Ergebnisse & Perspektiven des Marxismus

Planung gemeinschaftlichen Wohnens in der frühen Sowjetunion – Architektur als Werkzeug der sozialen Umgestaltung

von Vladimir Zelinsky

Der folgende Artikel ist übersetzt aus Women and Revolution (Nr. 11, Frühjahr 1976), damaligem Journal der Frauenkommission der Spartacist League.

* * *

„Die Frau bleibt nach wie vor Haussklavin, trotz aller Befreiungsgesetze, denn sie wird erdrückt, erstickt, abgestumpft, erniedrigt von der Kleinarbeit der Hauswirtschaft, die sie an die Küche und an das Kinderzimmer fesselt und sie ihre Schaffenskraft durch eine geradezu barbarisch unproduktive, kleinliche, entnervende, abstumpfende, niederdrückende Arbeit vergeuden läßt. Die wahre Befreiung der Frau, der wahre Kommunismus wird erst dort und dann beginnen, wo und wann der Massenkampf (unter Führung des am Staatsruder stehenden Proletariats) gegen diese Kleinarbeit der Hauswirtschaft oder, richtiger, ihre massenhafte Umgestaltung zur sozialistischen Großwirtschaft beginnt.“

— Lenin, Die große Initiative (1919)1

Das bolschewistische Programm zur vollständigen Emanzipation der Frauen mittels der Ersetzung der unterdrückerischen Familienstruktur durch alternative Institutionen zur Vergesellschaftung der Hausarbeit bedingte eine radikal neue Reihe architektonischer Prioritäten und Aufgaben, die ein Überdenken der grundlegenden Voraussetzungen der sozialen Architektur erforderten.

Der Moskauer Stadtsowjet erklärte 1926 in seiner Ausschreibung eines Wettbewerbs für den Entwurf einer Gemeinschaftswohnanlage:

„Es ist die Aufgabe der technologischen Innovation, die Aufgabe des Architekten, neue Anforderungen an das Wohnen zu stellen und so weit wie möglich ein Haus zu entwerfen, das den so genannten Familienherd von einer langweiligen, beengenden Zelle, die gegenwärtig vor allem Frauen belastet, in einen Ort der angenehmen und unbeschwerten Entspannung verwandelt.

Ein neues Leben verlangt nach neuen Formen.

Der Arbeiter möchte nicht, dass seine Mutter, seine Frau oder seine Schwestern Kindermädchen, Wäscherinnen oder Köchinnen mit endlosen Arbeitszeiten sind; er möchte nicht, dass die Kinder ihm und insbesondere der Mutter die Möglichkeit nehmen, ihre freie Zeit für soziale Arbeit, geistige und körperliche Vergnügungen zu nutzen….“2

Die Abschaffung des Privateigentums an Grund und Boden, die bereits vollzogen war, wies den Weg zu einer erfolgreichen Lösung der Probleme, die sich für die Hausgestaltung (wie auch für die Stadtplanung und den Dienstleistungssektor) bei der Beseitigung der Frauenunterdrückung im Haushalt stellten.

Im Kapitalismus ist das Leben des Stadtplaners von ständiger Frustration geprägt, da er vergeblich versucht, die widersprüchlichen Interessen von Dutzenden oder Hunderten von Privateigentümern und Grundstücksspekulanten unter einen Hut zu bringen, die dann weitere Beschwichtigungen in Form von Steuervergünstigungen, Mietzuschüssen, Abweichungen von Bebauungsplänen und Ähnlichem verlangen, um die Rentabilität der von ihnen errichteten (oder auch nicht errichteten) minderwertigen Wohnungen sicherzustellen. Das Wachstum der Städte (und ihr Zusammenbruch) ist im Prinzip unkontrolliert, und die physische und ästhetische Verwahrlosung ist die akzeptierte Norm.

Eine der ersten Amtshandlungen des neuen proletarischen Regimes (14. Dezember 1917) war das Verbot jeglicher Spekulation mit Grund und Boden. 1918 wurden durch eine Reihe von Gesetzen der Grundbesitz des Adels sowie alle städtischen Bauten, die ein höheres Einkommen als das von den lokalen Behörden festgelegte erzielten, entschädigungslos enteignet. Der sowjetische Stadtplaner musste (und muss im Prinzip immer noch) sich also in erster Linie um soziale Werte kümmern – die Schaffung einer rational organisierten, verträglichen städtischen Umgebung auf der Grundlage der menschlichen Bedürfnisse.

Doch das Land, das der neue Arbeiterstaat übernahm, stand kurz vor dem völligen Zusammenbruch. Im Ersten Weltkrieg und dem darauf folgenden Bürgerkrieg hatte Russland rund 20 Millionen Menschen verloren. Die Schwerindustrie produzierte 1920 nur noch ein Siebtel dessen, was sie 1913 produziert hatte; das Verkehrssystem funktionierte praktisch nicht mehr, und die soziale Basis für den Wiederaufbau des Landes – eine ausgebildete Arbeiterklasse – hatte im Bürgerkrieg extrem große Verluste erlitten, denn gerade die qualifizierten Arbeiter hatten sich als überzeugte Bolschewiki freiwillig für die von Trotzki aufgebaute Rote Armee gemeldet. Von 1917 bis 1920 konnte fast nichts Neues gebaut werden; das Beste, was man tun konnte, war, die Luxuswohnungen der Bourgeoisie in den Großstädten an die Arbeiter umzuverteilen. Doch die Baumaterialien waren so knapp, dass nicht einmal die bestehenden Wohnungen instand gehalten werden konnten, und ausländische Besucher waren entsetzt über den Verfall der gesamten Bausubstanz des Landes.

Erst 1925 begann der neue Arbeiterstaat, wenn auch nur teilweise, die Umstände seiner Entstehung zu überwinden, so dass sich die Architektur der 20er Jahre naturgemäß in zwei Teile gliedert: 1920–25, eine Periode, in der einige brillante Entwürfe entstanden, in der aber so gut wie nichts gebaut wurde, und 1925–31, als die neuen Architekten mit dem Wiederaufbau der baulichen Strukturen des Landes beginnen konnten. Dennoch schätzt man, dass im ganzen Land nicht mehr als 10–12 Gemeinschaftshäuser gebaut wurden, bevor Stalins Rehabilitierung der Kernfamilie und der „sowjetischen Mutterschaft“ dieser Arbeit ein Ende bereitete.

Zusätzlich zu den materiellen Hindernissen hatten diese revolutionären Architekten, die eine funktionale moderne Architektur vertraten, ab etwa 1928 zunehmend mit dem Eklektizismus der Jahrhundertwende zu kämpfen, der von der aufkommenden Bürokratie und ihren Kriechern im Bereich der Kunst gefördert wurde. Zwar wurde noch 1931–32 auffallend moderne Architektur errichtet, doch geschah dies auf der Grundlage von Aufträgen, die Jahre zuvor vergeben worden waren. Das endgültige Aus für innovative sowjetische Architektur wurde 1932 eingeläutet, als die Bürokratie einem der überlebenden Stümper des alten Regimes den ersten Preis in einem Wettbewerb für das symbolische Bauwerk des Landes, den Palast der Sowjets, verlieh. Nur das Dazwischenkommen des Zweiten Weltkriegs verhinderte, dass dieses Monument des stalinschen Größenwahns der Moskauer Bevölkerung zugemutet wurde.

Gemeinschaftswohnungen

„Lassen wir den Keimen des Kommunismus, die schon jetzt auf diesem Gebiet [der Befreiung der Frau] vorhanden sind, genügend Fürsorge zuteil werden? Nein und abermals nein. Öffentliche Speiseanstalten, Krippen, Kindergärten – das sind Musterbeispiele derartiger Keime, das sind jene einfachen, alltäglichen Mittel, die frei sind von allem Schwülstigen, Hochtrabenden, Feierlichen, die aber tatsächlich geeignet sind, die Frau zu befreien, tatsächlich geeignet sind, ihre Ungleichheit gegenüber dem Mann im Hinblick auf ihre Rolle in der gesellschaftlichen Produktion wie im öffentlichen Leben zu verringern und aus der Welt zu schaffen. Diese Mittel sind nicht neu, sie sind (wie überhaupt alle materiellen Voraussetzungen des Sozialismus) vom Großkapitalismus geschaffen worden, aber unter dem Kapitalismus sind sie erstens eine Seltenheit geblieben, zweitens – was besonders wichtig ist – waren sie entweder krämerhafte Unternehmungen, mit allen üblen Seiten der Spekulation, der Bereicherung, des Betrugs, der Fälschung, oder aber ‚Akrobatenstückchen bürgerlicher Wohltätigkeit‘, die von den besten Arbeitern mit Recht gehaßt und verachtet wurde.“

— Lenin, Die große Initiative (1919)3

Die Gemeinschaftswohnungen der 20er Jahre waren ein erster Versuch, Lenins Forderungen in die Realität umzusetzen. Die frühen sowjetischen Planer stellten sich den individuellen Wohnbereich als einen Ort vor, an dem sich die Bewohner hauptsächlich zum Schlafen, Lesen oder Ähnlichem aufhalten würden. Typischerweise waren diese „Kabinen“ winzig, mit nur 6–9 Quadratmetern Wohnfläche pro Person – immerhin eine qualitative Verbesserung gegenüber den 3 bis 4 Quadratmetern (ca. 1,8 mal 2,2 Meter) pro Person, dem Durchschnitt für Wohnungen, die sich zwei oder mehr Familien in den russischen Großstädten in den 1930er Jahren teilten. Abgesehen davon haben die Architekten absichtlich kleine Wohnungen entworfen, um eine gemeinsame Nutzung unmöglich zu machen.

Wie die Arbeiterclubs waren auch die Kommunen der 20er Jahre als soziale Grundstruktur für die neue Gesellschaft gedacht, als kulturelles Medium, aus dem durch die von der neuen Architektur geprägte räumliche und organisatorische Ausgestaltung des täglichen Lebens neue soziale Verhaltensweisen entstehen sollten. Darin unterschieden sie sich, wie Lenin bemerkte, grundlegend von scheinbar ähnlichen Projekten im Westen, wo es nicht das Konzept gab, die Architektur als Mittel zur sozialen Umgestaltung des Menschen einzusetzen. Der russische Künstler und Architekt El Lissitzky sagte deshalb: „Die Grundelemente unserer Architektur gehören dieser sozialen und nicht der technischen Revolution an.“4

Und in den neuen Wohneinheiten entstanden neue soziale Einstellungen, insbesondere bei den Frauen, die davon am meisten profitierten. Während die langen Wartelisten für die Aufnahme in die Gemeinschaftswohnungen weniger die Überzeugung widerspiegelten, dass sie eine höhere Form der sozialen Interaktion darstellten, als vielmehr den Wunsch nach den Einrichtungen, mit denen sie ausgestattet waren – Strom, Elektrizität, Heizung und fließendes Wasser –, kamen die meisten Frauen, froh, von der lästigen Hausarbeit befreit zu sein, bald zu dem Schluss, dass das private Familienleben unerträglich war. Alexandra Kollontai, Volkskommissarin für soziale Fürsorge, schreibt dazu:

„Vergeßt bitte nicht, daß besonders die Frauen früher einen ‚eigenen Haushalt‘ anstrebten … Heute dagegen redet vor allem der Mann darüber, wie sinnvoll es doch wäre, wenn man eine eigene Wohnung mit einer eigenen Küche sein Eigentum nennen könnte, und wie schön es doch wäre, wenn die Frau Tag und Nacht in seiner Nähe sein könnte. Die Frauen und ganz besonders natürlich die schnell ansteigende Zahl der Industriearbeiterinnen, die in den Fabriken der Arbeiterrepublik tätig sind, wollen aber nichts mehr vom ‚eigenen Heim‘ hören: ‚Bevor ich mich in ein Familienleben und den dazugehörigen Kleinkram stürze, lasse ich mich lieber scheiden. Denn jetzt kann ich endlich für die Revolution arbeiten. Würde ich mich erst einmal auf so eine Geschichte einlassen, dann wäre ich angeschmiert. Nein. In einem solchen Falle ist es wirklich besser, wenn ich mich scheiden lasse.“

— Alexandra Kollontai, Die Situation der Frau in der gesellschaftlichen Entwicklung5

Charakteristisch für die Architekten der damaligen Zeit ist die Kompromisslosigkeit in Bezug auf ihre sozialen Ziele. Typisch für die Klarheit, mit der diese Ziele in bauliche Realitäten umgesetzt wurden, ist der außergewöhnlich elegante Entwurf von Barschtsch und Wladimirow aus dem Jahr 1929 für eine Gemeinschaftsunterkunft für 1000 Erwachsene und 680 Kinder. Die Unterbringung erfolgte nach Altersgruppen, mit einem zehnstöckigen Hauptgebäude für die Erwachsenen und einem dazu senkrecht stehenden sechsstöckigen Flügel für die jüngeren Kinder sowie einem fünfstöckigen für die Kinder im Schulalter.

Im Hauptgebäude waren die ersten vier Stockwerke als Gemeinschaftsbereich geplant, mit einem Foyer, einem Speisesaal sowie Club- und Aufenthaltsräumen, während die restlichen sechs Stockwerke für kleine Zweipersonen-Schlafräume vorgesehen waren. Der Wunsch der Architekten bestand eindeutig darin, eine Umgebung zu schaffen, in der fast alle Aktivitäten außer dem Schlafen sozialer Natur sein sollten.

Was die Kinder betrifft, so befanden sich im Erdgeschoss des Gebäudes für Vorschulkinder der Eingangsbereich und die Rezeption. Die oberen Stockwerke beherbergten 12 Räume für jeweils 30 Kinder. Angrenzend an dieses Gebäude befand sich ein Gebäude mit einer großen, luftigen Veranda. Das Gebäude für die Schulkinder bestand aus zwei Teilen: In den ersten beiden Stockwerken waren der Eingangsbereich und die Werkräume; in den oberen drei Stockwerken die Klassenzimmer und Nebenräume. Jedes Internat war für 28 Schüler und jedes der acht Klassenzimmer für 40 Schüler ausgelegt.

Da er nur zehn Prozent des Grundstücks einnimmt, auf dem er errichtet werden sollte, und auf Säulen ruht, womit er sich vom Boden abhebt, hat dieser Gebäudeentwurf eine Leichtigkeit und Luftigkeit, die für einen Großteil der russischen revolutionären Architektur charakteristisch ist.

Der Entwurf von Barschtsch und Wladimirow ist eine konsequente Umsetzung der Ideale, die die revolutionären Architekten in Bezug auf die Ablösung der Kernfamilie durch neue kameradschaftliche Bindungen und eine radikale Umgestaltung des Alltagslebens bewegten. In seinem 1930 geschriebenen Buch Sozialistitscheskije goroda [Sozialistische Städte] behauptete L. Sabsowitsch:

„Diese sozialistische Rekonstruktion der Lebensweise muß sofort begonnen und im Laufe der nächsten fünf bis acht Jahre für alle Werktätigen in Stadt und Land durchgeführt werden. … Alle Arten … von Übergangsformen sind Ausdruck eines durch nichts zu rechtfertigenden Opportunismus… Es darf keinerlei Zimmer für ein gemeinsames Wohnen von Mann und Frau geben … Die Zimmer werden hauptsächlich für den Schlaf, die individuelle Erholung und in einigen Fällen auch für individuelle Beschäftigungen bestimmt sein.“6

In einem etwa zeitgleichen Artikel in der Publikation Sowremennaja architektura definierte Sabsowitsch seine Ansicht über die kommunistische Lebensweise noch deutlicher:

„Wenn das Leben auf sozialistischer Grundlage organisiert ist, kann jeder Arbeiter als potentieller ‚Junggeselle, ‚Ehemann  oder ‚Ehefrau  betrachtet werden, und zwar in dem Maße, wie der Junggeselle von heute der Ehemann von morgen sein kann und das Paar von heute morgen getrennt sein kann. [Sabsowitsch stellte sich vor, dass die Scheidung durch ein einfaches Verschließen der Verbindungstür zwischen zwei benachbarten Zimmern vollzogen wird.] Gegenwärtig leben viele Paare unfreiwillig zusammen, gezwungenermaßen, zum einen durch das Wohnungsproblem und auch durch die Notwendigkeit, ihre Kinder zu erziehen, auch wenn die Bindung zwischen ihnen zerbrochen sein mag. Wenn das Leben auf sozialistischer Grundlage organisiert ist, wenn die alltäglichen Bedürfnisse vom Staat abgedeckt werden und die Kinder gemeinsam erzogen werden, dann werden diese Zwänge allmählich verschwinden.“7

Der Architekt W. Kusmin, einer der führenden Befürworter des kollektiven Wohnens, war sogar noch entschiedener in seiner Verurteilung der Kernfamilie:

„Das Proletariat muss sofort mit der Abschaffung der Familie als Organ der Unterdrückung und Ausbeutung beginnen. In der Gemeinschaftswohnung wird die Familie meiner Meinung nach eine rein kameradschaftliche, physiologisch notwendige und historisch unvermeidliche Verbindung zwischen dem arbeitenden Mann und der arbeitenden Frau sein.“8

Wie stark das bolschewistische Programm in den Köpfen der Parteimitglieder verankert war, zeigt die Tatsache, dass noch 1930 Juri Larin in einer Rede vor der Kommunistischen Akademie die Abschaffung von Einzelküchen in neuen Wohnhäusern forderte und sich dabei auf das erklärte Ziel der Partei bezog, 50 Prozent der Bevölkerung in Gemeinschaftsrestaurants zu versorgen. Er forderte auch den Bau von Gemeinschaftswohnungen mit angeschlossenen Kindergärten und wies darauf hin, dass es in Moskau nur für 50 Kinder pro 1000 Frauen – d.h. 1000 potentielle Arbeiterinnen – Kinderbetreuungseinrichtungen gebe, und wies darauf hin, dass sich die unerträgliche Überfüllung negativ auf die Produktivität auswirke.

Dennoch war es unvermeidlich, dass solch extreme Vorschläge auf Widerstand stießen, und es wurden verschiedene Kompromissversuche unternommen. Da man erkannte, dass die wirtschaftliche Rückständigkeit des Landes es zumindest vorläufig ausschloss, jeder Familie eine herkömmliche bürgerliche Wohnung zur Verfügung zu stellen, und dass die Wohnungen, die gebaut wurden, tatsächlich Gruppen von Familien zugewiesen wurden, versuchten die revolutionären Architekten eine Lösung zu finden, die sowohl das Wohnungsproblem lösen als auch das kommunistische Bewusstsein fördern würde.

Schnell wurde klar, dass eine einfache Miniaturisierung der traditionellen bürgerlichen Wohnung keine Lösung war, da Wohnungen mit einer Wohnfläche von etwa 50 Quadratmetern kostengünstiger zu bauen waren als verkleinerte Versionen oder Einzimmerwohnungen mit Bad und Küche. Außerdem wären die Mieten für große Privatwohnungen nur für wenige gut bezahlte Fachkräfte erschwinglich gewesen. Die Folge wäre gewesen, dass sie nicht von einer, sondern von drei oder vier Familien bewohnt worden wären, „womit nicht der Rahmen für eine neue Lebensweise geschaffen würde, sondern eine unerträgliche Existenz für 60 Prozent der Bevölkerung“ (Bericht des Baukomitees der R.F.S.R. – oder „Stroikom“ – 1928).

1928 gründete Stroikom eine Forschungs- und Designabteilung für die Standardisierung von Wohnungen unter der Leitung von Moses Ginsburg, dem Chefredakteur der Zeitschrift Sowremennaja architektura, der führenden Zeitschrift für sowjetische Architektur. Nach dreimonatiger Arbeit berichtete Stroikom:

„Trotz der extremen Knappheit der staatlichen Mittel stellt die Bereitstellung von Wohnraum für Millionen von Arbeitern eine unserer wichtigsten Aufgaben dar.

… Die neuen Wohnformen müssen den Arbeitern so viel Zeit und Energie wie möglich für soziale und kulturelle Aktivitäten freimachen, geeignete Erholungsmöglichkeiten bieten und den Übergang von individuellen zu mehr kollektiven Wohnformen erleichtern.“

Ginsburg erläuterte die Ziele des Ausschusses:

Wir sind der Ansicht, dass einer der wichtigsten Punkte, die beim Bau neuer Wohnungen berücksichtigt werden müssen, die Dialektik der menschlichen Entwicklung ist. Wir können die Bewohner eines bestimmten Gebäudes nicht mehr zum kollektiven Wohnen zwingen, wie wir es in der Vergangenheit versucht haben, in der Regel mit negativen Ergebnissen. Wir müssen die Möglichkeit eines allmählichen, natürlichen Übergangs zur gemeinschaftlichen Nutzung in einer Reihe von unterschiedlichen Bereichen anbieten. Deshalb haben wir versucht, jede Wohneinheit von der nächsten zu isolieren, deshalb haben wir es für notwendig befunden, die Küchenzeile als ein Standardelement von minimaler Größe zu konzipieren, das baulich aus der Wohnung entfernt werden kann, um jederzeit eine Kantinenverpflegung einrichten zu können. Wir hielten es für unbedingt notwendig, bestimmte Funktionen einzubauen, die den Übergang zu einer sozial höherwertigen Lebensweise anregen, anregen, aber nicht diktieren ….“

„Proletarische Kultur“

Einer der Vorwürfe, die regelmäßig gegen den radikalen Modernismus der sowjetischen Avantgarde-Architektur erhoben wurden, war ihre angeblich fehlende Verbindung zu den Massen. Diese schnittigen Entwürfe, so der Vorwurf der aufstrebenden Bürokratie, hätten nichts mit der neuen proletarischen Gesellschaft gemein, sondern seien lediglich eine sklavische Nachahmung der bürgerlichen Mode im Westen.

Die Fragen, die durch solche Anschuldigungen aufgeworfen werden, sind wichtig. Wie sollte das Verhältnis zwischen der künstlerischen/literarischen Intelligenz und dem Proletariat aussehen? Welche Art von kreativen Strömungen sollte die Partei fördern? Die Antworten von Lenin, Trotzki, Lunatscharski und Bucharin waren völlig eindeutig: Sie alle waren sich einig, dass es die Pflicht der Partei sei, gegen offen konterrevolutionäre Strömungen in Kunst und Literatur einzuschreiten, während sie ansonsten auf einer Politik der Zurückhaltung im kulturellen Bereich bestanden.

Lenins eigener Kunstgeschmack war eher konservativ; er empfand persönlich wenig Sympathie für den radikalen Modernismus, der nach der Oktoberrevolution in Russland in Mode kam, und wahrscheinlich war er es, der die Wahl einer neoklassizistischen Eingangskolonnade im rudimentären dorischen Stil (von den ehemaligen bürgerlichen und später stalinistischen Handlangern Schtschuko und Helfreich) als Eingang zum Smolny-Institut guthieß, wo er das Revolutionäre Militärkomitee getroffen hatte, das den Oktoberaufstand leitete.

Dies ist jedoch sein einziger berichteter Eingriff in die künstlerische Entscheidungsfindung; ansonsten nahm er eine Position wohlwollender Neutralität ein und meldete sich nur dann öffentlich zu Wort, wenn irgendeine architektonische Clique versuchte, sich das alleinige künstlerische Recht auf „proletarische“ oder „revolutionäre“ Kunst im jungen Arbeiterstaat anzumaßen. In ähnlicher Weise polemisierte Anatoli Lunatscharski, Volkskommissar für Kunst und Bildung, energisch gegen künstlerische und literarische Strömungen, die seiner Meinung nach im grundsätzlichen Widerspruch zum Marxismus standen, setzte sich aber für die volle Freiheit der kulturellen Debatte ein.

Trotzkis Position zur Rolle der Partei im kulturellen Bereich war identisch mit der Lenins. In seinem Artikel „Die Parteipolitik in der Kunst“ erklärte Trotzki, dass die Partei zwar unversöhnlich gegen offen konterrevolutionäre Kunst auftreten müsse, ihre Aufgaben aber im Wesentlichen seien,

„die fortschrittlichsten unter ihnen durch kritische Durchleuchtung der Wege zu unterstützen – mehr aber nicht. Die Kunst muß ihre Wege auf eigenen Füßen zurücklegen. Die Methoden des Marxismus sind nicht die Methoden der Kunst. Die Partei lenkt das Proletariat, nicht den historischen Prozeß. Es gibt Gebiete, auf denen die Partei unmittelbar und gebieterisch führt. Es gibt Gebiete, auf denen sie kontrolliert und fördert. Und es gibt Gebiete, auf denen sie nur fördert. Es gibt schließlich Gebiete, auf denen sie sich nur orientiert. Auf dem Gebiet der Kunst ist die Partei nicht berufen zu kommandieren. Sie kann und soll schützen, fördern und lediglich indirekt lenken.“9

Trotzki lehnte in der Tat den Begriff der „proletarischen Kunst“ ausdrücklich ab – vor allem wegen der tatsächlichen kulturellen Defizite des Proletariats zur Zeit der Machtergreifung:

„Es ist gezwungen, die Macht zu ergreifen, bevor es sich die Grundelemente der bürgerlichen Kultur angeeignet hat; es ist gezwungen, die bürgerliche Gesellschaft gerade deshalb mit revolutionärer Gewalt zu stürzen, weil diese ihm keinen Zutritt zur Kultur gewährt.“

— Trotzki, „Was ist proletarische Kultur und ist sie denkbar?“10

Hinzu kommt, dass in den Anfangsjahren des proletarischen Regimes (zumindest im rückständigen Russland) die Hauptaufgaben des Proletariats notwendigerweise in der Schaffung der materiellen Bedingungen für den allgemeinen Zugang zur Kultur bestanden. „Deswegen ist für uns im gegenwärtigen Moment eine Maschine, die automatisch Flaschen herstellt, ein Faktor ersten Ranges der kulturellen Revolution“, sagte Trotzki, „während ein Heldengedicht nur zehntrangig ist … Es ist gut, wenn die Dichter von der Revolution und dem Proletariat singen; aber noch besser singt eine mächtige Turbine.“11

Schon der Begriff der proletarischen Kultur steht im Widerspruch zu den grundlegenden Lehren des Marxismus:

„In der Epoche der Diktatur kann von der Schaffung einer neuen Kultur, d.h. von einem Aufbau in allergrößtem historischem Maßstab keine Rede sein; und jener mit nichts Früherem vergleichbare kulturelle Aufbau, der einsetzt, wenn die Notwendigkeit der eisernen Klammern der Diktatur entfällt, wird schon keinen Klassencharakter mehr tragen. Hieraus muß man die allgemeine Schlußfolgerung ziehen, daß es eine proletarische Kultur nicht nur nicht gibt, sondern auch nicht geben wird; und es besteht wahrhaftig keinerlei Veranlassung dazu, dies zu bedauern: Das Proletariat hat ja gerade dazu die Macht ergriffen, um ein für allemal der Klassenkultur ein Ende zu setzen und der Menschheitskultur den Weg zu bahnen. Das scheinen wir nicht selten zu vergessen.“12

Trotzki machte sich auch über die Art von vereinfachendem Reduktionismus lustig, der damals wie heute manchmal als marxistische Kritik durchgeht. Unter Bezugnahme auf Raskolnikow, einem Sprecher der Gruppe Na Postu, sagte Trotzki:

„Bei Kunstwerken ignoriert er das, was sie zu Kunstwerken macht. Am deutlichsten wurde dies in seinem bemerkenswerten Urteil über Dantes Göttliche Komödie, die seiner Meinung nach für uns nur deshalb wertvoll ist, weil sie uns ermöglicht, die Psychologie einer bestimmten Klasse zu einer bestimmten Zeit zu verstehen. Die Angelegenheit so zu formulieren, bedeutet, die Göttliche Komödie einfach aus dem Bereich der Kunst zu streichen…. Dante war natürlich das Produkt eines bestimmten sozialen Milieus. Aber Dante war ein Genie. Er hat die Erfahrung seiner Epoche auf eine ungeheure künstlerische Höhe gehoben … der italienische Marxist, der alte Antonio Labriola, schrieb etwa so: ‚Nur Dummköpfe könnten versuchen, den Text der Göttlichen Komödie so zu interpretieren, als sei er aus dem Stoff gemacht, den die Florentiner Kaufleute ihren Kunden anboten‘.“13

So konnte Trotzki geltend machen, trotz „der unterschiedlichen Gefühle und Gemütszustände in den verschiedenen Klassen … werden Sie nicht leugnen, dass Shakespeare und Byron Ihre und meine Seele auf gewisse Weise ansprechen“. Und als der Ignorant Lebedinski entgegnete: „Sie werden bald aufhören zu sprechen“, erwiderte Trotzki, dass es die Werke von Shakespeare, Byron und Puschkin auch dann noch geben werde, „wenn die Menschen aufhören werden, in Marx’ Kapital nach Richtlinien für ihre praktische Tätigkeit zu suchen, und das Kapital nur noch ein historisches Dokument sein wird, zusammen mit dem Programm unserer Partei.“14

Urbanisten und Deurbanisten

Die russische Gesellschaft war in den 1920er Jahren in einem Maße offen, wie es für die Bürger der deformierten und degenerierten Arbeiterstaaten heute unvorstellbar ist. Trotz des Verbots von Parteifraktionen waren die alten polemischen Traditionen des Bolschewismus noch sehr lebendig; so sehr, dass die entstehende Bürokratie über ein Dutzend Jahre brauchte – vom Tod Lenins bis zu den Moskauer Prozessen –, um jede offene politische und intellektuelle Opposition endgültig zu unterdrücken. In der Zwischenzeit wurde die bürokratische Kontrolle schrittweise und stückweise im ganzen Land durchgesetzt – zunächst in der Partei, wo die Traditionen des Widerspruchs am stärksten waren, dann im Staatsapparat und zuletzt im Bereich der Kultur, wo die Bürokratie erst ein Bewusstsein erlangen musste, das ihre usurpatorische Rolle widerspiegelt, bevor sie beginnen konnte, ihre eindeutig rückschrittlichen künstlerischen Richtlinien zu verfolgen.

In dem Maße, wie sich die stalinistische Bürokratie verfestigte, entwickelte sie allmählich einen sozialen Zusammenhalt und eine Weltanschauung, die zu ihrer Gratwanderung zwischen dem Imperialismus und den proletarischen Eigentumsformen des Oktobers passte. Für die revolutionären Architekten bedeutete dies, dass es immer weniger Chancen gab, ihre eindrucksvollen Projekte zu verwirklichen, da die Bürokratie zunehmend einen „imposanten“ akademischen Eklektizismus bevorzugte. So wurden die Bedingungen der Architekturdebatte erst deformiert und dann zunehmend wirklichkeitsfremd, da sich die revolutionären Architekten angesichts der bürokratischen Kontrolle über die Aufträge in Urbanisten und Deurbanisten spalteten. Während die Urbanisten am Konzept der Gemeinschaftswohnung festhielten, das immer extremere und kompromisslosere Formen annahm, gaben die Deurbanisten diese Vision auf. Das lief im Wesentlichen darauf hinaus, dass sie den Glauben an die Möglichkeit eines sozialistischen Wiederaufbaus der bestehenden Infrastruktur des Landes aufgaben, mit der Konsequenz der Abkehr von der Stadt zugunsten einer bäuerlichen Lebensweise, die sich natürlich auf die neueste Technologie stützte – ländliche Elektrifizierung, dezentralisierte Produktion und dergleichen.

Der Cheftheoretiker der Deurbanisten, M. Ochitowitsch, lehnte das Konzept der Stadt ab und vertrat das reaktionär-utopische Programm (vor dem Erreichen enormer technischer Fortschritte und materiellen Überflusses; d.h. vor dem Sozialismus) eines Russlands, das mit individuellen Wohnhäusern übersät ist – leichten Bauten in unberührter natürlicher Landschaft. „Nein, seien wir ehrlich“, sagte er, „Gemeinschaftshäuser, diese riesigen, schweren, monumentalen, ewigen Kolosse, die ständig die Landschaft verschandeln, werden das Problem der sozialistischen Neubesiedlung nicht lösen.“ Abgesehen von seinem erklärten Wunsch, kollektive Einrichtungen in seine Wohnungen einzubauen, ist schwer zu erkennen, wie dies unter den Bedingungen der geplanten Isolation möglich gewesen wäre, während sich die breite Bevölkerung dagegen aussprechen würde, dass die Massen nur Zugang zu kulturellen Einrichtungen auf niedrigstem Niveau hätten. Tatsächlich hatte Ochitowitschs Plan eher soziale als architektonische Wurzeln: nämlich den immer stärker werdenden Wunsch, sich aus dem bürokratisch geführten Arbeiterstaat in die individuelle Abgeschiedenheit zurückzuziehen; das Bekenntnis zum sozialistischen Ideal durch ein ländliches Idyll zu ersetzen.

Ein ergänzender Plan sah die Evakuierung Moskaus vor und die Umsiedlung der Bevölkerung entlang der Autobahnen, die strahlenförmig vom ehemaligen Stadtzentrum ausgingen. Neue Bauten in der Hauptstadt sollten verboten und die verlassenen Gebiete allmählich landschaftlich gestaltet werden, bis auf einen nicht reduzierbaren administrativen/kulturellen Kern sowie eine Art historisches Museum mit künstlich erhaltenen Stadtteilen und Denkmälern, die für die Vergangenheit der Stadt charakteristisch sind.

Es versteht sich von selbst, dass die extremen Positionen der Deurbanisierer und die krassen Gegenvorschläge der bedrängten kollektiven Urbanisierer natürlich Wasser auf die Mühlen der aufkommenden Bürokratie und ihrer Clique von Anhängern unter den Architekten waren, die in einem Ableger von Proletkult, der Wopra (Allrussische Gesellschaft der proletarischen Architekten), organisiert waren. Wie in anderen Bereichen des kreativen Schaffens diente der Appell an die vermeintliche marxistisch-leninistische Orthodoxie nur dazu, das wahre Ziel zu verschleiern: die bewusste Zerschlagung all dessen, wofür die Oktoberrevolution gestanden hatte.

Es ist wichtig zu erkennen, dass der Streit nicht nur ideologischer Natur war, sondern eine materielle Grundlage in der extremen Rückständigkeit und Verarmung Russlands in den 1920er Jahren hatte. Der vorhandene Wohnungsbestand verfiel in beängstigendem Tempo, da der Mangel an Material es unmöglich machte, kaputte Rohre, fehlende Fliesen und Fensterscheiben zu ersetzen. Noch 1931 lag die durchschnittliche Wohnfläche pro Person in Moskau bei etwa vier Quadratmetern: Tatsächlich war die Wohnfläche pro Person seit der Revolution stetig zurückgegangen, trotz der neuen Bauprogramme, die den enormen Bedarf gedämpft hatten. Diese Bedingungen der materiellen Entbehrung waren, wie Trotzki betonte, eine der Hauptursachen für den Aufstieg einer parasitären Bürokratie; und die Rolle dieser aufstrebenden Bürokratie als Richter im Streit und Verteiler der wenigen Privilegien, die die neue Gesellschaft zu bieten hatte, ist in der Architektur und im öffentlichen Wohnungsbau so offensichtlich wie überall sonst.

Stalinisierung

Das stalinistische Architektur„programm“, für die frühen 30er Jahre umfasste die folgenden Punkte:

  1. Kosten senken! Die Regierung verfügte einfach (1. März 1931) eine Senkung der Baukosten für neue Wohnungen von durchschnittlich 170 auf 104 Rubel pro Quadratmeter.

  2. Groß angelegte Kampagnen für Ziele, von denen man nie ernsthaft erwartet hat, dass sie erreicht werden. 1931 wurde „auf Beschluss des Rates der Volkskommissare und auf persönliche Initiative des Genossen Stalin“ die erste große Kampagne zur Lösung des Wohnungsproblems ausgerufen, wobei noch vor Jahresende 700000 neue Wohnungen für Arbeiter im Donezk- und Kusnezkbecken, im Ural und in Karaganda errichtet werden sollten. Natürlich verfügte das Land nicht über die nötige Infrastruktur, um alle Ressourcen und Fachkräfte in einigen wenigen Regionen zu konzentrieren, geschweige denn, ein derartiges Mammutbauprogramm in der begrenzten Zeit in Angriff zu nehmen. Für die Arbeiter und Funktionäre vor Ort, die versuchten, mit diesem bürokratisch verursachten Chaos fertig zu werden, führte dies unweigerlich zu persönlichem Zynismus und Desillusionierung gegenüber den sozialistischen Idealen, die solche Projekte angeblich inspirierten.

  3. Unter dem Slogan der „radikalen Standardisierung“ leiteten die Stalinisten eine Rückkehr zu „traditionellen russischen“ Wohnformen ein, d.h. dem primitiven Holzblockhaus des Bauerndorfes, dem Inbegriff der russischen Rückständigkeit. Der deutsche Architekt Wilm Stein, der aus Moskau schrieb, schilderte die abrupte Kehrtwende in einem Artikel von 1931 für die Bauwelt:

    „Überall werden jetzt die Trommeln für den ‚Standardbau‘, geschlagen; der Sprung von der neuen Offenbarung der ‚sozialistischen Städte‘, zu den primitiven kleinen Holzhäusern, für die Pläne und Entwürfe in Scharen vom Amt für Normung verschickt werden, wird versüßt durch die täglich neu entdeckten Vorteile des Holzhauses: ‚Die Standardhäuser benötigen keine knappen Materialien wie Eisen und Zement‘; ‚statt 170 Rubel pro Quadratmeter in Steinhäusern kostet der Quadratmeter in Holzhäusern nur 80 Rubel‘; als weitere Vorteile des Standard-Holzhauses werden die Einsparung von Arbeitsstunden der Bauarbeiter, die Tatsache, dass keine Ingenieure und Techniker benötigt werden, die kurze Bauzeit, die Entlastung des Schienennetzes vom Transport der Baumaterialien usw. usf. genannt.“15

    Stein nannte die Entscheidung, „von den sozialistischen kommunalen Städten und ihren Symphonien aus Stahl, Beton und Glas zu einfachen Bauernhäusern aus Holz“ überzugehen, einen „Schlag gegen die kommunistische Theorie“; diese Entscheidung, so stellt er fest, „wurde nach einem langen Streit unter den Kommunisten – und zwar mitten in diesem Streit – durch einen Erlass des Zentralkomitees der Partei vom 25. März [1931] getroffen“.

  4. Die Gemeinschaftswohnung und damit die Vergesellschaftung der Hausarbeit wurden als „utopisch“, abgetan. Damit wurde die volle Emanzipation der Frauen bewusst auf eine unbestimmte Zukunft verschoben (wobei das stalinistische Regime begann, die volle rechtliche Gleichstellung der Frauen durch Einschränkungen im Abtreibungs- und Scheidungsrecht und durch die Verherrlichung der „sowjetischen Mutterschaft“, zu untergraben). Zugleich wurden ideologische Angriffe auf die revolutionäre Architektur unternommen.

Die prunkvollen, neoklassizistischen Fassaden, die zwischen 1930 und 1950 errichtet wurden, waren in der Regel gigantische Verhüllungen – im wahrsten Sinne des Wortes – der inneren Hohlheit. Nachdem Stalin die Rückständigkeit der Arbeiterklasse bedient und gefördert hatte, sah er sich offensichtlich gezwungen, seine Autorität und die des diktatorischen bürokratischen Regimes, das er vertrat, zu untermauern, indem er auf die äußerlichen Symbole der bürgerlichen Macht zurückgriff. So wurde die luftige Leichtigkeit der frühen postrevolutionären Architektur durch einen gedrungenen, bedrückenden Stil ersetzt, der ein treffender Ausdruck für das träge Gewicht der Bürokratie zu sein scheint, die auf dem Boden des „Sozialismus in einem Land“ lastet.

Sowjetische Architektur der Nachkriegszeit

Selbst wenn man von den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs absieht, hätte der sowjetische Wohnungs- und Städtebau ein äußerst düsteres und trostloses Bild geboten. Während bei der Unterbringung der Masse der Bevölkerung und der Beseitigung der durch den imperialistischen Krieg verursachten Schäden große Fortschritte erzielt wurden, blieb die Wirtschaft durch die bürokratische Usurpation der Arbeiterdemokratie und die allgemeine Not beeinträchtigt. Die Wohnungen, die gebaut wurden, waren entweder triste, langweilige Kasernen oder protzig aufgemotzter zuckersüßer Kitsch, der der kleinbürgerlichen Verwaltung gefiel.

Nach Stalins Tod erkannte die gesamte Bürokratie, dass der aktuelle Stil des „sozialistischen Realismus“ in der Architektur die Sowjetunion in der ganzen Welt zum Gespött machte und das Bild der russischen Rückständigkeit förderte. Und es wurde eine Wende vollzogen, die durch die Ergebnisse des Wettbewerbs für den Palast der Sowjets innerhalb der Kremlmauern angekündigt wurde – eine Konstruktion, die dem Stahl- und Glasdesign aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, das das New Yorker Lincoln Center inspiriert hat, alle Ehre macht.

Es ist kein Zufall, dass in den mehr als 50 Jahren seit der stalinistischen Machtübernahme in Russland trotz ihrer offensichtlichen Vorteile und ihrer größeren Rationalität keine Gemeinschaftswohnanlagen entstanden. Dies ist einfach eine Widerspiegelung der Tatsache, dass die unterdrückerische Kernfamilie unter den bürokratischen Regimen der deformierten und degenerierten Arbeiterstaaten niemals beseitigt werden kann.

Trotzdem ist die heutige architektonische Planung und Gestaltung ein Musterbeispiel dafür, warum Trotzkisten die bedingungslose Verteidigung der Errungenschaften der Oktoberrevolution mit der Forderung nach einer politischen Revolution verbinden, die diese Errungenschaften bewahren und gleichzeitig die parasitäre Bürokratie stürzen würde. Worin bestehen nun diese Errungenschaften auf dem Gebiet der Architektur?

Erstens: Staatliches Eigentum an Grund und Boden als Grundlage für eine rationale Stadtplanung, die nicht durch die Notwendigkeit behindert wird, die Interessen von Hunderten von individuellen Landbesitzern (mit denen im Kapitalismus die „unparteiischen“  staatlichen Verwalter durch zahllose Bande verbunden sind) zu berücksichtigen. Zweitens, das Staatseigentum an den Produktionsmitteln und die Planwirtschaft, die es ermöglichen, Ressourcen auf nationaler Ebene in Übereinstimmung mit den Bedürfnissen der Bevölkerung zu verteilen. Die sowjetische Planung berücksichtigt zwar Kostenfaktoren (wie es jede Gesellschaft tun muss, wenn sie über die Verwendung ihrer Überschüsse für produktive Investitionen entscheidet), basiert aber nicht auf Profitkriterien, sondern auf der Befriedigung der sozialen Bedürfnisse auf einer rationalen, geplanten Basis (trotz der offensichtlichen und grundlegenden Perversion dieses Systems durch die Bürokratie).

Der Leninismus ist immer noch sozialer Sprengstoff, sowohl innerhalb als auch außerhalb der deformierten Arbeiterstaaten. Dies und die Schwäche der Bürokratie als parasitäre Kaste, die nicht in den proletarischen Eigentumsformen verwurzelt ist, die sie unwirksam verteidigt, erklären die fortdauernde Gültigkeit von Trotzkis Einschätzung der Bürokratie als einem historisch flüchtigen Phänomen – als einer Kaste, nicht als einer neuen Klasse. Eine politische Revolution der Arbeiterklasse mit der Errichtung demokratisch gewählter Sowjets würde, wie 1956, zu einer raschen Auflösung der Bürokratie führen, von der ein Großteil – wie das ungarische Beispiel gezeigt hat – wahrscheinlich auf die Seite der Arbeiter übergehen würde. Obwohl Prophezeiungen im Allgemeinen vermieden werden sollten, scheint es sicher zu sein, dass als Teil der allgemeinen Aktivierung der bis dahin atomisierten und passiven Bevölkerung nach der politischen Revolution gemeinschaftlichen Wohnanlagen entstehen werden, die die Ideale eines proletarischen Staates verkörpern, der von der Arbeiterdemokratie regiert wird, wie es in den 1920er Jahren der Fall war, aber ausgehend von einer unendlich besseren materiellen Basis. Auch hier wird die Befreiung der Frauen ein Teil und eine Folge der Selbstbefreiung der Arbeiterklasse sein.

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