Ergebnisse & Perspektiven des Marxismus

Revolutionäre und der Zweite Weltkrieg: Britischer und US-Imperialismus und der Mythos vom „demokratischen“ Krieg gegen den Faschismus

9. Mai 2023 – 78 Jahre nach der Zerschlagung des imperialistischen deutschen Nazi-Regimes schickt der – nun „demokratische“ – deutsche Imperialismus wieder seine Panzer und andere Waffen nach Osten, um die Ukraine im Kampf gegen Russland zu unterstützen und so die Ostflanke von NATO und EU zu „sichern“ und zu erweitern. Dieser Krieg ist auf beiden Seiten reaktionär: Im Interesse der Arbeiterklasse und aller Unterdrückten liegt nur, den Krieg zum Klassenkrieg gegen die Kapitalisten in allen beteiligten Ländern umzuwandeln.1

Der folgende Artikel ist übersetzt aus Workers Hammer,2 Zeitung der Spartacist League/Britain. Es handelt sich um die bearbeitete Fassung eines Vortrags, der 2005 auf einer Veranstaltung der Spartacus Youth Group in London gehalten wurde.

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Dieses Jahr jährte sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum sechzigsten Mal. Ich bin sicher, dass alle hier, die George Bushs3 und Tony Blairs4 Phrasen über den Kampf für Freiheit und Demokratie bei den Gedenkfeiern zum „VE-Day“5 verfolgt haben, von der Heuchelei dieser imperialistischen Schlächter des Irak angewidert waren. Die Vorstellung, der Zweite Weltkrieg sei für die britischen und US-amerikanischen Imperialisten ein Kreuzzug der Demokratie gegen den Faschismus gewesen, wird von ihnen auch heute noch benutzt, um ihre imperialistischen Kriege im Ausland und ihren Krieg gegen die Freiheitsrechte im Inland als fortschrittliche Kämpfe gegen die Tyrannei darzustellen. Nach den Bombenanschlägen vom 7. Juli [2005] in London wurde der „Geist des Blitz“6 von Politikern und den bürgerlichen Medien beschworen, um die Einheit aller Londoner gegen den „Terrorismus“ – angeblich die heutige tyrannische Bedrohung der Demokratie – zu erklären. Der Zweck war, die Bevölkerung unter der Flagge der nationalen Einheit zu versammeln, damit sie die rassistischen und immer drakonischer werdenden „Anti-Terror“-Gesetze akzeptieren würde. Doch die nationale Einheit ist eine Lüge. Die kapitalistische Gesellschaft basiert auf der Ausbeutung der Arbeiterklasse durch die herrschende Bourgeoisie, die das Gift des Rassismus und anderer Engstirnigkeit schürt, um die Arbeiterklasse zu spalten und die kapitalistische Herrschaft aufrechtzuerhalten. Die von allen möglichen liberalen und reformistischen Ideologen vertretene Vorstellung, der Zweite Weltkrieg sei ein „Volkskrieg“ der „demokratischen“ kapitalistischen Mächte gewesen, in dem alle Klassen gemeinsam gegen den Faschismus standen, ist ebenfalls eine groteske Lüge.

Das Nazi-Regime war in seiner Barbarei beispiellos. Es vernichtete systematisch sechs Millionen Juden, Millionen von Slawen und Angehörigen anderer Völker, erstickte alle Organisationen der Arbeiterklasse und verwandelte Europa in eine wahre Hölle. Doch das machte die alliierten imperialistischen „Demokratien“ nicht zu antifaschistischen Freiheitskämpfern. Um den Zweiten Weltkrieg oder überhaupt die Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts zu verstehen, muss man die Bedeutung der Russischen Revolution begreifen. In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg wurde das politische Bewusstsein aller Klassen in Europa durch den Sieg der ersten Arbeiterrevolution der Welt in Russland im Jahr 1917 beherrscht. Für diejenigen, die aus dem Status quo einen materiellen Vorteil zogen, für diejenigen, die eine ideologische oder religiöse Verbindung zur bürgerlichen Ordnung hatten, führte die Angst vor dem Kommunismus zwangsläufig zu pro-faschistischen Sympathien. In dieser Zeit der wirtschaftlichen und sozialen Krise in Europa, in der die Fassade der parlamentarischen Demokratie die kämpferische organisierte Arbeiterklasse nicht mehr täuschen und eindämmen konnte, wandte die Bourgeoisie sich verzweifelt der faschistischen Reaktion zu, um die Arbeiterorganisationen und die Bedrohung durch sozialistische Revolutionen zu zerschlagen. Das imperialistische Schwein Winston Churchill, der heute noch als „Antifaschist“ gefeiert wird, schwärmte 1927 von Mussolinis Faschisten mit der Erklärung: „In Zukunft wird es keine große Nation mehr geben, die nicht über ein ultimatives Mittel zum Schutz gegen das Krebsgeschwür des Bolschewismus verfügt.“7

In Deutschland setzten sich die Nazis an die Spitze der europäischen Reaktion. Die russische Revolution hatte es nicht geschafft, auf das übrige Europa überzugreifen, und die Menschheit musste dafür mit dem Nazi-Terror und dem Holocaust bezahlen. Das deutsche Proletariat hatte in der Zeit von 1919–23 aufgrund der Unreife der kommunistischen Führung in Deutschland die Niederlage einer Reihe von aufständischen und halbaufständischen Bewegungen erlitten. Die deutsche Bourgeoisie war entschlossen, die organisierte Arbeiterklasse ein für alle Mal zu zerschlagen. Zu diesem Zweck wandte sie sich an die Nazipartei, die sich in ihrem Kreuzzug gegen den Kommunismus auch aus dem traditionellen Antisemitismus der deutschen herrschenden Klasse speiste und das gesamte jüdische Volk als rassisch verkommene „Judenbolschewiken“ angriff.

Erst als der deutsche Imperialismus, der unter Hitler militärisch aufgerüstet wurde, wieder als imperialistischer Konkurrent auftrat, mit dem man rechnen musste, begannen die „Demokratien“, den Nazis feindlich gegenüberzustehen. Für alle beteiligten kapitalistischen Länder unterschied sich der Zweite Weltkrieg in seinem Charakter nicht vom Ersten Weltkrieg. Er war ein interimperialistischer Kampf um die Neuaufteilung der Beute der kapitalistischen Profite. Die imperialistischen Staaten sowohl der mit den Nazis verbündeten Achsenmächte als auch der alliierten „Demokratien“ kämpften alle darum, ihr „Recht“ auf Unterdrückung und Ausbeutung der Massen der Welt zu verteidigen. Wie Leo Trotzki feststellte: „Die imperialistischen Demokratien sind in Wahrheit die größten Aristokratien der Geschichte. England, Frankreich, Holland, Belgien sind auf der Knechtschaft der Kolonialvölker aufgebaut.“8

Für Britannien als älteste imperialistische Macht ging es im Zweiten Weltkrieg vor allem um die Verteidigung eines Reiches, dessen Vorherrschaft bereits von anderen imperialistischen Mächten angegriffen und ausgehöhlt worden war. Der wichtigste Besitz des blutigen britischen Empire war seine besonders unterdrückte indische Kolonie. Trotzki bemerkte zu den heuchlerischen Behauptungen der britischen herrschenden Klasse, die Demokratie zu verteidigen:

„Wenn die britische Regierung wirklich an der Entfaltung der Demokratie interessiert wäre, dann gäbe es eine sehr einfache Möglichkeit, dies zu demonstrieren. Die Regierung sollte Indien völlige Freiheit gewähren. Das Recht auf nationale Unabhängigkeit ist eines der elementaren demokratischen Rechte. Aber in Wirklichkeit ist die Londoner Regierung bereit, alle Demokratien der Welt für ein Zehntel ihrer Kolonien herzugeben.“9

Was die Vereinigten Staaten betrifft, so wurde deren Gesellschaft auf der Versklavung der Schwarzen gegründet, und das rassistische Erbe der Unterdrückung der Schwarzen war und ist immer noch ein wesentliches Merkmal des US-amerikanischen Kapitalismus. Die Interessen der USA im Krieg hatten nichts mit der Verteidigung der „Demokratie“ zu tun, sondern mit der Verteidigung und dem Ausbau ihrer imperialistischen Einflusssphäre in der Welt, insbesondere im Pazifik. Von den alliierten Brandbombenangriffen auf die Zivilbevölkerung von Dresden und Tokio über den atomaren Massenmord in Hiroshima und Nagasaki 1945 bis hin zur gezielten Aushungerungspolitik des britischen Imperialismus in seinen Kolonialgebieten wie Bengalen war der anglo-amerikanische Krieg ein imperialistisches Verbrechen gegen die Menschheit.

Für die Niederlage des Imperialismus und die Verteidigung der UdSSR

Trotzkisten hielten das leninistische Programm des revolutionären Defätismus für alle am zweiten interimperialistischen Weltkrieg beteiligten kapitalistischen Staaten aufrecht. Revolutionärer Defätismus ist die Position, die Leninisten in einem Krieg zwischen rivalisierenden imperialistischen Blöcken einnehmen – in dem die Arbeiterklasse keine Seite hat. Er bedeutet Feindschaft gegenüber allen Seiten in einem militärischen Konflikt, wobei Kommunisten für einen revolutionären Aufstand des Proletariats auf allen Seiten arbeiten. In einem Krieg zwischen einem kolonialen oder halbkolonialen Land und einer imperialistischen Macht haben Revolutionäre jedoch eine Seite. Diese Politik ist als revolutionärer Defensismus bekannt – die Position, die wir von der Internationalen Kommunistischen Liga bei dem Krieg gegen den halbkolonialen Irak 2003 eingenommen haben, ohne Saddam Hussein politisch zu unterstützen. Es galt, sich auf eine gerechte Seite zu stellen, nämlich die Verteidigung des Irak gegen den Angriff des US- und des britischen Imperialismus. Wir kämpften für Klassenkampf im Herzen der imperialistischen Bestien und für die Verhinderung von Militärtransporten, um den Irak gegen das imperialistische Gemetzel zu verteidigen.

In einem interimperialistischen Krieg eröffnet die Niederlage einer imperialistischen Macht – mit einer geschwächten, demoralisierten und völlig diskreditierten herrschenden Klasse – revolutionäre Möglichkeiten. Es ist diese Situation, die das Programm des revolutionären Defätismus anstrebt. Der revolutionäre Defätismus lässt sich am besten mit einer Parole des deutschen revolutionären Marxisten Karl Liebknecht im Ersten Weltkrieg zusammenfassen: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“10 Das Ziel war, dass die Arbeiter ihren Widerstand gegen ihre „eigene“ kapitalistische herrschende Klasse richten sollten, um den imperialistischen Krieg zwischen den Nationen in einen Bürgerkrieg für die sozialistische Revolution zu verwandeln. Diese Position wurde von Lenin im Ersten Weltkrieg gegen den Verrat der reformistischen Führung der so genannten „sozialistischen“ Parteien der Zweiten Internationale entwickelt, die in dem Konflikt ihre „eigenen“ nationalen Bourgeoisien unterstützten. Diese Vertreter der Kapitalistenklasse in der Arbeiterbewegung führten die Arbeiter in das interimperialistische Gemetzel, gegen ihre eigenen Klassenbrüder, für die Profite ihrer Ausbeuter. Der Begriff, den Leninisten verwenden, um die Unterstützung von Mitgliedern der Arbeiterbewegung für ihre eigene imperialistische herrschende Klasse zu beschreiben, ist „Sozialchauvinismus“. Wie Lenin inmitten des Ersten Weltkriegs schrieb: „Die revolutionäre Klasse kann in einem reaktionären Krieg nicht anders als die Niederlage der eigenen Regierung wünschen…“11

Es war der Verrat grundlegender sozialistischer Prinzipien durch die sozialchauvinistischen reformistischen Führer, der die entscheidende Spaltung der Arbeiterbewegung zwischen den Reformisten, die ihre Loyalität gegenüber ihrer nationalen Bourgeoisie bewiesen hatten, und den revolutionären Internationalisten, die immer noch die Interessen der Arbeiterklasse, des Sozialismus und damit der Menschheit vertraten, erforderlich machte. Die Bolschewiki unter Lenin brachen mit der Zweiten Internationale auf der Grundlage des Programms des revolutionären Defätismus gegenüber allen kriegführenden kapitalistischen Mächten. Es war diese Spaltung, die es der bolschewistischen Partei ermöglichte, die Arbeiterklasse, unterstützt von der Bauernschaft, 1917 in einer sozialistischen Revolution gegen die russische Aristokratie, die Großgrundbesitzer und die Kapitalisten anzuführen. Die Revolution holte Russland aus dem interimperialistischen Konflikt heraus.

Die Existenz und Beteiligung des aus dieser Revolution hervorgegangenen Staates – der Sowjetunion – machte einen wichtigen Unterschied in der Strategie der Revolutionäre im Zweiten Weltkrieg aus. Während die Marxisten für die Niederlage aller kapitalistischen Staaten waren, traten sie für die bedingungslose militärische Verteidigung der Sowjetunion ein. Der Grund dafür war, dass die UdSSR ein Arbeiterstaat war, der die kapitalistische und grundherrliche Ausbeutung sowie die zaristische Tyrannei gestürzt hatte. Er basierte auf einer kollektivierten Planwirtschaft, in der die Produktion nicht durch das kapitalistische Profitstreben bestimmt wurde. Die revolutionären wirtschaftlichen und sozialen Errungenschaften, die zu Vollbeschäftigung, kostenloser allgemeiner Gesundheitsversorgung, Bildung und erschwinglichem Wohnraum führten, blieben trotz der stalinistischen Degeneration erhalten. Die revolutionäre Führung unter Lenin und Trotzki kämpfte für eine sozialistische Weltrevolution, aber die konservative Bürokratie unter Stalin gab dieses Programm auf, als sie 1924 die politische Macht von der Arbeiterklasse an sich riss.

Die Herrschaft der stalinistischen Bürokratie entstand vor dem Hintergrund des Scheiterns der deutschen Revolution im Jahr 1923, das eine Welle der Desillusionierung unter den Menschen in der Sowjetunion und einen konservativen Zynismus hinsichtlich der Aussichten für die internationale Ausbreitung der Revolution hervorrief. Die Mehrheit der revolutionären bolschewistischen Arbeiter, die die russische Revolution angeführt hatten, war entweder im Bürgerkrieg gefallen oder in die Bürokratie eingegliedert worden. Lenin war während Stalins Machtergreifung durch einen Schlaganfall außer Gefecht gesetzt worden und starb im Januar 1924. In dem Bestreben, ihre privilegierte Stellung gegenüber den Arbeitenden aufrechtzuerhalten, hatte die stalinistische Bürokratie die Weltrevolution zugunsten einer friedlichen Koexistenz mit dem Weltimperialismus unter dem utopisch-reaktionären Dogma des „Sozialismus in einem Land“ aufgegeben. Um diese politische Konterrevolution zu konsolidieren, verbannte, exekutierte oder inhaftierte die stalinistische Bürokratie die besten verbliebenen proletarisch-revolutionären Elemente, die von Leo Trotzkis Linker Opposition angeführt wurden.

Die UdSSR hat Europa vom Nationalsozialismus befreit – trotz Stalin

Die stalinistische falsche Führung gefährdete die Sowjetunion während des Zweiten Weltkriegs ernsthaft. Sowjetrussland war Hitlers Hauptziel, und den Nazis gelang es dank der Sabotage seitens der stalinistischen Bürokratie fast, es zu vernichten. Stalins Regime war in den 1930er Jahren durch blutige Säuberungen gefestigt worden, bei denen viele der besten Offiziere der Roten Armee ermordet wurden, darunter Marschall Tuchatschewski, einer der brillantesten Generäle im Bürgerkrieg von 1918–21.12 Stalin vertraute den papiernen Versprechungen seines Paktes mit Hitler von 1939. Er ignorierte alle Warnungen sowjetischer Spione vor der bevorstehenden Nazi-Invasion und befahl den sowjetischen Streitkräften selbst dann, als die Invasion offensichtlich unmittelbar bevorstand, sich nicht aktiv auf die Verteidigung vorzubereiten. Aber es war die Sowjetunion, die es trotz Stalin mit dem größten Teil der Kriegsmaschinerie der Nazis aufnahm, sie zerschlug und Europa von der faschistischen Versklavung befreite.

Bis zum letzten Jahr des Krieges in Europa waren fast 95 Prozent aller deutschen Truppen gegen die sowjetischen Streitkräfte im Einsatz. Als die alliierten Imperialisten den D-Day starteten, waren die Grundfesten der deutschen Armee bereits zerstört, insbesondere in den entscheidenden Schlachten von Stalingrad und Kursk im Jahr 1943. Ein wirklich bemerkenswertes Beispiel für das Durchhaltevermögen und den Heroismus der sowjetischen Bevölkerung war die 900-tägige Belagerung von Leningrad, wo die Einwohner der Stadt in einem Kampf auf Leben und Tod mobilisiert wurden, um die Stadt gegen die Nazis zu verteidigen. Über 800000 Bewohner starben. Als beispielsweise eine riesige Rüstungsfabrik von der deutschen Artillerie angegriffen wurde, bildeten die Arbeiter ein Bataillon und zogen an die Front.

In der Tat war die „zweite Front“ des D-Day nicht dadurch motiviert, Hitler zu vernichten, sondern den europäischen Kapitalismus vor der Sowjetunion zu retten. Die Politik der imperialistischen „Demokratien“ bestand darin, die UdSSR, den eigentlichen Erzfeind der Imperialisten, im Alleingang gegen den deutschen Imperialismus antreten zu lassen, damit sie sich gegenseitig vernichten würden. Erst als klar war, dass die Sowjets den Krieg gewinnen würden, starteten die westlichen Alliierten den D-Day, aus Angst, Europa könnte der sowjetischen Vorherrschaft zum Opfer fallen. Rund 28 Millionen Sowjetbürger opferten ihr Leben, um den ersten Arbeiterstaat der Welt zu verteidigen und Europa vom Nazismus zu befreien. Dass die UdSSR über die Mittel und den Willen verfügte, die mächtige und barbarische Kriegsmaschinerie der Nazis zu besiegen, war ein Beweis für die Überlegenheit der kollektivierten Planwirtschaft und für die Tatsache, dass die sowjetischen Werktätigen wussten, dass sie revolutionäre Errungenschaften zu verteidigen hatten.

Die Trotzkisten der Vierten Internationale waren die einzige Kraft im Zweiten Weltkrieg, die die revolutionäre leninistische Perspektive einer Niederlage aller imperialistischen Mächte und der Verteidigung des sowjetischen Arbeiterstaates vertrat. Die Politik der stalinisierten Kommunistischen Parteien auf internationaler Ebene wurde von Stalins diplomatischen Manövern mit den imperialistischen Mächten bestimmt, die die Interessen der internationalen Arbeiterklasse unter den Tisch fallen ließen. In den ersten Kriegsmonaten, als Stalin mit Hitler paktierte, erklärten die stalinistischen Parteien den Krieg zu einem interimperialistischen Krieg. Aber selbst dann war ihre Strategie nicht der leninistische revolutionäre Defätismus. Anstatt für einen Bürgerkrieg gegen die Bourgeoisie zu kämpfen, forderten die Stalinisten einen imperialistischen Frieden. Tatsächlich tendierte ihre „neutrale“ Haltung in Richtung Nazi-Deutschland, wobei die Kommunistischen Parteien die „Friedensinitiativen“ Hitlers indirekt unterstützten.

Aber nachdem die UdSSR von den Nazis überfallen wurde, wandelten die Stalinisten das Wesen der imperialistischen „Demokratien“ von Ausbeutern und Unterdrückern der Welt zu Liebhabern von „Freiheit“ und „Demokratie“. Die Stalinisten waren nun für die Verteidigung der britischen und US-amerikanischen imperialistischen Vaterländer und unterstützten die Kriegsanstrengungen. Sich im Krieg auf die Seite der „eigenen“ herrschenden Klasse zu stellen, bedeutete für die Kommunistischen Parteien der alliierten Länder Klassenkollaboration. Die US-amerikanische Kommunistische Partei unterstützte die rassistische Internierung von US-Bürgern japanischer Herkunft und schloss diese aus ihren eigenen Reihen aus. Die britische Kommunistische Partei lehnte die Unabhängigkeit Indiens für die Dauer des Krieges ab.

Die trotzkistischen Kräfte waren zwar klein, aber ihr Einsatz war bedeutend und heldenhaft. Britische und US-amerikanische Trotzkisten wurden wegen ihrer antiimperialistischen Propaganda und ihrer Unterstützung für die Kämpfe der Arbeiterklasse während des Krieges verfolgt und inhaftiert. In Großbritannien nutzten gierige Bosse den Krieg als Vorwand, um die Löhne zu drücken, insbesondere in den Kohlebergwerken. Die Bergarbeiter reagierten mit Streiks, für die sich die britischen Trotzkisten stark machten, indem sie zur Bildung von Streikkomitees und zur uneingeschränkten Unterstützung der Bergarbeiter aufriefen und die Verstaatlichung der Bergwerke ohne Entschädigung der Kohlebesitzer und unter Arbeiterkontrolle forderten. Dies stand im krassen Gegensatz zu den britischen Stalinisten, die als Streikbrecher auftraten. Sie bestanden darauf, dass die Bergarbeiter wieder an die Arbeit gehen sollten, da sie den britischen Kriegsanstrengungen auf kriminelle Weise schadeten, und schlossen sich der Hexenjagd der kapitalistischen Regierung gegen die Trotzkisten an, wobei sie die Trotzkisten am eifrigsten als Nazi-Agenten verleumdeten.

Während sie für den Klassenkampf gegen den imperialistischen Krieg kämpften, setzten sich britische und US-amerikanische Trotzkisten aktiv für die Verteidigung der Sowjetunion ein. Mitglieder der damals trotzkistischen US-amerikanischen Socialist Workers Party (SWP) – die in keiner Weise mit der britischen Socialist Workers Party verwandt ist – meldeten sich freiwillig als Handelsmatrosen für die lebensgefährliche Murmansk-Nachschubfahrt nach Russland und riskierten ihr Leben in U-Boot-verseuchten Gewässern, um ihre internationalistische proletarische Pflicht zu erfüllen und der UdSSR zu helfen. Auf diesen Versorgungsfahrten verbreiteten Trotzkisten auch revolutionäre internationalistische Propaganda, um zum Sturz der stalinistischen Bürokratie aufzurufen, die die Verteidigung des sowjetischen Arbeiterstaates untergrub. Die Hunderttausende von Revolutionären in Stalins Gefangenenlagern – unter ihnen viele einzelne Trotzkisten, die die Hinrichtungen von 1937/38 überlebt hatten – baten darum, an die Front geschickt zu werden, um bis zum Tod gegen den Faschismus zu kämpfen. Als Stalin ihnen dies verweigerte, taten sie für die sowjetischen Kriegsanstrengungen, was sie konnten, indem sie der Verlängerung ihres Arbeitstages auf zwölf Stunden zustimmten. 1941 ordnete Stalin eine weitere Welle von Hinrichtungen politischer Gefangener an. Unter den 157, die am 11. September ermordet wurden, befanden sich Olga Kamenewa, Trotzkis Schwester, und Christian Rakowski, ehemals ein führendes Mitglied von Trotzkis Linker Opposition.

Die Verbrüderung mit den Soldaten der Besatzungsarmeen ist für Revolutionäre in Kriegszeiten eine unerlässliche Maßnahme, um den nationalen Chauvinismus zu überwinden. Im Nazi-besetzten Europa verbrüderten sich französische Trotzkisten mit den wehrpflichtigen Arbeitern der deutschen Armee, um sie dazu zu bringen, ihre Waffen gegen die Nazi-Machthaber zu richten. Mutig verbreiteten sie eine revolutionäre Untergrundzeitung in deutscher Sprache, Arbeiter und Soldat,13 und bauten eine Zelle innerhalb der deutschen Streitkräfte in Brest auf. So wurden beispielsweise 65 heldenhafte französische und deutsche Trotzkisten 1943 von den Nazis erschossen, als sie entdeckt wurden. Anstatt zu versuchen, sich der Zwangsarbeit in Deutschland zu entziehen, gingen einige französische und holländische Trotzkisten dort zum Einsatz, um die erhoffte deutsche Arbeiterrevolution gegen das Dritte Reich zu unterstützen. Eine solche proletarisch-internationalistische Mobilisierung der deutschen Arbeiter – mit oder ohne Uniform – gegen die Nazis war dem stalinistisch geführten Widerstand in Europa ein Dorn im Auge. Im Bündnis mit dem viel kleineren nationalistischen bürgerlichen Widerstand verfolgten sie die chauvinistische und arbeiterfeindliche Politik, „der einzige gute Deutsche ist ein toter Deutscher“.

Die PMP: Abkehr vom Leninismus

Obwohl die leninistische Position des revolutionären Defätismus gegenüber allen kapitalistischen Mächten die Hauptstoßrichtung der trotzkistischen Politik während des Zweiten Weltkriegs war, gab es eine politische Abweichung von dieser Perspektive. Aufgrund ihres Hasses auf den Faschismus unterstützte die britische und die US-amerikanische Arbeiterklasse mit überwältigender Mehrheit die Einberufung zum Militär und die Kriegsanstrengungen gegen Nazideutschland. Im Jahr 1940 hatten die Nazis innerhalb weniger Monate den größten Teil Westeuropas besetzt und standen auf der anderen Seite des Ärmelkanals – weniger als 50 Kilometer von Britannien entfernt. Auf den US-amerikanischen und insbesondere auf den britischen Trotzkisten lastete ein enormer Druck, sich dem – von den Reformisten wie der Labour Party in Großbritannien forcierten – fehlgeleiteten Bewusstsein der Arbeiter anzupassen, dass sie ihre so genannte „demokratische“ Bourgeoisie in einem Krieg gegen die faschistischen Mächte unterstützen müssten. Die „Proletarische Militärpolitik“ (PMP), die erstmals von der US-amerikanischen SWP im September 1940 verabschiedet wurde, war eine teilweise Kapitulation vor diesem Bewusstsein.

Es ist eine Tatsache, dass Trotzki die erste Fassung der PMP geschrieben hat. Er wurde jedoch kurz nach der offiziellen Verabschiedung der PMP von einem stalinistischen Attentäter ermordet und hatte keine Gelegenheit, die PMP in der Debatte, die innerhalb der Vierten Internationale tobte, zu verteidigen oder zu überdenken.14 Als Trotzki den schnellen Vormarsch der Nazi-Armeen in Europa beobachtete, sah er, wie die europäischen Bourgeoisien den Kampf aufgegeben hatten und sehr leicht auf die Nazis zugingen. Dies war insbesondere in Frankreich der Fall, dessen Bourgeoisie eher noch antisemitischer war als die deutsche herrschende Klasse und die organisierte Arbeiterklasse ebenso zerschlagen wollte. In Verallgemeinerung dieser Erfahrung sagte Trotzki voraus, dass die verbleibenden „Demokratien“ bald Hitler beschwichtigen oder sich in Militärdiktaturen verwandeln und ihre demokratische Maske abstreifen würden. Dies würde ihren reaktionären Charakter gegenüber der Arbeiterklasse schnell entlarven, die, vom kapitalistischen Staat selbst bewaffnet und militärisch ausgebildet, ihre antifaschistische und demokratische Gesinnung gegen ihre „eigenen“ imperialistischen Herrscher richten würde. Dabei wurde jedoch das Ausmaß unterschätzt, in dem die britischen und US-amerikanischen Imperialisten die Fassade eines demokratischen Kreuzzuges gegen den Faschismus nutzen würden, um ihre eigenen Kriegsziele voranzutreiben: eine Fassade, die die PMP ergänzte. Wir von der IKL sind heute die einzigen, die die PMP ablehnen.15 Und jetzt sage ich euch, warum.

Die zentrale Forderung der PMP war die Forderung nach gewerkschaftlicher Kontrolle der vom imperialistischen Staat durchgeführten militärischen Pflichtausbildung mit „Bundesmitteln für die militärische Ausbildung von Arbeitern und Arbeiteroffizieren“. Die Schlussfolgerung, dass Organisationen der Arbeiterklasse die Kontrolle über eine Funktion der bürgerlichen Armee übernehmen könnten, war äußerst utopisch. Sie widersprach dem leninistischen Verständnis des Staates. Das Militär ist Teil der „besonderen Formationen bewaffneter Menschen“,16 die den Staat ausmachen. Polizei, Gefängnisse und Armee sind in einem kapitalistischen Staat dazu da, die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und die Herrschaft der Bourgeoisie gegen jede Bedrohung ihrer Ordnung zu verteidigen, einschließlich der Arbeiterklasse – der ultimativen potenziellen Bedrohung. Diese unterdrückerischen Institutionen können nicht reformiert werden, um im Interesse der Arbeiter zu handeln. Sie müssen zerschlagen und in einer sozialistischen Revolution durch Organe der Arbeiterherrschaft ersetzt werden. Revolutionäre kämpfen für demokratische Rechte für die Soldaten innerhalb des bürgerlichen Militärs und für die Bildung von Soldaten-Sowjets oder -Räten, um eine Spaltung innerhalb der Armee voranzutreiben, wobei die einfachen Soldaten in einer sozialistischen Revolution gegen die Bourgeoisie auf die Seite der Arbeiter wechseln. Und wenn die Arbeiterklasse zur Wehrpflicht einberufen wird, werden Revolutionäre mit dem Rest ihrer Generation zum Militär gehen, um diese Spaltung zu fördern. Das heißt aber nicht, dass Revolutionäre die Wehrpflicht und die Kriegsanstrengungen der Imperialisten unterstützen.

Mit der Forderung nach Finanzierung der militärischen Ausbildung, wenn auch unter der Kontrolle der Gewerkschaften, stellte sich die PMP in unverfrorenen Widerspruch zur Losung der Revolutionäre im Ersten Weltkrieg: „Kein Mann und kein Pfennig“ für das imperialistische Militär. Sie widersprach dem elementaren leninistischen revolutionären Defätismus während des interimperialistischen Krieges, dass der Hauptfeind der Arbeiterklasse die „eigene“ imperialistische Bourgeoisie war. Letztlich konnte die PMP nur dazu dienen, dass die Gewerkschaften die US-amerikanischen und britischen imperialistischen Kriegsanstrengungen kontrollieren und effizienter machen.

Trotzki lag 1940 mit seiner Unterstützung für die PMP falsch – in der Tat sind seine und die Positionen der Vierten Internationale im Vorfeld und in den ersten Monaten des Zweiten Weltkriegs die wirksamste Polemik gegen die PMP. In seiner Polemik „Krieg und die Vierte Internationale“ von 1934 zerpflückt Trotzki das Gejammer der Reformisten über die Notwendigkeit, die Bourgeoisien der demokratischen Länder zu unterstützen, um den Faschismus zu bekämpfen. Er schrieb:

„Die Lüge der nationalen Verteidigung deckt sich in allen Fällen, wo es angängig ist, mit der ergänzenden Lüge von der Verteidigung der Demokratie. Wenn die Marxisten heute, in der imperialistischen Epoche, Demokratie mit Faschismus nicht gleichsetzen und in jedwedem Augenblick bereit sind, dem die Demokratie bedrängenden Faschismus Widerstand zu leisten, soll da das Proletariat nicht auch im Kriegsfalle die demokratischen Regierungen gegen die faschistischen unterstützen?

Ein grober Sophismus: Die Demokratie beschützen wir vor dem Faschismus mittels der Organisationen und Methoden des Proletariats. Im Gegensatz zur Sozialdemokratie übertragen wir diesen Schutz nie auf den Staat der Bourgeoisie … Stehen wir aber schon in Friedenszeiten unversöhnlich in Opposition zur ‚demokratischsten‘ Regierung, können wir da auch nur den Schatten einer Verantwortung für sie in Kriegszeiten übernehmen, wo alle Niedertracht und alle Verbrechen des Kapitalismus viehischste und blutrünstigste Gestalt annehmen?“

Die PMP widersprach dem gesamten Charakter der ansonsten heroischen und revolutionär-defätistischen Intervention Trotzkis und der Vierten Internationale in den Krieg. In den Kolonien der „demokratischen“ Imperialisten blieben die Trotzkisten auf Abstand zur PMP. Innerhalb weniger Wochen nach der Ankündigung Großbritanniens, dass Indien sich im Krieg mit den Achsenmächten befand, streikten 90000 Arbeiter in Bombay17 gegen den Krieg, es gab Streiks und Massenversammlungen in Kalkutta18 und anderswo. Hätten die Trotzkisten während dieser Streikwelle gefordert, dass die britischen Imperialisten eine militärische Ausbildung unter gewerkschaftlicher Kontrolle finanzieren, damit die indischen Massen „den Faschismus bekämpfen“ und die britische „Demokratie“ verteidigen können, hätte dies ihre faktische Auflösung in die britische Verwaltung bedeutet. Dies zeigt in aller Deutlichkeit die Absurdität und die anti-internationalistische Borniertheit der PMP. Sie galt nur für die anglo-amerikanischen imperialistischen Zentren, nicht aber für deren versklavte Kolonien und natürlich auch nicht für die faschistischen und Militärdiktaturen der Achsenmächte.

1942 wurde der Subkontinent von einer gigantischen Unabhängigkeitsbewegung, der „Quit India“-Bewegung, überrollt. Inspiriert von den militärischen Siegen Japans in den britischen Kolonien im Fernen Osten wurden in den Straßen von Bombay Barrikaden errichtet, und es kam zu Streiks, bei denen Millionen von Menschen „Es lebe die Revolution“ riefen. Als Vergeltung töteten die Briten Tausende, bombardierten Dörfer und internierten Zehntausende in Konzentrationslagern. Die Trotzkisten der Bolschewistisch-Leninistischen Partei Indiens griffen heldenhaft ein und forderten: „Nieder mit dem Imperialismus! Nieder mit dem imperialistischen Krieg!“

Wenn die Kriegsanstrengungen des britischen Imperialismus durch die kolonialen Aufstände im Ausland und den Kampf der Arbeiterklasse im eigenen Land Schaden genommen hätten, wäre das für Revolutionäre und die Massen der Welt – einschließlich der britischen Arbeiterklasse – eine gute Sache gewesen. Wie unsere Genossinnen und Genossen in Documents on the “Proletarian Military Policy” betonten: „Es ist weitaus besser, wenn ein intensiver proletarischer Klassenkampf und koloniale Aufstände die britischen und US-amerikanischen Kriegsanstrengungen lähmen und vielleicht zu vorübergehenden deutschen Siegen führen, als dass das Proletariat die alliierten Armeen implizit unterstützt, indem es besser ausgebildete und ausgerüstete Soldaten fordert!“ Die Broschüre fährt mit der Erläuterung fort:

„Hätte der Massenwiderstand der Bevölkerung gegen den Krieg die britischen Kriegsanstrengungen gestört und Hitler dazu veranlasst, einen Versuch zur Überquerung des Ärmelkanals zu unternehmen (tatsächlich versuchte er es nie ernsthaft), hätten die deutschen Eroberer die Probleme der britischen Bourgeoisie geerbt, die durch nationale Ressentiments gegen den fremden Eindringling noch verstärkt worden wären. Die kolonialen Sklaven des britischen Empire hätten eine demütigende britische Niederlage zweifellos dazu genutzt, ihre Unabhängigkeit zu erklären. Es ist nicht schwer, sich das weltweite revolutionäre Szenario vorzustellen, das sich daraus ergeben hätte und das sogar die Soldaten der Wehrmacht angesteckt hätte, von denen viele Söhne sozialdemokratischer und kommunistischer Arbeiter waren.“

Diejenigen, die glauben, dass es reines Wunschdenken ist, die Arbeitersoldaten der deutschen Armee für den Sturz des Nationalsozialismus zu gewinnen, die möchte ich darauf hinweisen, dass während des Krieges 80000 deutsche Soldaten von den Nazi-Obrigkeiten wegen Ungehorsam oder Desertion erschossen oder gehängt wurden. Neben den trotzkistischen Zellen, die ich bereits erwähnt habe, sind uns weitere Fälle von proletarischem Widerstand und Solidarität innerhalb der deutschen Armee bekannt. Ein Beispiel wurde von der US-amerikanischen SWP-Zeitung The Militant berichtet. Sie druckte 1942 zwei Briefe eines sozialistischen Arbeiters, der in die deutsche Armee eingezogen wurde.19 Er hatte Ende 1941 drei Wochen in Warschau verbracht und dort Kontakt zu jüdischen Bundisten und polnischen Sozialisten aufgenommen, für die er nach seiner Rückkehr nach Berlin 500 Mark von seiner Widerstandsgruppe im Untergrund sammelte.

Viele mögen denken, dass die trotzkistische Position, den Zweiten Weltkrieg der Imperialisten in eine Reihe von sozialistischen Revolutionen gegen alle kapitalistischen Mächte zu verwandeln, auch wenn sie mutig und prinzipienfest ist, niemals eine Chance hatte, Wirklichkeit zu werden. Aber es gab während und wegen des Zweiten Weltkriegs überall auf der Welt vorrevolutionäre Situationen. Die Richtigkeit der Politik des revolutionären Defätismus erwies sich, als die militärische Niederlage der faschistischen italienischen Bourgeoisie im Jahr 1943 dazu führte, dass sich die italienische Arbeiterklasse erhob und sich an Mussolini und seinesgleichen rächte. Sie griffen zu den Waffen und bildeten Arbeiterräte, wodurch eine vorrevolutionäre Situation gegen die kapitalistische Ordnung geschaffen wurde. Ähnliche revolutionäre Gelegenheiten ergaben sich bei der Niederlage des NS-Kollaborateur-Regimes im besetzten Frankreich. Aber es war der Verrat des Stalinismus, der diese revolutionären Gelegenheiten zunichtemachte. Verzweifelt bemüht, dass es nicht zum Sturz des Kapitalismus durch eine Arbeiterrevolution im Westen komme, befahl die stalinistische Bürokratie den wiedererstehenden Kommunistischen Parteien in Italien und Frankreich, die Arbeiter anzuweisen, sich zu entwaffnen, und sich in die Regierungen der angeblich fortschrittlichen „demokratischen“ Bourgeoisie einzureihen.

Hätten die Arbeiter ihre Revolution durchgeführt, und zwar unter der Art von Führung, für die die Trotzkisten kämpften, dann hätte es durchaus eine Chance gegeben, dass die wehrpflichtigen Arbeiter der US-amerikanischen und britischen Armeen in Italien und Frankreich sich geweigert hätten, sie niederzuschlagen, und sie sogar unterstützt hätten. Ein revolutionärer Appell an diese Soldaten, insbesondere an die schwarzen GIs, die in den Streitkräften und zu Hause übler rassistischer Diskriminierung ausgesetzt waren, hätte die Basis der Armeen von den Offizieren trennen und sie für die Sache der sozialistischen Revolution gewinnen können. Stalin ließ auch zu, dass die britischen Imperialisten den von der Kommunistischen Partei Griechenlands angeführten Aufstand am Ende des Krieges niederschlugen.20 Nach der Niederlage der japanischen Imperialisten führten die vietnamesischen Trotzkisten – mit einer Massenanhängerschaft unter den Arbeitern – 1945 den Aufstand in Saigon21 gegen die wieder einmarschierenden französischen Kolonialisten an, die von britischen Truppen unterstützt wurden. Der Aufstand wurde niedergeschlagen und die trotzkistischen Kräfte wurden massakriert, nicht nur von den französischen und britischen Imperialisten, sondern vor allem von den vietnamesischen Stalinisten.

Obwohl die PMP in der Theorie in den USA von der SWP angenommen wurde, wurde – weil sie utopisch war und weil die US-amerikanischen Trotzkisten sich doch auf den Widerstand gegen die US-amerikanischen imperialistischen Kriegsanstrengungen konzentrierten – in der Praxis nie etwas daraus.

Zu Beginn des Krieges gab es in Großbritannien zwei trotzkistische Gruppen: die Revolutionary Socialist League und die Workers International League. Die Revolutionary Socialist League lehnte die PMP ab und argumentierte zu Recht, dass sie ein Zugeständnis an den Sozialpatriotismus sei. Die Workers International League hingegen befürwortete sie – obwohl es innerhalb der Partei Widerstand dagegen gab. Die Workers International League blieb in ihren Aktivitäten revolutionär defätistisch gegenüber dem britischen Imperialismus. Sie wies auf die britischen Gräueltaten in den Kolonien während des Krieges hin und forderte deren sofortige bedingungslose Unabhängigkeit. Sie unterstützte aktiv Streiks und machte in einer Schlagzeile ihrer Zeitung Socialist Appeal deutlich: „Die kapitalistische Zweite Front wird die europäische Revolution zerschlagen“. Aber ihre Unterstützung für die PMP stumpfte ihre revolutionäre Propaganda ab und sorgte für eine Strömung, die dem sozialchauvinistischen Defensivismus des britischen Imperialismus gegenüber versöhnlich war. Es gibt ein Flugblatt aus dieser Zeit für ein Treffen der Workers International League. Darin heißt es, die Arbeiterkontrolle über die Produktion sei die Antwort auf das Chaos der Kriegsanstrengungen. Von einer Opposition gegen den imperialistischen Krieg ist darin nicht die Rede. Auf einer Konferenz der Workers International League im Jahr 1943 ging eines ihrer führenden Mitglieder, Ted Grant, so weit, seine Unterstützung für eine Armee des britischen Imperialismus zu äußern. Er erklärte: „Wir haben eine siegreiche Armee in Nordafrika und Italien, und ich sage: Ja. Es lebe die Achte Armee, denn das ist unsere Armee.“22 Grant sprach zu einer Zeit, als es in der Achten Armee Aufruhr seitens der Arbeiterklasse gab. Aber sie war immer noch eindeutig eine Armee des britischen Imperialismus. Grants Aussage ist ein Beispiel für die Saat sozialchauvinistischer und reformistischer Perspektiven, die in den Jahrzehnten nach dem Krieg wuchsen und zur Entstehung der vielen labouristischen Gruppierungen beitrugen, die sich selbst manchmal als Trotzkisten bezeichneten.

Die Socialist Party: eine Parodie der PMP

Ted Grant leitete später eine reformistische Gruppe namens Militant, die sich dadurch auszeichnete, dass sie tief in der Labour Party vergraben war, bis sie Anfang der 1990er Jahre aus ihr herausgeworfen wurde.23 Die heutige Socialist Party hat ihren Ursprung in der Militant-Gruppe und steht noch immer in der reformistischen, sozialchauvinistischen Tradition von Militant.24 Auf einer Veranstaltung der Socialist Party eine Woche nach den terroristischen Bombenanschlägen vom 7. Juli [2005] beteiligten sich Redner der Socialist Party, darunter ihr Vorsitzender Peter Taaffe, an einer Orgie sozialpatriotischer Beschwörungen über die Notwendigkeit, dass sich die Arbeiterklasse gegen Terrorismus und Krieg vereinigt. Sie sagten, dass die Gewerkschaften dabei helfen müssten, eine Kampagne für diese Einheit zu organisieren. In den folgenden vier Wochen wurde diese Stimmung in ihrer Zeitung wiederholt, und auf der Titelseite waren Slogans zu lesen wie: „Nein zum Terrorismus, nein zum Krieg“ und „Einheit der Arbeiter gegen Krieg und Terrorismus“. Wir Marxisten der Internationalen Kommunistischen Liga verurteilen natürlich alle terroristischen Angriffe auf unschuldige Zivilisten. Aber diese Verurteilung bedeutet nicht, dass wir uns der Kampagne der britischen herrschenden Klasse zur Mobilisierung der nationalen Einheit „gegen den Terrorismus“ anschließen, die darauf abzielt, den Klassenfrieden aufrechtzuerhalten und den Staat bis an die Zähne mit reaktionären rassistischen „Anti-Terror“-Gesetzen aufzurüsten. Die Forderungen der Socialist Party nach Demonstrationen, die von Gewerkschaften und Arbeiterorganisationen unter den Slogans „Gemeinsam gegen den Terror“ und „Gemeinsam gegen den Krieg“ organisiert werden sollen, verschleiern die Tatsache, dass die größte Bedrohung für die Arbeiterklasse und die Unterdrückten gegenwärtig nicht der Terrorismus, sondern die „Anti-Terror“-Gesetze sind.

Indem sie den eigenen Zielen der herrschenden Klasse, nämlich der nationalen Einheit im „Krieg gegen den Terrorismus“, ein dünnes proletarisches Mäntelchen umhängt, ist es, als würde die Socialist Party ihre eigene bizarre Parodie der PMP aufführen. Anstelle der gewerkschaftlichen Kontrolle über den Krieg „gegen den Faschismus“ fordern sie heute praktisch die gewerkschaftliche Kontrolle über den „Krieg gegen den Terror“. Der Unterschied besteht natürlich darin, dass die PMP das Ergebnis des enormen Drucks war, der infolge der Siege der Nazis und des Wunsches der Arbeiterklasse, den Faschismus zu bekämpfen, auf den Trotzkisten lastete. Die Einheitskampagne der Socialist Party gegen „Terrorismus und Krieg“ ist das Ergebnis ihrer üblichen reformistischen Praxis, sich schamlos an die rückständigsten Stimmungen und Ängste innerhalb der Arbeiterklasse anzupassen, die durch bürgerliche Panikmache geprägt sind.

Wir Kommunisten der Spartacus Youth Group und der Internationalen Kommunistischen Liga stützen uns dagegen auf die von Trotzki auf der Gründungskonferenz der Vierten Internationale aufgestellten Prinzipien:

„Offen der Wirklichkeit ins Auge sehen; nicht den Weg des geringsten Widerstandes suchen; die Dinge bei ihrem Namen nennen; den Massen die Wahrheit sagen, so bitter sie sein mag; nicht vor Hindernissen zurückschrecken; treu sein im Kleinen wie im Großen; wagen, wenn die Stunde der Tat geschlagen hat, das sind die Regeln der Vierten Internationale.“25

Das ist unsere Tradition und deshalb ehren wir jene Trotzkisten im Zweiten Weltkrieg, die im Kampf gegen den Imperialismus – faschistisch und „demokratisch“ – und im Kampf für die sozialistische Revolution, den einzigen Weg zur Befreiung der Menschheit, gegen den Strom schwammen. Ein Kampf, den wir heute fortzuführen versuchen.


  1. Siehe dazu die Artikel „Das Schreckgespenst des ‚russischen Imperialismus‘“ und „Zur Geschichte der Forderung ‚Schmeißt EU/NATO-Unterstützer aus der Linken!‘.↩︎

  2. Nr. 193, Winter 2005/06↩︎

  3. Damaliger US-Präsident – E&P.↩︎

  4. Damaligr britischer Premierminister – E&P.↩︎

  5. „VE“ steht für „Victory in Europe“, d.h. den Sieg über Nazideutschland am 8. Mai 1945, der den Zweiten Weltkrieg in Europa beendete – E&P.↩︎

  6. Als „The Blitz“ werden im Englischen die deutschen Luftangriffe auf Britannien, vor allem 1940 und 1941, bezeichnet – E&P.↩︎

  7. Zitiert in Robert Black, Stalinism in Britain, 1970 [unsere Übersetzung – E&P].↩︎

  8. „Manifest der Vierten Internationale – Der imperialistische Krieg und die proletarische Weltrevolution“, Mai 1940 [in Das Übergangsprogramm, Ausg. im Arbeiterpresse Verlag, Essen 1997, S. 222 – E&P].↩︎

  9. „India faced with imperialist war“ [zu Deutsch: „Indien im Angesicht des imperialistischen Krieges – E&P], 25. Juli 1939 [unsere Übersetzung – E&P].↩︎

  10. Mai 1915, in Gesammelte Reden und Schriften, Dietz Verlag, Berlin 1966, Bd. VIII, S. 225ff – E&P.↩︎

  11. Sozialismus und Krieg, 1915 [in Lenin, Werke, Bd. 21, S. 316 – E&P].↩︎

  12. Korrektur in einem Leserbrief an Workers Hammer vom 10. März 2006 (siehe Nr. 196, Herbst 2006): Tuchatschweski war nie General, weil die Rote Armee von Lenin und Trotzki auf dem Grundsatz aufgebaut worden war, den Rang eines Generals und alle anderen Ränge der zaristischen Offizierskaste abzuschaffen.↩︎

  13. Als Anhang enthalten in „Arbeiter und Soldat“ – Martin Monath: Ein Berliner Jude unter Wehrmachtssoldaten, Schmetterling-Verlag, Stuttgart, 2018 – E&P.↩︎

  14. Korrektur aus WH Nr. 196, Herbst 2006: Die PMP wurde von der US-amerikanischen Socialist Workers Party im September 1940 formell angenommen, also nach Trotzkis Ermordung im August 1940.↩︎

  15. Das ist nicht ganz korrekt – mindestens die „Internationalist Group“ (in Deutschland: Internationalistische Gruppe), die als Abspaltung von der IKL entstanden ist, vertritt auch diese Position; siehe z.B. The Internationalist Nr. 21, Sommer 2005, S. 32, und Nr. 55, Winter 2019, S. 37 – E&P.↩︎

  16. Siehe Lenin, Staat und Revolution, in Werke, Bd. 25, S. 400 – E&P.↩︎

  17. Seit 1995: Mumbai – E&P.↩︎

  18. Seit 2001: Kolkata – E&P.↩︎

  19. Einer dieser Briefe erschien in Bd. VI, Nr. 29, 18. Juli 1942, S. 3 – E&P.↩︎

  20. Siehe „Griechenland 1940–49: Eine verratene Revolution“, Spartacist, dt. Ausg. Nr. 30, Winter 2014/15 – E&P.↩︎

  21. Seit 1976 auch: Ho-Chi-Minh-Stadt – E&P.↩︎

  22. Zitiert in Sam Bornstein/Al Richardson, War and the International, 1986 [unsere Übersetzung – E&P].↩︎

  23. In Deutschland wird diese Strömung von „der funke – marxistische linke“ vertreten – E&P.↩︎

  24. Diese wird in Deutschland von der Sozialistischen Alternative (SAV) und der Sozialistischen Organisation Solidarität (Sol) vertreten. Deren Autor Sascha Staničić verteidigte in einer Rezension des Buchs „Arbeiter und Soldat“ – Martin Monath: Ein Berliner Jude unter Wehrmachtssoldaten (Schmetterling-Verlag, Stuttgart, 2018) die PMP (ohne sie beim Namen zu nennen) als „differenziertere Taktik“ – der Zweite Weltkrieg sei zwar „grundsätzlich“ auch auf Seiten der anderen Imperialisten ein „imperialistischer Krieg“ gewesen, aber man musste sich an das Bewusstsein der Arbeiter in Frankreich, den USA oder Britannien anpassen:

    „Das führte in der damaligen trotzkistischen Bewegung zu Debatten und zum Beispiel in der britischen trotzkistischen Organisation zu einer differenzierteren Taktik. Diese Fragestellung ignoriert Fakin [sic! – E&P] und erweckt den Eindruck, dass der ‚revolutionäre Defätismus‘ in derselben Ausformung für die Haltung zu Nazi-Deutschland, wie für die gegen Nazi-Deutschland kämpfenden Mächte galt.“

    Diese Kritik an dem Buchautor Wladek Flakin ist unbegründet, da seine Organisation (Revolutionäre Internationalistische Organisation [RIO], Sektion der „Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale“ [FT-CI]) die PMP als „Leitfaden zur aktiven Intervention in den Krieg“ verteidigt und die Einbindung der Arbeiter in die imperialistische Kriegsmaschinerie als „eine neue Art und Weise der ‚Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen BürgerInnenkrieg‘“ beschönigt (siehe „Permanente Revolution oder Stellungskrieg“, 12. Februar 2012) – E&P.↩︎

  25. Übergangsprogramm, Ausg. Arbeiterpresse Verlag, Essen 1997, S. 128.↩︎

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