast alle Außenhandelstransaktionen in Westeuropa unterlagen strenger staatlicher Regulierung und bürokratischer Genehmigung. Bis zu den späten 1950ern waren das Pfund, der Franc und die D-Mark nicht frei umtauschbar.

Währungskonvertibilität ist eine grundlegende wirtschaftliche Voraussetzung für umfangreiche Auslandsinvestitionen in der Industrie und dem Dienstleistungsbereich, weil der Ertrag aus diesen Aktivitäten für gewöhnlich in der Währung des Landes ausgewiesen wird, in dem die Investitionen stattfinden. Das Öl, das Exxon in Saudi-Arabien fördert, wird auf dem Weltmarkt für Dollar verkauft. Aber die Autos, die General Motors in Deutschland produziert, werden an Deutsche für D-Mark verkauft. Deshalb kauften oder bauten US-Konzerne erst in den 1960ern in bedeutendem Umfang Industriebetriebe in Westeuropa – nachdem die Einführung der Konvertibilität ihnen ermöglichte, ihre Profite nach Hause zu holen. Der Gesamtwert US-amerikanischer Direktinvestitionen in die Industrie Westeuropas stieg von 3,8 Milliarden Dollar 1960 auf 12,3 Milliarden Dollar (mit Inflationsausgleich) am Ende des Jahrzehnts.

Die radikalsten politischen Veränderungen der Nachkriegsperiode, die die internationalen Kapitalbewegungen beeinflussten, fanden jedoch in den wirtschaftlich rückständigen Regionen der Welt statt. Während sie die Wehrmacht der Nazis besiegte, besetzte die Rote Armee Osteuropa. Unter dem feindlichen Druck des US-Imperialismus wurden diese Länder in den folgenden Jahren, bürokratisch von oben, in Volksdemokratien umgeformt – d.h. in deformierte Arbeiterstaaten, die strukturell der stalinisierten Sowjetunion ähnelten und auf geplanter, kollektivierter Wirtschaft, staatlichem Außenhandelsmonopol usw. basierten.

Als Ergebnisse einheimischer, auf die Bauern gestützter und von Stalinisten geführter sozialer Revolutionen entstanden auch in China, Nordkorea und Vietnam [sowie Laos103] bürokratisch deformierte Arbeiterstaaten. Es war vor allem Angst vor einem Krieg mit der Sowjetunion, die Washington davon abhielt, seine Nuklarwaffen im Koreakrieg Anfang der 1950er gegen Maos China und ein paar Jahre später gegen die Viet-Minh-Kräfte einzusetzen, die gerade die französische Kolonialarmee in Indochina besiegten. Damit war ein großer Teil der Welt aus dem Wirkungsbereich kapitalistischer Ausbeutung herausgelöst, obwohl er immer noch dem mächtigen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Druck des Imperialismus ausgesetzt blieb.

Gleichzeitig fanden radikale politische Veränderungen auch in jenen wirtschaftlich rückständigen Ländern statt, die innerhalb des Wirkungsbereichs kapitalistischer Ausbeutung blieben. Die durch den Zweiten Weltkrieg verursachte Schwächung der westeuropäischen imperialistischen Staaten führte in Verbindung mit der Radikalisierung der kolonialen Massen zur Dekolonisation großer Teile Asiens, des Nahen Ostens und Afrikas. Die Staatsmacht ging in diesen Regionen nun in die Hände einheimischer Bourgeoisien über, die in einem vom internationalen Finanzkapital beherrschten globalen Kontext versuchten, ihre eigenen nationalen Interessen zu verfolgen.

Trotz einiger CIA-organisierter Putsche (z.B. 1953 gegen Mossadegh im Iran) waren die Möglichkeiten des US-Imperialismus, die Regierungen der vormals kolonialen oder halbkolonialen Länder zu kontrollieren, durch die Gegenmacht der Sowjetunion begrenzt. Die Rückendeckung durch Moskau ermöglichte es bürgerlich-nationalistischen Regimen wie Nassers Ägypten, Nehrus und Indira Gandhis Indien und Saddam Husseins Irak, politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit von den imperialistischen Mächten in einem Maß auszuüben, das sie auf der Grundlage ihrer eigenen nationalen wirtschaftlichen Ressourcen nicht erreicht hätten.

In den 1960ern halfen sowjetische Gelder und Ingenieure, in Nassers Ägypten den Assuan-Staudamm – einen der größten der Welt – zu bauen. Bis Anfang der 70er war die UdSSR zum größten Markt für Exporte aus Indien geworden, während Moskau mehr als 60 Prozent der Importe an militärischem Material für das Regime in Neu-Delhi lieferte. Zur gleichen Zeit hielt die Furcht vor Strafsteuern, vor Einschränkungen beim Heimholen von Profiten und vor der Möglichkeit von Verstaatlichungen ohne ausreichende Entschädigung westliche und japanische Konzerne davon ab, in Ländern wie Ägypten und Indien zu investieren. Die 1960er und 70er bildeten somit im damals so genannten afro-asiatischen Block die Blütezeit des Wirtschaftsnationalismus und des verstaatlichten Kapitalismus.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion gab es jedoch nicht einmal mehr ein teilweises Gegengewicht zur imperialistischen Vorherrschaft des Westens und Japans in der Dritten Welt. Der Golfkrieg von 1991 signalisierte, dass jene bürgerlich-nationalistischen Regime, die sich über die Dikate aus Washington hinwegsetzten, ohne den Schutz der UdSSR der vernichtenden Macht der Pentagon-Kriegsmaschinerie ausgesetzt werden würden.

Selbst mit dem relativ größeren Manövrierbereich, den sie hatten, als die Sowjetunion noch existierte, schlugen die bürgerlich-nationalistischen Regime in der Dritten Welt keinen wirklich vom Imperialismus unabhängigen Kurs ein, und konnten das auch nicht tun. Genausowenig konnten sie die wirtschaftliche und soziale Modernisierung ihrer Länder herbeiführen. Ihrer blockfreien Positionierung und sogar sozialistischen Rhetorik zum Trotz blieben die halbkolonialen Bourgeoisien über Tausend Fäden an die imperialistischen Bourgeoisien gebunden, der Macht des imperialistischen Weltmarkts untergeordnet und unterwürfig. So blieben Indiens Exporte, wie zur Kolonialzeit, in der mit ungelernter Arbeit produzierenden Leichtindustrie konzentriert. Ägypten blieb wirtschaftlich abhängig vom Baumwollexport (sowie von Gebühreneinnahmen aus dem Suezkanal), der baathistische Irak und Gaddafis Libyen von den Unwägbarkeiten des Weltmarkts für Öl, der von den Monopolen der Sieben Schwestern kontrolliert wurde. Und Algerien unter dem radikal-nationalistischen FLN-Regime war stark abhängig von dem Geld, das in Frankreich arbeitende Algerier nach Hause schickten. Wirkliche Unabhängigkeit vom Imperialismus können diese Länder nur durch den revolutionären Sturz der lokalen Bourgeoisien im Rahmen einer Perspektive der weltweiten, bis in die imperialistischen Zentren reichenden, sozialistischen Revolution erreichen.

Das Ende des amerikanischen Jahrhunderts

Was jetzt als wirtschaftliche Globalisierung bezeichnet wird, wurzelte im Wiederaufbau des deutschen und des japanischen Kapitalismus nach ihrer Verwüstung und Niederlage im Zweiten Weltkrieg. In den Jahren bis zu den 1960ern waren deutsche und japanische Fertigprodukte in großem Stil in die Weltmärkte, einschließlich des US-amerikanischen, eingedrungen. Die Wettbewerbsposition des US-Imperialismus wurde in dieser Periode außerdem durch den Inflationsdruck geschwächt, der sich aus seinem langen, erfolglosen Kolonialkrieg in Vietnam ergab. Das große, anhaltende Außenhandelsdefizit der USA, insbesondere mit Japan, untergrub gefährlich den Gebrauch des Dollars als weltweites Zirkulationsmittel und als Wertanlage – also das internationale Währungssystem, das ursprünglich 1944 bei der Konferenz in Bretton Woods, New Hampshire, eingerichtet wurde. Nixons Abwertung des Dollar relativ zum Gold im August 1971 und die nachfolgende Rückkehr zu schwankenden Wechselkursen zeigten das Ende des kurzlebigen amerikanischen Jahrhunderts US-imperialistischer Vorherrschaft in der kapitalistischen Welt an.

Die großen Verluste der US-amerikanischen Unternehmen während des weltweiten Wirtschaftsabschwungs 1974/75 offenbarten noch weiter die geschwächte Wettbewerbsposition des US-Kapitalismus. Die US-amerikanische Bourgeoisie reagierte mit einer konzertierten Kampagne zur Erhöhung der Ausbeutungsrate. Die Offensive gegen die Arbeiter war gekennzeichnet von Verzichts-Tarifverträgen, zweistufigen Lohnsystemen für jüngere Arbeiter und unverhohlener Gewerkschaftsfeindlichkeit. Gewerkschaftlich organisierte Fabriken im Mittleren Westen und im Norden, wo relativ hohe Löhne gezahlt wurden, machten dicht, als die Produktion in den Süden und Südwesten mit ihren [gewerkschaftsfreien] open shops verlagert wurde.

Zur gleichen Zeit vollzog das US-Industriekapital eine große Ausbreitung in Ostasien und Lateinamerika. Zwischen 1977 und 1994 gab es in Dritte-Welt-Ländern eine fünffache Steigerung an Industriebetrieben und -ausrüstung im direkten Besitz von US-Konzernen, von 11 Milliarden auf 52 Milliarden Dollar (in realen Werten, inflationsbereinigt). Japanische Industrielle folgten ihren US-amerikanischen Wettbewerbern beim Auslagern bald nach. Mitte der 1980er produzierte Matsushita schon viele seiner Fernsehgeräte und Klimaanlagen in Malaysia, Yamaha seine Sportartikel in Taiwan, Minebea seine Miniaturkugellager in Singapur und Thailand, TDK seine Magnetbänder in Taiwan und Südkorea, usw.

Dennoch waren Investitionen durch westliche und japanische Konzerne in neokolonialen Ländern immer noch durch die Unsicherheiten des Kalten Kriegs gehemmt. Ein Volksaufstand oder selbst eine Wahl oder ein Militärputsch könnten plötzlich ein links-nationalistisches Regime hervorbringen, das von Moskau unterstützt würde. In Nicaragua wurde zum Beispiel 1979 durch eine Revolution Washingtons Marionetten-Diktator Somoza gestürzt und die radikalen kleinbürgerlich-nationalistischen Sandinistas an die Macht gebracht. Zur gleichen Zeit tobte ein größerer linker Aufstand im benachbarten El Salvador. Nicht einmal der eigene Hinterhof des Yankee-Imperialismus war also sicher für die Banken der Wall Street und die Fortune-500-Konzerne.

Wirtschaftliche Globalisierung und kapitalistische Konterrevolution

Eine grundlegende politische Voraussetzung für den gegenwärtigen Triumph der kapitalistischen Globalisierung war der Rückzug der sowjetischen Weltmacht unter Gorbatschow, der Zerfall der Moskauer stalinistischen Bürokratie und die konterrevolutionäre Zerstörung der Sowjetunion 1991/92. Es war kein Zufall, dass der Sturz des Sandinisten-Regimes durch die Wahlen 1990, als krönender Abschluss eines von Washington bewaffneten und organisierten Contra-Krieges, mit dem Beginn eines massiven Investitionsbooms von US-Banken und -Konzernen in Mexiko zusammenfiel. Gleichzeitig hat die kapitalistische Konterrevolution im früheren sowjetischen Einflussbereich vor allem dem deutschen Imperialismus ein neues, riesiges Gebiet zur Ausbeutung geöffnet. Vor ein paar Jahren frohlockte ein Sprecher der deutschen Industrie: Wir haben zum ersten Mal direkt vor unserer Haustür in Osteuropa ein großes Reservoir an billigen und sehr gut ausgebildeten Arbeitern.

Während des Zweiten Kalten Kriegs in den 1980ern stimmte Norths IK gemeinsam mit anderen Pseudotrotzkisten wie dem Vereinigten Sekretariat von Ernest Mandel () sowie etablierten Sozialdemokraten und Eurokommunisten in den imperialistischen antisowjetischen Chor ein. Nachdem sie alles in ihrer Macht stehende getan haben, um die Konterrevolution in der Sowjetunion und in Osteuropa voranzubringen, verkünden die North-Leute nun, dass die Wiederherstellung des Kapitalismus dort – eine historische Niederlage für das internationale Proletariat – objektiv vorherbestimmt war. In ihrer Broschüre The Globalization of Capitalist Production & the International Tasks of the Working Class von 1993 lassen sie uns wissen: Der Zusammenbruch der Sowjetunion war nur die erste große politische Erschütterung, die durch die Veränderung der Produktionformen ausgelöst wurde. Die qualitativen Fortschritte in der Integration der Weltwirtschaft versetzten der nationalistischen Autarkie-Politik des stalinistischen Regimes den Todesstoß.104

Ihren eigenen Worten zufolge war die sowjetische Arbeiterklasse für die North-Leute selbst als bloß potentieller Faktor bei der Entscheidung über das Schicksal der Sowjetunion einfach nicht existent. In dieser angeblich neuen Ära des globalisierten Kapitalismus hat das IK das trotzkistische Programm der proletarischen politischen Revolution gegen die stalinistische Bürokratie selbst als historische Möglichkeit praktisch zurückgewiesen. Im Übergangsprogramm von 1938, das geschrieben wurde, als die Sowjetunion vergleichsweise wirtschaftlich viel rückständiger und geografisch isolierter war als in den 1980ern, heißt es: Entweder stößt die Bürokratie, die immer mehr zum Werkzeug der Weltbourgeoisie im Arbeiterstaat wird, die neuen Eigentumsformen um und wirft das Land in den Kapitalismus zurück, oder die Arbeiterklasse zerschlägt die Bürokratie und öffnet den Weg zum Sozialismus..105

Was meinte Trotzki hier damit, den Weg zum Sozialismus zu öffnen? Würde ein sowjetischer Arbeiterstaat mit Russland im Zentrum, selbst wenn er auf der Grundlage von proletarischer Demokratie verwaltet und von einer wirklich kommunistischen Avantgardepartei regiert wäre, nicht immer noch von feindlichen und wirtschaftlich viel fortgeschritteneren kapitalistischen Staaten umzingelt sein? Ja, selbstverständlich. Der Sturz der stalinistischen Bürokratie, unter dem Banner des proletarischen Internationalismus, hätte jedoch die revolutionäre Leidenschaft unter den Arbeitern, den armen Bauern und den unterdrückten Völkern in der gesamten kapitalistischen Welt wieder zum Leben erweckt und inspiriert. Und eine kommunistische Regierung der UdSSR hätte proletarischen Revolutionen in den kapitalistischen Staaten, einschließlich den imperialistischen Mächten, unschätzbare politische, wirtschaftliche und, wenn nötig, militärische Unterstützung zukommen lassen.

Für proletarische politische Revolution in China!

Im Gegensatz zu allen den verschiedenen Heuchlern des Trotzkismus, nicht zuletzt zu Norths IK, hat die Internationale Kommunistische Liga unmissverständlich und beharrlich zur bedingungslosen militärischen Verteidigung der Sowjetunion und der deformierten Arbeiterstaaten gegen den Imperialismus und gegen innere Konterrevolution aufgerufen, wie sie es auch heute in Bezug auf die verbliebenen deformierten Arbeiterstaaten – Kuba, China, Nordkorea und Vietnam [sowie Laos] – tut. Während des politischen Aufruhrs im deformierten Arbeiterstaat DDR 1989/90 mobilisierte sie alle ihr zur Verfügung stehenden, wenn auch begrenzten, Ressourcen und kämpfte für proletarische politische Revolution, um die stalinistische Bürokratie hinauszuwerfen, die im Bunde mit dem westdeutschen Imperialismus und seinen sozialdemokratischen Lakaien die kapitalistische Wiedervereinigung Deutschlands vorantrieb. In der Folge stach sie heraus mit ihrer Ablehnung des kapitalistischen Anschluss und rief stattdessen zu einem roten Rätedeutschland als Teil der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa auf.

Und während der finalen Krise der stalinistischen Herrschaft in der UdSSR mischte sich die IKL aktiv mit dem Programm und der Perspektive der proletarischen politischen Revolution in der Sowjetunion ein, um den Weg zum Sozialismus zu öffnen. Die konterrevolutionäre Zerstörung der Sowjetunion war 1991/92 genausowenig objektiv unvermeidbar wie 1941, als die UdSSR von Nazi-Deutschland überfallen wurde. Welchen Weg Russland, die Ukraine und die anderen Sowjetrepubliken einschlugen, als die Kreml-Bürokratie unter Gorbatschow zerbröckelte, war durch den Kampf lebendiger sozialer und politischer Kräfte bestimmt, wenn auch der Druck des kapitalistischen Weltmarkts prägenden Einfluss ausübte. Ein entscheidender Faktor für das Ergebnis war ein Verfall des politischen Bewusstseins der sowjetischen Arbeiterklasse, der durch drei Generationen von Stalinismus an der Macht hervorgebracht worden war. Weitverbreitete Apathie und Zynismus sowie, zu einem gewissen Grad, Illusionen in westliche bürgerliche Demokratie unter den Massen ermöglichten den Aufstieg der konterrevolutionären Kräfte um Boris Jelzin in Russland und um antisowjetische Nationalisten in den nicht-russischen Republiken.

Im Fall der UdSSR behaupten die North-Leute, dass die kapitalistische Konterrevolution, die tatsächlich stattfand, unvermeidlich war. Im Fall von China behaupten sie, dass eine kapitalistische Konterrevolution schon passiert ist, obwohl sie noch nicht stattgefunden hat. In einem Hauptartikel mit dem Titel Der politische Hintergrund der Restauration des Kapitalismus in China in ihrer Fourth International106 behaupten sie:

Der Staat, der durch die chinesische Revolution entstanden ist, hat aufgehört, die beschränkten Errungenschaften, die die Arbeiter und Bauern sich 1949 erkämpft hatten, zu verteidigen oder zu bewahren…

Der chinesische Staat ist auch nicht im entferntesten ein Instrument zur Verteidigung der Interessen der Arbeiterklasse… Der Staat verteidigt die Interessen der Bürokratie als privilegierter sozialer Schicht, die in wachsendem Maße mit der neuentstandenen Kapitalistenklasse, und durch diese auch mit den Interessen des Imperialismus selbst verbunden ist.

Trotz des beträchtlichen Vordringens durch sowohl inländisches als auch ausländisches Kapital in den vergangenen paar Jahren ist die Volksrepublik China immer noch ein bürokratisch deformierter Arbeiterstaat. Der Autor des oben zitierten Artikels, ein gewisser Martin McLaughlin, kupfert hier ohne Quellenangabe die maoistische Doktrin vom kapitalistischen Weg ab und wendet sie auf Maos einstigen Hauptrivalen innerhalb des Beijinger stalinistischen Regimes, Deng Xiaoping, an. Es ist vielsagend, aber nicht überraschend, dass das trotzkistische Programm der proletarischen politischen Revolution in diesem länglichen Artikel, der die gesamte Geschichte Chinas im 20. Jahrhundert abdecken soll, kein einziges Mal erwähnt wird.

Im Unterschied dazu stellt die IKL in einem Memorandum zu Perspektiven und Aufgaben107 fest:

Die nächste Periode wird wahrscheinlich den Einsturz und die endgültige Krise der stalinistischen Herrschaft in China bringen, da mächtige Teile der Bürokratie, die direkt mit dem chinesischen Kapital an der Küste verbunden sind und aktiv vom westlichen und japanischen Imperialismus unterstützt werden, weiterhin eine kapitalistische Restauration vorantreiben.108 Die chinesische Arbeiterklasse, deren Aktionen bisher aufgrund polizeilicher Repression auf einzelne Arbeitsplätze beschränkt war, zeigte in den letzten Jahren eine massive Unzufriedenheit mit der sozialen Erniedrigung, der Unsicherheit und schreienden Ungleichheit, die durch Dengs Programm des Marktsozialismus hervorgerufen wurden. Die Landwirtschaft hat den Aufstieg einer Klasse von relativ reichen Kleinbauern gesehen, während schätzungsweise 100 Millionen landlose Bauern in die Städte geströmt sind. Wir können daher in dieser bevölkerungsreichsten Nation der Welt mit riesigen Klassenschlachten rechnen, die entweder zur proletarischen politischen Revolution führen oder zur kapitalistischen Konterrevolution.

Transnationale Konzerne und imperialistische Staaten: Gegenspieler oder Partner?

Ein zentrales Element der Theorie einer neuen globalisierten kapitalistischen Wirtschaft ist, dass transnationale Konzerne die Nationalstaaten als vorherrschende Institutionen in der weltweiten Machtpolitik ersetzt haben. In seinem jüngsten Buch, Global Dreams: Imperial Corporations and the New World Order,109 behauptet der führende US-amerikanische links-liberale Intellektuelle Richard J. Barnet:

Die Architekten und Manager dieser Gewerbebetriebe der Weltraum-Ära verstehen, dass sich das Machtgleichgewicht in der Weltpolitik in den letzten Jahren von territorial gebundenen Regierungen zu Unternehmen verlagert hat, die auf der ganzen Welt umherwandern können. Da die Hoffnungen und Ambitionen von Regierungen fast überall schrumpfen, erobern diese imperialen Konzerne den öffentlichen Raum und üben einen tiefgreifenderen Einfluss auf das Leben von immer mehr Menschen aus.

Eine extremere Version der gleichen These präsentiert ein anderer US-amerikanischer radikal-liberaler Intellektueller, David Korten, in seinem Buch When Corporations Rule the World von 1995.

Die aktuellen Ansichten des Internationalen Komitees sind, wie North 1992 in einer Rede erklärte, im Wesentlichen ähnlich:

Unter der Regie des Imperialismus stößt die Globalisierung der Produktion mit der nationalstaatlichen Form zusammen, in der die kapitalistische Herrschaft verankert ist…

Das Bündnisnetz, das verschiedene transnationale Konzerne wie Toshiba, IBM und Siemens geschaffen haben, ist Ausdruck des organischen Drangs der Produktivkräfte, sich auf Weltebene zu organisieren. Aber die andere Seite dieses selben Prozesses sind die zunehmenden Gegensätze zwischen den Nationalstaaten und der Ausbruch nationaler und regionaler Konflikte.

Hier werden transnationale Konzerne den imperialistischen Nationalstaaten gegenübergestellt. Darüberhinaus werden erstere als (relativ) fortschrittlich dargestellt, da sie als Agenturen globaler wirtschaftlicher Integration dienen, während letztere als reaktionär und überflüssig angesehen werden. Norths Aussage ist dem, was Lenin in seinem Imperialismus argumentiert, diametral entgegengesetzt. Insbesondere Norths Sicht auf die Kapitalisten als eine internationale Klasse schlägt dem marxistischen Verständnis ins Gesicht, dass die Bourgeoisie über nationale Interessen nicht hinausgehen kann.110

Nach der Ansicht von Barnet/Korten/North sind Konzerne wie IBM, Siemens und Toshiba ausschließlich darauf bedacht, ihre Profite in globalem Maßstab zu maximieren; ihre Direktoren und Aktionäre kümmert es angeblich nicht, ob ihre Aktionen den US-amerikanischen, deutschen oder japanischen bürgerlichen Staat stärken oder schwächen. Diese Ansicht drückt eine liberale, idealistische Perspektive aus, da sie unterschwellig annimmt, dass Kapitalisten keine Staatsmacht – d.h. bewaffnete Formationen von Menschen – brauchen, um ihr Eigentum gegen Angriffe sowohl der ausgebeuteten Klassen als auch rivalisierender Kapitalisten in anderen Ländern zu verteidigen. Die Bankiers der Wall Street und die CEOs der Fortune-500-Konzerne verstehen (anscheinend anders als Richard Barnet und David North), dass mexikanische und südkoreanische Arbeiter keine gläubigen Anhänger der Heiligkeit des Privateigentums sind. In Antwort auf ähnliche damalige Argumente, insbesondere vom deutschen Sozialdemokraten Karl Kautsky, zitierte Lenin in seiner 1916er Studie den deutschen Wirtschaftswissenschaftler Schulze-Gaevernitz:111

England borgt an Ägypten, Japan, China, Südamerika. Seine Kriegsflotte ist hier im Notfall der Gerichtsvollzieher. Politische Macht schützt England gegen die Schuldnerempörung.

Das gleiche trifft auf die USA, Deutschland und Japan zu, deren bewaffnete Kräfte bereit sind, im Notfall der Gerichtsvollzieher zu sein. Egal, ob sie durch Konzerne, Banken oder andere Finanzinstitutionen durchgeführt werden – Auslandsinvestitionen hängen von der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Macht der Staaten ab, die von den Besitzern dieser kapitalistischen Unternehmen kontrolliert werden.

Noch haben North & Co. die Position, dass die Republikanische und die Demokratische Partei die Interessen der US-amerikanischen Bourgeoisie repräsentieren, nicht revidiert. Warum fahren die politischen Führer dieser Parteien dann fort, jedes Jahr Hunderte Milliarden Dollar in US-Streitkräfte zu stecken? Selbst ein altmodischer Liberaler wie Russell Baker hat beobachtet: Die Ära des fetten Staates ist vorbei – bis auf das Pentagon112 Das liegt daran, dass das Pentagon sozusagen die Sicherheitsleute bereitstellt und organisiert, die das Eigentum der US-Kapitalisten in anderen Ländern beschützen. Die Citibank und Exxon sind kein bißchen unabhängiger vom, geschweige denn entgegengesetzt zum, US-amerikanischen imperialistischen Staat als Barings Bank und Royal Dutch Shell in der Ära vor 1914 vom britischen imperialistischen Staat unabhängig waren.

Ja, wenn die kürzliche Fusionsankündigung von Boeing und McDonnell Douglas irgendetwas zeigt, dann, dass multinationale Konzerne sehr stark in ihren eigenen Nationalstaaten verwurzelt sind – insbesondere bei strategischen Industrien wie Elektronik und Luftfahrt. Diese monopolistische Fusion soll nicht nur die Luftfahrt- und Waffen-Industrie der USA stärken, sondern auch ihren Wettbewerbsvorteil gegenüber Rivalen wie dem westeuropäischen Airbus-Konglomerat vergrößern.

Der IWF und die Weltbank – brutale imperialistische Schuldeneintreiber

Die Ansicht, dass transnationale Konzerne über das Nationalstaatssystem hinausgehen, führt zu der Vorstellung, dass bestimmte internationale Wirtschaftsinstitutionen wie die Weltbank und der Internationale Währungsfond (IWF) nun zu einer Art kapitalistischer Weltregierung geworden seien. In einer Rede von 1992 behauptet IK-Führer David North:

Selbst auf dem Gipfel seiner Macht verfügte das britische Empire gegenüber seinen kolonialen Untertanen nicht einmal über einen Bruchteil der Macht, wie sie heute die modernen Institutionen des Weltimperialismus – Weltbank, Internationaler Währungsfonds (IWF), GATT und EG – ganz selbstverständlich über die sogenannten unabhängigen Staaten in Lateinamerika, Asien, Afrika und im Nahen Osten ausüben.

Die Vorstellung, dass die Weltbank und der IWF über die Arbeiter und Bauern in Indien und Pakistan größere Macht ausüben als die britische Kolonialarmee, ist pazifistischer Unsinn.

Nicht weniger absurd ist die Vorstellung, dass diese Institutionen an sich eine Macht darstellen, unabhängig von den imperialistischen Nationalstaaten. Der IWF und die Weltbank agieren in der Dritten Welt (und nun auch im ehemaligen Sowjetblock) als brutale Schuldeneintreiber-Agenturen. Sie benutzen Erpressung, um die Verhängung drakonischer Kahlschlagsmaßnahmen gegen die arbeitenden Massen und die Bauern der halbkolonialen Länder zu erzwingen. Diese internationalen Agenturen handeln jedoch auf Geheiß und im Interesse der wesentlichen kapitalistischen Mächte, nicht unabhängig von ihnen und mit Sicherheit nicht über sie hinweg.

Die Politik und tatsächlich die bloße Existenz des IWF, der Weltbank, der Welthandelsorganisation, der Europäischen Union (ehemals der Europäischen Gemeinschaft) usw. beruhen auf Kompromissen zwischen rivalisierenden imperialistischen Bourgeoisien, vertreten durch ihre kapitalistischen Nationalstaaten. Sowohl der IWF als auch die Weltbank wurden 1944 auf der Bretton-Woods-Konferenz geboren, und wie es in einem Artikel in Monthly Review113 hieß: Sie spiegelten letztendlich die Interessen der damals in der Welt erdrückend dominierenden Macht wieder – der Vereinigten Staaten. Doch mit dem Dahinschwinden der beherrschenden Stellung des US-Imperialismus hat sich das verändert.

Zum Beispiel schlugen die USA letztes Jahr vor, dass der IWF und die Weltbank einen Großteil des Geldes abschreiben, das ihnen besonders arme Länder wie Uganda schulden. Regierungsvertreter in Washington argumentieren, dass das nötig sei, um Regierungsgelder für Ausgaben in Infrastruktur, für Steuersenkungen zur Ankurbelung privater Investitionen usw. freizumachen. Deutschland und Japan blockierten den US-Plan jedoch monatelang, und es gelang ihnen, jeglichen wesentlichen Schuldenabbau seitens IWF/Weltbank zu verwässern. Sobald die wachsenden Konflikte zwischen den imperialistischen Hauptmächten einen bestimmten Punkt erreichen, werden Institutionen wie der IWF und die Weltbank zu leeren Hüllen reduziert sein, ihrer finanziellen Mittel und ihres politischen Einflusses entledigt. Einen ersten Eindruck davon gab es 1995, als Tokio und Berlin Washingtons Forderung, 30 Milliarden Dollar an IWF-Mitteln zu benutzen, um (US-Banken in) Mexiko finanziell unter die Arme zu greifen, offen in Frage stellten.

Ultra-Imperialismus von Kautsky bis North

Die gegenwärtige Autorität, die von IWF, Weltbank, Welthandelsorganisation usw. ausgeübt wird, stammt von der Macht der imperialistischen Staaten, als deren Mittelsmänner sie handeln. Stellen wir uns vor, eine links-nationalistische Regierung kommt in Mexiko an die Macht und erkennt die Auslandsschulden des Landes nicht an. Wird die Armee des IWF in Mexiko einmarschieren und ein Marionettenregime einsetzen? Wird die Marine des IWF Mexikos Häfen blockieren? Werden IWF-Beamte das Vermögen der mexikanischen Regierung in anderen Ländern beschlagnahmen? Nein, denn der IWF hat keine Armee, keine Marine und keine Beamten, die irgendwo das Recht hätten, irgendwelches Eigentum zu beschlagnahmen. Eine mexikanische Regierung, die ihre Auslandsschulden nicht anerkennen würde, wäre mit Wirtschaftssanktionen und möglicherweise Militärmaßnahmen der USA und anderer imperialistischer Staaten konfrontiert.

Im Grunde haben die North-Leute die Doktrin des Ultra-Imperialismus neu erfunden, die vor und während des Ersten Weltkriegs von Karl Kautsky dargelegt wurde. Die Kernaussage von Kautskys Theorie, die Lenin in seiner Broschüre Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus zitiert, lautet wie folgt:114

… ob es nicht möglich sei, daß die jetzige imperialistische Politik durch eine neue, ultraimperialistische verdrängt werde, die an Stelle des Kampfes der nationalen Finanzkapitale untereinander die gemeinsame Ausbeutung der Welt durch das international verbündete Finanzkapital setzte. Eine solche neue Phase des Kapitalismus ist jedenfalls denkbar.

Für das Internationale Komitee ist solch eine neue Phase des Kapitalismus nicht nur vorstellbar, sondern schon da. Sicher, North & Co. leugnen nicht, dass es eine Tendenz zu imperialistischem Krieg gibt. Doch sie tun dies, indem sie transnationale Konzerne und reaktionäre Nationalstaaten einander gegenüberstellen. Konzerne wie IBM, Siemens und Toshiba streben angeblich nach einer transnationalen kapitalistischen Ordnung, werden aber durch das böse, alte, überflüssige System der Nationalstaaten blockiert. Im Gegenteil – der Hauptgrund von imperialistischen Kriegen liegt nicht im System der Nationalstaaten an sich, und noch weniger in nationalistischer oder chauvinistischer Ideologie und Demagogie. Der imperialistische Nationalstaat ist das grundlegende politische Instrument, mit dem transnationale Konzerne, um den Lieblingsbegriff der North-Leute zu verwenden, darum kämpfen, ihre Märkte und Ausbeutungszonen zu vergrößern.

Lenin schrieb in Entgegnung zu Kautskys Theorie des Ultra-Imperialismus richtig:115

dem Kapitalismus ist für die Aufteilung der Interessen- und Einflußsphären, der Kolonien usw. eine andere Grundlage als die Stärke der daran Beteiligten, ihre allgemeinwirtschaftliche, finanzielle, militärische und sonstige Stärke, nicht denkbar. Die Stärke der Beteiligten aber ändert sich ungleichmäßig, denn eine gleichmäßige Entwicklung der einzelnen Unternehmungen, Trusts, Industriezweige und Länder kann es unter dem Kapitalismus nicht geben…

Interimperialistische oder ultraimperialistische Bündnisse sind daher in der kapitalistischen Wirklichkeit, und nicht in der banalen Spießerphantasie englischer Pfaffen oder des deutschen Marxisten Kautsky, notwendigerweise nur Atempausen zwischen Kriegen – gleichviel, in welcher Form diese Bündnisse geschlossen werden, ob in der Form einer imperialistischen Koalition gegen eine andere imperialistische Koalition oder in der Form eines allgemeinen Bündnisses aller imperialistischen Mächte. Friedliche Bündnisse bereiten Kriege vor und wachsen ihrerseits aus Kriegen hervor…

Die reformistischen Auswirkungen von Kautskys Theorie auf den Punkt bringend, fügte Lenin hinzu, sie sei eine höchst reaktionäre Vertröstung der Massen auf die Möglichkeit eines dauernden Friedens im Kapitalismus.116 Nicht überraschend, wurde Kautsky ein entschiedener Gegner der bolschewistischen Revolution von 1917 und der durch sie anstelle der Herrschaft des Kapitals errichteten Diktatur des Proletariats.

Die zeitgenössische Northsche Version von Ultra-Imperialismus ist nicht weniger reformistisch und antirevolutionär. Wenn wir North glauben, dass der Wettbewerb zwischen verschiedenen imperialistischen Mächten supra-nationalen Institutionen untergeordnet worden ist, dann ist die traditionelle marxistische Position in zwischen-imperialistischen Konflikten – dass der Hauptfeind im eigenen Land steht – eindeutig veraltet. Wenn es um nationale und koloniale Fragen geht, können sich North & Co., wie wir sehen werden, mit den schlimmsten Sozialchauvinisten aus Lenins Zeit messen.

Der imperialistische Staat USA und die Ausbeutung Mexikos

Welche zentrale Rolle der imperialistische Staat in der heute so genannten Globalisierung des Weltkapitalismus spielt, wird besonders deutlich im Fall von Mexiko, der wichtigsten Neokolonie des US-Imperialismus. Heute befindet sich ein Fünftel aller Industriebetriebe und -Ausrüstung, die US-Konzerne in der Dritten Welt besitzen, in Mexiko. Die Handlungen der US-Regierung waren in den letzten 15 Jahren maßgeblich, um US-amerikanische Investitionen in dem Land zu fördern und zu schützen. Das bedeutete unter anderem die immer unverhohlenere Rolle des US-Imperialismus bei der Unterstützung und Bewaffnung der mexikanischen Regierung für ihre blutige Unterdrückung militanter Arbeiter- und Bauernkämpfe.117

Im Gefolge der fieberhaften Überschuldung während des Ölpreisbooms der 1970er verkündete die mexikanische Regierung 1982, dass sie die geplanten Zinszahlungen auf ihre Auslandsschulden nicht länger leisten könnte. Das US-Finanzministerium und die US-Zentralbank übernahmen sofort die Umschuldung der Schulden Mexikos und anderer lateinamerikanischer Länder. Das hatte zur Folge, dass, über Mexiko, die großen Wall-Street-Banken durch die US-Regierung subventioniert wurden. Der Harvard-Wirtschaftswissenschaftler Jeffrey Sachs, ein Erz-Freimarktler, schrieb damals:118

In den vergangenen fünf Jahren haben die Geschäftsbanken große Netto-Transfers von den Schuldnerländern erhalten, während die offiziellen Kreditgeber, einschließlich der Kreditgeber-Regierungen und der multilateralen Institutionen, große Netto-Transfers an den Schuldner geleistet haben. Im Ergebnis kann man sagen, dass die offiziellen Kreditgeber tatsächlich den Banken unter die Arme gegriffen haben.

In den frühen und mittleren 1980ern lagen US-amerikanische Unternehmensinvestitionen in Mexiko praktisch bei Null. Ja, die Bewegung des Kapitals über den Rio Grande (Rio Bravo) ging tatsächlich in die andere Richtung. Reiche Mexikaner schmuggelten Milliarden außer Landes und parkten ihr Geld in Wall-Street-Banken, US-Unternehmensaktien und -anleihen sowie in Immobilien in Texas und Kalifornien. Die Kehrtwende in der mexikanischen und allgemeiner der lateinamerikanischen Schuldenkrise kam mit dem Brady-Plan von 1989, benannt nach dem damaligen US-Finanzminister Nicholas Brady. Dieser Plan wandelte die kurzfristigen Bankschulden lateinamerikanischer Länder in langfristige Anleihen um, die vom US-Finanzministerium garantiert wurden. Im Gegenzug erzwang Washington eine Öffnung der lateinamerikanischen Wirtschaften für ungehinderte Ausbeutung durch US-Finanz- und Industriekapital.

Der Brady-Plan ebnete einem massiven US-amerikanischen Investitionsboom in Mexiko den Weg. US-Banken, Anlagefonds, Versicherungsunternehmen sowie Industrie- und Dienstleistungskonzerne gingen davon aus, dass alles Geld, das sie südlich der Grenze einsetzten, durch die Geldmittel und letztendlich durch die politisch-militärische Macht des kapitalistischen Staates USA vollständig geschützt würde. Das zunehmende Gewicht US-amerikanischen Kapitals in Mexiko legte die Grundlage für und wurde im Gegenzug verstärkt durch das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA), das am Neujahrstag 1994 in Kraft trat.

Neben seinen anderen katastrophalen Auswirkungen bedeutete NAFTA den wirtschaftlichen Ruin von Millionen mexikanischer Kleinbauern, die im Wettbewerb mit den viel billigeren und qualitativ besseren Produkten, vor allem Mais, die aus den hochtechnisierten Landwirtschaftsbetrieben im US-amerikanischen Mittleren Westen importiert wurden, nicht bestehen konnten. Entsprechend kam es am Tag, nachdem NAFTA in Kraft getreten war, in dem verarmten südmexikanischen Bundesstaat Chiapas zu einem großen, von der nationalistisch-populistischen Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung angeführten Bauernaufstand. Washington half bei der blutigen Unterdrückung dieses Aufstands aktiv mit. In den ersten Monaten des Jahres 1994 stellte das Pentagon der mexikanischen Armee 3000 zusätzliche Militärfahrzeuge zur Verfügung, darunter gepanzerte Truppentransporter mit Wasserkanonen, Jeeps, LKW und Panzer. Zur gleichen Zeit wurden Hunderte US-Truppen nach Guatemala in die Grenzregion zu Chiapas geschickt.119

Der plötzliche und unerwartete Zapatista-Aufstand offenbarte, nicht zuletzt vor den Augen der ewig misstrauischen ausländischen Investoren, die Zerbrechlichkeit der bürgerlichen Ordnung in Mexiko. Darüber hinaus hatte der mexikanische Investitionsboom sich zu einem Spekulationsrausch gesteigert. Die Preise an der Bolsa (Börse) standen in keinem Verhältnis mehr zu tatsächlichen oder erwarteten Profiten. Die mexikanische Regierung konnte ihre massiv ausgedehnten Auslandsschulden nicht mehr bedienen, ohne den Peso abzuwerten. Das tat sie im Dezember 1994 und führte damit ungewollt eine ausgewachsene Finanzpanik herbei. Bis Jahresende hatten ausländische Investoren, vor allem aus den USA, 23 Milliarden Dollar an mexikanischen Geldanlagen aufgelöst und zurückgezogen – mehr als das Doppelte des Gesamtwerts der US-Direktinvestitionen in der mexikanischen Industrie Anfang 1994.

Die Finanzpanik kam erst zur Ruhe, als die US-Regierung ein Rettungspaket von 50 Milliarden Dollar auflegte – 20 Milliarden Dollar direkt vom US-Finanzministerium, der Rest vom IWF und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (als Zentralbank der Zentralbanken bekannt). Der mexikanische Finanzminister Guillermo Ortiz erzählte später dem US-Journalisten Thomas Friedman, was passiert wäre, wenn Washington nicht zu dem Zeitpunkt und in dem Umfang reagiert hätte, wie es das getan hat: Wir hätten ein Moratorium der Schuldenrückzahlungen verkünden müssen. Deutsche und japanische Kapitalisten waren, milde ausgedrückt, nicht erfreut, dass ein nicht unerheblicher Teil ihres Geldes benutzt wurde, um US-Banken, -Anlagefonds und -Versicherungsunternehmen unter die Arme zu greifen. Der deutsche (und auch der britische) Vertreter beim IWF unternahm einen beispiellosen Schritt und enthielt sich bei der Abstimmung über das mexikanische Darlehenspaket, während Japan nur zähneknirschend dafür stimmte. Und nächstes Mal könnten die deutschen und japanischen Vertreter dagegen stimmen.

Die mexikanische Finanzkrise widerlegt völlig die Northsche Theorie einer neuen Epoche global integrierter kapitalistischer Produktion, die über das System der Nationalstaaten hinausgehe. Beim ersten Anzeichen politischer Unruhe und finanzieller Überstreckung zogen die US-amerikanischen transnationalen Unternehmen soviel Vermögen aus Mexiko ab wie sie konnten und holten ihr Geld zurück in ihren eigenen Nationalstaat, die USA. Die Flut von Pesos in Dollars wurde erst eingedämmt, als die US-Regierung, sowohl durch direkte als auch durch indirekte Maßnahmen, die kurzfristigen finanziellen Ressourcen unter Verfügung der mexikanischen Regierung enorm erweiterte. Und die mexikanische Finanzkrise offenbarte und verstärkte auch die Interessenkonflikte zwischen den imperialistischen Hauptmächten: den USA, Deutschland und Japan.

Gegen den kapitalistischen Imperialismus – für permanente Revolution!

Der Kapitalismus war von Anfang an ein globales System, das von Konflikten zwischen konkurrierenden Nationalstaaten geprägt ist.Der Aufstieg der Bourgeoisien in Westeuropa zu Reichtum und Macht war direkt verbunden mit der Eroberung und Kolonisierung rückständigerer Regionen der Welt – durch die Spanier und Portugiesen in Mittel- und Südamerika, die Franzosen in Nordamerika und der Karibik, die Briten in Nordamerika, der Karibik und dem indischen Subkontinent. Ein wesentliches Merkmal des Handelsimperialismus im 16. bis 18. Jahrhundert war das Bestreben der führenden Kolonialmächte, durch gesetzliche Verbote und Sanktionen gegen jeglichen Handel außer den zwischen Kolonie und Mutterland ihre Kolonien und sich selbst vom Weltmarkt abzukapseln.

Die wirtschaftliche Entwicklung in der Ära des Handelskapitalismus bereitete den Boden für die von Britannien im frühen 19. Jahrhundert ausgehende industrielle Revolution. Marx und Engels glaubten anfangs, dass sich der industrielle Kapitalismus mehr oder weniger gleichmäßig über die ganze Welt ausbreiten würde. Die Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus waren keineswegs blind gegenüber den gewaltigen Verbrechen, die die westlichen Mächte an den eingeborenen Völkern Asiens, Afrikas und Amerikas verübten. Sie betrachteten jedoch solche Verbrechen als für die Modernisierung dieser rückständigen Regionen historisch notwendige Gemeinkosten. In dem Artikel Die künftigen Ergebnisse der britischen Herrschaft in Indien schrieb Marx 1853:120

England hat in Indien eine doppelte Mission zu erfüllen: eine zerstörende und eine erneuernde - die Zerstörung der alten asiatischen Gesellschaftsordnung und die Schaffung der materiellen Grundlagen einer westlichen Gesellschaftsordnung in Asien.

Die im Gefolge des Eisenbahnsystems entstehende moderne Industrie wird die überkommene Arbeitsteilung und damit die Grundlage der indischen Kasten aufheben, die Indiens Fortschritt und Indiens Machtentfaltung so entscheidend behindert haben.

Diese Voraussage hat sich im wirklichen Verlauf der Entwicklung nicht bewahrheitet. Während die westlichen Bourgeoisien in ihren Kolonien und Halbkolonien zwar bestimmte Elemente moderner Industrietechnologie (z.B. Eisenbahnen) einführten, bewirkte der kapitalistische Imperialismus insgesamt einen Stillstand der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung der rückständigen Länder. So verewigte und benutzte die britische Kolonialherrschaft gezielt tradionelle reaktionäre Institutionen wie das Kastensystem in Indien oder die Stammesstrukturen in Subsahara-Afrika.

Darüber hinaus hatte die wirtschaftliche Entwicklung, die unter europäischer Kolonialherrschaft Einzug hielt, einen deformierten Charakter. So bauten die Briten die Eisenbahngleise in Indien nur vom Hinterland zu den Häfen, um den Handel mit den imperialistischen Metropolen zu fördern. Die Bahnlinien verbanden nicht die verschiedenen Regionen des indischen Subkontinents untereinander. Im Unterschied dazu spielte der Eisenbahnbau in den Vereinigten Staaten zur gleichen Zeit eine Schlüsselrolle bei der wirtschaftlichen und sozialen Integration des US-Nationalstaats.

Bis zum späten 19. Jahrhundert waren Marx und Engels zu Verfechtern der Unabhängigkeit der Kolonien geworden und erkannten an, dass die Modernisierung Asiens, Afrikas und Lateinamerikas nur im Rahmen einer weltweiten sozialistischen Ordnung stattfinden könnte. Engels schrieb daher 1882 an Karl Kautsky:121

Indien macht vielleicht Revolution, sogar sehr wahrscheinlich, und da das sich befreiende Proletariat keine Kolonialkriege führen kann, würde man es gewähren las­sen müssen, wobei es natürlich nicht ohne allerhand Zerstörung abgehn würde, aber dergleichen ist eben von allen Revolutionen unzertrennlich. Dasselbe könnte sich auch noch anderwärts abspielen, z.B. in Algier und Ägypten, und wäre für uns sicher das beste. Wir werden genug zu Hause zu tun haben. Ist Europa erst reorganisiert und Nordamerika, so gibt das eine so kolossale Macht und ein solches Exempel, daß die halbzivilisierten Länder ganz von selbst ins Schlepptau kommen; das besorgen allein schon die ökonomischen Bedürfnisse. Welche sozialen und politischen Phasen aber diese Länder dann durchzumachen haben, bis sie ebenfalls zur sozia­listischen Organisation kommen, darüber, glaube ich, können wir heute nur ziemlich müßige Hypothesen aufstellen.

Es ist verständlich, dass Marx und Engels in den 1880ern, am Anfang der Epoche des modernen kapitalistischen Imperialismus, davon ausgingen, dass die proletarische sozialistische Revolution erst in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern stattfinden und dass die sozialistische Umwälzung der rückständigeren Regionen nach und nach folgen würde. Imperialistische Vorherrschaft und Ausbeutung stärkten jedoch die bürgerliche Ordnung in Westeuropa und Nordamerika, nicht zuletzt, indem die Arbeiterklasse dieser Länder mit der Ideologie des nationalen Chauvinismus und des Rassismus angesteckt wurde. Wie Lenin in seiner Broschüre von 1916 herausarbeitete, schufen die aus der kolonialen Welt gewonnenen imperialistischen Extra-Profite in den fortgeschrittenen Ländern die ökonomische Möglichkeit zur Bestechung der Oberschichten des Proletariats und damit eine materielle Grundlage für Opportunismus und Sozialchauvinismus.

Gleichzeitig neigte der Imperialismus dazu, die tradionelle soziale Ordnung der rückständigen Länder zu destabilisieren, was Widersprüche schuf, die Trotzki als kombinierte und ungleichmäßige Entwicklung bezeichnete. Ein beträchtliches, mit moderner Technologie arbeitendes Industrieproletariat entstand neben der Masse der verarmten Bauern, die immer noch aus der Feudalzeit stammenden Ausbeutungsformen unterworfen waren. Der tagtägliche Kampf gegen kapitalistische und vorkapitalistische Formen der Ausbeutung war organisch verschlungen mit und verstärkt durch den Kampf für nationale Unabhängigkeit.

Leo Trotzki erkannte die internationalen Widersprüche, die durch die Epoche des modernen Imperialismus verursacht wurden, an und stellte die bis dahin akzeptierte feste Reihenfolge der weltweiten sozialistischen Revolution, von den fortgeschrittenen zu den rückständigen Ländern, in Frage. Es war nun möglich, dass das Proletariat eines rückständigen Landes, wenn es die Bauernmassen im Kampf gegen die feudal geerbte Ausbeutung und ausländische imperialistische Vorherrschaft anführte, vor den Arbeitern Westeuropas und Nordamerikas an die Macht kommen könnte. Solche Revolutionen würden die bürgerliche Ordnung in den imperialistischen Zentren empfindlich schwächen und gleichzeitig dem revolutionären Bewusstsein der Arbeiter in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern einen starken Schub versetzen.

Trotzki entwickelte dieses Konzept der permanenten Revolution zu Beginn des [20.] Jahrhunderts zuerst mit besonderem Bezug auf das zaristische Russland, und das Leben selbst bestätigte das Konzept in der bolschewistischen Oktoberrevolution von 1917. Ende der 1920er verallgemeinerte Trotzki im Lichte der Erfahrung der niedergeschlagenen Chinesischen Revolution von 1925–27 die Theorie und das Programm der permanenten Revolution auf das, was heute die Dritte Welt genannt wird. Daher wird in dem Abschnitt Die rückständigen Länder und das Programm der Übergangsforderungen des Übergangsprogramms von 1938 festgestellt:122

Die zentralen Probleme der kolonialen und halbkolonialen Länder sind die Agrarrevolution, das heißt die Beseitigung des Feudalerbes, und die nationale Unabhängigkeit, das heißt das Abwerfen des imperialistischen Jochs. Diese beiden Aufgaben sind eng miteinander verknüpft…

[Die] allgemeine Richtung der revolutionären Entwicklung in allen rückständigen Ländern [kann] mit der Formel der permanenten Revolution gekennzeichnet werden, in dem Sinne, den ihr die drei Revolutionen in Rußland (1905, Februar 1917, Oktober 1917) verliehen haben.

David North gegen die permanente Revolution

Wie im Übergangsprogramm deutlich erklärt wird, betrachteten Trotzki und die von ihm gegründete Vierte Internationale den Kampf für nationale Unabhängigkeit in rückständigen Ländern als einen untrennbaren und wichtigen Teil der weltweiten sozialistischen Revolution. Die North-Leute behaupten jetzt, dass in dieser angeblich neuen Epoche der globalisierten kapitalistischen Produktion nationale Unabhängigkeit unmöglich und, tatsächlich, reaktionär geworden sei. In einem Vortrag Die permanente Revolution und die nationale Frage heute dozierte North 1992:

Marxisten schrieben den nationalen Befreiungsbewegungen in dem Maße einen progressiven Charakter zu, wie sie in irgend einer Weise mit der Überwindung der imperialistischen Vorherrschaft und des Vermächtnisses von Rückständigkeit, Stammes- und Kastenunterschieden usw. in Zusammenhang gebracht wurden…

Diesen Inhalt findet man in kaum einer jener Bewegungen, die sich heute selbst zu Vertretern der nationalen Befreiung küren. Wie dem auch sei, unabhängig von den subjektiven Zielsetzungen der verschiedenen Bewegungen kann die Befreiung der Menschheit in unserem Zeitalter der globalen wirtschaftlichen Verflechtung nicht durch die Errichtung neuer Nationalstaaten voranschreiten.

Die Gegnerschaft der North-Leute zum demokratischen Recht auf nationale Selbstbestimmung haben wir schon zuvor ausführlicher behandelt.123 Hier wollen wir betonen, dass ihre Position auf passives Akzeptieren imperialistischer Unterdrückung und Ausbeutung rückständiger Länder hinausläuft.

Das ist im Falle Mexikos sehr deutlich zu erkennen. NAFTA stellt eine qualitative Ausweitung und Institutionalisierung der Ausbeutung Mexikos durch die Wall Street dar. Als NAFTA 1991 erstmals vorgeschlagen wurde, brachten die mexikanische, die US-amerikanische und die kanadische Sektion der Internationalen Kommunistischen Liga unter dem Titel Stoppt die Freihandels-Vergewaltigung Mexikos durch die USA! eine gemeinsame Erklärung heraus. Sie bestanden darauf, dass der Kampf gegen NAFTA eine Schlacht gegen die US-imperialistische Vorherrschaft über Mexiko sei.124

Wie sieht es mit der Northschen Haltung zu NAFTA aus? Wenn man ihre Veröffentlichungen oberflächlich liest, könnte man annehmen, sie stünden in unversöhnlicher Feindschaft zu NAFTA. In ihrem International Workers Bulletin125 stellten sie ganz zutreffend fest: NAFTA stellt die ganze mexikanische Wirtschaft praktisch in den Dienst der transnationalen US-Konzerne und der Finanzinstitute der Wall Street, indem es ihnen Niedriglohnarbeiter, billige Rohstoffe und weite Landstriche zum Ausbeuten und einen riesigen Markt für US-amerikanische Fertigprodukte verschaffte. Ein paar Monate später schrieben sie: NAFTA bedeutet nichts als die wirtschaftliche Rekolonialisierung Mexikos.126 Das ist tatsächlich eine Übertreibung, weil Mexiko schon seit Jahrzehnten vor NAFTA eine wirtschaftliche Halbkolonie des US-Imperialismus war.

Jedoch haben die North-Leute das, was sie selbst als wirtschaftliche Rekolonialisierung Mexikos bezeichnen, nie abgelehnt, weder vor der Einführung von NAFTA noch dann, als seine blutigen Konsequenzen an den Leichen Hunderter verarmter indianischer Bauern in Chiapas sichtbar wurden. Ein paar Monate, bevor NAFTA in Kraft trat, hieß es in einer politischen Leit-Erklärung in IWB:127 US-amerikanische Arbeiter dürfen sich hinter keiner der Seiten in der kapitalistischen Debatte über NAFTA einordnen, sondern müssen einen unabhängigen Klassenstandpunkt einnehmen, der auf den wirklichen, d.h. internationalen Interessen der Arbeiterklasse beruht.

Was die North-Leute mit einem unabhängigen Klassenstandpunkt meinten, war Neutralität gegenüber der gesteigerten Ausbeutung und Beherrschung Mexikos durch den US-Imperialismus. Tatsächlich gab es innerhalb der US-amerikanischen Kapitalistenklasse bis auf ein paar einzelgängerische bürgerliche Pseudo-Populisten wie Ross Perot und Pat Buchanan, die ebenso wie auch die AFL-CIO-Bürokratie NAFTA von einem chauvinistischen Standpunkt aus ablehnten, keine Meinungsverschiedenheiten. Die große Mehrheit der US-amerikanischen imperialistischen Bourgeoisie unterstützte NAFTA von ganzem Herzen, und tut es noch immer. Im Grunde ist es sogar so, dass die North-Leute die imperialistische Unterjochung rückständiger Länder einfach als eine Frage von Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Kapitalistenklasse behandeln. Dieser Logik zufolge hätten sie im Nachhinein den Vietnam-Krieg nicht ablehnen sollen, weil der echte Meinungsverschiedenheiten – ja, einen scharfen Bruch – innerhalb der herrschenden Klasse der USA hervorgebracht hat. Kurz gesagt haben North & Co. die wirklichen Kämpfe der mexikanischen Arbeitenden gegen NAFTA und seine Auswirkungen nicht unterstützt und tun es immer noch nicht.

Man schaue sich nur die Haltung der North-Leute zu dem Bauernaufstand Anfang 1994 in Chiapas an. Diese unerwartete, von Linken geführte Revolte packte die Aufmerksamkeit der Welt. Aber nicht die der North-Leute. Das selbsterklärte wöchentliche sozialistische Nachrichtenjournal der US-amerikanischen North-Gruppe brachte während des Zeitraums, in dem er Mexiko erschütterte und den transnationalen US-Konzernen und -Banken nicht wenig Sorgen bereitete, einen Artikel über den Chiapas-Aufstand. Dieser Artikel, Mexikanische Regierung massakriert Hunderte,128 war einfach nur beschreibender Journalismus, der keinerlei programmatische Forderungen enthielt. Die North-Leute riefen nicht zur Verteidigung des Bauernaufstandes gegen den neokolonialen bürgerlichen Staat Mexiko auf. Sie forderten nicht den Rückzug der mexikanischen Armee aus Chiapas. Sie forderten nicht die Freilassung der Kämpfer der Zapatistas und der Unterstützer der Bauern, die von der mexikanischen Armee und Polizei eingesperrt und oft gefoltert wurden. Sie forderten nicht den Stopp von US-Waffenlieferungen und anderer Hilfe für das mexikanische Militär. Und natürlich forderten sie nicht die Außerkraftsetzung von NAFTA, was eine der Kernforderungen des Aufstandes war.

In schärfstem Kontrast dazu mobilisierte unsere internationale Strömung von einem proletarisch-sozialistischen Standpunkt her aktiv zur Verteidigung des Chiapas-Aufstands. In den USA beteiligte sich die Spartacist League an Solidaritäts-Kundgebungen vor den mexikanischen Konsulaten in New York City und San Francisco. Die Genossen der Grupo Espartaquista de Mxico (GEM) nahmen in Mexiko-Stadt an einem kolossalen Protest gegen die Regierung teil. In einer Erklärung der GEM, die in der Tageszeitung El Día in Mexiko-Stadt veröffentlicht wurde, verkündete die GEM:129

Als eine marxistische revolutionäre Organisation betont die GEM denen gegenüber, die gegen Kapitalismus und Imperialismus kämpfen wollen, dass es die Macht der Arbeiterklasse und nicht ländlicher Guerilla-Krieg ist, die, wenn sie hinter dem Programm der internationalen sozialistischen Revolution organisiert wird, NAFTA besiegen und die besitzlosen Bauern und alle Unterdrückten gegen das Elend und die Barbarei des kapitalistischen Systems mobilisieren kann. Angesichts der Repression in Chiapas ist es die dringende Pflicht der Arbeiterklasse, die mutigen indianischen Aufständischen und alle Opfer bürgerlicher Repression zu verteidigen.

Die sehr unterschiedlichen Reaktionen der IKL und von Norths IK gegen den Aufstand in Chiapas spiegelten unser Festhalten an und ihre Gegnerschaft zur Perspektive der permanenten Revolution wieder. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts war das zaristische Russland zum schwächsten Glied im europäischen imperialistischen System geworden. In ähnlicher Weise ist Mexiko jetzt auf der westlichen Erdhalbkugel zum schwächsten Glied der US-amerikanischen imperialistischen Ordnung geworden.

Für weltweite sozialistische Revolution – schmiedet Trotzkis Vierte Internationale neu!

Das massive Vordringen – auf allen Ebenen – des US-amerikanischen Kapitals hat die nationalistisch-korporatistische Wirtschaftsstruktur, auf der die politische Vorherrschaft der lange regierenden mexikanischen Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) beruhte, entscheidend untergraben. Ein Volksaufstand in Mexiko, der das neokoloniale PRI-Regime stürzt, hätte mächtige radikalisierende Auswirkungen auf die Millionen lateinamerikanischer Arbeiter in den USA, von denen viele noch starke Familienbande nach Mexiko oder Mittelamerika unterhalten. Die GEM hielt in dem Artikel Mexiko und die permanente Revolution in der ersten Ausgabe ihrer Zeitung Espartaco (Winter 1990/91) fest:130

Die mexikanische Arbeiterrevolution wird dort siegen, wo die bürgerlichen Revolutionen scheiterten, denn sie wird und muss von Anfang an internationalistisch sein. Sie muss den heldenhaft kämpfenden Arbeitenden in Mittelamerika zur Hilfe kommen und sich nach Norden ausbreiten, in gemeinsamem Kampf mit den Arbeitern und Unterdrückten direkt in den Eingeweiden des imperialistischen Monstrums… Auf dieses Ziel arbeitet die Grupo Espartaquista de Mxico als Teil der Internationalen Kommunistischen Liga hin, während sie für die Wiederschmiedung der Vierten Internationale als Weltpartei der sozialistischen Revolution kämpft.

Während wir anerkennen, dass das mexikanische Proletariat, an der Spitze der armen Bauern und Stadtbewohner, dem US-amerikanischen kapitalistischen Imperialismus den ersten entscheidenden Schlag versetzen kann, behaupten die North-Leute, die mexikanischen Arbeiter seien machtlos, vorwärts zu gehen, solange nicht in den Vereinigten Staaten eine sozialistische Revolution auf der Tagesordnung steht. In gewissem Sinn haben North & Co. das stalinistische Zerrbild des Trotzkismus neu erschaffen und übernommen, demzufolge internationale sozialistische Revolution gleichzeitige Revolutionen in allen wichtigen kapitalistischen Ländern, sowohl fortgeschrittenen als auch rückständigen, bedeute. Zur Zeit der mexikanischen Finanzkrise Anfang 1995 schrieben sie im IWB:131 Die Ereignisse in Mexiko zeigen erneut, dass für die Arbeiterklasse in den unterdrückten Ländern der einzige Weg vorwärts ist, sich mit ihren Klassenbrüdern und -schwestern in den imperialistischen Zentren in gemeinsamem Kampf für den Sturz der kapitalistischen Ausbeutung und die Errichtung des Sozialismus zu vereinigen. Doch was sollen die mexikanischen Arbeiter den North-Leuten zufolge tun, bis die Masse der Arbeiter in den USA zum Sturz des kapitalistischen Systems ansetzt? Die Antwort ist: im Prinzip nichts.

Indem sie eine abstrakte Auffassung von sozialistischem Internationalismus den wirklichen Kämpfen der Arbeiter, armen Bauern und unterdrückten Völker entgegenstellen, vertritt die Northsche Strömung in Bezug auf diese Kämpfe unausweislich eine Niederlagenstrategie. In der Praxis lehnen die North-Leute die sozialistische Revolution ab – in den USA ebenso wie in Mexiko und überall sonst.

Vor fünf Jahren, als er den Tod der Sowjetunion und der Gewerkschaften im Westen verkündete, erklärte North sich selbst und das IK praktisch zu der Führung des internationalen Proletariats. Während sie sich selbst zur klar anerkannten einzigen trotzkistischen Strömung erklären, haben die North-Leute sich überall in Sozialistische Gleichheits-Parteien verwandelt, deren Programm schon auf den ersten Blick völlig reformistisch ist. So bestand ein zentraler Punkt des Wahlprogramms der US-SEP letzten November in dem abgestandenen alten reformistischen Vorschlag, größere Gleichheit dadurch zu fördern, dass man die Steuerregelungen der Bourgeoisie überarbeitet. Gleichzeitig offenbarte die SEP ihre geringschätzige Haltung gegenüber jeglichem Kampf für soziale Gleichheit, indem sie ihre Opposition zu affirmative action-Programmen [Fördermaßnahmen zugunsten benachteiligter Gruppen] für Minderheiten und Frauen hervorhob.

Während die Northsche offene Ablehnung des Rechts auf Selbstbestimmung eine neue Erfindung sein mag, war es für sie kein großer Schritt, dort hinzukommen. Sie haben rassistische oder andere Formen von Unterdrückung, die aus dem Kapitalismus entspringen, schon lange als irgendwie unwichtig für den Klassenkampf abgetan – womit sie eine ordinäre, arbeitertümelnde Anpassung an die Gewerkschaftsbürokraten des Kalten Krieges meinten. In ihrem Aufruf Anfang der 1970er – auf dem Höhepunkt der Anti-Vietnamkriegs-Proteste und militanter Kämpfe für Schwarzenbefreiung – an die AFL-CIO-Führer, eine Arbeiterpartei zu gründen, griffen sie weder Gegnerschaft zum imperialistischen Krieg noch den Kampf für die Befreiung der Schwarzen auf.

Wie wir schon in unserem Artikel über die Leugnung des Rechts auf nationale Selbstbestimmung durch das IK zusammenfassten:132

Die Theorien des IKVI sind nichts als feige Rechtfertigungen für ihre Geringschätzung des Kampfes gegen chauvinistische Unterdrückung, und für ihre Absage an die ökonomischen Verteidigungsorganisationen der Arbeiterklasse, zugunsten ihrer eigenen kleinlichen Vorteile. Die Politik der North-Leute ist die von Hochstaplern, die eine Nische zum Absahnen suchen. Ansonsten sind sie absolut frei von und entgegengesetzt zu einem Programm, dass die internationale Arbeiterklasse und die Unterdrückten zum sozialistischen Sieg über ihre Ausbeuter führen kann.


  1. US-amerikanischer Gewerkschafter, 1920–1960 Präsident der United Mine Workers of America, 1935–1940 Präsiedent des Congress of Industrial Organizations (CIO).

  2. 1997

  3. 24. August 1997

  4. Im Original: The Worker Backlash.

  5. Kapital, Bd. 3, in Werke, Bd. 25, S. 822f.

  6. 1997

  7. Das Wirtschaftsprogramm von US-Präsident Ronald Reagan in den 1980ern.

  8. 23. August 1997

  9. 1997

  10. Im Original: Unchain Labor’s Power!, WV Nr. 673, 5. September 1997.

  11. William Greider, The Education of David Stockman and Other Americans, 1982.

  12. The State of Working America 1996–97.

  13. Vom Gelde (1931), Duncker & Humblot, 3. Auflage 1983, S. 141.

  14. Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes (1935), Duncker & Humblot, 6. Auflage 1983, S. 317.

  15. John Scott, Capitalist Property and Financial Power, 1986.

  16. Margaret Blair (Hrsg.), The Deal Decade, 1993.

  17. In Werke, Bd. 25, S. 269.

  18. Zitiert in Richard Hofstadter, The Age of Reform: From Bryan to F.D.R., 1955.

  19. The House of Morgan: A Social Biography of the Masters of Money, 1930.

  20. Im englischen Original: Anglo-American Gold Trust.

  21. Zitiert in Hofstadter, The Age of Reform.

  22. Zitiert in Gretchen Ritter, Goldbugs and Greenbacks: The Antimonopoly Tradition and the Politics of Finance in America, 1997.

  23. Zu Deutsch: Das wahre amerikanische System der Finanzen. Zitiert in Ritter, Goldbugs and Greenbacks.

  24. Marx/Engels, Werke, Bd. 39, S. 172.

  25. billigen Geld

  26. Kapital, Bd. 3, in Werke, Bd. 25, S. 463 bzw. S. 543.

  27. Zitiert in Charles P. Kindleberger, Die Weltwirtschaftskrise, Deutscher Taschenbuch Verlag, 1973, S. 284.

  28. Dt. Ausg. Arbeiterpresse Verlag, 1997, S. 85.

  29. Redewendung, etwa: Neuverteilung der Karten.

  30. Campaign for a Labor Party!, November 1942. Zu Deutsch: Kämpft für eine Arbeiterpartei!.

  31. Im Original: producerism.

  32. Zitiert nach der Ausgabe Verlag 8. Mai Gmbh, 2016, S. 50.

  33. The Life of John Maynard Keynes, 1951.

  34. D.h. vor 1914.

  35. Zitiert in Doug Henwood, Wall Street, 1997.

  36. Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes (1935), Duncker & Humblot, 6. Auflage 1983, S. 185.

  37. Die Weltwirtschaftskrise, dt. Ausg. Deutscher Taschenbuch Verlag, 1973, S. 284.

  38. The United States and the Keynes Plan, New Republic, 29. Juli 1940.

  39. Klein-Stahl-Formel, in Bezugnahme auf mehrere kleinere Stahlunternehmen.

  40. Zu Deutsch: Die Arbeiter und der Zweite Weltkrieg.

  41. Zitiert in Maurice Isserman, Which Side Were You On? The American Communist Party During the Second World War, 1993.

  42. D.h. ohne gewerkschaftliche Organisierung oder Kontrolle in den Betrieben.

  43. Ron Chernow, The House of Morgan, 1990.

  44. Zu Deutsch: Gefangene des amerikanischen Traums.

  45. Im Original: The Enemy Within.

  46. Zitiert nach der dt. Ausg. der Deutschen Buch-Gemeinschaft, 1965, S. 135.

  47. Im Original: American Capitalism: The Concept of Countervailing Power.

  48. Im Original: The Affluent Society.

  49. Gesellschaft im Überfluss, überarbeitete Ausgabe, dt. Ausg. Droemer Knaur, 1970, S. 197ff.

  50. Der amerikanische Kapitalismus im Gleichgewicht der Wirtschaftskräfte, dt. Ausg. A. J. Walter Verlag, 1956, S. 148.

  51. Gesellschaft im Überfluß, überarbeitete Ausgabe, dt. Ausg. Droemer Knaur, 1970, S. 219.

  52. ebd., S. 220.

  53. Black and Red – Class Struggle Road to Negro Freedom, 1966; nachgedruckt in Marxist Bulletin Nr. 9, Basic Documents of the Spartacist League.

  54. Auf Deutsch: Demokratische Freiheitspartei von Mississippi

  55. Eine andere rassistische Organisation, die für weiße Vorherrschaft eintrat.

  56. Englisch: Black Power.

  57. Black Power – Class Power, nachgedruckt in Marxist Bulletin Nr. 5 (überarbeitet): What Strategy for Black Liberation? Trotskyism vs. Black Nationalism, 1978

  58. pork chop (wörtlich Schweinskotelett) ist abwertend gemeint und bezieht sich vermutlich entweder auf den Ausdruck like a pork chop in a synagogue, der auf das Verbot von Schweinefleisch in jüdischen Synagogen anspielt, oder darauf, dass Schweinefleisch als Teil von stereotypem afrikanischem Essen galt.

  59. Dt. Ausg. Hans E. Günther Verlag Stuttgart, 1968. Im Original: Black Power: The Politics of Liberation in America.

  60. S. 90 der dt. Ausg.

  61. Monthly Review, Dezember 1967.

  62. Zu Deutsch: Bund revolutionärer schwarzer Arbeiter.

  63. Englisch für Große Gesellschaft. Reformprogramm unter dem US-Präsidenten Lyndon B. Johnson von den Demokraten.

  64. Staatliches Rentensystem der USA.

  65. Behind Friedmania, WV Nr. 260, 11. Juli 1980.

  66. 27. August 1997

  67. 16. Februar 1996

  68. 1996

  69. Workers’ World News, Januar-Februar 1996.

  70. Spiegel, 13. Mai 1996.

  71. 25. März 1996

  72. Bulletin, 10. Januar 1992

  73. http://www.trend.infopartisan.net/trd0499/t450499.html

  74. Im englischen Original: The Work of Nations, 1991.

  75. Dt. Ausg., Fischer Taschenbuch Verlag, 1996, S. 192.

  76. 5. August 1996

  77. Kapital, Arbeit und Nationalstaat, zitiert aus Vierte Internationale, Jg. 20, Nr. 1, Winter-Frühjahr 1994, S. 12f.

  78. Workers’ World News, Januar-Februar 1996.

  79. International Workers Bulletin [IWB], 15. Juli 1996. Übersetzt in Globalisierung und internationale Arbeiterklasse – Eine marxistische Einschätzung, S. 13.

  80. Labor’s Gotta Play Hardball to Win, WV-Beilage, März 1984. Zu Deutsch: Arbeiter müssen mit harten Bandagen kämpfen, um zu gewinnen.

  81. Lohn, Preis und Profit (1867), in Werke, Bd. 16, S. 152.

  82. IWB, 1. Juli 1996. Zitiert in Globalisierung und internationale Arbeiterklasse, S. 13.

  83. Trotzki, Schriften, Bd. 1.2, S. 1239.

  84. Dt. Ausg. Arbeiterpresse Verlag, 1997, S. 90.

  85. IWB, 15. Juli 1996.

  86. The Globalization of Capitalist Production & the International Tasks of the Working Class, September 1993.

  87. 18. Dezember 1995

  88. International Worker, 2. Dezember 1995. Zu Deutsch: Hafenarbeiter müssen falschen Internationalismus zurückweisen.

  89. Siehe David North, Socialist Apologist for Scabbing, WV Nr. 637, 19. Januar 1996. Zu Deutsch: David North, sozialistischer Rechtfertiger von Streikbruch.

  90. International Worker, 30. November 1996.

  91. Auf Englisch: iron law, also eisernes Gesetz.

  92. De la Capacité politique des classes ouvrières. Nicht auf Deutsch veröffentlicht. Karl Marx verwendet diesen deutschen Titel in Der politische Indifferentismus, 1872/73 (Werke, Bd. 18, S. 299ff).

  93. Stewart Edwards (Hrsg.), Selected Writings of Joseph-Pierre Proudhon (1969).

  94. In Werke, Bd. 16, S. 149.

  95. Mai-Juni 1996

  96. 15. Juli 1996

  97. 15. Juli 1996

  98. International Workers Bulletin, 15. Juli 1996

  99. Einleitung zu Karl Marx’ Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850, 1895, Werke, Bd. 22, S. 515.

  100. David North Abolishes the Right to Self-Determination, WV Nr. 626, 28. Juli 1995. Zu Deutsch: David North schafft das Recht auf Selbstbestimmung ab.

  101. Auf Deutsch: Bald werden sie die Ersten sein. Japan 2000. Zukunftsmodell der neuen Herren der Welt, 1972.

  102. Ausdruck von Adam Smith in Eine Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Reichtums der Nationen, dt. Ausg. Akademie-Verlag Berlin, 1975, Bd. 2, S. 264f.

  103. Zur Klarstellung, dass auch Laos ein deformierter Arbeiterstaat ist, siehe Vorwort zur Grundsatzerklärung der IKL, Spartacist, dt. Ausg. Nr. 28, Herbst 2011.

  104. Zitiert in Globalisierung und internationale Arbeiterklasse, S. 90.

  105. Dt. Ausg. Arbeiterpresse Verlag, 1997, S. 121.

  106. Winter/Frühling 1994

  107. Januar 1996. Zitiert in China am Scheideweg: Proletarisch-politische Revolution oder kapitalistische Versklavung?, Spartacist, dt. Ausg. Nr. 19, Winter 1997/1998.

  108. Diese und ähnliche Einschätzungen wurden später von der IKL als impressionistisch korrigiert. So heißt es in einem neuen Vorwort zu ihrer Grundsatzerklärung von 2010, abgedruckt in Spartacist, dt. Ausg. Nr. 28, Herbst 2011: Der Verweis auf die Marktreform-Konterrevolution in China in Punkt 3 verquickt die Einführung solcher Maßnahmen mit einer bevorstehenden kapitalistischen Konterrevolution. Im Einklang damit argumentierten wir, die chinesische stalinistische Bürokratie habe die gesamte Zerstörung der staatlichen Industrie im Visier. Das bedeutet die Abwicklung von allem, was von der Planwirtschaft des deformierten Arbeiterstaats noch übrig geblieben ist. Tatsächlich ist China, trotz massiven Eindringens kapitalistischen Eigentums, nach wie vor ein deformierter Arbeiterstaat, in dem der industrielle und finanzielle Kern der Wirtschaft auf kollektiviertem, staatlichem Eigentum basiert. Als eine zerbrechliche, parasitäre Kaste, die auf dem vergesellschafteten Eigentum thront, ist die stalinistische Bürokratie unfähig, den Kapitalismus von oben stufenweise wiedereinzuführen. Früher oder später jedoch wird die Bürokratie zersplittern, und dann werden sich die Alternativen – Wiederherstellung des Kapitalismus oder proletarisch-politische Revolution – in ganzer Schärfe entgegenstehen.

  109. 1994

  110. Für eine weitergehende Diskussion siehe On Bourgeois Class Consciousness, Spartacist, englische Ausgabe Nr. 24, Herbst 1977.

  111. Werke, Bd. 22, S. 282.

  112. New York Times, 24. September 1996.

  113. September 1995

  114. Zitiert nach der Ausgabe Verlag 8. Mai Gmbh, 2016, S. 157.

  115. Zitiert nach der Ausgabe Verlag 8. Mai GmbH, 2016, S. 159. Hervorhebung im Original.

  116. A. a. O., S. 158.

  117. Siehe U.S. Hands Off Mexico!, WV Nr. 658, 27. Dezember 1996.

  118. Brookings Papers on Economic Activity 4, 1986.

  119. Siehe Pentagon Beefs Up Mexican Repression, WV Nr. 604, 5. August 1994.

  120. Werke, Bd. 9, S. 221 und S. 224.

  121. Werke, Bd. 35, S. 357f. Hervorhebung im Original.

  122. Dt. Ausg. Arbeiterpresse Verlag, 1997, S. 114f.

  123. Siehe David North Abolishes the Right to Self-Determination, WV Nrn. 626 und 627, 28. Juli und 25. August 1995.

  124. Englische Version: Stop U.S. Free Trade Rape of Mexico!, WV Nr. 530, 5. Juli 1991.

  125. 11. April 1994

  126. IWB, 16. Januar 1995.

  127. 20. September 1993

  128. Im Original Mexican Government Massacres Hundreds, IWB, 10. Januar 1994.

  129. Auf Englisch übersetzt in WV Nr. 592, 21. Januar 1994.

  130. Auf Englisch: Mexico and Permanent Revolution, in WV Nr. 518, 18. Januar 1991.

  131. 16. Januar 1995

  132. WV Nr. 627, 25. August 1995.

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