Ergebnisse & Perspektiven des Marxismus

Gulag-„Doku“ auf Arte und ARD: antikommunistisches Schwarzbuch 2.0

30. September 2020 - Mit dem fast dreistündigen „Doku“-Dreiteiler „Gulag - Die sowjetische ‚Hauptverwaltung der Lager‘“1 wärmten die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und Arte Anfang des Jahres die antikommunistische Verleumdung wieder auf, die vor mehr als 20 Jahren in Form des Schwarzbuch des Kommunismus noch größere Wellen geschlagen hat.

Die Filme, zu deren Machern mit Nicolas Werth einer der bekannteren Autoren des Schwarzbuch zählt, bedienen sich der gleichen Methoden von Halbwahrheiten, aus dem historischen Kontext gerissener Darstellungen bis hin zu unverhohlenen Lügen, wie sie Werth und Co. auch schon im Schwarzbuch aufboten, um eine falsche Kontinuität „kommunistischer Verbrechen“ von Lenin und Trotzki bis Stalin und Mao zu konstruieren. Dabei vertuschen und verharmlosen sie erneut die Unterdrückung, Ausbeutung und Barbarei, die ihr eigenes Regime, der Kapitalismus, sowohl in seiner faschistischen als auch in seiner „demokratischen“ Form seit mehr als einem Jahrhundert und bis heute täglich hervorbringt. Demgegenüber stellen sie „den Kommunismus“ als das „unterdrückerische“ System unserer Epoche hin.

Der folgende Artikel entlarvt diese Methoden anhand des Schwarzbuch des Kommunismus. Da der Artikel zuerst in der französischen Ausgabe von Spartacist, dem theoretischen und historischen Journal der Internationalen Kommunistischen Liga (IKL), erschien, richtet sich sein Feuer hauptsächlich gegen die französische (und die US-amerikanische) Kapitalistenklasse. In Deutschland benutzen die Kapitalisten insbesondere Hetze gegen den deformierten Arbeiterstaat DDR, um von ihren eigenen Verbrechen und ihrer Kontinuität – wirtschaftlich, staatlich, personell – mit dem Dritten Reich abzulenken und alle, die sich positiv auf den emanzipatorischen Anspruch des Kommunismus beziehen, zu delegitimieren und zu kriminalisieren. Dabei leistet ihnen die Sozialdemokratie – d.h. die bürgerlichen Arbeiterparteien SPD und Linkspartei – und in deren Gefolge ein Großteil der Linken aktive oder passiv-stillschweigende Unterstützung, indem sie sich die Verteufelung der DDR – die sich gegen das Ideal des Kommunismus an sich richtet, indem beide fälschlich gleichgesetzt werden – zu eigen machen oder ihr nicht entgegentreten.

Dagegen bekräftigt der Artikel zu Recht die stolze Geschichte der IKL, den deformierten Arbeiterstaat DDR 1989/90 bis zuletzt gegen die Wiederherstellung des Kapitalismus verteidigt zu haben, während sie für eine politische Revolution der Arbeiterklasse zur Absetzung der stalinistischen Bürokraten kämpften.2

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Schwarzbuch: antikommunistische große Lüge

Von Faschisten propagiert, von der reformistischen Linken nachgeplappert

Die Veröffentlichung des Le Livre Noir du Communism im Jahr 1997 (auf Deutsch 1998 als Das Schwarzbuch des Kommunismus – Unterdrückung, Verbrechen und Terror im Piper Verlag) diente in ganz Westeuropa als Brennpunkt für eine erneute Kampagne hysterischer Verleumdung gegen den Kommunismus und die bolschewistische Revolution von 1917. Der folgende Artikel3 entlarvt die Vielzahl von Lügen im Schwarzbuch, und wie sie von der Bourgeoisie und reformistischen Ideologen benutzt werden.

Seit der kapitalistischen Konterrevolution in der Sowjetunion und den deformierten Arbeiterstaaten Osteuropas [1989–92] haben die Bourgeoisien weltweit ihre ideologische Offensive gegen den Kommunismus verschärft. Sie wollen aus dem Bewusstsein des Proletariats und der Unterdrückten jeden Rest von Verbundenheit mit dem Programm oder den Idealen des Kommunismus auslöschen. Sie wollen die Vorstellung durchdrücken, dass die kapitalistische Gesellschaft – mit ihrer Ausbeutung und Arbeitslosigkeit, Rassismus und Armut, Krieg und dem bedrohlichen Anwachsen des Faschismus – die einzig mögliche Welt sei.

In Ländern wie Britannien, Frankreich und Italien sind die Parteien der sogenannten „Linken“ zur treibenden Kraft der von den Herrschenden geforderten brutalen rassistischen, arbeiterfeindlichen Maßnahmen geworden. Als Begleitmusik zu wachsender Arbeitslosigkeit und zunehmendem Rassismus, zur Demontage des „Sozialstaats“ und zu imperialistischer Aggression in den halbkolonialen Ländern sind fadenscheinige alte antikommunistische Märchen die „neue“ Sensation in Buchläden und Massenmedien. Tony Blair möchte die historische Verbindung zwischen der britischen Labour Party und den Gewerkschaften abbrechen, D‘Alema von der italienischen Demokratischen Linkspartei schmeißt das Hammer-und-Sichel-Symbol weg, und in Frankreich veröffentlichen Sozialdemokraten ein Buch von einer zwielichtigen Gruppe von „Historikern“: Das Schwarzbuch des Kommunismus, 846 Seiten4 an Lügen und Amalgamen mit zweierlei Ziel: Repression gegen Organisationen und Einzelpersonen zu rechtfertigen, die sich immer noch am Kommunismus orientieren, sowie zu konterrevolutionären Bestrebungen zur Zerstörung der deformierten Arbeiterstaaten in Kuba, China, Vietnam und Nordkorea [und Laos] beizutragen.

Das Buch, dessen Autoren mehrheitlich Ex-Linke sind (die zu allem Überfluss auch immer noch behaupten, Linke zu sein!) ist ein Amalgam aus Kalter-Kriegs-Propaganda und wiedergekäuten Lügen, wie sie die CIA schon lange verbreitet hat. Es ist eine Auflistung angeblicher kommunistischer Verbrechen, wo Todesfälle aufgrund von Hungersnöten zur Zeit des Bürgerkriegs nach der Russischen Revolution in einen Topf geworfen werden mit den stalinistischen Säuberungsprozessen der 1930er, mit Pol Pots Massakern in Kambodscha, mit den Opfern des Mengistu-Regimes in Äthiopien in den 1970ern bis 80ern und sogar mit denen der „Ruandischen Patriotischen Front“ – all das, um auf eine fantastische Gesamtzahl zu kommen, die dem Herausgeber Stéphane Courtois zufolge „rund hundert Millionen Menschen“5 beträgt, die angeblich durch den Kommunismus getötet wurden.

Reaktionäre Ideologen, die sich zu antikommunistischen Kreuzzügen aufmachen, sind nichts Neues.6 Ebensowenig Sozialdemokraten (und Anarchisten), die mit der bürgerlichen Rechten um antikommunistischen Eifer konkurrieren.7 Grundlage für die Beteiligung der Reformisten an den antirevolutionären Kampagnen der Bourgeoisie ist ihre Anpassung an den Chauvinismus ihrer eigenen Herrschenden.

Heute bekommen die Sozialdemokraten alter Schule bei ihren Bestrebungen von keinem Geringeren als Robert Hue Gesellschaft, dem Chef der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF). Während die PCF ebenso verkommen, chauvinistisch und reformistisch ist wie die Sozialistische Partei (SP), erfordert es schon besondere Schamlosigkeit, wenn die Erben eben jener Stalinisten, die „Kommunismus“ einen schlechten Ruf verschafften, sich so voll und ganz dem Chor vom „Tod des Kommunismus“ anschließen. Doch am Tag nach der Veröffentlichung des Schwarzbuch wetterte die PCF-Zeitung L’Humanité in einem Leitartikel: „Die Russische Revolution gebar ein Ungeheuer, das Jahr für Jahr Millionen an Menschen verschlang.“ Hue sagt, die Sowjetunion hatte keine „annähernd positive Bilanz, sondern eine negative. In vieler Hinsicht sogar ungeheuerlich.“8 Und die sogenannte „radikale Linke“ ist angesichts der fadenscheinigen Lügen des Schwarzbuch entwaffnet, hauptsächlich deshalb, weil sie in den vergangenen etwa zwei Jahrzehnten mit dem pro-imperialistischen Anti-Sowjetismus gemeinsame Sache gemacht haben.

Kapitalismus und Massenmord

Der Zweck des Schwarzbuch (das in 13 Sprachen übersetzt wurde) ist es, die Oktoberrevolution von 1917 in Verruf zu bringen, um – das ist die Hoffnung – die Gefahr von neuen „Oktobern“ endgültig zu Grabe zu tragen. Das zentrale Mittel ist die Gleichsetzung von Kommunismus und Faschismus – das alte Kriegsgeschrei reaktionärer bürgerlicher Apologeten, die auf diese Weise nicht nur die Idee des Kommunismus beschmutzen wollen, sondern auch die einmaligen und abscheulichen Verbrechen des Hitlerschen Holocausts verharmlosen wollen, durch den Millionen in der wahnsinnigen Absicht ermordet wurden, ganze Völker von der Erde verschwinden zu lassen. Wie ihre reaktionären Vorfahren verschmelzen Courtois & Co. Kommunismus und Faschismus, indem sie die bürgerliche Demokratie zu einem überwirklichen Prinzip erheben und dann Kommunismus und Faschismus als „totalitäre“ Systeme anprangern. Faschismus ist eine Form von kapitalistischer Herrschaft, zu der die Bourgeoisie im Extremfall greift, um unter Verzicht auf bürgerliche Demokratie ihre Klassenherrschaft zu erhalten, so wie die deutsche Bourgeoisie, als sie auf dem Weg zum Zweiten Weltkrieg die Macht an Hitler übergab.

Die Autoren des Schwarzbuch geben vor, dass Nazideutschland der einzige große kapitalistische Staat im 20. Jahrhundert gewesen sei, der sich Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf Massenebene schuldig gemacht habe. Jeder Algerier oder Vietnamese weiß, dass das eine Lüge ist! Beim Versuch, den algerischen Unabhängigkeitskrieg im Blut zu ertränken, töteten die französischen Imperialisten eine Million Menschen – über ein Zehntel der gesamten Bevölkerung. Dieser brutale Kolonialkrieg wurde zu einem guten Teil von der Regierung unter dem Sozialisten Guy Mollet unterstützt. In Madagaskar schlachteten die französischen Imperialisten 1947 etwa 80000 Menschen ab; in Indochina gab es zwischen 1946 und 1954 etwa 800000 bis zwei Millionen Tote, die Schätzungen schwanken.9. Dann setzten in der Nachfolge von Frankreich die US-amerikanischen Imperialisten, die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen und Hunderttausende japanischer Zivilisten als Teil des „Kriegs für Demokratie“ abgeschlachtet hatten, den Indochinakrieg fort und töteten zwei Millionen Menschen, zwei Drittel davon Zivilisten.

Die US-Imperialisten haben an den unzweifelhaften Gräueltaten von Pol Pot einen großen Anteil. Die Roten Khmer erbten ein Land, das durch mehr als eine halbe Million Tonnen US-amerikanischer Bomben dem Erdboden gleich gemacht wurde, wobei ungefähr 600000 Menschen (bei einer Bevölkerung von 7 Millionen) abgeschlachtet sowie Wirtschaft und Kultur des Landes zerstört wurden; die Einwohnerzahl von Pnom Penh wuchs [durch Flüchtende - E&P] auf das Fünffache der Vorkriegsgröße an. Pol Pots Kambodscha war nie ein Arbeiterstaat, nicht einmal ein deformierter. Nach dem Beispiel der Imperialisten und ihrer käuflichen Marionetten war es die erste Maßnahme der Roten Khmer – einer extrem dünnen Schicht an der Spitze einer Bauernarmee, ängstlich, dass sie keine soziale Organisation oberhalb der Dorfebene kontrollieren könnten – die Städte niederzureißen, das winzige Proletariat zu zerstören und praktisch die gesamte Bevölkerung in kaum getarnte Arbeitslager auf dem primitivsten Subsistenzniveau zu zwingen.

Die Ideologie von Pol Pot & Co. stellt die Antithese zum Programm der Kommunisten dar, für die Industrialisierung und technologischer Fortschritt die materielle Grundlage bilden für eine freie und volle Entwicklung des menschlichen Potentials in einer sozialistischen Gesellschaft des Reichtums für alle. Tatsächlich war die Idee der Roten Khmer, das städtische und intellektuelle Leben zu zerschlagen und „Gleichheit“ durch ein Nivellieren nach unten auf die unterste Ebene zu erreichen. Philosophisch sind sie eins mit dem „Zurück zur Natur“-Ideal von Jean-Jacques Rousseau und seinen modernen Erben, den Öko-Enthusiasten, die glauben, dass alle einschließlich der hungernden Massen in der Dritten Welt weniger verbrauchen sollten. Es ist wenig überraschend, dass diejenigen, die Pol Pot heute als Beispiel für die Verbrechen des „Kommunismus“ hochhalten, zu vergessen scheinen, dass er die meiste Zeit durch die US-amerikanischen Imperialisten unterstützt wurde und dass es die vietnamesischen Stalinisten waren, die seiner Herrschaft ein Ende setzten.

Nationalsozialismus und bürgerliche Ordnung

Courtois’ „Methode“ ist es, absurde „Statistiken“ aufzustellen, um zu „beweisen“, dass Kommunisten mehr Menschen getötet haben als die Faschisten. Seine These ist: „Das kommunistische System hat, wenn auch in unterschiedlicher Stärke, eine grundsätzlich verbrecherische Dimension“10 – ähnlich, wenn nicht sogar schlimmer als der Nazismus. Er schreibt: „Die Fakten zeigen aber unwiderleglich, daß die kommunistischen Regime rund hundert Millionen Menschen umgebracht haben, während es im Nationalsozialismus rund 25 Millionen waren.“11 Courtois spricht von der „Logik des Völkermords“12 und über „systematische Massenverbrechen“, „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.13

Es fällt auf, wie sehr Courtois’ antikommunistische Verleumdungen der Sprache und dem Inhalt von Hitlers berüchtigtem Mein Kampf ähneln. Darin schrieb Hitler, dass die Juden die Gründer und Organisatoren des Marxismus seien, die in Russland ihr wahres Gesicht gezeigt hätten, wo sie „an die dreißig Millionen Menschen in wahrhaft satanischer Wildheit teilweise unter unmenschlichen Qualen tötete[n] oder verhungern ließ[en]“.14 Laut Mein Kampf waren die Führer Sowjetrusslands „blutbefleckte gemeine Verbrecher …, … [die] Millionen seiner führenden Intelligenz in wilder Blutgier abwürgte[n] und ausrottete[n] und …das grausamste Tyrannenregiment aller Zeiten ausübt[en].“15

Das Schwarzbuch des Kommunismus dient den Zwecken der Bourgeoisie von heute, die gerne die Geschichte umschreiben und sich von den Greueln Hitlers und des Holocaust distanzieren will. Die Nazis waren jedoch keine isolierte Erscheinung; sie warben für sich und wurden weithin wahrgenommen als Verteidiger „des Westens“ gegen die gefühlte „jüdisch-bolschewistische“ Bedrohung für die Weltordnung. Der Hitlersche Faschismus war der glühendste, ideologischste Ausdruck des unablässigen weltweiten Kampfes der Bourgeoisie gegen den Kommunismus.

Courtois macht sich unverhohlen die Thesen von Ernst Nolte zu eigen, dem Ideologen des nazifreundlichen rechten Lagers in Deutschland, der darauf beharrte, dass es in Wirklichkeit die Bolschewiki waren, die die Nazi-Barbarei inspirierten, und der behauptete, dass der Umfang und die „Techniken der Massengewaltausübung“16 von den Kommunisten herstammten. In Wirklichkeit ist die Beziehung zwischen dem Programm des Kommunismus und dem Hitlerschen Faschismus die von Gegensätzen. Wirklicher Kommunismus bedeutet die vollständige Befreiung der ganzen Menschheit, während Faschismus der Inbegriff von bürgerlichem Rassismus und kapitalistischer Barbarei ist. Kommunisten sind nur in dem Sinn „verantwortlich“ für Hitler, als Antikommunismus, verbunden mit antisemitischem Rassismus, das Fundament der Hitlerschen Ideologie war. Es war die Angst, die mächtige deutsche Arbeiterbewegung könnte dem Beispiel des russischen Oktober nacheifern, die die deutsche Bourgeoisie dazu nötigte, die Staatsmacht den Hitlerschen Banditen auszuhändigen.

Unterdessen hat die französische Bourgeoisie gerade das Gerichtsverfahren gegen ihren eifrigen Diener Maurice Papon abgeschlossen, der als Spitzenfunktionär des mit den Nazis verbündeten Pétain-Regimes während des Zweiten Weltkriegs die Deportation von Juden aus Frankreich in Hitlers Todeslager organisierte. Als Polizeipräfekt von Paris war er 1961 für das Massaker an mehr als 300 Algeriern verantwortlich, die friedlich für die Unabhängigkeit Algeriens demonstrierten. Als Ergebnis des Verfahrens wurde Papon praktisch zu zwei Tagen Gefängnis verurteilt; offensichtlich erkannte das Gericht, anders als Courtois, dass die Schlüsselfrage bei „Kriegsverbrechern“ lautet: wessen Klassenherrschaft dienten sie?

Für die Autoren des Schwarzbuch ist keine konkrete historische Situation es wert, mit irgendeiner Ernsthaftigkeit analysiert zu werden. In dem Abschnitt über Afghanistan zum Beispiel widmet Sylvain Boulouque den Massakern, die von den CIA-unterstützten mörderischen Mudschahedin verübt wurden, nur zwei Zeilen. Jetzt an der Macht steinigen sie Frauen zu Tode, die es wagen, das Haus zu verlassen, ohne von Kopf bis Fuß verschleiert zu sein. Auf jeden Fall macht er für ihre Verbrechen die Sowjetunion verantwortlich: „Auch die afghanischen Widerstandskämpfer verübten Massaker. Wenn sie hier nicht erwähnt werden, bleiben die Ausschreitungen des Widerstands doch inakzeptabel und unentschuldbar. … Gleichwohl bleibt festzuhalten, daß die Verantwortung für die Ereignisse in Afghanistan unmittelbar den Kommunisten und ihren sowjetischen Verbündeten zukommt.“17

Das Buch ist so unseriös, dass die Autoren nicht einmal versuchen, ihre Geschichte ordentlich auf die Reihe zu kriegen. Um die Lüge zu untermauern, der Stalinismus sei der rechtmäßige Nachkomme des Leninismus, behauptet Nicolas Werth, einer der Autoren des Schwarzbuchs, dass die bolschewistische Partei die Macht der Sowjets unmittelbar nach der Machtergreifung erstickte: „Innerhalb weniger Wochen wurde diesen Institutionen [Arbeiterkomitees, Gewerkschaften, linken Parteien, Quartierkomitees, Roten Garden und vor allem den Sowjets] die Macht entzogen, sie wurden der bolschewistischen Partei unterstellt oder eliminiert.“18 Um zu zeigen, dass die Sozialrevolutionäre und die Menschewiki eine in der Gesellschaft bestehende Opposition widerspiegelten, behauptet Werth später genau das Gegenteil, und ein Stückchen Wahrheit kommt zum Vorschein:

„Der Frühling 1918 war nämlich ein entscheidender Zeitpunkt. Noch war das Spiel nicht entschieden: Die Sowjets trugen noch keinen Maulkorb und waren noch nicht zu einfachen Organen der Staatsverwaltung geworden, sondern bildeten das Forum für regelrechte politische Debatten zwischen den Bolschewiki und den gemäßigten Sozialisten. Trotz der alltäglichen Schikanen gab es noch eine oppositionelle Tagespresse. Das lokalpolitische Leben kannte ein vielfältiges Nebeneinander gegenseitig konkurrierender Institutionen.“19

In einem Artikel in Le Monde20 zeigte die Historikerin Lilly Marcou, dass Werth die Opferzahlen des stalinistischen Terrors zehnmal so hoch angibt, als er es selbst noch vier Jahre zuvor getan hat. Warum ist Le Monde (gemeinsam mit der ganzen „Linken“, die das Schwarzbuch kritisiert) der Ansicht, dass der Beitrag dieses Scharlatans der ernsthafteste und wissenschaftlichste in dem Buch ist? Weil Werths Hauptaufgabe ist, Lenin mit Stalin gleichzusetzen und Lenin für die von Stalin, dem Totengräber der Oktoberrevolution, begangenen Verbrechen verantwortlich zu machen.

Zuweilen ist das Buch einfach grotesk. Den Bolschewiki wird vorgeworfen, sie hätten die Bevölkerung „gezielt der Hungersnot aus[ge]liefert…“21 und so den Tod von „fünf Millionen Menschen“22 verursacht. Die Hinrichtung der Zarenfamilie Romanow durch die Bolschewiki nach der Machtergreifung wird als bloße persönliche Abrechnung von Lenin dargestellt, dessen Bruder nach einem Mordanschlag gegen Alexander III. durch das zaristische Regime getötet worden war, und so weiter.

Doch die Lügen, historischen Absurditäten und grotesken Aspekte des Buches überschatten nicht das grundlegend finstere Ziel des Schwarzbuch. In der Einleitung zeigt sich Stéphane Courtois besorgt: Die Symbole der Revolution – „die rote Fahne, die Internationale, die erhobene Faust – erstehen bei jeder großen sozialen Bewegung neu“,23 und: „Eindeutig revolutionäre Gruppen dürfen ungehindert an die Öffentlichkeit treten.“24 Das – in Verbindung mit der wiederholten Forderung nach einem Nürnberger Prozess für die Verbrechen des Kommunismus,25 die auch von den Faschisten des Front National aufgegriffen wird – ist eine direkte Aufforderung zu staatlicher Repression gegen Organisationen und Einzelpersonen, die sich auf den Kommunismus beziehen.

Trotzkismus ist die Kontinuität der Bolschewiki

Genau wie ihre Vorgänger aus dem Kalten Krieg nehmen die Autoren des Schwarzbuch die bürgerliche Lüge vom Stalinismus als dem legitimen Kind des Leninismus an und verbreiten sie weiter. Ihr Hauptargument ist, dass die Wurzeln der Moskauer Prozesse der 1930er Jahre und der stalinistischen Gulags in der Oktoberrevolution selbst zu finden sind, und insbesondere im „Roten Terror“ während des Bürgerkriegs von 1918 bis 1921. Tatsächlich jedoch haben die Sowjets Anfang November 1917 die Macht fast ohne menschliche Verluste übernommen. Die russische Bourgeoisie war so ohnmächtig, so kompromittiert durch den Verlauf und den Ausgang des Krieges, so demoralisiert durch das Kerenski-Regime, dass sie keinerlei Widerstand wagte. Kerenskis Macht in Petrograd wurde fast ohne Kampf besiegt. Etwas mehr Widerstand gab es in Moskau. In den Provinzen reichte gewöhnlich ein Telegramm aus Petrograd oder Moskau, um die Macht an die Sowjets zu übergeben. Es gab kaum Festnahmen. Die Minister der Regierung Kerenski wurden kurz nach der Revolution freigelassen. Am Anfang gewährte die Revolution die gleiche Art von Großzügigkeit wie die Pariser Kommune. Beispielweise wurde der Kosakengeneral Krasnow, der unmittelbar nach der Machtübernahme der Sowjets mit Kerenski gen Petrograd marschiert war, gefangengenommen, aber am nächsten Tag wieder freigelassen. Unmittelbar nach seiner Freilassung schloss er sich den Reihen der Konterrevolution an, tötete Tausende von Kommunisten und marschierte in der Armee von Judenitsch erneut Richtung Petrograd.

Die proletarische Unterdrückung verschärfte sich nur langsam und allmählich und hielt mit der Zunahme konterrevolutionärer Aktivitäten Schritt – nach der massenhaften Hinrichtung von Kommunisten während des tschechoslowakischen Aufstands an der Wolga, der von den Kadetten (den bürgerlichen Konstitutionellen Demokraten), Sozialrevolutionären und Menschewiki organisiert wurde; nach dem Attentat auf Lenin; nach dem Mordanschlag auf Urizki; usw. Lokale Konterrevolutionäre wurden von den „demokratischen“ Imperialisten unterstützt. Die französische Botschaft organisierte 1918 den Jaroslawler Aufstand, der viele Todesopfer forderte. Das Imperium von Admiral Koltschak wurde vom US-amerikanischen Finanzsektor angetrieben und von tschechoslowakischen Militäreinheiten unter Mithilfe der französischen Regierung unterstützt. Krasnow und Kaledin, die führenden Köpfe der Konterrevolution am Don, konnten auf die finanzielle und militärische Hilfe Deutschlands bauen. Insgesamt überfielen 14 imperialistische Armeen den neuen Arbeiterstaat; Seite an Seite mit den lokalen Konterrevolutionären verwüsteten sie das Land, massakrierten Rote und überzogen jüdische Dörfer mit Terror.

Das russische revolutionäre Proletariat ging dezimiert aus dem Ersten Weltkrieg hervor, der ein wirtschaftlich zerstörtes Land hinterlassen hatte. Allein die Tatsache, dass dieses Proletariat in der Lage war, den Bürgerkrieg zu gewinnen, ist ein unwiderlegbarer Beweis für die Tiefe der Unterstützung für die revolutionäre Sache. Die Arbeiter kämpften heldenhaft. Sie opferten sich derart auf, dass die bewusstesten proletarischen Schichten praktisch ausgelöscht wurden. Die Bauern, vor die Wahl gestellt zwischen den Weißen, die ihnen ihr Land wieder wegnahmen, und den Roten, die nur ihr Getreide beschlagnahmten, um die Städte zu versorgen, entschieden sich für die Roten. Es wäre ein Verbrechen gewesen, hätten die Bolschewiki nicht alle nötigen Mittel genutzt, um den Sieg zu sichern. Leo Trotzki, der Kommandeur der Roten Armee während des Bürgerkriegs, erklärte das in bewundernswerter Weise in seinem Werk Terrorismus und Kommunismus (1920):

„Die Arbeiterklasse, die die Macht durch Kampf errungen hat, hatte die Aufgabe, die Pflicht, diese Macht unerschütterlich zu befestigen, ihre Herrschaft unbestreitbar sicherzustellen, ihren Feinden die Lust zu Staatsumwälzungen zu nehmen und sich dadurch die Möglichkeit sozialistischer Reformen zu sichern. Sonst hätte sie die Macht nicht zu erobern brauchen.

…Dafür verlangt aber die Revolution von der revolutionären Klasse, daß sie ihr Ziel mit allen Mitteln erreiche, die ihr zur Verfügung stehen: wenn nötig – durch bewaffneten Aufstand, wenn nötig – durch Terrorismus.“26

Im englischsprachigen Vorwort von 1935 fügte er hinzu:

„Die Geschichte hat bis heute keinen anderen Weg gefunden, die Menschheit voranzubringen, als immer die revolutionäre Gewalt der fortschrittlichen Klasse gegen die konservative Gewalt der überlebten Klassen einzusetzen.“

Der aus der bolschewistischen Revolution hervorgegangene Arbeiterstaat gründete sich auf den proletarischen Internationalismus und die Sowjetdemokratie – die Macht der Arbeiterräte, deren Delegierte durch die Arbeiter demokratisch gewählt wurden. Aber die Jahre des Bürgerkriegs und der imperialistischen Strangulierung haben die Wirtschaft und das Proletariat, insbesondere seine bewusstesten Schichten, zugrunde gerichtet und damit das Entstehen einer bürokratischen Schicht in der Partei und im Staatsapparat ermöglicht. Nicht nur die bolschewistischen Führer, sondern die Masse der Arbeiter sah in der Ausdehnung der Revolution auf andere Länder den Schlüssel für das Überleben der Sowjetrepublik. Aber zahlreiche proletarische Aufstände – in Ungarn, Deutschland, Polen, Bulgarien, Italien und anderswo – wurden zerschlagen.

Die Niederlage der Deutschen Revolution von 1923 führte zu einer weit verbreiteten Demoralisierung. Dies ausnutzend und Lenin auf dem Totenbett wissend, erlangte die Bürokratie unter Führung der „Troika“ aus Stalin, Sinowjew und Kamenjew auf der 13. Parteikonferenz im Januar 1924 die Kontrolle und führte eine wirkliche politische Konterrevolution durch. Nach dem Januar 1924 änderte sich alles: die Menschen, die die UdSSR regierten, die Art, in der die UdSSR regiert wurde und die Ziele, für die die UdSSR regiert wurde.27 Einige Monate später fand das Programm dieser konservativen Gesellschaftsschicht seinen Ausdruck in der antimarxistischen Lehre vom „Sozialismus in einem Land“. Lenins letzte politische Schlacht, die er gemeinsam mit Trotzki schlug, richtete sich gegen Stalin und seine entstehende Bürokratie und insbesondere gegen Stalins Bekundungen von großrussischem Chauvinismus und brutaler Überheblichkeit.

Mit ihrer Verteidigung des revolutionären Internationalismus im bolschewistischen Programm führten Trotzki und die linke Opposition den Kampf für den Leninismus und gegen die stalinistische Bürokratie weiter. Es sind die Trotzkisten, die die Kontinuität des Kommunismus repräsentieren, und nicht ihre Schlächter, wie uns die Ideologen des „Tod des Kommunismus“ glauben machen möchten. Das Ziel des Stalinschen Terrors war die Unterdrückung und Einschüchterung des Proletariats, dessen politische Macht die Bürokratie an sich gerissen hatte. Insbesondere ging es darum, jegliche Loyalität gegenüber der linken Opposition und ihrem Programm der internationalen sozialistischen Revolution auszumerzen und zu zerstören. Bis zum Ende der Säuberungen blieb vom gesamten bolschewistischen Zentralkomitee, das die Revolution geführt hatte, allein Stalin an der Macht! Der Stalinismus verkörperte nicht den Leninismus, sondern seine Negation; um seine Macht zu festigen und seinen Anspruch zu begründen, „Lenins Nachfolger“ zu sein, musste Stalin die „alten Bolschewiki“ ermorden und die gesamte fortgeschrittene Schicht des Proletariats zerstören. Bezeichnenderweise hatten die imperialistischen Bourgeoisien damals wenig Probleme mit den Moskauer Prozessen, wie Trotzki in „Ihre Moral und unsere“ (1938) feststellte: „die Großbourgeoisie der demokratischen Länder [beobachtete] nicht ohne Vergnügen, wenn auch mit einer Mischung Unbehagen, die Hinrichtung der Revolutionäre in der Sowjetunion“28

Die Rote Armee zerschlug die Nazis, trotz Stalin

Im Schwarzbuch, das eine ideologische Rechtfertigung der brutalen Herrschaft des Kapitals über die Arbeit in der nachsowjetischen Welt darstellt, wird die groteske Behauptung aufgestellt, der Holocaust des 20. Jahrhunderts sei der Kommunismus, nicht der Nazismus. Schon der Titel ist ein Versuch, das Schwarzbuch des Nazismus29 in den Hintergrund zu drängen – ein Buch, das detailliert auf die Nazi-Greueltaten an der russischen Front einging.

Hitler und sein völkermörderischer Terror wurden durch die Rote Armee gestoppt, die die Todeslager von Auschwitz, Sachsenhausen usw. befreite. Der Durchmarsch nach Berlin und die Zerstörung des Dritten Reichs durch die Sowjetunion stellten die Befreiung Europas von der Geißel des Nazismus dar – der 8. Mai 1945 ist der Tag des Sieges der Roten Armee über die Nazis. Das ist die Wahrheit, die mit dem Schwarzbuch vertuscht werden soll.

Courtois ist kein Anfänger, wenn es darum geht, solche Lügen zu verbreiten. In seinem Buch Le PCF dans la guerre30 von 1980 konnte er über Stalingrad und Kursk, zwei von der Roten Armee gewonnene Schlachten, die das Schicksal des Nazismus besiegelten, nicht völlig hinweggehen, also machte er sich daran, sie herunterzuspielen, indem er kleinere Scharmützel wie die Schlacht von El-Alamein in Ägypten als die entscheidenden Auseinandersetzungen ausgab. Doch es war die sowjetische Bevölkerung, die um den Preis von 27 Millionen Toten die Hauptlast des Krieges trug, und es war die Rote Armee, die der Nazimacht das Rückgrat brach. Um die 80 Prozent der deutschen Verluste im ganzen Krieg fielen an der Ostfront an. Den anglo-amerikanischen Imperialisten ging es in Wirklichkeit hauptsächlich darum, um ihre kolonialen Besitztümer zu kämpfen und insbesondere gegen ihren Rivalen Japan Asien in die Finger zu bekommen.

Im Juni 1944 eröffneten die imperialistischen Alliierten mit der Landung in der Normandie schließlich die berühmte „zweite Front“, weil ihre größte Angst darin bestand, dass im Gefolge des Sieges der Roten Armee ganz Europa kommunistisch werden könnte. Die niederländischen Trotzkisten des Comité van Revolutionnaire Marxisten31 erkannten deutlich, dass die alliierte Landung weniger gegen die Nazis als gegen das Vordringen der Sowjetunion und die Gefahr proletarischer Revolutionen in Westeuropa gerichtet war.32 Tatsächlich wurden die Arbeiterwohnbezirke von Dresden und Hamburg gezielt durch alliierte Bombardierungen zerstört, genau wie alliierte Bombardierungen einen Generalstreik in Marseilles im Mai 1944, ein paar Tage vor einer alliierten Landung, zerschlugen. Die Nazis hofften selbst auf einen Separatfrieden mit den „demokratischen“ Imperialisten. Und in der Niederlage fürchteten die Nazi-Kriegsverbrecher nur die Rache der Roten Armee, als sie in wilder Hatz übereinander stolperten, um sicher die nächste US-amerikanische Stellung zu erreichen.

Grundlegend steht hinter dem Vorgehen der sogenannten „demokratischen“ Bourgeoisien seit 1917 die Angst vor der Bedrohung für die imperialistische Weltordnung, die von der – in ihren Augen von „bolschewistischen Juden“ geführten – Oktoberrevolution verkörpert wurde. Der Hitlerismus war nur der brutalste Ausdruck der Ziele, die die Kapitalisten seit 1917 verfolgten: den Klassenkampf in einer Flut des Chauvinismus zu ertränken und die proletarischen Eigentumsformen in der UdSSR umzustürzen. Und 1940 verbündete sich die französische Bourgeoisie (die nie vergessen hat, dass Frankreichs Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg zur Pariser Kommune führte) mittels des Pétain-Regimes mit den Nazis.

Die bürgerlichen „Demokratien“ ihrerseits amnestierten angesichts des Sieges der Roten Armee 1945 und vorrevolutionärer Situationen in mehreren Ländern sofort die schlimmsten Nazi-Kriegsverbrecher und richteten die „Rattenlinie“ ein – eine vom US-amerikanischen Geheimdienst und dem Vatikan aufgebaute Fluchtroute, um Nazi-Kriegsverbrecher direkt in den Dienst des Kalten Kriegs zu stellen, von Wissenschaftlern wie Wernher von Braun, den sie in die USA brachten, bis Klaus Barbie [Gestapo-Chef in Lyon – E&P], den sie nach Lateinamerika umsiedelten. Im „entnazifizierten“ Nachkriegs-Westdeutschland gingen unterdessen Hitlers Spionagechef Gehlen und seine Organisation [als Bundesnachrichtendienst, BND] gegen die UdSSR und den deformierten Arbeiterstaat DDR weiter ihrem Gewerbe nach.

Auch der Franzose Touvier, Chef der Geheimdienstabteilung „zweiter Dienst“ von Pétains Miliz in Lyon, kam (ebenso wie Barbie und Hunderte anderer Nazis) gut weg. Er behielt seine Freunde bei der Polizei (die ihn 1947 aus den Büroräumen des französischen Auslandsgeheimdienstes fliehen ließen) und wurde 1960 angeworben, erneut für Frankreich zu arbeiten, um in Algerien den Kampf des algerischen Volkes für nationale Befreiung zu unterdrücken.

Es überrascht nicht, dass das Schwarzbuch sich auf die Seite von Antisemiten und Nazis gegen die Rote Armee stellt. Ohne mit der Wimper zu zucken erwähnt Werth die Losungen der antibolschewistischen ukrainischen Führer Petljura, Machno und anderer: „frei gewählte Sowjets ‚ohne Moskauer und Juden‘“;33 „Die Ukraine den Ukrainern, ohne Bolschewiken und Juden!“;34 „Es lebe die Sowjetmacht! Nieder mit den Bolschewiken und Juden!“35 Unter solchen Losungen organisierten sie Dutzende blutiger Pogrome gegen die jüdischen Ghettos in den Städten und Großstädten rund um Kiew und Tschernigow. Wir Trotzkisten stehen stolz auf der Seite der Bolschewiki, die diesen antisemitischen Abschaum gnadenlos zerschmetterten!

Bei seiner Betrachtung des jahrelangen Kampfes und der Aufopferung des sowjetischen Volkes gegen die Nazi-Invasoren (dem er genau 18 seiner 240 Seiten über die UdSSR widmet), konzentriert sich Nicolas Werth auf die Deportation von Völkern durch Stalin. Der Völkermord der Nazis an mehr als zwei Millionen sowjetischen Juden wird in einem einzigen Satz erwähnt und als Vergeltung gegen angebliche Massaker des sowjetischen NKWD dargestellt: „Die Sonderkommandos der Nazis nahmen diese ‚jüdisch-bolschewistischen Greueltaten‘ zum Vorwand, sofort Zehntausende von Juden zu erschießen.“36 Zu den „Opfern des Gulag“ zählt Werth auch die Mitglieder der ukrainischen OUN und UPA (faschistische Antisemiten, die mit den Nazis gegen die Rote Armee zusammenarbeiteten), die estnischen Waldbrüder und und sogar Wlassow und seine Armee, die zu Hitler überliefen. Der Inbegriff des Horrors war für Werth, als schließlich Tausende Nazi-Verbrecher durch die Rote Armee inhaftiert und hingerichtet wurden:

„Insgesamt hatten die ‚Sondersiedlungen‘, die Lager und Kolonien des Gulag-Systems, die Kontroll- und Filtrationslager und die sowjetischen Gefängnisse niemals zuvor so viel Insassen gezählt wie in diesem Siegesjahr: mehr als fünfeinhalb Millionen Menschen der unterschiedlichsten Kategorien. Ein Rekord, der durch die Siegesfeiern und den ‚Stalingradeffekt‘ lange Zeit in den Hintergrund gedrängt worden ist.“37

In Stalins Nachkriegs-Gulags saßen viele unschuldige Menschen, aber Werth setzt diese mit den Nazi-Mördern gleich, um letztere freizusprechen. Was er und die Bourgeoisie hassen, ist, dass den faschistischen Verbrechern nur in der Sowjetunion ein gewisses Maß an Gerechtigkeit zuteil wurde.

Während der Nazi-Belagerung von Leningrad wurde mehr als ein Drittel der Bevölkerung der Stadt durch Bombenabwürfe und Hunger ausgelöscht. Zum endgültigen Sieg der Roten Armee kam es trotz Stalin; dieser hatte die Rote Armee in den Säuberungen von 1937 enthauptet. Nachdem er eine Zeit lang auf die blutbefleckten „demokratischen“ Imperialisten wie Frankreich gesetzt hatte, ging Stalin dann ein ebenso prinzipienloses Bündnis mit Deutschland ein, den Hitler-Stalin-Pakt von 1939. Er setzte solche Hoffnung in dieses Unterfangen, dass er die Informationen heldenhafter sowjetischer Spione wie Leopold Trepper und Richard Sorge ignorierte, die vor Hitlers drohendem Einmarsch in die UdSSR warnten.

Trotzkisten verstehen, dass ein Arbeiterstaat an bestimmten Punkten gezwungen sein kann, mit der einen oder anderen imperialistischen Macht in einen zeitweiligen militärischen Block einzutreten, doch niemals um den Preis, die einzige endgültige Verteidigung der Sowjetunion aufzugeben: den Kampf für proletarische Revolution gegen alle imperialistischen Staaten. Wie Trotzki 1939 in Verteidigung des Marxismus schrieb:

„Die gesamte Außenpolitik des Kremls basiert generell auf der betrügerischen Beschönigung des ‚freundlichen‘ Imperialismus, und führt so dazu, dass die grundlegenden Interessen der Weltarbeiterbewegung zweitrangigen und ungewissen Vorteilen geopfert werden. Nachdem die Arbeiter fünf Jahre lang mit Losungen für die ‚Verteidigung der Demokratien‘ betrogen wurden, ist Moskau jetzt damit beschäftigt, Hitlers Politik der Plünderungen zu decken. Dies allein verwandelt die UdSSR noch nicht in einen imperialistischen Staat. Aber Stalin und seine Komintern sind jetzt zweifellos die wertvollste Agentur des Imperialismus.“38

Die Trotzkisten blieben auf ihrem Posten, um die UdSSR zu verteidigen

Die Trotzkisten hielten entschlossen an der bedingungslosen militärischen Verteidigung der UdSSR gegen imperialistische Angriffe und innere Konterrevolution fest, trotz der parasitären stalinistischen Bürokratenkaste. Gleichzeitig verstanden sie, dass die einzige wirkliche und langfristige Verteidigung der UdSSR eine proletarische politische Revolution erforderte, um die stalinistischen Emporkömmlinge wegzufegen, die die Errungenschaften der Oktoberrevolution auf Schritt und Tritt untergruben – mit ihrem Regime von Unterdrückung und Lügen, ihren bürokratischen Privilegien, ihrer Zersplitterung des sowjetischen Proletariats, ihrem Einbläuen nationalistischer Ideologie anstelle des Internationalismus, der die Bolschewiki angetrieben hatte. Die Trotzkisten forderten die Wiederherstellung der Macht der Sowjets (Arbeiter- und Soldatenräte) und strebten danach, die sowjetischen Massen auf der Grundlage von sozialistischer Gleichheit und revolutionärem Internationalismus, den Fundamenten des sowjetischen Arbeiterstaates, gegen die Bürokratie in Bewegung zu setzen.

Festgehalten wurde diese Strategie im Übergangsprogramm, dem Gründungsdokument der Vierten Internationale, und sie ist ein Eckpfeiler der Politik der Internationalen Kommunistischen Liga seit unserer Entstehung als Strömung in den 1960ern. Auf jedem wichtigen Schlachtfeld des „Zweiten Kalten Krieges“ – vom US-Imperialismus begonnen, um sich von seiner demütigenden Niederlage in Vietnam zu erholen – kämpfte die IKL (vorher internationale Spartacist-Tendenz genannt) entschieden für die bedingungslose militärische Verteidigung der Sowjetunion und aller deformierten Arbeiterstaaten, während wir kompromisslos gegen die Kapitulationen der Kreml-Bürokratie vor dem Imperialismus kämpften.

Der 1979 begonnene Krieg in Afghanistan war ein Brennpunkt des Kalten Krieges. Auf der einen Seite standen die Sowjetarmee und ihre links-nationalistischen Verbündeten, die Reformen gegen den Kauf und Verkauf von Frauen und gegen den Schleier einführen wollten, der es afghanischen Frauen verwehrte, jemals die Sonne zu sehen. Auf der anderen Seite standen die von der CIA unterstützten Halsabschneider der Mudschahedin, die unverschleierte Frauen überfielen und Lehrer für das „Verbrechen“ ermordeten, Mädchen Lesen und Schreiben beizubringen. Die Imperialisten sahen den Bürgerkrieg in Afghanistan als beste Gelegenheit seit Jahrzehnten, um in großem Stil sowjetische Soldaten und Offiziere umzubringen und ein übles reaktionäres Regime an der Grenze der UdSSR zu unterstützen.

Wir ergriffen Partei, indem wir die Losungen „Hoch die Rote Armee in Afghanistan!“ und „Für die Ausweitung der sozialen Errungenschaften der Oktoberrevolution auf die afghanischen Völker!“ aufstellten.39 Die bürgerlichen Liberalen und die „Linke“ unterstützten die islamisch-fundamentalistischen Terroristen, einschließlich der Taliban. In dem Abschnitt des Schwarzbuch über Afghanistan sind all die Argumente zu finden, die die Linke und „extreme Linke“ damals verbreitete, um das Proletariat hinter der antisowjetischen Kampagne einzureihen. Unnötig zu sagen, dass diese Kräfte heute über diesen Abschnitt des Schwarzbuch keine missgünstigen Bemerkungen zu machen haben; sie haben alle zugestimmt.40

Als Solidarność, die gelbe Gewerkschaft in Polen, die vom Papst und der CIA finanziert wurde, Ende 1981 versuchte, die Macht zu ergreifen, forderten wir: „Stoppt die Konterrevolution der Solidarność!“41 Acht Jahre später händigten die Stalinisten, geführt von dem Bürokraten Jaruzelski, die Macht an Wałęsa & Co. aus. Die sogenannte „Linke“ weltweit schlug sich überwiegend auf die Seite der Wall Street und der internationalen Sozialdemokratie, indem sie Solidarność bejubelten; heutzutage hören wir von der französischen Linken keinen Pieps des Protests gegen den Abschnitt des Schwarzbuch über Polen.

Nach dem Fall der Berliner Mauer bekämpfte die IKL den Ausverkauf der DDR, der von den Führern der stalinistischen SED42 in die Wege geleitet wurde. In dem fast vollständigen Machtvakuum nach dem Zusammenbruch des stalinistischen Regimes warfen wir alle unsere Kräfte in den Kampf für ein rotes Deutschland von Arbeiterräten. Nachdem Faschisten das sowjetische Kriegsmahnmal in Berlins Treptower Park geschändet hatten, riefen wir eine Einheitsfrontdemonstration am 3. Januar 1990 ins Leben, an der zu beteiligen sich die stalinistischen Führer bemüßigt fühlten und die 250000 Menschen zusammenbrachte, um die sowjetischen Soldaten zu ehren, die für die Befreiung Deutschlands von den Nazis gestorben waren. Dieses Aufbrausen von antifaschistischer Gesinnung wurde von den DDR-Stalinisten zu Recht als Ausdruck des Willens zum Widerstand gegen den Anschluss an den westdeutschen Imperialismus gesehen. Unsere Aufrufe zu einer neuen, egalitären kommunistischen Partei und für die sofortige Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten verwiesen auf die wirklichen Alternativen für die DDR: proletarische politische Revolution oder kapitalistische Konterrevolution. Die bankrotte stalinistische Bürokratie entschied sich für letzteres.43

Wir waren auch bestrebt, der kapitalistischen Konterrevolution im Heimatland des Oktober selbst Widerstand zu leisten. Im August 1991 riefen wir die sowjetischen Arbeiter auf: „Besiegt Jelzins/Bushs Konterrevolution!“44 Dabei betonten wir, dass das Moskauer Proletariat Jelzins konterrevolutionäre Barrikaden in Moskau hätte zerschlagen sollen, und wir verteilten Zehntausende an Flugblättern in der ganzen Sowjetunion. Heute kämpfen wir darum, eine trotzkistische Partei aufzubauen, um das chinesische Proletariat in revolutionärem Widerstand gegen die Stalinisten zu führen, die entschlossen sind, China bis ans Ende des „kapitalistischen Wegs“ zu bringen.45

Stalinismus, Volksfront und Zweiter Weltkrieg

Obwohl sich Courtois gern als reumütiger Kommunist ausgibt, ist er kein Neuling im Geschäft des Antikommunismus. Er wurde von Annie Kriegel ausgebildet und geschult, die für den rechtsgerichteten antikommunistischen Le Figaro zum Experten für die PCF und die Sowjetunion wurde. Sie verdiente sich ihre Sporen nach dem Mai 1968 in Frankreich – einer vorrevolutionären Situation, die durch den Verrat der PCF sabotiert wurde.

Ein scharfsichtiger Teil der Bourgeoisie mit Mitterand als seinem Sprecher zog die Lehren aus dem Mai 1968 und initiierte eine Union der Linken. Das war eine Volksfront: ein klassenversöhnlerisches Bündnis der reformistischen Arbeiterparteien der Massen mit bürgerlichen Elementen, deren Anwesenheit als Garantie (und als fertige Ausrede) dafür diente, dass die Reformisten nichts unternehmen werden, um die Vorherrschaft der Kapitalistenklasse in Frage zu stellen. Klassenkollaboration wurde schon lange von den Sozialdemokraten praktiziert, deren Traum es ist, den kapitalistischen Staat loyal zu verwalten, sei es in ihrem eigenen Namen oder in einer Koalition. Unter Stalin wurde sie zur akzeptierten „kommunistischen“ Politik, insbesondere mit der Einführung der „Volksfront “ im Jahre 1935. Die 1972 gegründete französische Union der Linken46 führte 1981 zum Sieg der Volksfront von François Mitterand, dem Vorsitzenden der Sozialistischen Partei und langjährigem bürgerlichen Politiker, der auch intime Beziehungen zum mit den Nazis verbündeten Vichy-Regime besaß.

Gegen diese Bewegung nach „links“ trat Annie Kriegel damals mit ihren heftigen antikommunistischen Hetzreden mit Themen wie die „rote Gefahr“ und „PCF – Agenten Moskaus“ auf. In ihrem Buch Communismes au miroir francçais47, das 1973 nur ein Jahr nach der Gründung der Union der Linken geschrieben wurde, behauptet sie, das, was die PCF 1944 tat, könne „nur Sinn machen im Zusammenhang mit der Perspektive einer direkten Machtergreifung durch eine Strategie wie diejenige, die der russischen Revolution den Sieg sicherte“! Auf dieser Grundlage schrieb Stéphane Courtois sein erstes Buch Le PCF dans la guerre.48 Dort wetterte er, dass der Hitler-Stalin-Pakt „die Geburtsstunde des Sowjetimperialismus war, der die Besonderheit hatte, die gewaltsam durchgeführte imperialistische Expansion mit der Expansion der weltweiten revolutionären Bewegung zu vergleichen.“

Courtois stellte sich hier in die Tradition solcher Ideologen des kalten Krieges wie Leonard Schapiro, Hannah Arendt und George Orwell, die den sowjetischen Totalitarismus als eine mächtige Kraft ansahen, die die Weltherrschaft anstrebte. Es ist noch nicht so lange her, dass Antikommunisten dieser Art lautstark darauf bestanden haben, dass Michael Gorbatschows Begeisterung für kapitalistische „Marktreformen“ einfach eine Lüge war, die die Verfechter der „Demokratie“ in den Schlaf wiegen sollte, während der Kreml immer ruchlosere Pläne für die Zerstörung des Westens schmiedete.

Viele der 600 Seiten von Le PCF dans la guerre sind dem Versuch gewidmet, seine wahnwitzige antikommunistische Phantasie mit vielen Zitaten und Interpretationen von PCF-Erklärungen der damaligen Zeit „unter Beweis zu stellen“. Cortois gelang es nur, Beweise für den widerwärtigen antideutschen Chauvinismus der PCF zu sammeln, wenn er, ohne mit der Wimper zu zucken, Dutzende von PCF-Erklärungen gegen die „Boche“ [abwertender Ausdruck für „Deutsche“] zitiert. (Dennoch verdächtigte er die PCF, als Agentin Moskaus in ihrem Chauvinismus nicht aufrichtig genug zu sein.)

Die Wahrheit ist, dass die PCF längst ihr Lager gewählt hatte: das ihrer eigenen Bourgeoisie. Mehr als 15 Jahre vorher hat Leo Trotzki in seinem wegweisenden Werk Die Dritte Internationale nach Lenin dargelegt, wie Stalins nationalistische Theorie vom „Sozialismus in einem Land“ dazu führen würde, dass die verschiedenen Parteien der Dritten Internationale, die 1919 gegründet wurde, um die Weltrevolution anzuführen, in das Lager ihrer eigenen Bourgeoisie zu wechseln:

„…den Sozialismus in einem Lande aufbauen zu wollen, ist eine sozialpatriotische Einstellung.

Dies ist ein tödlicher Schlag gegen die Internationale. …

Die Kommunistische Partei irgend eines kapitalistischen Landes, die von dem Gedanken durchdrungen ist, daß in ihrem speziellen Land alle ‚notwendigen und ausreichenden‘ Voraussetzungen für den selbständigen Aufbau des ‚vollendeten Sozialismus‘ vorhanden sind, wird sich nicht mehr grundlegend von der sozialpatriotischen Sozialdemokratie unterscheiden, die auch nicht erst bei Noske angefangen hat, sondern bereits am 4. August 1914 über genau die gleiche Frage gestolpert ist.“49

Mit dem Hitler-Stalin-Pakt von 1935 entschied sich die PCF endgültig für die bürgerliche Ordnung in Frankreich und setzte die „Volksfront“ in die Praxis um. Mit anderen Worten, die PCF, die aus der pro-bolschewistischen Spaltung der Sozialdemokratie auf dem Kongress von Tours 1920 hervorgegangen ist, trat 15 Jahre später definitiv wieder dem sozialdemokratischen Lager bei. Zu dieser Frage haben wir eine scharfe Meinungsdifferenz zu reformistischen Gruppen, die der PCF hinterherlaufen, wie Lutte Ouvrière und Voix Travailleurs, die über eine mögliche Liquidierung des Kongresses von Tours jammern, der in der Tat weit hinter uns liegt. So sagte Voix Travailleurs,50 dass die jüngsten Erklärungen der PCF zum Schwarzbuch nichts waren als „ein weiterer Schritt bei ihrer Umwandlung in eine sozialdemokratische Partei ... Bis heute ... hat sie noch nicht die Entscheidung getroffen, sich vollständig von ihren Bindungen an die Arbeiterklasse zu lösen und eine echte Regierungspartei zu werden“.

Auf der Grundlage ihres Bündnisses mit der Bourgeoisie verriet die PCF 1936 die vorrevolutionäre Situation in Frankreich und bremste einen mächtigen Generalstreik aus, der die Frage nach der proletarischen Macht aufgeworfen hätte, während in Spanien die Stalinisten, mit Trotzkis Worten, die „kämpfende Avantgarde der bürgerlich-republikanischen Konterrevolution“ waren.51 Die Politik der PCF während des Krieges zielte auf diese Unterordnung unter die eigene Bourgeoisie ab.

Die „Resistance“ ist weitgehend ein bürgerlicher Mythos, der dank der PCF aufgebaut wurde, um die Wahrheit zu verbergen, dass die französische Bourgeoisie fast ausnahmslos mit den Nazis kollaborierte. Tatsächlich hat die französische Bourgeoisie 1940-41 ihre eigene antisemitische Politik aus freiem Willen eingeführt und versucht, sie auf die Zone auszudehnen, die direkt von den deutschen Besatzungstruppen verwaltet wurde, um selbst an das Eigentum der Juden zu gelangen, die sie enteignet und in die Todeslager geschickt hatte. Ohne den französischen Staatsapparat – derselbe, der Kapitän Dreyfus auf die Teufelsinsel schickte – wären die Nazis nicht in der Lage gewesen, ihre Hände auf Tausende von Juden zu legen. Tatsächlich war es das Vichy-Regime, das die Nazis dazu drängte, Kinder in den Todeskonvois mitzunehmen, und nicht umgekehrt.

Und nach dem Krieg wurden Vichy-Kriminelle wie Maurice Papon, weit davon entfernt, bestraft zu werden, befördert und der gesamte Staatsapparat des Vichy-Frankreich wurde wieder eingesetzt. Ein anderer Vichyist, von Pétain mit dem Franziskanerorden ausgezeichnet, war niemand anderer als Mitterand. Wir haben in „Touvier: un procès pour absoudre les crimes de Vichy“52 geschrieben:

„Ob als hochrangiger Vichy-Funktionär, der 1942 die ‚nationale Revolution‘ verteidigte, als Gründer und Kopf eines Résistance-Netzwerkes, das von 1943 bis 1944 für die Vertreibung der Deutschen aus Frankreich kämpfte, als Innenminister, der 1954 erklärte ‚Algerien ist ein Teil Frankreichs‘ und die Repressionen gegen FLN-Kämpfer anführte, oder als ‚linker‘ Präsident, 1981 gewählt mit Unterstützung der PCF-Reformisten und der antisowjetischen ‚extremen Linken‘: Der Antikommunist Mitterand von vorne bis hinten die Macht und die Profite seiner Klasse – der Bourgeoisie.“

Es ist schon ein wenig ironisch, dass die PCF – die wirklich an der Résistance teilgenommen hat und deren Mitglieder das oft mit ihrem Leben bezahlt haben – den Mythos der antinazistischen französischen Bourgeoisie gefördert haben soll. Aber Klassenkollaboration – die die Fiktion einer „progressiven“ „antifaschistischen“ oder „antiimperialistischen“ Bourgeoisie erfordert – war der Eckpfeiler der Politik der PCF während des Weltkriegs ebenso wie in „Friedens“-Zeiten. Die stalinistisch geführte Résistance, die dem angloamerikanischen Imperialismus untergeordnet war, kämpfte für die Verteidigung „Frankreichs“ im Geiste eines virulenten antideutschen Chauvinismus und machte keinen Unterschied zwischen deutschen Arbeitern, die in die Wehrmacht eingezogen wurden, und rassistischen SS-Metzgern.

Im Gegensatz dazu widersetzten sich die Trotzkisten, trotz ihrer zahlenmäßigen und anderer Schwächen, dem Faschismus vom Standpunkt der Interessen der Arbeiter aller Länder und suchten aktiv den Kontakt zu den einfachen deutschen Soldaten und Matrosen, um sie für die Perspektive der sozialistischen Revolution in Frankreich und Deutschland zu gewinnen und die Sowjetunion zu verteidigen. Eine wichtige Rolle in der Arbeit der Vierten Internationale während des Zweiten Weltkrieges spielte der jüdische Trotzkist Abraham Léon – Autor des marxistischen Grundlagenwerkes Die jüdische Frage53. Er wurde 1944 im Alter von 26 Jahren in Auschwitz ermordet.

Das Ende des Zweiten Weltkrieges brachte eine vorrevolutionäre Situation in Italien und in einem geringeren Ausmaß in Frankreich und anderswo hervor. Die Bourgeoisie wurde verachtet und wegen ihrer Verbrechen gehasst. Es waren die Stalinisten, die diese neue Situation für die Bourgeoisie stabilisierten, indem sie ihre immense Autorität innerhalb des Proletariats, gegründet auf das sowjetische Proletariat, ausnutzten. Die italienische KP organisierte eine „Siegesfeier“, bei der sie den Partisanen die Waffen abnahm. Der PCF gelang es 1944, das Proletariat am Sturz der französischen Bourgeoisie zu hindern.54 Selbst Courtois gesteht in seinem 1980er Buch (in Kleinbuchstaben, als Fußnote) ein: „Diszipliniert gaben diese Kommunisten ihre Waffen ab, als die Partei, mit der Stimme von Maurice Thorez, sie dazu aufforderte.“ Mit PCF-„Kommunisten“ als Ministern verübte die französische Bourgeoisie am 8. Mai 1945 bei Sétif ein Massaker an Tausenden von Algeriern.

Und auch der sozialistische Premierminister Jospin weiß ganz genau, dass die PCF auf der Seite der bürgerlichen Ordnung und nicht für die Revolution stand; unter dem Beifall der PCF verteidigte Jospin, in Anlehnung an Robert Hue, die PCF im November 1997 im Parlament gegen das Schwarzbuch:

„Für mich ist die PCF innerhalb des linken Blocks, in der Volksfront, in den Kämpfen der Résistance, in der Beteiligung an der Regierung der Linken … Die PCF hat nie die Hand gegen die Freiheiten in Frankreich erhoben.“55

Der „Tod des Kommunismus“ und wissenschaftsfeindlicher Obskurantismus

Das Schwarzbuch steht fest auf dem reaktionären Boden der französischen „neuen Philosophen“, die nicht nur den Kommunismus, sondern auch seine Vorläufer in der bürgerlichen Aufklärung und der Französischen Revolution von 1789 unter Anklage stellten. Als wir über Vorläufer von Courtois wie François Furet schrieben, erläuterten wir:

„Nach der Revolution von 1848 wurde die europäische Bourgeoisie – vor allem die deutsche – konterrevolutionär…

Somit wurde das radikal-demokratische Erbe der Französischen Revolution in dieser Periode fast ausschließlich von der internationalen Arbeiterbewegung aufgegriffen…

Die antibolschewistische Hysterie erweckte [nach 1917] all die überkommene Feindseligkeit der europäischen Reaktion gegen die Französische Revolution zu neuem Leben, da diese als die Ursünde gesehen wird, die dieses schreckliche Ereignis hervorbrachte.“56

Courtois gibt der Verunglimpfung allen früheren fortschrittlichen gesellschaftlichen Gedankenguts durch die Reaktionäre eine neue Dimension, indem er Egalitarismus im Allgemeinen als den Ursprung der „Verbrechen des Kommunismus“ verurteilt, wobei er bei seinem Gezeter auch solche Typen wie Thomas Morus, den großen Hexenjäger im Dienste der katholischen Kirche, oder Plato, den leidenschaftlichen Verteidiger einer idealisierten Version einer Sklavenhaltergesellschaft, nicht ausspart. Offenbar ist jeder, der eine bestehende Gesellschaft zu ihrem Nachteil mit einer Vorstellung einer anderen gesellschaftlichen Ordnung verglich, oder der jemals ein Buch über „Utopia“ schrieb, in Courtois’ Augen ein gefährlicher Radikaler!

Im Fazit seines Buches eröffnet Stéphane Courtois einen groß angelegten Angriff gegen die marxistische Analyse der Geschichte:

„Die auf die Geschichte und die Gesellschaft angewandten szientistischen Prämissen – die ‚geschichtliche Berufung des Proletariats‘ usw. – beruhen eben auf einer millenaristisch-planetarischen Phantasmagorie und sind im Kommunismus allgegenwärtig. Durch diese Setzungen wird eine ‚kriminogene‘ Ideologie fixiert…“57

Der verallgemeinerte Angriff gegen die Anwendung der Wissenschaft auf die Geschichte und gegen die bloße Vorstellung von Fortschritt führt notwendigerweise zur Verherrlichung von religiösem Obskurantismus. Das Schwarzbuch wirft das Problem auf, die Kriterien zu finden, um „Gutes und Böses zu unterscheiden“,58 und zitiert als Lösung Papst Pius XI. von 1931, das Oberhaupt der katholischen Kirche, die später dem Nazi-Holocaust ihre stillschweigende Unterstützung gab.

Ursprünglich sollte François Furet die Einleitung zum Schwarzbuch schreiben. Er hatte gerade erst ein 809 Seiten langes Traktat mit dem Titel Das Ende der Illusion59 veröffentlicht, das aus nichts als ignoranten Ausschweifungen gegen den Kommunismus bestand, den er ständig mit dem Faschismus zu vergleichen suchte. Furet behauptete, ein Historiker zu sein, doch in diesem dicken Band hörte er nicht auf zu klagen, dass er nichts über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs verstehe, und sein einziger „Beitrag“ war, die wissenschaftliche (marxistische) Erklärung zurückzuweisen, dass der Krieg das unvermeidliche Ergebnis der wachsenden interimperialistischen Rivalitäten um die Neuaufteilung der Welt war. Furet schrieb:

„Je folgenreicher ein Ereignis, desto schwerer fällt seine Beurteilung hinsichtlich seiner Ursachen. Das trifft auch auf den Ersten Weltkrieg zu. Bislang konnte niemand nachweisen, daß die unter den Großmächten herrschenden wirtschaftlichen Rivalitäten zwangsläufig zu seinem Ausbruch führen mussten. … Anders als der Erste Weltkrieg ist der Zweite keine letzlich unwahrscheinliche oder zumindest unvorhersehbare Folge internationaler Rivalitäten, deren man mit Besonnenheit hätte Herr werden können.“60

Furet ist eine wohlbekannte Gestalt. Er war der Chefideologe in Mitterrands Frankreich für die Zweihundertjahrfeiern der Französischen Revolution von 1789. Schon damals warnten wir die Arbeiterbewegung vor dieser Person, die über das Abgleiten der Revolution von ihrem respektablen Kurs fluchte, mit der Hinrichtung von Louis XVI. und dem Jakobiner-Terror, der die konterrevolutionäre feudale Monarchie zerschlug. Furet sah in dieser großartigen revolutionären Episode die Quelle allen Übels und aller späteren Revolutionen. Und zurecht – sie war ein Beispiel eines Aufstandes der Unterdrückten und Ausgebeuteten für eine gerechte und gleiche Gesellschaft, die Rache der Besitzlosen an den Reichen. Furet ist das Symbol der Dekadenz des französischen Kapitalismus, der heute seine eigenen revolutionären Ursprünge heftig ablehnt.

In Das Ende der Illusion beglich Furet nicht nur seine Rechnungen mit dem Bolschewismus, sondern auch mit dem Jakobinismus. Ihm zufolge kann, solange der revolutionäre Terror der Jakobiner nicht verurteilt und aus dem kollektiven Bewusstsein ausradiert ist, eine Neigung zur Revolution fortbestehen, und insbesondere die französische Bourgeoisie wird nicht ruhig schlafen können. Und das ist auch die zentrale Vorstellung des Schwarzbuch: „Noch heute ist die Trauerarbeit um die Idee der Revolution, wie sie im 19. und 20. Jahrhundert gedacht wurde, längst nicht abgeschlossen.“61

Das Schwarzbuch: Eintrittskarte der Linken für den „Tod des Kommunismus“

Die italienischen Faschisten der Alleanza Nazionale haben für Stéphane Courtois eine Rom-Tour organisiert, um das Schwarzbuch bekannt zu machen, das im Verlag des rechten Politikers Berlusconi übersetzt wurde. Courtois lies sich auch selbstgefällig für das Magazin Enquête sur l’histoire interviewen („von Menschen geschaffen, die der extremen Rechten nahestehen“, wie sich Le Monde62 behutsam ausdrückte). Am 19. März fielen die Faschisten mit Flugblättern zur Unterstützung von Courtois’ Buch über den Campus von Nizza her.

Die ganze inszenierte Debatte über das Schwarzbuch hat gezeigt, wie sehr sich die französische Linke – natürlich angeführt von der PCF und denen, die der PCF nachlaufen – schon den „Tod des Kommunismus“ zu eigen gemacht hat. Viele Organisationen, die immer noch vage behaupten, Marxisten zu sein oder auf der Seite der Arbeiterklasse zu stehen, haben Artikel geschrieben, in denen sie die Veröffentlichung des Schwarzbuch beklagen. Wenn sie ein paar besonders groteske Einzelheiten in dem Buch anfechten, geschieht das tatsächlich, um desto besser Frieden mit seinen grundlegenden Thesen zu schließen. Insbesondere nach der von allen diesen Gruppen unterstützten Konterrevolution in der UdSSR bot das Schwarzbuch eine Gelegenheit, ihre verschiedenen „Theorien“ mit ihrer Rolle bei der antisowjetischen Kampagne der Imperialisten in den 1980ern in Einklang zu bringen, die in der Unterstützung von Jelzins Konterrevolution gipfelte.

Die pabloistische Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR)63 von Alain Krivine und Daniel Bensaïd ist die Organisation, die sich am meisten Mühe gemacht hat, auf das Schwarzbuch zu „antworten“. Was sie von sich geben, ist nur eine Spielart der Gedanken von Robert Hue. In seiner „Antwort“ erwähnt Bensaïd Trotzki lediglich nebenbei und nur, um ihn zu einem Sozialdemokraten zu machen, der nur damit beschäftigt war, die Werte der „Demokratie“ gegen Stalin zu verteidigen. Bensaïd zitiert die Charakterisierung von Hitler und Stalin als „Zwillingsgestirnen“,64 ohne zu erwähnen, dass Trotzki diese Bemerkung während einer heißen Auseinandersetzung innerhalb der US-amerikanischen Socialist Workers Party (SWP) über die bedingungslose militärische Verteidigung der UdSSR machte. In dieser Auseinandersetzung kämpften der SWP-Führer James P. Cannon und Trotzki gegen eine kleinbürgerliche Minderheit, die vor der Verteidigung der UdSSR zurückschreckte, womit sie am Vorabend des Zweiten Weltkriegs vor dem Druck des US-amerikanischen Imperialismus kapitulierte; der Kampf führte dazu, dass sich die Wege der beiden Seiten trennten.

In makellos sozialdemokratischer Manier beschwert sich Bensaïd über den von Stéphane Courtois benutzten Ton des „Kalten Kriegers“,65 den Bensaïd „anachronistisch“66 findet. (Für ihn ist die Erfahrung des Oktobers offenbar wirklich tot und begraben!) Den Fußstapfen Karl Kautskys folgend, stellt er dann die Frage, ob die Bolschewiki die Macht nicht hätten aufgeben und sich den Regeln der bürgerlichen „Demokratie“ beugen sollen:

„Man kann rückblickend über die Auflösung der Konstituierenden Versammlung durch die Bolschewiki diskutieren, über die jeweilige Repräsentativität dieser Versammlung und des Sowjetkongresses gegen Ende des Jahres 1917. Man kann über die Frage diskutieren, ob es nicht besser gewesen wäre, dauerhaft eine doppelte Form der Repräsentation zu erhalten (eine Art Verlängerung der Doppelherrschaft). Man kann sich auch fragen, ob man nicht unmittelbar nach dem Bürgerkrieg freie Wahlen hätte organisieren müssen, auch um den Preis, daß die militärisch geschlagenen Weißen im Rahmen der Verwüstungen und des internationalen Drucks dadurch die Oberhand hätten gewinnen können.“67

Mit anderen Worten hätten die Bolschewiki Bensaïd & Co. zufolge den ersten Arbeiterstaat der Welt „vielleicht“ einfach auflösen sollen, die Macht an die reaktionäre Bourgeoisie zurückgeben und die Arbeiter und Bauern wehrlos einer furchtbaren Rache aussetzen sollen, um der LCR die Peinlichkeit zu ersparen, in irgendeiner Weise mit der Verteidigung der bolschewistischen Macht in Verbindung gebracht zu werden.

Angesichts der Stärkung der stalinistischen Bürokratie und der Umwandlung Osteuropas in deformierte Arbeiterstaaten nach dem Zweiten Weltkrieg trug Michel Pablo – der politische Vater von Ernest Mandel, Alain Krivine, Daniel Bensaïd usw. – den ureigensten Zweck trotzkistischer Parteien zu Grabe. Sie sagten „Jahrhunderte deformierter Arbeiterstaaten“68 voraus, traten in die KPen ein und vertraten die Ansicht, die Stalinisten würden einen annähernd revolutionären Kurs verfolgen. Jetzt, inmitten des bürgerlichen Triumphgeschreis der postsowjetischen Periode sehen die Pabloisten, typisch impressionistisch, „tausende Jahre“ stabiler kapitalistischer Vorherrschaft. Sie wollen sogar die Wörter „kommunistisch“ und „revolutionär“ aus dem Namen ihrer französischen Organisation entfernen, um sich besser in Klassenzusammenarbeit aufzulösen und Jospin hinterherzulaufen.69 Krivine versuchte, auf die Wahlliste der „pluralistischen Linken“ von Jospin und Gayssot zu kommen, und Bensaïd ist zu einem der Lieblingsphilosophen von L‘Humanite geworden; er hielt sogar die Grundsatzrede zum 80. Jahrestag der Oktoberrevolution.

Unterdessen hatte Lutte Ouvrière (LO) am 7. November 1997 eine große Veranstaltung, wo LO-Sprecherin Arlette Laguiller das Schwarzbuch korrekt dafür kritisierte, zu versuchen „zu demonstrieren, dass das Scheitern der Sowjetunion das Scheitern des Kommunismus selbst war“. Davon abgesehen verteidigt LO nirgends den „Roten Terror“ gegen die weißen Konterrevolutionäre, und überlässt so Courtois das Feld bei seinem Angriff auf Lenin und Trotzki. Lutte Ouvrière erwähnt nicht den Kampf von Trotzki und der Linken Opposition gegen den stalinistischen Verrat der Oktoberrevolution. Doch vielleicht ist das nicht überraschend bei einer Organisation, die schon zu Trotzkis Lebzeiten die Vierte Internationale im Stich ließ, und die sich auch in den 1980ern im Kalten Krieg dem Chor gegen die UdSSR anschloss, wo sie so weit ging, Afghanistan als das Vietnam der Russen zu bezeichnen.

Die Gruppe Pouvoir Ouvrier (PO), die mit der britischen Gruppe Workers Power (WP)70 verbunden ist, veröffentlichte eine kurze redaktionelle Anmerkung zum Schwarzbuch,71 in der sie nicht einmal vorgeben, mit irgendetwas im Schwarzbuch nicht einverstanden zu sein. Was die groben Lügen von Courtois, Werth & Co. über die UdSSR nach 1920 angeht, hat PO nichts weiter zu sagen als dass es Trotzki war, der als erster Stalins Verbrechen verurteilte. PO will also, dass „Trotzkisten“ mit professionellen antikommunistischen Roten-Hassern um Anerkennung in Sachen Antisowjetismus wetteifern! POs Bemühungen erinnern an viele frühere Projekte sozialdemokratischer „Akademiker“ und anderer, die Trotzki in einen bürgerlichen Demokraten verwandeln wollten und seinen Kampf, Stalin und Stalins nationalistisches, antirevolutionäres Programm zu stürzen, als Gegnerschaft zur Sowjetmacht darstellten.

Dass PO so auf das Schwarzbuch anspringt, ist direkt auf die Ursprünge von WP/PO im sogenannten „Dritten Lager“ (d.h. Tony Cliffs Flügel der proimperialistischen Sozialdemokratie) zurückzuführen. WP/PO haben nebenher gerade ihre „theoretische“ Analyse der UdSSR umgekrempelt.72 Tatsächlich passt ihre neue Theorie besser zu WP/POs wirklich angewendetem antisowjetischem Programm während des ganzen „Kalten Kriegs“: Unterstützung für Solidarność 1981, für die litauischen Nationalisten 1991 und für die monarchistischen Yuppies auf Jelzins Barrikaden im August 1991, wobei sie sich mit ihrer Beteiligung an letzteren brüsten.

In einer Broschüre vom März 1996 behauptete PO: Der „Sturz des Stalinismus kann, trotz der bald darauf folgenden Siege für die reaktionären Kräfte, nur das gewaltige revolutionäre Potential der unterdrückten und ausgebeuteten Massen des ganzen Planeten befreien“. In ihrer redaktionellen Anmerkung zum Schwarzbuch fahren sie nun fort:

„Die Auswirkungen des konterrevolutionären Sieges der Bourgeoisie in Osteuropa verblassen heute im Bewusstsein, um an ihrer Stelle Desillusionierung und dann Revolte gegen die Unterdrückung und das Elend zurückzulassen, die überall grassieren. In den letzten paar Jahren hat die Arbeiterklasse wieder den Weg des Kampfes gefunden: die [Streik-]Bewegung von 1995, die ‚sans-papiers‘ [Arbeiter ohne Ausweispapiere], die Arbeitslosenbewegung – an solchen Beispielen von Kampfbereitschaft besteht kein Mangel.“

PO sind wirklich nicht die Einzigen auf der Linken, die das Schwarzbuch als ideologischen Gegenangriff der Bourgeoisie nach der jüngsten Welle von Kämpfen der Arbeiter und Unterdrückten darstellen wollen. Dabei ignorieren sie die Tatsache, dass diese bewunderswerten und unvermeidlichen Kämpfe gegenwärtig noch defensive Aktionen angesichts kapitalistischer Angriffe auf die Massen sind. Es ist wahr: die offensichtliche Sehnsucht der Herrschenden, noch mehr ideologische Nägel in den angeblichen Sarg des Kommunismus zu schlagen, deutet auf ihre ewige Furcht vor der roten Revolution hin. Es sind jedoch nicht „die Kämpfe selbst“, die das kommunistische Bewusstsein hervorbringen werden, das für die sozialistische Revolution notwendig ist, sondern das Eingreifen einer trotzkistischen Partei, die dieses Bewusstsein einbringt und das revolutionäre Programm im Proletariat verankert.

POs vordergründiger Optimismus bezüglich der post-sowjetischen Welt spiegelt tatsächlich wieder, dass sie sich „den linken Flügel des Möglichen“ zu eigen machen: die zentristischen Gruppen in Frankreich denken alle, wie ihre größeren reformistischen Vettern, dass die Wahl einer „linken“ Regierung irgendeine Art von Sieg für die Arbeiter ist. In Wirklichkeit hat die „Linke“ von Jospin-Gayssot im Amt in ein paar Monaten mehr geschafft, als [die vorige, rechte Regierung von] Juppé sich jemals erträumt hätte: während letzterer nach der Streikwelle vom Dezember 1995 einen Rückzieher machen musste und sich davon nie erholte, brach die neue Regierung des LKW-Fahrer-Streik von 1997 (dank dem Transportminister Gayssot von der PCF); sie zerschlug die Bewegung der Arbeitslosen, ohne irgendwelche Zugeständnisse machen zu müssen; und sie unterstützt die Kahlschlagsmaßnahmen des Maastricht-Vertrages der EU, um den französischen Kapitalismus gegenüber seinen imperialistischen Rivalen wettbewerbsfähiger zu machen. Und jetzt organisiert diese üble kapitalistische Regierung die Abschiebung von mehr als 100000 Arbeitern ohne Ausweispapiere. Zum x-ten Mal zeigt die Erfahrung, dass reformistische Politik kein Schritt hin zur Revolution ist, sondern ein Hindernis für die Mobilisierung der Arbeiterklasse.

Die Anarchisten ihrerseits luden zwei der Autoren des Schwarzbuch, Sylvaine Boulouque und Jean-Louis Panné, ein, um ihr antikommunistisches Gift auf Radio Libertaire zu versprühen. Die Anarchisten ließen die Beiden wissen, dass sie schon vor der Russischen Revolution die ersten Antikommunisten waren, und dass das Schwarzbuch nur ihre eigenen antikommunistischen Schmähungen bestätigte. Das ist nicht überraschend. Werth und Courtois haben im Bürgerkrieg genau die selben antibolschewistischen Helden (Aufständische in Kronstadt, Machno und seine dreckigen antisemitischen Banden) wie die Anarchisten. Panné und Boulouque nutzten auf Radio Libertaire die Gelegenheit zu erklären, dass die Rote Gefahr in China, Nordkorea und Kuba immer noch besteht; so wollen sie die Sache der Konterrevolution dort voranbringen.

Während einige frustrierte Jugendliche vom Anarchismus als Mittel der Rebellion gegen die erbärmliche reformistische Bilanz sogenannter „Sozialisten“ angezogen sein mögen, sind die heutigen anarchistischen Ideologen die Erben einer sehr speziellen Sorte: als es in der Tat um Revolution gegen Konterrevolution ging, gingen Unterstützer der Anarchisten wie Victor Serge in Massen zur Seite der Bolschewiki über. Dieses Vorbild zurückweisend, orientieren sich Strömungen wie Radio Libertaire oder die anarchosyndikalistische CNT an jenen russischen Anarchisten, die Hand in Hand mit den finstersten Kräften an antibolschewistischer Gewalt festhielten.73

Baut eine leninistische Partei auf!

Auf dem Weg ins 21. Jahrhundert sind die imperialistische herrschende Klasse und ihre Apologeten darauf erpicht, die abscheulichsten antikommunistischen Lügen zu verbreiten, in der Hoffnung, damit endlich dem Gespenst neuer Oktoberrevolutionen ein Ende zu machen. Sie festigen ihre Verbindungen zu reaktionären und verdummenden Kräften wie der katholischen Kirche, machen sich an einen umfassenden Angriff auf die Wissenschaft und missionieren für die Religion. All dies dient dazu, die Bevölkerung unter Kontrolle zu halten und unterstützt die gegenwärtigen Angriffe auf die begrenzten sozialen Errungenschaften, die Arbeiter und Minderheiten nach dem Zweiten Weltkrieg gewonnen hatten.

Die reformistischen Parteien der Arbeiterklasse beteiligen sich, vor allem wenn sie aufgerufen werden, auf Regierungsposten die Geschäfte der Bourgeoisie zu verwalten, unmittelbar an den reaktionären Kampagnen der Bourgeoisie. Diese Parteien verewigen das Bestehen des Kapitalismus in einem Umfeld, wo die imperialistischen Mächte einander bekämpfen, um die Welt neu in Einflusssphären aufzuteilen, was nur zur nuklearen Zerstörung der Gesellschaft führen kann. In Vorbereitung auf Letzteres unterstützen sie und ihre „extrem linken“ Anhängsel die Gelüste und Abenteuer ihres eigenen Imperialismus, zum Beispiel in dem sie den „humanitären“ Anstrich für Frankreichs Raubzüge auf dem Balkan oder Ruanda bewerben. Gleichzeitig fängt eine neue Generation von Jugendlichen, die nicht mit dem Erbe des Stalinismus belastet waren, an, den Schrecken und die rassistische Ungerechtigkeit des imperialistischen Kapitalismus zu bekämpfen. Um für eine anständige Zukunft zu kämpfen, müssen sie sich die Lehren der Vergangenheit aneignen, und insbesondere von dem größten Sieg lernen, der jemals im Interesse der Arbeiterklasse und des menschlichen Fortschritts errungen wurde: der bolschewistischen Revolution. Die entscheidende Lehre ist die Notwendigkeit, leninistisch-trotzkistische Avantgardepartei, Sektionen einer wiedergeschmiedeten Vierten Internationale, aufzubauen. Dafür kämpft die Internationale Kommunistische Liga.


  1. https://programm.ard.de/TV/arte/gulag/eid_287242588182659.

  2. Siehe dazu auch den Artikel der IKL zum 30. Jahrestag dieser Ereignisse: „DDR 1989/90: Trotzkisten kämpften für rotes Rätedeutschland und gegen Konterrevolution“ in Spartakist Nr. 223, Herbst 2019.

  3. Zuerst erschienen in Spartacist, fr. Ausg. Nr. 32, Frühjahr 1998. [Übersetzt aus Workers Vanguard Nr. 692, 5. Juni 1998 – E&P.]

  4. Dt. Ausg.: 987 Seiten.

  5. Schwarzbuch, S. 27.

  6. Siehe „Leonard Schapiro, Lawyer for Counterrevolution“, Spartacist, engl. Ausg. Nr. 43–44, Sommer 1989.

  7. Siehe „Robin Blick: Menshevik Dementia“, Spartacist, engl. Ausg. Nr. 49–50, Winter 1993–94.

  8. L’Humanité, 5. Dezember 1997.

  9. Gilles Perrault in Le Monde Diplomatique, Dezember 1997.

  10. Schwarzbuch, S. 38.

  11. a.a.O., S. 27

  12. a.a.O., S. 28

  13. a.a.O., S. 30

  14. Hitler, Mein Kampf, kritische Edition, Institut für Zeitgeschichte, München – Berlin, 2016, Bd. I, S. 853.

  15. a.a.O., Bd. II, S. 1673.

  16. Schwarzbuch, S. 27

  17. a.a.O., S. 783f.

  18. a.a.O., S. 66.

  19. a.a.O., S. 79.

  20. 14. November 1997

  21. Schwarzbuch, S. 21.

  22. a.a.O., S. 22.

  23. a.a.O., S. 34.

  24. a.a.O., S. 34.

  25. Vgl. a.a.O., S. 16ff.

  26. Ausgabe vom Westeuropäischen Sekretariat der Kommunistischen Internationale, Verlagsbuchhandlung Carl Hoym, 1920, S. 42f. Auch in dem Sammelband Denkzettel, hrsg. von Isaac Deutscher, George Novack und Helmut Dahmer, Suhrkamp Verlag, 1981, S. 135.

  27. Siehe „Wann war der sowjetische Thermidor?“, Spartacist, dt. Ausg. Nr. 14, Winter 1989/90.

  28. Zitiert nach: Trotzki, Ihre Moral und unsere, Ausgabe im Manifest Verlag, 2017, S. 16f. Online: https://www.marxists.org/deutsch/archiv/trotzki/1938/moral/moral.htm.

  29. [Ende 1944 von Wassili Grossman und Ilja Ehrenburg erstellte, 1994 unter dem Titel Das Schwarzbuch - Der Genozid an den sowjetischen Juden im Rowohlt Verlag auf Deutsch erschienene Dokumentation der Judenvernichtung durch die deutschen Faschisten – E&P.]

  30. Die PCF im Krieg,

  31. CRM.

  32. De Rode October, Februar 1943. Siehe Prometheus Research Series Nr. 2, Februar 1989, und den Artikel „Generals without troops – Dutch Trotskyism during the Occupation“ von Wim Bot in Revolutionary History, Winter 1988/89, (bzw. auf Französisch: „Généraux sans troupes, les trotskystes néerlandais sous l’occupation“, in Cahiers Léon Trotsky Nr. 43, September 1990). [Nicht diese, aber 26 andere der 44 Ausgaben von De Rode October sind online unter https://www.delpher.nl/nl/kranten/results?page=3&cql%5B%5D=ppn%3D832136948&coll=dddtitel zugreifbar – E&P.]

  33. Schwarzbuch, S. 110.

  34. a.a.O., S. 111.

  35. a.a.O., S. 111.

  36. a.a.O., S. 250.

  37. a.a.O., S. 256.

  38. [„Wieder und noch einmal über den Charakter der UdSSR“, in der Ausgabe im Arbeiterpresse Verlag, 2006, S. 31 – E&P.]

  39. [Vgl. Spartacist, dt. Ausg. Nr. 7/8, Sommer 1980, S. 3 – E&P.]

  40. [Z.B. die die Vorläufer der in der Linkspartei vergrabenen marx21-Strömung – siehe „Afghanistan: Frauen unter der imperialistischen Besatzung“, Spartakist Nr. 193, Mai 2012 – E&P.]

  41. [Siehe Spartacist, dt. Ausg. Nr. 10, Winter 1981/82, S. 6 – E&P.]

  42. Sozialistische Einheitspartei Deutschlands.

  43. [Korrektur dazu siehe „IV. Internationale IKL-Konferenz im Herbst 2003 – Der Kampf für revolutionäre Kontinuität in der nachsowjetischen Welt“, in Spartacist, dt. Ausg. Nr. 24, Sommer 2004 – E&P.]

  44. [Siehe Spartacist, dt. Ausg. Nr. 16, Herbst 1994, S. 4 – E&P.]

  45. Korrektur dazu siehe Fußnote 108 zu „Die globalisierte Wirtschaft und der Reformismus in der Arbeiterbewegung“ – E&P.

  46. Auf Französisch: Union de la gauche.

  47. Kommunismus im französischen Spiegel.

  48. Die PCF im Krieg.

  49. Ausgabe im Arbeiterpresse Verlag, 1993, S. 85–87.

  50. 20. November 1997.

  51. Zitiert nach: Trotzki, Spanien: Revolution und Konterrevolution – Gesammelte Schriften 1930 bis 1940, hrsg. von der SAV, 2016, S. 426. Online: https://www.sozialismus.info/2011/07/14288/

  52. Touvier: Ein Prozess, um die Verbrechen von Vichy abzutun. Le Bolchévik Nr. 128, Mai-Juni 1994.

  53. Dt. Ausg. u.a. im Arbeiterpresse Verlag, 1995.

  54. Siehe unseren Artikel „Les fruits amers de la cohabitation de 1944-4“ [Die bitteren Früchte des Zusammenlebens von 1944 bis 47], Le Bolchévik Nr. 61, März 1986.

  55. L’Humanité, 13. November 1997.

  56. „In Defense of the French Revolution“, WV Nr. 486, 29. September 1989.

  57. Schwarzbuch, S. 821.

  58. a.a.O., S. 41.

  59. Dt. Ausg. bei Piper, 1996, 723 Seiten.

  60. a.a.O., S. 53f.

  61. Schwarzbuch, S. 33f.

  62. 31. März 1998.

  63. [Heute NPA – E&P.]

  64. [Siehe z.B. Trotzki, „Das Zwillingsgestirn Hitler-Stalin“, 4. Dezember 1939, in Schriften, Bd. 1.2, S. 1309, zitiert auf S. 3 in der Beilage zur Sozialistischen Zeitung (SoZ), Nr. 13, 25. Juni 1998, online unter http://danielbensaid.org/Das-Schwarzbuch-des-Kommunismus – E&P.]

  65. a.a.O., S. 2

  66. In der gekürzten deutschen Übersetzung des Artikels in dem Sammelband „Roter Holocaust“?, hrsg. von Jens Mecklenburg und Wolfgang Wippermann, Konkret Literatur Verlag, 1998, auf S. 52.

  67. Beilage zur SoZ Nr. 13, 25. Juni 1998, S. 9.

  68. [Siehe Spartacist, dt. Ausg. Nr. 3, März 1975, S. 13 – E&P.]

  69. [Diese Perspektive wurde mit der Umwandlung in die Nouveau Parti anticapitaliste (Neue Antikapitalistische Partei, NPA) 2009 inzwischen weitergeführt – E&P.]

  70. [In Deutschland Gruppe ArbeiterInnenmacht (GAM). Die britische Gruppe hat sich 2015 in die Labour-Partei aufgelöst, wo sie als Plattform die Zeitschrift Red Flag herausgibt – E&P.]

  71. Pouvoir Ouvrier, März 1998.

  72. Siehe „III. Internationale Konferenz der IKL“72 sowie „‚Death of Communism‘ Centrists“, WV Nr. 691, 22. Mai 1998.

  73. Siehe unsere Reihe „Marxism vs. Anarchism“ in WV Nr. 640–643, 646, 649–650, insbesondere Teil 7, „Red October and the Founding of the Communist International“, WV Nr. 650, 30. August 1996. [Auf Deutsch in der Spartakist-Broschüre Marxismus kontra Anarchismus – E&P.]

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