Ergebnisse & Perspektiven des Marxismus

Die „Linksfront“ FIT in Argentinien: Ein reformistisches Wahlkartell

Der folgende Artikel ist übersetzt aus The Internationalist,1 Zeitschrift der Internationalist Group (IG).

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In Diskussionen über die Wahlpolitik der Linken in Brasilien führt das Movimento Revolucionário de Trabalhadores (MRT) die Front der Linken und ArbeiterInnen (FIT) in Argentinien als Beispiel für den Weg nach vorn an. Die MRT ist die brasilianische Sektion der internationalen Strömung der Trotzkistischen Fraktion (FT), die von der Partido de los Trabajadores Socialistas (PTS – Partei der Sozialistischen Arbeiter) in Argentinien angeführt wird, die wiederum eine der drei Komponenten der Front ist. Von der Südspitze Südamerikas bis nach Europa und in die Vereinigten Staaten verweisen die Mitgliedsorganisationen der FT auf die FIT als Modell und Inbegriff der Klassenunabhängigkeit in der Wahlarena.2 Sie verkünden mit großem Tamtam ihre Wahlerfolge, von 500000 Stimmen (2,3% der Gesamtstimmen) bei den Präsidentschaftswahlen 2011 bis zu mehr als 1000000 (4,3% der Gesamtstimmen) bei den Wahlen zum Nationalkongress 2017. „Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg“ scheint ihr Motto zu sein, auch wenn die Ergebnisse in Sachen Wahlarithmetik noch sehr bescheiden sind.

Was also ist die argentinische Linksfront? Um die Leser nicht auf die Folter zu spannen, es handelt sich um ein reformistisches und opportunistisches Wahlbündnis. Sie stellt eine Koalition dar, die auf einem Programm des kleinsten gemeinsamen Nenners basiert, in dem zentristische Parteien, die sich als revolutionär bezeichnen, die marxistischen Prinzipien aufgeben, die sie zu verteidigen vorgeben. Es ist genau die Art von Propagandablock, vor der Trotzki in den 1930er Jahren gewarnt hat. Und wir werden dies nicht nur mit einer marxistischen Analyse verdeutlichen, sondern auch mit den Worten der Teilnehmer an diesem Wahlkonsortium selbst.

Fangen wir also an.

Die FIT setzt sich zusammen aus der PTS, der Partido Obrero (PO – Arbeiterpartei) und der Izquierda Socialista (I.S. – Sozialistische Linke).3 Sie wurde gegründet, um bei den Präsidentschaftswahlen von 2011 zu kandidieren, wo diese Organisationen Jorge Altamira und Christian Castillo, die Führer der PO bzw. der PTS, für das Amt des Präsidenten bzw. des Vizepräsidenten vorschlugen. Ihr Programm, die „Programmatische Erklärung der Arbeiter- und Linksfront“ (August 2011), besteht aus einer Reihe typischer Forderungen des militanten ökonomistischen Gewerkschaftswesens: „Mindestlohn in Höhe der Kosten für den indexierten Familien-Warenkorb“ (ein Maß für die Grundausgaben einer typischen Familie), Renten in Höhe von 82% des Mindestlohns eines Arbeiters, ein Verbot von Entlassungen, „Schluss mit dem Outsourcing“; Verstaatlichungen, staatliche Übernahmen und „Enteignungen“ bestimmter Sektoren (besetzte Fabriken, Eisenbahnen, die „Großgrundbesitz-Oligarchie“); Verteidigung von Sozialprogrammen (Gesundheit, Bildung, öffentlicher Wohnungsbau); Unabhängigkeit der Gewerkschaften vom Staat, Abschaffung der Bürokratie. Dazu kommen weitere Forderungen wie kostenlose Abtreibung, Abzug der Polizei aus den Arbeitervierteln, Abzug der Truppen aus Haiti usw.

Was die Wirtschaftskrise betrifft, so fordert das Programm, dass sie „vom Imperialismus, den multinationalen Konzernen, den Bankern und Kapitalisten“ ausgebadet wird, als ob alles eine Frage der Verteilung wäre. Das ist eine liberal-reformistische Utopie. Die Krise ist darauf zurückzuführen, dass die Banker und Kapitalisten in großen Schwierigkeiten stecken. Selbst mit einer Erhöhung der Steuern auf Gewinne, Erbschaften und Vermögen (was nicht passieren wird), werden es, bis wir die Herrschaft des Kapitals stürzen, die Arbeiter sein, die die Kosten der Krise tragen. Unter den 22 Punkten des FIT-Programms gibt es einige, die radikaler scheinen mögen, wie die „Verstaatlichung des Bodens, beginnend mit der Enteignung der 4000 wichtigsten Ländereien“. Letzteres wäre jedoch nur eine klassische kapitalistische Agrarreform, und die „Verstaatlichung des Bodens“ ist seit den Tagen des bürgerlichen Ökonomen Adam Smith im 18. Jahrhundert eine bürgerlich-demokratische Forderung.4 Und wo das Programm von der Unterstützung des Sieges der „Revolutionen“ im Nahen Osten spricht, bedeutet das in Wirklichkeit die Unterstützung der pro-imperialistischen reaktionären islamistischen „Rebellen“, zum Beispiel in Libyen und Syrien.

Kurz gesagt, das Programm der Front der Linken und der ArbeiterInnen in Argentinien ist eine Sammlung von reformistischen Rezepten, die in keiner Weise über die Grenzen des Kapitalismus hinausgehen oder die imperialistische Vorherrschaft und den bürgerlichen Staat in Frage stellen. Ihr müsst uns nicht aufs Wort glauben. Lesen wir, was die Partido Obrero selbst über die Programmatische Erklärung der FIT schreibt: „Das 2011 ‚verabschiedete‘ Programm (es gab keine Diskussion) ist ein Rezept für Staatsübernahmen und zeigt keineswegs die Methode auf, die das Proletariat zur Errichtung einer Regierung der Werktätigen führen soll.“5

Aber was ist mit dieser Maximalforderung der FIT, einer „Regierung der Werktätigen und des Volkes [„gobierno de los trabajadores y del pueblo“], die durch die Mobilisierung der Ausgebeuteten und Unterdrückten durchgesetzt wird“? Ist das nicht eine revolutionäre Forderung? Mitnichten. Auf der Grundlage dieser Reformplattform würde es sich vielmehr um eine weitere Regierung des kapitalistischen Staates handeln. Das könnte der Slogan irgendwelcher reformistischer Sozialdemokraten (wie der Labour Party in England) oder sogar eines bürgerlichen Populisten sein. In der Tat ist die Formel vom größten argentinischen Populisten aller Zeiten, General Juan Domingo Perón, abgeschaut. In der Rede des damaligen Präsidenten Perón am 1. Mai 1949 lobte er unter anderem die „Regierung der Werktätigen, der vorzustehen ich die Ehre habe“. Dieser Ausdruck ist vielen perónistischen Arbeitern im Gedächtnis geblieben. Erinnern wir uns auch daran, dass die PTS aus der Strömung von Nahuel Moreno hervorging und dass Moreno seine Laufbahn als politischer Verwandlungskünstler damit begann, sich als Wortführer des „revolutionären Arbeiterperónismus“ auszugeben.6

Wir erklären in einem anderen Text, dass der Begriff „Werktätige“ nicht auf die Arbeiterklasse beschränkt ist, sondern breite kleinbürgerliche Sektoren umfasst; und dass eine „Regierung der Werktätigen“ nicht gleichbedeutend ist mit „Arbeiterregierung“ oder „Arbeiter- und Bauernregierung“, was für Trotzkisten (und die Bolschewiki von 1917) die revolutionäre Diktatur des Proletariats bedeutet.7 Wenn das FIT-Programm den Zusatz „und des Volkes“ hinzufügt, unterstreicht es den „Mehrklassen-“ und damit bürgerlichen Charakter einer solchen Regierung. Eine Regierung, die „durch die Mobilisierung der Ausgebeuteten und Unterdrückten durchgesetzt wird“? Das könnte man von jeder Regierung sagen, die im Zusammenhang mit einer Streikwelle gewählt wird.

Aber nehmen wir ein konkretes Beispiel: die sozialdemokratische Regierung Deutschlands unter dem Vorsitz von Friedrich Ebert, die am 9. November 1919 ihr Amt antrat. Eine Regierung der Werktätigen? Natürlich, sie bestand aus der Sozialdemokratischen Partei (SPD) und der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD). „Durchgesetzt durch die Mobilisierung der Ausgebeuteten und Unterdrückten“? Zweifellos, sie war das Ergebnis des Arbeiteraufstandes, der Kaiser Wilhelm II. stürzte. Diese Regierung billigte viele der Reformen, die im Forderungskatalog der FIT enthalten sind. Aber es war eine Regierung des kapitalistischen Staates, deren Aufgabe es war, die Revolution zu begraben. Oder, um es deutlicher auszudrücken: Die kommunistischen Führer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wurden auf Befehl einer konterrevolutionären „Regierung der Werktätigen, die durch die Mobilisierung der Ausgebeuteten und Unterdrückten durchgesetzt wurde“, ermordet!

Die FIT-Führungskräfte sind keine Anfänger und sind sich der Bedeutung ihrer Worte durchaus bewusst. Lasst uns also lesen, was die PTS über die Losung der Regierung der Werktätigen sagt. In einem Artikel über „Programmatische Debatten in der Linksfront von Argentinien“8 schreibt sie: „Dies ist eine allgemeine Formulierung, aber sie entspricht der Vereinbarung, die wir in der Front erreichen konnten.“ Die Losung „Regierung der Werktätigen“ sei jedoch „mehrdeutig“ und könne „unterschiedlich interpretiert“ werden, weil ein Satz über die Notwendigkeit fehle, „den Repressionsapparat dieses Staates, der im Dienste der Ausbeuter steht, durch Arbeiterorganisationen auf dem Weg des Kampfes für ihre eigene Regierung zu ersetzen“. Die PO lehnte es jedoch ab, dies auszusprechen. Also bleibt das Programm so, wie es geschrieben wurde, ohne „klarzustellen, dass die Arbeiterklasse sich nicht einfach auf den bürgerlichen Staat verlassen kann, wie er ist“. Das ist nicht einfach Mehrdeutigkeit. Im Zusammenhang mit dem FIT-Reformprogramm ist die Bedeutung von „Regierung der Werktätigen“ eindeutig: Es wäre eine Regierung des kapitalistischen Staates.

Und die Antwort der Partido Obrero? In ihrer „Resolution zur Linksfront“ schreibt die PO, die „widersprüchliche politische Zusammensetzung“ der FIT – mit der Präsenz von „kämpferischen, aber“ (aufgrund ihrer Herkunft aus der Moreno-Strömung) „demokratisierenden Parteien“ (d.h. Izquierda Socialista und die PTS) – „hat uns dazu gebracht, die FIT seit ihrer Gründung als opportunistisch zu bezeichnen.“ Die Bündnispartner selbst sagen, es sei ein opportunistisches Konglomerat!

Es geht nicht nur um Streitigkeiten über Formulierungen im Programm, sondern vielmehr um akute innere Widersprüche der Linksfront, die inmitten der größten Klassenkämpfe des Landes zutage getreten sind. Ein bemerkenswerter Fall war der „Streik“ (Meuterei) der Provinzpolizei in Córdoba im Dezember 2013. Während eines Lohnkonflikts riefen die Polizisten einen „acuartelamiento“ (Verbleib in den Kasernen) aus, was dann zu Plünderungen führte. Am nächsten Tag gab der Gouverneur den Forderungen der Polizisten nach. Daraufhin forderten mehrere Gewerkschaften der öffentlichen Bediensteten gleiche Lohnerhöhungen und Polizisten aus anderen Bundesstaaten setzten wesentlich höhere Lohnsteigerungen durch. Wie reagierte die FIT? Die I.S., die in ihrer morenistischen Tradition die Polizei als Arbeiter bezeichnet, sprach von einem „Polizeistreik“ und begrüßte die „bedeutenden Erhöhungen“, die erreicht wurden. Die PO von Altamira veröffentlichte einen Artikel, in dem es hieß, dass die „Unruhen“ der Polizei zu Erhöhungen führten, „um ihre gegenwärtigen repressiven Aufgaben weiterhin erfüllen zu können“, aber dass die Arbeiter unter dem Motto „Holen wir uns unsere eigenen“ gleiche Erhöhungen fordern sollten. Die PTS schrieb, „die grundsätzliche Position bestand darin, die Polizeiaufstände nicht zu unterstützen“ und dass eine „klare politische Anprangerung der Meuterei“ notwendig war, zusammen mit der Forderung nach „Erhöhungen für die Arbeiter, nicht für die Unterdrücker“.9

Trotz dieser sehr unterschiedlichen Positionen, die bereits vor der Gründung der Front bekannt waren, verabschiedete die FIT am 13. Dezember [2013] ein Kommuniqué, in dem es heißt: „Wir warnen vor der Illusion, dass die Polizeikrise die Sicherheitskräfte in Verbündete der Arbeiter verwandelt oder dass sie ihre repressive Funktion verringert hat.“ Doch auch nach der gemeinsamen Stellungnahme gingen die internen Auseinandersetzungen innerhalb der FIT weiter. Die PO rief dazu auf, mit einem Kontingent der FIT an einer Demonstration des argentinischen Gewerkschaftsbundes (CTA) am 19. Dezember teilzunehmen. Die PTS war damit nicht einverstanden, da sie der Meinung war, dass sie nicht mit Polizeibeamten marschieren sollte (die CTA umfasst eine Polizei-„Gewerkschaft“). Die PO entgegnete, „solche Situationen können nicht mit der Phrase ‚ein Polizist ist kein Arbeiter‘ gelöst werden“, und dass die PTS (mit ihrer Linie) die Stellungnahme gegen den Polizeiaufstand hätte unterzeichnen sollen, die von der Regierung und der Opposition, die beide kapitalistisch sind, verabschiedet wurde.10

Wie haben sie es geschafft, eine gemeinsame Erklärung zu verfassen, obwohl sie sich gegenseitig so heftig verurteilen? Habt ihr das Wortspiel schon bemerkt? Die Mitglieder dieses verrotteten Blocks verbergen ihre Differenzen, indem sie die Polizei als Institution anprangern und gleichzeitig ihre diametral entgegengesetzten Positionen zu den Polizisten verschleiern. Und dann stellen sie bei den Wahlen weiterhin Kandidaten auf derselben Liste auf, bis die nächste Krise kommt.

Dies ist ein in der Linken höchst umstrittenes Thema. Revolutionäre Marxisten (Trotzkisten) bestehen darauf, dass die Polizei keine von den Bossen ausgebeuteten Arbeiter sind, sondern „die bewaffnete Faust des Kapitals“, und daher sind sie die erklärten Feinde der Bewegungen der Arbeiter und Unterdrückten. Wie Trotzki in den frühen 1930er Jahren über Deutschland schrieb, wo die Sozialdemokraten viele Illusionen über die Polizei hatten: „Die Arbeiter, die Polizisten im Dienst des kapitalistischen Staates geworden sind, sind bürgerliche Polizisten und nicht Arbeiter.“11 Die Polizei selbst bezeugt dies, indem sie bei jedem Streik oder Protest gegen die Gewalt, die von diesen Wachhunden des Kapitals entfesselt wird, ihre repressive „Arbeit“ verrichtet. Die Polizeiorganisationen sind keine Arbeitergewerkschaften, sondern uniformierte Schlägertrupps im Dienste der Bosse: Wir fordern ihren Ausschluss aus der Arbeiterbewegung. Wir fordern dies nicht nur, sondern die Liga Quarta-Internacionalista do Brasil, jetzt eine Sektion der Liga für die Vierte Internationale, mobilisierte 1996 zur Trennung der örtlichen Polizei von der kommunalen Arbeitergewerkschaft der Stadt Volta Redonda, was zu einer repressiven Offensive mit mehr als neun Prozessen gegen uns führte.12 Im folgenden Jahr feierten die PSTU13 und ein großer Teil der brasilianischen Linken die Ausschreitungen der Militärpolizei.14

Und nur um das klarzustellen, die Trotzkistische Fraktion ist selbst kein Musterbeispiel für marxistische Orthodoxie oder Konsequenz bei der Polizei. In Bolivien kam es 2003, einige Monate vor Beginn des „Gaskrieges“, zu einem Aufstand der Polizei, die unzufrieden war, weil sie keine Gehaltserhöhung im Haushalt des Marionettenpräsidenten der Imperialisten, Sánchez de Losada, erhalten hatten. Praktisch die gesamte Linke unterstützte die Polizisten und rief sogar „Es lebe der Aufstand der uniformierten Arbeiter“ (wie ein Flugblatt der Partido Obrero Revolucionario von Guillermo Lora verkündete). Wir kommentierten die Reaktion der bolivianischen Sektion der FT: „Andere, wie die kleine Liga Obrera Revolucionaria por la Cuarta Internacional (LOR-CI, Revolutionärer Arbeiterbund für die Vierte Internationale), erhoben zaghafter die Forderung nach ‚einer Politik der [nur] bedingten Unterstützung der Meuterei, während sie gleichzeitig den 12. und 13. Februar zu ‚revolutionären Tagen‘ erklärten (Lucha Obrera, März 2003).“15 Die LOR-CI beschuldigte uns dann, ihre Politik zu verfälschen (in Revista de los Andes, Herbst 2004). Aber als wir ihnen die Zitate aus ihrer Zeitung zeigten, räumten einige LOR-CI-Kader ein, dass es keine Fälschung gab und dass unsere Kritik politisch korrekt war.16 Allerdings veröffentlichte sie nie eine Richtigstellung des Vorwurfs.

Die zahlreichen politischen Differenzen innerhalb der FIT und die Häufigkeit der Angriffe zwischen der PTS und der PO (mit Anschuldigungen wie „Kretin“, „Sabotage“, „Verleumder“, „Idiotie“, „Lügen“, „Medienhetze“, „und sogar physische Gewalt“) sind so ausgeprägt, dass man sich fragen muss, warum sich solch verfeindete Gruppen jemals einer gemeinsamen Wahlkampffront anschließen. Die Antwort hat mit dem argentinischen parlamentarischen System zu tun, und insbesondere mit der staatlichen Finanzierung. Die Front wurde kurz nach einer politischen Reform aus dem Jahr 2009 gegründet, die angeblich auf eine „Demokratisierung“ des Wahlsystems abzielte, indem eine „Untergrenze“ von 1,5% der abgegebenen Stimmen in „offenen, gleichzeitigen und obligatorischen Vorwahlen“ (PASO) festgelegt wurde. Diese Vorwahlen fungieren als erste Wahlrunde, in der entschieden wird, wer bei den allgemeinen Wahlen kandidieren kann (und staatliche Mittel erhält). Die Gründung der FIT ermöglichte es den teilnehmenden Parteien, die Sperrklausel zu überschreiten und gleichzeitig Mittel aus den „öffentlichen“ Kassen zu erhalten. Die Beträge sind nicht unerheblich. Laut der Buchhaltung des Ständigen Parteienfonds erhielt die FIT im Jahr 2017 insgesamt 42361918 argentinische Pesos für die Vorwahlen und die Parlamentswahlen, was zu diesem Zeitpunkt fast 2,5 Millionen US-Dollar entsprach. Ein nettes Kleingeld.

Wie wir an anderer Stelle erklären, lehnen revolutionäre Trotzkisten die Finanzierung durch den kapitalistischen Staat, für dessen Sturz wir kämpfen, ab, weil sie der Bourgeoisie ein mächtiges Werkzeug in die Hand gibt, um die Arbeiterpartei zu kontrollieren, zu lähmen oder sogar zu beseitigen. Die einzige ehrliche Rechtfertigung, die die FIT und die sie tragenden Parteien (PST, PO, I.S.) für die Finanzierung durch den Staat vorbringen könnten, wäre die Aussage, dass sie nicht versuchen, den Kapitalismus abzuschaffen, sondern ihn zu reformieren (ein unmögliches Ziel). Darüber hinaus ist die FIT nicht die einzige reformistische Option bei den argentinischen Wahlen. Wer für eine linke Partei stimmen will, die das unreformierbare kapitalistische System reformieren will, könnte sich auch für die MST (Movimiento Socialista de los Trabajadores, Sozialistische Bewegung der Arbeiter) oder die Partei „Vorwärts zur Linken für den Sozialismus“, bestehend aus der MST und der Nuevo MAS (Neue Bewegung für den Sozialismus), entscheiden – beide Morenisten, mit einem 40-Punkte-Programm, das fast identisch mit dem reformistischen Programm der FIT ist. Prost Mahlzeit! Echte revolutionäre Marxisten würden keine dieser Pseudotrotzkisten wählen, die mit Ramschware aus zweiter Hand oder schäbigen Nachahmungen des Originals hausieren gehen.

Wir müssen klar und deutlich sagen, dass das Gebiet der Wahlen das Gebiet des Klassenfeindes ist. Wahlen sind, wie das Justizsystem oder jede andere Institution des kapitalistischen Staates, nicht neutral. Sie sind ein manipuliertes „jogo de bicho“ (Lottospiel), das dazu dient, den Massen vorzugaukeln, dass sie den Kurs der Gesellschaft bestimmen, während dies in Wirklichkeit das Kapital tut. Echte Trotzkisten sind nicht prinzipiell gegen die Teilnahme an bürgerlichen Wahlen, vorausgesetzt, die Kandidatur beruht auf Klassenunabhängigkeit. Wir lehnen es kategorisch ab, für eine kapitalistische Partei oder Volksfront zu stimmen, ein Bündnis der Klassenkollaboration, das notwendigerweise einen bürgerlichen Klassencharakter hat. Aber wenn wir kandidieren, dann immer, um das revolutionäre Programm zu vertreten, wie es die Bolschewiki in der zaristischen Duma getan haben. Wir können auch für die eine oder andere Reform kämpfen, aber in dieser Zeit des verfaulenden Kapitalismus ist ein reformistisches Programm zum Scheitern verurteilt. Deshalb ist es im Allgemeinen sinnlos, für die Reformisten zu stimmen. Ausnahmsweise, mitten in einem hitzigen Klassenkampf, in dem man sich unbedingt auf die eine oder andere Seite schlagen muss, könnte man eine Arbeiterkandidatur kritisch unterstützen, um die Klassenlinie zu ziehen. Aber wir rufen nicht zur Stimmabgabe für die argentinische FIT auf – weil sie die Wahlplattform nicht dazu nutzt, revolutionäre Propaganda zu verbreiten, sondern um reformistisches Narrengold zu verkaufen.

Angesichts des Aufstiegs der Faschisten in den frühen 1930er Jahren stritt Leo Trotzki mit zentristischen Gruppen in Deutschland, die versuchten, das Programm in Wahlfronten zu verwässern, indem sie vorgaben (wie es die Mitglieder der argentinischen FIT heute tun), dass das ein Ausdruck der Einheitsfront sei. Trotzki betonte:

„Einheitsfront ist Einheit der kommunistischen und sozialdemokratischen Arbeitermassen und nicht das Paktieren politischer Gruppen, die keine Massen hinter sich haben.

Man wird uns erklären: Der Block Rosenfeld-Brandler-Urbahns ist nur ein Block der Einheitsfrontpropaganda. Aber gerade auf dem Gebiete der Propaganda ist ein Block unzulässig. Die Propaganda muss sich auf klare Prinzipien stützen, auf ein bestimmtes Programm. Getrennt marschieren, vereint schlagen. Der Block dient lediglich praktischen Massenaktionen. Spitzenabkommen ohne prinzipielle Grundlage können nichts als Verwirrung bringen.

Die Idee, einen Präsidentschaftskandidaten der Arbeitereinheitsfront aufzustellen, ist eine von Grund auf falsche Idee. Einen Kandidaten kann man nur auf dem Boden eines bestimmten Programms aufstellen. Die Partei hat kein Recht, während der Wahlen auf die Mobilisierung ihrer Anhänger und auf die Berechnung ihrer Kräfte zu verzichten.“17

Die Tatsache, dass wir weder die FIT in Argentinien noch einen der Kandidaten der opportunistischen Gruppen (Reformisten oder Zentristen) bei diesen Wahlen in Brasilien unterstützen, bedeutet keineswegs eine passive Politik. Die realen Gefahren am Horizont – von einem bonapartistischen Regime des „starken Staates“ unter der Kontrolle der Justiz und des Militärs oder von einer Light-Version mit einer PT, die mit den bürgerlichen „Putschisten“ von gestern verbunden ist – bedeuten in beiden Fällen harte Angriffe auf die Arbeiter und die unterdrückte Bevölkerung. Wir müssen jetzt, inmitten des Wahlrausches, dafür kämpfen, eine Antwort der Arbeiter zu mobilisieren – proletarisch und revolutionär – mit Streiks, Protesten und Betriebsbesetzungen gegen den Wahlzirkus und die kapitalistischen Angriffe, die dadurch erleichtert werden. Die Liga für die Vierte Internationale ruft zur Organisation einer leninistisch-trotzkistischen Arbeiterpartei auf, die für eine Arbeiter- und Bauernregierung und für die internationale sozialistische Revolution kämpft!


  1. Oktober 2018, ursprünglich veröffentlicht in Vanguarda Operária Nr. 14, Oktober-November 2018, Zeitschrift der Liga Quarta-Internacionalista do Brasil, Sektion der Liga für die Vierte Internationale.↩︎

  2. In Deutschland tut das die hiesige Organisation der FT, die Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO) mit ihrer Publikation Klasse gegen Klasse – E&P.↩︎

  3. 2019 schloss sich außerdem die im Artikel schon erwähnte MST (Movimiento Socialista de los Trabajadores, Sozialistische Bewegung der Arbeiter) der Front an – E&P.↩︎

  4. Die Forderung nach Verstaatlichung des Bodens ist in einem Land mit riesigem Grundbesitz wie Argentinien oder Brasilien relevant, aber sie ist keine sozialistische Maßnahme. Wie Lenin in Das Agrarprogramm der Sozialdemokratie in der ersten russischen Revolution von 1905 bis 1907 (1907) erklärte: „Nationalisierung des Grund und Bodens unter kapitalistischen Verhältnissen ist Übergabe der Rente an den Staat, nicht mehr und nicht weniger.“ [Lenin, Werke, Bd. 13, S. 295 – E&P.] (Die Rente ist „jener Teil des Mehrwerts, der nach Abzug des Durchschnittsprofits auf das Kapital übrigbleibt“ [ebd. – E&P.]). Die Verstaatlichung des Bodens würde den zusätzlichen Anteil des Mehrwerts abschöpfen, den die Großgrundbesitzer aufgrund ihres Monopols auf den Boden erhalten.↩︎

  5. „Resolution zur Front der Linken“, En defensa del marxismo Nr. 47, 1. April 2016.↩︎

  6. Siehe unsere Broschüre La Verdad sobre Moreno (auf Englisch: Moreno Truth Kit), die 1982 [von der damaligen internationalen Spartacist-Tendenz, Vorläuferin der Internationalen Kommunistischen Liga (IKL) – E&P] veröffentlicht und 2011 von der Liga für die Vierte Internationale neu aufgelegt wurde.↩︎

  7. Siehe „The Electoralist Campaigns of the Brazilian Left“.↩︎

  8. Izquierda Diario, 7. Oktober 2015.↩︎

  9. La Verdad Obrera, 12. Dezember 2013.↩︎

  10. Prensa Obrera, 3. Januar 2014.↩︎

  11. Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats (1932), in: Trotzki, Porträt des Nationalsozialismus, Arbeiterpresse-Verlag, Essen, 1999, S. 73 – E&P.↩︎

  12. Siehe „Class Struggle in Volta Redonda: ‚Cops, Courts Out of the Unions‘“, in The Internationalist Nr. 1, Januar-Februar 1997, [ins Englische] übersetzt aus Vanguarda Operária Nr. 1, Juli-September 1997. Siehe auch die Broschüre der Internationalist Group, Dossier: Class Struggle and Repression in Volta Redonda, Brazil (Februar 1997).↩︎

  13. Partido Socialista dos Trabalhadores Unificado, eine weitere pseudotrotzkistische Organisation in Brasilien – E&P.↩︎

  14. Siehe „Brazil: Crisis of the Capitalist State“, The Internationalist Nr. 3, September-Oktober 1997, [ins Englische] übersetzt aus Vanguarda Operária Nr. 2, August-Oktober 1997. Siehe auch „Latin America: Opportunist Left Embraces the Cops“, The Internationalist Nr. 4, Januar-Februar 1998.↩︎

  15. „Bolivia Aflame: ‚Gas War‘ on the Altiplano“, The Internationalist Nr. 17, Oktober-November 2003.↩︎

  16. Siehe „Bolivia Explodes in Sharp Class Battle“, The Internationalist Nr. 21, Summer 2005.↩︎

  17. Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats (1932) [Wir zitieren nach: Trotzki, Porträt des Nationalsozialismus, Arbeiterpresse-Verlag, Essen, 1999, S. 134 – E&P].↩︎

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