Ergebnisse & Perspektiven des Marxismus

Internationale Kommunistische Liga kontra Liga für die Vierte Internationale – Der Kampf für die Vierte Internationale heute

Wir veröffentlichen nachfolgend Übersetzungen eines Austauschs von Briefen zwischen der Internationalen Kommunistischen Liga (IKL) und der Liga für die Vierte Internationale (LFI, bzw. Internationalistische Gruppe, IG).1 Wir veröffentlichen diese Dokumente nicht, weil wir mit einer der beiden Seiten vollständig übereinstimmten, sondern weil wir der historischen politischen Strömung nahestehen, auf deren Erbe beide Gruppen Anspruch erheben – der Trotzkismus im Allgemeinen und die Spartacist-Tradition im Besonderen. Aus diesem Grund halten wir den Austausch zwischen den beiden Gruppen für relevant für Marxisten.

Wir haben mit beiden Gruppen wichtige politische Differenzen. Ein Teil dieser Differenzen betrifft beide Gruppen bzw. ihren gemeinsamen Ursprung, ein Teil betrifft nur die eine oder andere Seite.

Die historische Spartacist-Strömung vereinte einige herausragende, bis heute zentrale programmatische Schwerpunkte, die sie trotz ihrer organisatorischen Schwäche bis heute zu einer wichtigen Orientierung für revolutionäre Marxisten machen: Sie betonte die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse gegenüber kleinbürgerlichen oder bürgerlichen Massenbewegungen und stand in konsequenter Opposition zu Volksfront-Regierungen (Bündnissen von Arbeiter- und bürgerlichen Organisationen auf einem bürgerlichen Programm des gemeinsamen Nenners, wodurch die Arbeiter regelmäßig den Kapitalisten direkt untergeordnet werden); sie verteidigte die Notwendigkeit des Aufbaus revolutionärer Arbeiterparteien, Sektionen der Vierten Internationale als Weltpartei der sozialistischen Revolution, sowohl gegen Liquidatorentum wie den Pabloismus als auch gegen das prinzipienlose Banditentum der Healy-Organisation; sie trat für die Verteidigung der bürokratisch degenerierten/deformierten Arbeiterstaaten gegen kapitalistische Konterrevolution ein, während sie gleichzeitig für politische Revolution gegen die stalinistischen Bürokratien kämpfte – Höhepunkt dieses Kampfes war die Intervention 1989/90 in die vorrevolutionäre Situation in der DDR und 1991/92 gegen die Konterrevolution in der Sowjetunion. Ein weiterer programmatischer Pfeiler war es, die revolutionäre Partei als Volkstribun gegen jede besondere Form von Unterdrückung zu verstehen – mit einem revolutionären Programm gegen Frauenunterdrückung, für die Ersetzung der bürgerlichen Familie mit all ihren repressiven Auswüchsen, für revolutionären Integrationismus gegen die rassistische Unterdrückung der Schwarzen in den USA, mit einem revolutionären Programm für die nationale Befreiung, einzigartig auch formuliert für geografisch vermischte Völker wie in Nordirland und Palästina/Israel. Wir stimmen in Teilen mit der Selbstkritik der IKL an ihrem früheren Herangehen an nationale Unterdrückung überein:2 Der Nationalismus der Unterdrückten wurde von ihr oft einfach als falsches Bewusstsein behandelt, dass durch die abstrakte Anerkennung des Rechts auf nationale Selbstbestimmung „aus dem Weg“ geräumt werden sollte, ohne konkrete Kämpfe und Schritte zur Beseitigung der nationalen Unterdrückung (kritisch) zu unterstützen. Damit wurde der Nationalismus der Unterdrückten teilweise auf eine Stufe mit dem Nationalismus der Unterdrücker gestellt, was nur den Unterdrückern nützt. Das war tatsächlich auch mit chauvinistischer Herablassung in der Propaganda der IKL/iST verbunden. Andere Teile, wie die Unterstützung von Gesetzen, die bestimmte Sprachen vorschreiben und andere benachteiligen, stehen dagegen im Widerspruch zu Lenins Herangehen, wie die IG zu Recht bemerkt.

Zur Kritik an der IKL gehört die Beobachtung, dass sie seit Jahrzehnten von Angst vor einem Versagen im Klassenkampf getrieben wird, woraus sich bei Bedarf ein taktisches Verhältnis zur Wahrheit vor allem in internen, aber auch in externen Diskussionen ergibt, wobei das Hauptziel oft zu sein scheint, gegenüber anderen um jeden Preis keinen Irrtum eingestehen zu müssen; teilweise räumt die IKL das jetzt gegenüber der IG in Bezug auf vergangene Auseinandersetzungen ein – es bleibt zu sehen, was daraus tatsächlich an Konsequenzen folgt. Derweil trägt die IKL ein von praktischer Erprobung im Klassenkampf weitgehend losgelöstes, unbewiesenes Selbstverständnis als „revolutionäre Führung“ vor sich her, das immer wieder durch krasse Kapitulationen vor dem Imperialismus und Chauvinismus kontrastiert wird (u.a. Unterstützung von US-Truppen in Haiti im Jahr 20103 und erst vor kurzem, 2020, die monatelange selbstauferlegte sklavische Befolgung der repressiven Maßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie,4 während alle Arten von Reformisten die repressiven Maßnahmen beschönigten, gleichzeitig aber den Einschränkungen zum Trotz weiter politisch – reformistisch – aktiv waren). Gerade die Kapitulation angesichts der Corona-Epidemie wurde auch von den aktuellen Führern der IKL mitgetragen. Diese Zickzacks wurden dekoriert durch formal korrekte, aber hauptsächlich historische, für die aktuelle Praxis der IKL kaum relevante programmatische Korrekturen (Ablehnung der Kandidatur für Exekutivämter und des Aufrufs zur Wahl einer Konstituante), die sie – wie auch ihre herausragende Intervention gegen die Konterrevolution in der DDR 1989/90 – wie Talismane vor sich her trug.

Die IG hingegen hat keine annähernd so gravierenden Kapitulationen vor dem Imperialismus zu verantworten, sondern hat in vielen Fällen die IKL richtigerweise dafür kritisiert und angegriffen – was die IKL zum Teil auch eingestehen musste und muss. Gleichzeitig zeigt sie eine konsistente Neigung zu opportunistischer Anpassung an größere soziale Kräfte, die anstelle einer revolutionären Partei der Arbeiterklasse vermeintlich fortschrittlich agieren – letztlich eine Anpassung an Reformisten (oft Stalinisten), die Teil der syphillitischen Kette sind, die z.B. in Deutschland vermittels der Sozialdemokratie zum deutschen Imperialismus führt. Ein Beispiel dafür ist ihre pauschale Unterstützung der Anti-Corona-Maßnahmen der herrschenden Bürokratie in China, die von bürokratischer Grobschlächtigkeit und Repression der Arbeiterklasse gekennzeichnet waren. Während die IKL zwischenzeitlich die Kehrtwende zu einer ebenso falschen Position vollzogen hat, die darauf hinausläuft, dass ohne Arbeiterrevolution keine Maßnahmen für grundlegenden Gesundheitsschutz möglich sind5 (was im Widerspruch zu ihren papiernen Positionen für bestimmte Impfpflichten oder ihrer historischen Position zur AIDS-Pandemie steht), hat die IG die stalinistischen Maßnahmen auch dann noch unterstützt, als diese aus gesundheitlichen Gründen schon lange nicht mehr nötig waren.

Auch ihre Position zum gegenwärtigen Krieg in der Ukraine enthält neben der korrekten Opposition zum Imperialismus und der Orientierung auf Arbeiteraktionen gegen die imperialistische Kriegsunterstützung eine Anpassung an das reformistische Programm, das bürgerliche Russland als „fortschrittlich“ zu sehen:

„Die Position der IG, im Ukraine-Krieg eine militärische Seite mit Russland zu beziehen, steht im Zeichen einer Anlehnung an pro-russische Reformisten wie die KO und DKP, die Anhängsel der Sozialdemokratie von Linkspartei und SPD sind. Während die IG betont, dass es um militärische und nicht politische Unterstützung geht, drückt sich die politische Anpassung am deutlichsten darin aus, das Kiewer Regime als ‚faschistisch‘ zu charakterisieren und der russischen Armee zuzugestehen, angeblich einen ‚antifaschistischen‘ Kampf zu führen. Während die faschistischen Milizen und Gruppen in der Ukraine eine reale Bedrohung für die Arbeiter und alle Unterdrückten sind –- und von ihnen bekämpft werden müssen –-, verdeckt die Charakterisierung des Krieges als ‚Faschisten gegen Antifaschisten‘ den Klassencharakter beider Kontrahenten…“6

Wie die IG im folgenden Briefwechsel richtigerweise verdeutlicht, gibt es gravierende Differenzen zwischen IKL und IG, und keine tatsächlichen Anzeichen einer Annäherung. Das musste auch die IKL schnell einsehen, und so findet nun statt Hinterzimmergesprächen am 13. Januar in New York eine öffentliche Debatte zwischen beiden Gruppen statt.7

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Brief der IKL an die IG/Liga für die Vierte Internationale

2. September 2023

Liebe Genossinnen und Genossen,

Die jüngste internationale Konferenz der IKL hat unsere Partei in grundlegenden Fragen neu ausgerichtet (siehe Link zu Spartacist [https://icl-fi.org/english/esp/68/spartacist-en-68.pdf]). Dazu gehört auch eine Überprüfung unserer Differenzen mit der IG/LFI. Infolgedessen beauftragte die Konferenz die IKL, eine „ernsthafte politische Klärung und Debatte mit der IG“ zu führen und „so weit wie möglich gemeinsame Aktionen zur Verteidigung der grundlegenden Interessen der Arbeiterbewegung zu unternehmen“. In diesem Sinne schlagen wir vor, eine formelle Diskussion zwischen unseren Organisationen zu eröffnen.

In mehreren wichtigen Punkten hat die Internationale Konferenz anerkannt, dass die von der IG gegenüber der IKL vorgebrachte Kritik richtig ist. Die Kämpfe, die zum Ausschluss der Gründungsmitglieder der IG aus der IKL führten, wurden als prinzipienlos bezeichnet, ebenso wie der Abbruch der Beziehungen zur Luta Metalúrgica/Liga Quarta-Internacionalista do Brasil. Wir untersuchen derzeit die damals ergriffenen Disziplinarmaßnahmen. Die Konferenz bezeichnete auch die zentrale Kritik der IG an der IKL bei ihrer Gründung als „im Wesentlichen richtig“, nämlich dass die IKL die Aufgabe der Marxisten in der postsowjetischen Periode darauf reduziert habe, „die Flamme gegen die Versuche, sie zu ersticken, am Leben zu erhalten“.

Was jedoch den Kurs unserer beiden Organisationen in der postsowjetischen Periode betrifft, so sind wir der Meinung, dass sie insgesamt qualitativ ähnlich waren. Wenn es um die Orientierung der Arbeiterklasse ging, hatte keine der beiden Organisationen eine richtige Perspektive, weil keine von ihnen das zentrale Ziel verfolgte, den Einfluss des Liberalismus auf die Arbeiterbewegung zu brechen – die vorherrschende Ideologie unserer Zeit und die wichtigste ideologische Bremse für die Kämpfe der Arbeiter und Unterdrückten.

Unser Vorschlag, die Diskussion zu eröffnen, soll nicht dazu dienen, unsere Differenzen zu überspielen. Er soll vielmehr das Niveau der politischen Diskussion zwischen unseren Organisationen anheben, ausgehend von den zentralen Fragen der revolutionären Strategie für die gegenwärtige Periode. Wir sind zuversichtlich, dass eine solche Diskussion unsere Organisationen einander näher bringen kann. Die Spaltung, die durch den Ausschluss eurer Gründungsmitglieder aus unserer Partei hervorgerufen wurde, war für die Arbeiterbewegung nachteilig. Die Beziehungen zwischen unseren beiden Organisationen waren äußerst feindselig, während die politischen Differenzen in den meisten Fragen bestenfalls oberflächlich waren. Wir glauben, dass es immer eine erhebliche Überschneidung in den Ansichten unserer Mitglieder gab und gibt. Wenn wir in zwei rivalisierenden Organisationen gespalten bleiben sollen, ist es unsere jeweilige Pflicht, dafür zu sorgen, dass diese Spaltung auf glasklaren Differenzen über die wichtigsten Fragen beruht, mit denen die Arbeiterbewegung heute konfrontiert ist.

Die Welt verändert sich rapide, und der Kampf um die Wiederschmiedung der Vierten Internationale ist von brennender Dringlichkeit. Die Ereignisse erschüttern die Linke. Theoretische und politische Debatten unter den fortgeschrittensten Schichten der Arbeiterbewegung sind entscheidend für die Wiederschmiedung der Vierten Internationale. Aber im Grunde genommen ist es der Kampf darum, bei den großen Weltereignissen eine revolutionäre Führung zu geben, der entscheidend sein wird. Gegensätzliche Standpunkte innerhalb der Linken können und werden durch gemeinsamen Kampf überwunden werden.

In diesem Sinne ist es von entscheidender Bedeutung, sich so viel wie möglich an gemeinsamer Arbeit zu beteiligen, wenn es angebracht ist. Die Kapitalisten sind sich der prekären Lage, in der sie sich derzeit befinden, sehr wohl bewusst; sie reagieren darauf, indem sie gegen Andersdenkende vorgehen und Minderheiten ins Visier nehmen. Für Uneinigkeit gegenüber solchen Angriffen gibt es keine Rechtfertigung. Gemeinsame Bündnisse in der Verteidigungsarbeit wären ein bescheidener, aber wichtiger Beitrag zur Förderung der Interessen der Arbeiterbewegung und würden Druck auf die übrige Linke ausüben, das Gleiche zu tun.

Wir gehen davon aus, dass dieser Brief bei Euch auf eine gewisse Skepsis stoßen wird. Als ersten Schritt schlagen wir lediglich vor, ein vertrauliches Treffen zwischen Führungsdelegationen unserer beiden Organisationen abzuhalten. Der Zweck wäre ein erster Meinungsaustausch und die Prüfung von Optionen für weitere Diskussionen. Wir stellen keine Vorbedingungen an dieses Treffen. Wir verpflichten uns unsererseits, ein Höchstmaß an politischer Klarheit anzustreben, im Gegensatz zu der Demagogie und den Verleumdungen, die unsere Beziehungen bisher geprägt haben.

Wir freuen uns auf Eure Antwort.

Kommunistische Grüße, Perrault

Für das Internationale Sekretariat der IKL


Brief der Liga für die Vierte Internationale an die Internationale Kommunistische Liga

27. September 2023

Lieber Genosse Perrault,

Wir haben euren Brief vom 2. September an die IG/Liga für die Vierte Internationale erhalten und ihn im Zusammenhang mit der von euch erwähnten Ausgabe von Spartacist (Nr. 68, September 2023)8 analysiert, die Dokumente der achten internationalen Konferenz der IKL enthält. Am grundlegendsten für uns als Trotzkisten sind die programmatischen Fragen. Von diesen lassen wir uns in unserer Antwort auf euren Vorschlag leiten, „eine formelle Diskussion zwischen unseren Organisationen zu eröffnen“, auf den wir im Folgenden eingehen werden.

In eurem Brief schreibt ihr: „In mehreren wichtigen Punkten hat die Internationale Konferenz anerkannt, dass die von der IG gegenüber der IKL geäußerte Kritik richtig ist.“ Mehrere Passagen in der jüngsten Ausgabe des Spartacist enthalten ähnliche Aussagen. Im Interesse einer grundlegenden politischen Bestandsaufnahme müssen wir einige notwendige Fragen stellen.

  1. Ihr sagt, „die Kämpfe, die zum Ausschluss der Gründungsmitglieder der IG aus der IKL führten“, seien „prinzipienlos“ gewesen. Ja, das waren sie. Die Frage ist: Was genau an ihnen charakterisiert die IKL jetzt als prinzipienlos?

  2. Ihr sagt, dass ihr „die damals ergriffenen Disziplinarmaßnahmen“ „untersucht“. Beinhaltet diese Untersuchung die Farce eines „Prozesses“ gegen einen Genossen, der auf völligen Erfindungen basierte, und die Vorbereitung eines zweiten abgekarteten Prozesses kurz danach?9 Beinhaltet sie die eklatant chauvinistische Kampagne gegen nordafrikanische Genossen, die sich dagegen wehrten, dass die IKL-Führer die Absicht aufgaben, eine Exil-Publikation herauszugeben?10 Oder die Aufklärung der unsäglichen Hexenjagd, die die IKL 1999 gegen die Führer ihrer italienischen Sektion veranstaltete?11

  3. In eurem Brief wird nun auch der „Abbruch der Beziehungen zur Luta Metalúrgica/Liga Quarta-Internacionalista do Brasil“ durch die IKL im Juni 1996 als prinzipienlos bezeichnet, und Spartacist fordert die IKL auf, mit diesem einseitigen Bruch „abzurechnen“. Aber noch einmal: Was genau an ihren Aktionen bezeichnet die IKL jetzt als prinzipienlos? Die Tatsache, dass die IKL auf dem Höhepunkt des hitzigen Kampfes, den die brasilianischen Genossen führten, um die Guardas (Polizei) aus der Gewerkschaft der kommunalen Arbeiter in der Stahlstadt Volta Redonda zu verdrängen, dem Kampf in den Rücken fiel? Sie rief dazu auf, „die Hände aus dem kochenden Wasser zu ziehen“ und verlangte, dass die Genossen ihre Gewerkschaftsämter niederlegen, aus der Gewerkschaft austreten und die Stadt verlassen sollten, und als sie diese schändliche Forderung ablehnten, brach die IKL die Beziehungen ab. Um ihre Spuren zu verwischen, startete sie eine Verleumdungskampagne, die so weit ging, die schwarzen trotzkistischen Stahlarbeiter als „gefährliche Gauner“ zu brandmarken, und versuchte, ihre internationale Verteidigungskampagne zu sabotieren, indem sie sie als „zynischen Schwindel“ bezeichnete, nachdem die Gerichte die „Durchsuchung und Beschlagnahme“ aller Exemplare eines von ihrem Comitê de Luta Classista herausgegebenen Flugblatts angeordnet hatten, und zwar aufgrund einer Klage, in der eine Liste aller CLC-Mitglieder gefordert wurde.12

Der jüngste Spartacist behauptet, dass die IKL und die IG „fast drei Jahrzehnte“ lang „gegenseitige Verleumdung“ betrieben hätten. Fürs Protokoll: Die IG/LFI hat die IKL nie verleumdet. Unsere Kritiken waren strikt politisch und basierten immer auf Fakten. Im Gegensatz dazu entfesselte die IKL eine jahrzehntelange Flut von Verleumdungen gegen uns, indem sie versuchte, die IG auf dem Höhepunkt der Hysterie nach dem 11. September 2001 wegen unseres Aufrufs, den US-Imperialismus in Afghanistan zu besiegen, als „antiamerikanisch“ zu brandmarken,13 als „Provokateure“ zu beschimpfen14 und vieles mehr. Ihr erwähnt beiläufig (in Klammern) den „Verrat in Haiti 2010“, ohne zu sagen, worum es sich dabei handelte – die skandalöse Unterstützung der IKL für die US-Besatzungstruppen –, und eure Weigerung, für die Unabhängigkeit von Puerto Rico zu kämpfen, aber nicht, dass ihr die LFI wegen unseres prinzipienfesten Widerstands gegen imperialistische Vorherrschaft angeprangert habt. Und was die chauvinistische Linie der heutigen IKL gegenüber Flüchtlingen angeht,15 so taucht das Wort in der letzten Ausgabe von Spartacist nicht einmal auf.

Was den Vorschlag in eurem Brief vom 2. September betrifft, so fordert ihr „eine formelle Diskussion zwischen unseren Organisationen zu eröffnen“, um euch „so viel wie möglich an gemeinsamer Arbeit zu beteiligen“ und „als ersten Schritt“ ein „vertrauliches Treffen zwischen Führungsdelegationen unserer beiden Organisationen abzuhalten“, als „erster Meinungsaustausch“ und für „die Prüfung von Optionen für weitere Diskussionen“. Es gibt keine grundsätzliche programmatische Basis für diese Art von formellen Diskussionen, vertraulichen Führungstreffen oder gemeinsamer Arbeit. Dies unterscheidet sich natürlich von Einheitsfrontaktionen (im Gegensatz zu dem politischen Block, den ihr letztlich vorschlagt), wenn der Klassenkampf dies erfordert, an denen wir mit einer Reihe von politischen Strömungen, einschließlich der IKL, teilgenommen (und sie oft initiiert) haben.

Solche Diskussionen, gemeinsame Arbeit usw. sind die Art von Schritten, die linke Organisationen unternehmen, wenn es einen Prozess der politischen Annäherung gibt. Manche mögen denken, da die LFI das programmatische Erbe der Spartacist-Strömung aus der Zeit hochhält, als diese für revolutionären Trotzkismus stand, und ihr euer internationales Organ immer noch Spartacist nennt (wie lange noch?), könnte das auf ein gewisses Maß an Gemeinsamkeit hindeuten. Aber unter ihrer neuen Führung und seit Jahren davor hat sich die IKL von einer grundlegenden Spartacist-Position nach der anderen abgewandt und sich zunehmend ausdrücklich davon losgesagt. Ihr behauptet, dass der „Kurs unserer beiden Organisationen in der postsowjetischen Periode … qualitativ ähnlich“ war. In Wirklichkeit haben sich die politischen Unterschiede seit den Ausschlüssen von 1996–98 weiter vergrößert, und sie nehmen rapide zu.

In der aktuellen Ausgabe von Spartacist behauptest ihr, dass die Spartacist-Strömung in der Frage der permanenten Revolution – einer zentralen Frage für Trotzkisten – angeblich „von Geburt an deformiert“ sei. Um diese Behauptung vorzubringen, vollführt die IKL (neue Epoche) einen Taschenspielertrick, indem sie versucht, Trotzkis Perspektive der permanenten Revolution in ein Etappenprogramm zu verwandeln, in dem die erste Etappe die nationale Befreiung ist, sogar im Kapitalismus und sogar in den imperialistischen Ländern. Im Gegenteil, Trotzki betonte, dass in der gegenwärtigen Epoche die Aufgaben der bürgerlichen Revolution in kolonialen und halbkolonialen Ländern nur durch die Diktatur des Proletariats, gestützt auf die Bauernschaft, erreicht werden können.16

Im gleichen Sinne befürwortet ihr jetzt die „antiimperialistische Einheitsfront“, die in der Praxis politische Blöcke mit der Bourgeoisie in kolonialen und halbkolonialen Ländern bedeutet – die Formel, die verwendet wurde, um die Kommunistische Partei Chinas der Guomindang von Chiang Kai-shek unterzuordnen, was zum Massaker von Shanghai 1927 führte. In diesem Zusammenhang verunglimpft ihr die Bilanz der Spartacist-Tendenz in Bezug auf den Iran, als wir vor den katastrophalen Folgen warnten, wenn man der von den Mullahs angeführten „Islamischen Revolution“ als eine Art antiimperialistischer Bewegung hinterherlaufen würde, was schließlich zur Inhaftierung und Hinrichtung von Tausenden von Linken führte. In Mexiko beschönigt ihr im Wesentlichen die Regierung von Andrés Manuel López Obrador als antiimperialistisch. Eine Frage: Befürwortet ihr, dass die „antiimperialistische Einheitsfront“ in Mexiko auch AMLOs Partei MORENA umfasst? Natürlich wissen in Mexiko alle, dass AMLO als Grenzwächter für den Yanqui-Imperialismus agiert.

Der bürgerliche Nationalismus der „Nationenbildung“ ist die politische Triebkraft der IKL bei der Eskalation ihrer Abkehr vom programmatischen Erbe des Spartacismus, die mit dem „Hydra“-Dokument von 2017 öffentlich angekündigt wurde. Ein Schlüsselaspekt von „Hydra“ war die Parteinahme für die antidemokratischen Sprachgesetze in Quebec und Katalonien, was bedeutet, Lenins entscheidende Position gegen obligatorische Amtssprachen abzulehnen.17 Die neue, eklatant anti-leninistische Linie der IKL zur nationalen Frage ebnete den Weg für eine Flut weiterer Revisionen, die nun vorhersehbar zur Ablehnung der entscheidenden Position der Spartacist-Tendenz führt, dass im Fall von miteinander vermischten Völkern (wie in Palästina) eine gerechte und gleichberechtigte Lösung für konkurrierende nationale Rechte nur durch die Errichtung der Arbeiterherrschaft möglich ist.18 Dies ist wesentlich für den Kampf zur Verteidigung des palästinensischen Volkes und zum Sturz des zionistischen Regimes. Heute wird die Befürwortung des Nationalismus durch die IKL ausgeweitet, sowohl rückblickend (auf die UdSSR, Polen und die anderen osteuropäischen deformierten Arbeiterstaaten) als auch aktuell auf China.

Die grundlegenden Meinungsverschiedenheiten zwischen uns betreffen nicht nur das, was ihr „abstrakte Lehren“ nennt, sondern auch brennende Fragen der Gegenwart. So steht die Politik der LFI in Bezug auf den Krieg der US/NATO-Imperialisten und ihres Stellvertreterregimes in der Ukraine gegen Russland, einer Zwischenstation zum imperialistischen Krieg gegen China, in direktem Gegensatz zu der der IKL. Während die IKL zugibt, dass das kapitalistische Russland keine imperialistische Macht ist, verurteilt ihr die LFI, weil sie für die militärische Verteidigung Russlands gegen die Imperialisten eintritt. Und während ihr in der letzten Spartacist-Ausgabe behauptet, dass sich „die IKL und die IG … relativ nahe“ stehen, was Fragen wie China angeht, prangert ihr in eurer vorherigen Ausgabe (Mai 2023) an, dass wir die „‚Laborleck‘-Theorie“ über Wuhan als das bezeichnen, was sie ist: imperialistische Kriegspropaganda gegen den deformierten Arbeiterstaat China.

Was das imaginäre Szenario der „gemeinsamen Arbeit“ betrifft, so gibt es auch hier keine prinzipienfeste Grundlage. Von eurer pauschalen „Nieder mit den Lockdowns“-Linie (auch in China, wo sie sehr effektiv waren) bis zu euren jüngsten Artikeln und Flugblättern ist einer opportunistischer als der andere. Dazu gehören der Aufruf, der Australian Labor Party beizutreten, der Regierungspartei, die rassistische Einwanderungsgesetze durchsetzt; die SL/U.S.-Erklärung zur ILWU und UPS (19. August), in der erklärt wird, dass der „wahre Kampf“ derjenige der „Arbeiter gegen das Establishment“ ist; und der offen klassenkollaborationistische „Vorschlag zum Wiederaufbau der Bewegung“ (28. August), in dem dazu aufgerufen wird, „die breitestmöglichen Kräfte zu vereinen“, um „Druck auf alle liberalen und fortschrittlichen Politiker auszuüben, die behaupten, für die Arbeiter und die Rechte der Schwarzen zu stehen“, um die „machbare“ Forderung nach „Öffnung der Polizeiarchive“ zu erfüllen, was, wie es heißt, „von jedem Politiker im Amt getan werden kann, der wirklich auf der Seite der Schwarzen steht“. Und dann ist da noch euer abscheuliches Flugblatt über den U-Bahn-Mord an Jordan Neely.

Nachdem ihr erklärt habt, dass die Spartacist-Tendenz von Geburt an deformiert war, verhöhnt ihr Jim Robertson als Revisionisten und habt euch aufgemacht, das programmatische Arsenal, das für den revolutionären Kampf heute entscheidend ist, in Gänze zu zerstören. Wir von der LFI, die wir jahrzehntelang dafür gekämpft haben, dieses Erbe zu verteidigen und in den lebendigen Klassenkampf einzubringen, werden uns euren Bemühungen nicht anschließen. Mit der Konsolidierung des Bruchs der IKL mit dem „alten“ Spartacismus schmeißt ihr jetzt so ziemlich jede spezifische Spartacist-Position aus den Tagen, als Spartacist für revolutionären Trotzkismus stand, über Bord. Dies unterstreicht eine unbestreitbare politische Realität: Es ist die Liga für die Vierte Internationale, die die revolutionäre Kontinuität des kommunistischen Programms von Lenin und Trotzki hochhält.

Nachdem wir erklärt haben, warum es keine prinzipienfeste programmatische Grundlage für die LFI gibt, vertrauliche „Diskussionen“ mit euch zu führen, fordern wir stattdessen die IKL zu einer öffentlichen Debatte heraus. Wir schlagen vor, dass die beiden Organisationen das Datum und andere Einzelheiten für eine solche Debatte ausarbeiten und dass sie in New York City stattfinden soll, wo beide ihre größte Mitgliederkonzentration haben.

Kommunistische Grüße,

Jan Norden für das Exekutivkomitee der Liga für die Vierte Internationale


Brief der Internationalen Kommunistischen Liga an die LFI

11. Oktober 2023

Lieber Genosse Norden,

Wir bedauern, dass ihr unseren Vorschlag für ein formelles Treffen abgelehnt habt. Wir sind der Meinung, dass eine offene Diskussion mit einer anderen Organisation, die den Mantel des Trotzkismus für sich beansprucht, keine vorherige politische Einigung erfordert. Wir sind sogar der Meinung, dass solche Diskussionen eine wichtige Rolle bei der Klärung von Differenzen und einer möglichen politischen Einigung spielen können.

In meinem Brief vom 2. September habe ich „gemeinsame Aktionen zur Verteidigung der grundlegenden Interessen der Arbeiterbewegung“ und „gemeinsam[e] Arbeit … wenn es angebracht ist“ vorgeschlagen. Ihr lehnt dies mit dem Argument ab, dies sei ein Vorschlag für einen politischen Block im Gegensatz zu Einheitsfrontaktionen. Wir denken, dass dies eine falsche Unterscheidung ist. Ob es nun um „Stoppt die Faschisten“, „Befreit die politischen Gefangenen“ oder den „Offenen Brief“19 der VKPD von 1921 geht, jede Einheitsfront erfordert irgendeine Form der politischen Übereinkunft oder des Blocks, zumindest in Bezug auf eine begrenzte Anzahl von Zielen. Wir denken, dass wir möglicherweise eine prinzipienfeste Basis finden können, um mit euch bei der Verteidigung gegen politische Unterdrückung zusammenzuarbeiten. Natürlich können wir keine Einheitsfront für etwas bilden, dem wir nicht zustimmen. Es scheint zum Beispiel, dass ihr nicht damit einverstanden seid, dass es wünschenswert ist, die AUKUS-Falken aus der ALP zu werfen oder für die Öffnung der Polizeiarchive zu kämpfen. Wenn ihr damit einverstanden wärt – und wir hoffen natürlich, dass ihr eure Meinung ändert – wäre es durchaus möglich, bei diesen begrenzten Zielen zusammenzuarbeiten und gleichzeitig unsere jeweiligen Strategien gegenüber der ALP und der Befreiung der Schwarzen in den USA zu verteidigen.

Um nun auf eure Fragen zu antworten.

  1. Wir glauben, dass der Kampf, der zu eurem Ausschluss führte, in jeder Hinsicht prinzipienlos war. Damals, 1996, habt ihr mit der allgemeinen Ausrichtung der IKL übereingestimmt. Die Auseinandersetzungen mit dir und deinen Genossen, ob über Deutschland, Brasilien oder Mexiko, basierten jedoch alle auf dem Versuch zu zeigen, dass ihr in Opposition zum Rest der IKL-Führung standet. Da dies nicht der Fall war, mussten die bestehenden Differenzen übertrieben oder einfach durch Demagogie und Verzerrungen konstruiert werden.

  2. Ja, unsere Untersuchung umfasst auch die Prozesse. Es gibt eine sehr lange Liste von Kämpfen, die in den letzten 30 Jahren geführt wurden und von denen wir wissen, dass sie falsch und schädlich waren. Wir haben dem Ausschluss von 1996 aufgrund seiner politischen Bedeutung und der damit geschaffenen Präzedenzfälle Vorrang eingeräumt. Den Kampf von 1997 in der LTF überprüfen wir derzeit nicht. Dennoch war es zweifellos ein verabscheuungswürdiger Kampf, einschließlich der pauschalen Ablehnung einer „iskristischen Perspektive“ für Algerien. Wie du weißt, wurde die Hexenjagd von 1999 gegen die Genossen Giulia und Carlo in einer IKK-Untersuchung von 2004 überprüft.20 Wir haben die Frage nicht erneut geprüft, können aber mit Sicherheit feststellen, dass es unentschuldbar war, ihnen das Ergebnis der Untersuchung nicht mitzuteilen.

  3. In Bezug auf Brasilien ist es für uns auf der Grundlage unserer eigenen veröffentlichten Darstellung der Ereignisse klar, dass wir keine legitimen politischen Gründe hatten, die Beziehungen abzubrechen, als wir es taten. Wie du anmerkst, geht es jedoch um viel mehr. Wir untersuchen derzeit die Behauptungen, die ihr über die Handlungen unserer Strömung in Brasilien aufgestellt habt, und sind entschlossen, die volle Wahrheit herauszufinden, so bitter sie auch sein mag.

Zusätzlich zu den oben angesprochenen Fragen wirft eure Antwort mehrere wesentliche politische Differenzen über den Inhalt von Spartacist Nr. 68 und unsere jüngste Arbeit auf. Ich werde in diesem Brief nicht auf alle diese Punkte eingehen. In den meisten Punkten sind wir der Meinung, dass ihr entweder die tatsächlichen Argumente, die wir vorbringen, verzerrt oder karikiert und/oder unsere Position als irgendwie offensichtlich opportunistisch darstellt, ohne eine ernsthafte Begründung oder Erklärung zu liefern.

Um nur ein Beispiel zu nennen, behauptet ihr, dass wir versuchen, „Trotzkis Perspektive der permanenten Revolution in ein Etappenprogramm zu verwandeln“ und es angeblich ablehnen, dass „in der gegenwärtigen Epoche die Aufgaben der bürgerlichen Revolution in kolonialen und halbkolonialen Ländern nur durch die Diktatur des Proletariats, gestützt auf die Bauernschaft, erreicht werden können“. Doch selbst ein oberflächlicher Blick auf unseren Artikel „Zur Verteidigung der permanenten Revolution“21 zeigt, dass dies nicht stimmt. Weit davon entfernt, ein „Etappenprogramm“ zu befürworten, bekräftigen wir: „Nur das Proletariat, das die Bauernmassen und das städtische Kleinbürgertum hinter sich schart, ist in der Lage, das Joch des ausländischen Kapitals zu zerbrechen, die Agrarrevolution zu Ende zu führen und vollständige Demokratie für die Werktätigen in der Form einer Arbeiter- und Bauernregierung zu errichten.“22

Schließlich nehmen wir gerne die Herausforderung zu einer Debatte an. Wir sind damit einverstanden, sie in New York City abzuhalten. Was den Zeitpunkt anbelangt, sind wir relativ flexibel. Unser vorläufiger Vorschlag ist, sie im Dezember abzuhalten. Wäre Samstag, der 9. Dezember für euch in Ordnung?

Unserer Meinung nach wäre der beste Weg, um eine produktive und klärende Debatte zu führen, eine ganztägige Veranstaltung, bei der wir einige der verschiedenen strittigen Fragen aufteilen können. Wir denken, dass dies durch die Tatsache gerechtfertigt ist, dass diese Debatte seit fast 30 Jahren im Gange ist und sicherlich zahlreiche Genossinnen und Genossen von außerhalb New Yorks daran teilnehmen wollen.

Unser Vorschlag lautet wie folgt:

  • Hauptthema: Der Kampf für die Vierte Internationale heute

  • Punkt 1: Revolutionäre Führung von 1990 bis 2023

  • Punkt 2: Permanente Revolution

  • Punkt 3: Die Aufgabe der Kommunisten in den Vereinigten Staaten.

Wir schlagen vor, dass der erste Punkt länger ist als die beiden anderen, da die Frage sehr umfangreich ist und die revolutionäre Führung im Mittelpunkt unserer Differenzen steht. In diesem Punkt schlagen wir vor, die Frage Chinas und des Krieges in der Ukraine aufzugreifen. Die Permanente Revolution scheint uns ein offensichtliches Thema zu sein. Was den Punkt zu den USA betrifft, so halten wir ihn für sinnvoll, da die Veranstaltung in New York stattfinden wird und wir beide die meisten Mitglieder in den USA haben. Wir sind natürlich offen für einen Gegenvorschlag von eurer Seite, wenn ihr mit einem der oben genannten Vorschläge ein Problem habt. Sobald wir uns auf ein Datum und die zu erörternden Fragen geeinigt haben, sollten wir uns zügig um die weiteren Einzelheiten kümmern, wie z.B. einen Veranstaltungsort, eine Moderation, das Format, usw.

Kommunistische Grüße,

Perrault

Für das Internationale Sekretariat der IKL


Brief der Liga für die Vierte Internationale an die IKL

15. Oktober 2023

Lieber Genosse Perrault:

Wir haben deinen Brief vom 11. Oktober erhalten. Erstens, bezüglich der Antwort auf unsere Fragen über die Untersuchung der IKL über ihre Handlungen in dem Zeitraum, der zur Gründung unserer Organisation geführt hat:

In eurem ersten Brief (2. September) habt ihr darauf hingewiesen, dass die IKL die „Kämpfe“, die zu den Ausschlüssen der Gründungsmitglieder der Internationalistischen Gruppe führten, jetzt als „prinzipienlos“ bezeichnet. Wie wir in unserer Antwort vom 27. September hervorgehoben haben, ist diese Aussage zwar wahr, aber auffallend allgemein. Von der IKL ist eine viel spezifischere Rechenschaftslegung erforderlich, wenn man sich nicht nur mit einem schnellen „Geständnis“ begnügen will, sondern ernsthaft die Bedeutung und die Lehren aus den Ereignissen auswerten will, die sowohl ihr als auch wir als höchst relevant für angehende Trotzkisten beschreiben.

Eure Antwort vom 11. Oktober, dass der „Kampf“ von 1996 gegen uns „in jeder Hinsicht“ prinzipienlos war, basiert auf der Behauptung, dass beide Seiten die gleiche falsche politische Ausrichtung hatten. In Wirklichkeit hat die IKL uns herausgesäubert, weil wir für die Umsetzung des trotzkistischen Programms kämpften, das sie gerade aufgab – wie sich dramatisch zeigte, als sie nach (und in engem Zusammenhang mit) unseren Ausschlüssen dem Kampf für den Ausschluss der Polizei aus der Gewerkschaft der kommunalen Arbeiter in Brasiliens „Stahlstadt“ in den Rücken fiel. Es handelte sich keineswegs nur um „Verzerrungen“, Übertreibungen oder fadenscheinige Argumente.

Im Zuge der zynischen Säuberung von 1996 zerfetzte die IKL eine leninistische Grundnorm und ein Parteistatut nach dem anderen, setzte eine Kette vorsätzlicher Fälschungen in Gang, drohte damit, sich von der mexikanischen Sektion zu trennen, wenn sie nicht für Erklärungen stimmte, von denen die Mitglieder wussten, dass sie falsch waren, diffamierte öffentlich unsere Genossen und vieles mehr, wie wir damals darlegten (beginnend mit From a Drift Toward Abstentionism to Desertion from the Class Struggle). Beinahe 30 Jahre lang hat die IKL versucht, die Fakten zu ignorieren und zum Schweigen zu bringen. Wer es mit revolutionärer Politik ernst meint, hat ein Recht darauf, konkrete und spezifische Antworten zu erwarten, nachdem die IKL jahrzehntelang mit Nebelkerzen und Verleumdungen gearbeitet hat.

In eurer Antwort an uns vom 11.  Oktober heißt es, dass die Untersuchung der IKL die „Prozesse“ (sic) von 1996 sowie „die Behauptungen, die ihr über die Handlungen unserer Strömung in Brasilien aufgestellt habt“, einschließt. Dabei handelte es sich nicht nur um „Behauptungen“, sondern um Tatsachen, die damals detailliert in Veröffentlichungen dargelegt wurden, die in den Dossiers Responses to ICL Smear Campaign Against Brazilian Trotskyists sowie From a Drift… gesammelt sind.

Wir fragten auch nach der Kampagne von 1997 gegen Oppositionelle in der französischen Sektion der IKL, die sich nach ihrem Ausschluss der Gründung der Liga für die Vierte Internationale anschlossen.23 Du schreibst, dass dies „zweifellos ein verabscheuungswürdiger Kampf“ war – aber dass die IKL ihn „derzeit nicht“ „überprüft“. Warum ist das so? Unseres Wissens hat die IKL auch keine öffentliche Rechenschaft über diese eklatant chauvinistische und kolonialistische Kampagne abgelegt, deren erklärtes Ziel es war, diese nordafrikanischen Genossen zu „demütigen“ und zu „demoralisieren“, weil sie sich der schändlichen Linie widersetzten, die die IKL sowohl gegenüber Algerien als auch gegenüber Frankreich vertrat.

In eurer Antwort auf unser Schreiben vom 27. September stellt ihr fest, dass es „mehrere wesentliche politische Differenzen“ mit der derzeitigen Linie und Arbeit der IKL aufwirft, aber ihr versucht nicht, auf alle einzugehen. Wir werden daher kurz auf einige der Punkte eingehen, die ihr doch ansprecht.

Nein, der Unterschied zwischen Einheitsfrontaktionen und einem politischen Block ist keine „falsche Unterscheidung“. Wie in der grundlegenden Spartacist-Broschüre On the United Front (1976) erklärt wird: „Im Gegensatz zu einer Einheitsfront ist ein Block eine unbefristete Vereinbarung, für grob definierte Ziele zusammenzuarbeiten“ – was ziemlich gut die von euch dargelegte Perspektive beschreibt, für die es, wie wir festgestellt haben, keine prinzipienfeste programmatische Grundlage gibt. Eine Einheitsfront hingegen ist eine gemeinsame Aktion für konkrete, begrenzte Ziele, und wie in unserem Brief erwähnt, haben wir viele solcher Aktionen initiiert und dabei eine Reihe von Strömungen eingeladen, darunter auch die IKL.

Ihr weist unsere Behauptung zurück, dass die IKL versucht, Trotzkis Perspektive der permanenten Revolution in ein Etappenprogramm zu verwandeln, und zitiert einen Satz aus der aktuellen Ausgabe von Spartacist als angeblichen Beweis für das Gegenteil. Wenn bürgerlicher Nationalismus die treibende Kraft für eine Gruppe ist (wie es bei der heutigen IKL der Fall ist), die – vorläufig – immer noch behauptet, trotzkistisch zu sein, kann eine genaue Darstellung der permanenten Revolution nur ein Hindernis sein. Für linke Gruppen, die Revisionismus in großem Stil betreiben, ist es ein Standardverfahren, ein paar „orthodox“ klingende Phrasen einzubauen.

Die permanente Revolution in ein Etappenprogramm zu verwandeln ist die Bedeutung davon, wie ihr es tut, die „antiimperialistische Einheitsfront“ zu unterstützen, die schon lange der Vorwand für ein solches Programm und die „theoretische“ Rechtfertigung für politische Blöcke mit bürgerlich-nationalistischen Kräften ist. Das ist es auch, was es bedeutet, Trotzkis permanente Revolution mit Lenins Formel der „demokratischen Diktatur“24 des Proletariats und der Bauernschaft aus der Zeit vor 1917 und mit der Formulierung von Marx aus dem Jahr 1850 zu gleichzusetzen, wie es Spartacist jetzt tut. Als Lenin zu dieser Formel stand, erklärte er ausdrücklich, dass sie „keine sozialistische, sondern eine demokratische Diktatur“ bedeute (Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution, 190525); im April 1917 schrieb er gegen diejenigen, die an dieser Losung festhalten wollten, dass „es bereits anders gekommen“ ist, und forderte stattdessen den Übergang „der gesamten Staatsmacht an die Sowjets der Arbeiterdeputierten“ (Briefe zur Taktik, 191726). In Bezug auf die Formulierung von Marx, Jahrzehnte vor der imperialistischen Ära, bemerkte Trotzki: „Marx erwartete damals die selbständige Etappe der demokratischen Revolution in Deutschland… Aber gerade das ist nicht eingetroffen“ (Die permanente Revolution, 193027).

Diese Art von Offenbarungen, die jetzt von Spartacist verkündet werden, sind in der Vergangenheit schon oft von ehemals trotzkistischen Strömungen geäußert worden, die eine theoretische Deckung für ihre Rechtsbewegung suchten. Sie sind Teil eines Pakets, zu dem auch die Idee gehört, dass demokratische Forderungen anstelle des Klassenkampfs der „wesentliche Hebel zur sozialistischen Revolution“28 sind. Von China 1927 bis Indonesien 1965, von Chile 1973 bis zu den Philippinen jetzt – und in so vielen anderen Ländern – waren die wirklichen Folgen eines Etappenprogramms, das das Proletariat an die „demokratische“/„antiimperialistische“ Bourgeoisie bindet, immer verhängnisvoll.

In eurem Brief steht, dass wir verschiedene Positionen der IKL als offensichtlich opportunistisch dargestellt haben. Ja, das dürfte in der Tat offensichtlich sein, wenn man mit Aussagen wie jener der SL/U.S. (zitiert in unserem Brief vom 27. September) konfrontiert wird, dass der „wahre Kampf“ derjenige der „Arbeiter gegen das Establishment“ ist (ein Standardbegriff, den Liberale anstelle von Klasse verwenden). Dies widerspricht offen dem ABC des Marxismus – der auf dem Kampf der Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie basiert – und ist ein unverhohlenes Echo auf den bürgerlichen Populismus sowohl der „Linken“ als auch der Rechten. Dann ist da noch der Aufruf der SL, „die breitestmöglichen Kräfte zu vereinen“ in einer Kampagne des Druckausübens, die sich an jeden „Politiker im Amt“ richtet, „der wirklich auf der Seite der Schwarzen steht“, was direkt aus dem Lehrbuch des Volksfrontlertums stammt. Und so weiter.

Und schließlich freuen wir uns, dass ihr unsere Herausforderung zu einer Debatte angenommen habt. Angesichts der aktuellen Ereignisse wäre der 9. Dezember für uns nicht praktikabel; wir schlagen stattdessen den 13. Januar vor. Wir möchten das übliche Debattenformat (mit Präsentationen, Diskussionen und Zusammenfassungen, die bei Bedarf auf zwei Runden ausgedehnt werden können) und keine Verwässerung zu einer eintägigen Quasi-Konferenz. Wir haben keine Einwände gegen den von euch vorgeschlagenen Titel „Der Kampf für die Vierte Internationale heute“, und, wie ihr schreibt, können und sollten Einzelheiten wie Veranstaltungsort, Moderation usw. bald geklärt werden.

Kommunistische Grüße,

Jan Norden

für das Exekutivkomitee der Liga für die Vierte Internationale

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