Ergebnisse & Perspektiven des Marxismus

Verteidigt Gaza! Für eine sozialistische Föderation des Nahen Ostens!

12. Oktober 2023 – Folgendes ist eine Übersetzung des Spartacist-Extrablatts vom 10. Oktober 2023, herausgegeben von der Internationalen Kommunistischen Liga (IKL).

Für mehr Hintergrund zur Geschichte der Unterdrückung der Palästinenser und zum marxistischen Programm des Kampfes für eine sozialistische Föderation des Nahen Ostens, siehe „Die Geburt des zionistischen Staates – Eine marxistische Analyse“.1

Nachtrag am 13. Oktober 2023: Heute hat die IKL auch ihre eigene (auf den 10. Oktober rückdatierte) Übersetzung veröffentlicht: „Ein revolutionärer Weg zur Befreiung der Palästinenser“.

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Mit der Hamas nur Tod und Niederlage

Ein revolutionärer Kurs für die Befreiung Palästinas

Zwei Dinge sollten klar sein. Erstens: Die Palästinenser sind brutaler nationaler Unterdrückung und wahlloser Ermordung durch den Staat Israel ausgesetzt – sie haben jedes Recht, sich zu verteidigen, auch mit Gewalt. Zweitens: Die gezielte Ermordung israelischer Zivilisten durch die Hamas und ihre Verbündeten ist ein verabscheuungswürdiges Verbrechen, das für die Befreiung der Palästinenser völlig kontraproduktiv ist. Angesichts der Tatsache, dass der Gazastreifen nun von der israelischen Armee (IDF) ausgehungert und massenhaft ermordet wird, muss sich die internationale Arbeiterbewegung diesem Angriff dringend entgegenstellen. Aber um voranzukommen und zu triumphieren, braucht der Kampf für die Befreiung der Palästinenser einen völlig anderen Weg als alles, was derzeit angeboten wird, ob Islamismus oder säkularer Nationalismus. Notwendig sind keine leeren Mitleidsbekundungen der Meute von linken Liberalen und Pseudosozialisten, sondern ein revolutionärer Weg für die palästinensische Befreiung.

Wie der zionistische Staat besiegt wird

Um einen Feind zu besiegen, muss man seine Schwächen ausnutzen und seine Stärken neutralisieren. Die Widerstandsfähigkeit des Staates Israel beruht auf der Tatsache, dass die Millionen von Juden, die innerhalb seiner Grenzen leben, ihn als die einzige Möglichkeit sehen, sich in einer feindlichen Region zu verteidigen. Solange dies der Fall ist, werden die Israelis bis zum Tod kämpfen, um den zionistischen Staat zu verteidigen. Das alles war Teil des Plans, seit der britische Imperialismus beschlossen hat, das zionistische Projekt zu unterstützen. Heute sichern die USA und Israel ihre Interessen im Nahen Osten, indem sie die nationalen Rechte des palästinensischen Volkes verletzen und einen permanenten Zustand der Feindseligkeit zwischen Juden und Muslimen herbeiführen. Die Kombination aus einer militarisierten Bevölkerung und imperialistischer Unterstützung verleiht dem israelischen Staat seine Stärke und den Anschein der Unbesiegbarkeit.

Diese Struktur ist jedoch brüchig und wird nur durch eine Belagerungsmentalität aufrechterhalten, die von der herrschenden Klasse gefördert wird. Der Schwachpunkt ist eben, dass es sich um einen militarisierten theokratischen Staat handelt, der von einer immer extremeren Clique korrupter Fanatiker regiert wird. Die arbeitende Bevölkerung Israels ist mit Wehrpflicht, religiöser Reglementierung und brutalen Arbeits- und Lebensbedingungen konfrontiert. Widerstand gegen all dies wird als Verrat an den Juden bezeichnet. Diese Situation schafft tiefe rassistische, soziale und politische Risse in Israel, die ausgenutzt werden müssen, um den zionistischen Staat zu zerschlagen und die Palästinenser zu befreien.

Die Dschihad-Strategie der Hamas tut nichts von alledem und spielt nur die Stärken Israels aus. Durch die Angriffe auf israelische Zivilisten ist es ihnen gelungen, alle Israelis hinter der verhassten Netanjahu-Regierung zu versammeln und zu garantieren, dass die gesamte Gesellschaft hinter der blutigen militärischen Reaktion gegen den Gazastreifen stehen wird. Eine militärische Konfrontation unter diesen Bedingungen wird dem palästinensischen Volk eine Niederlage und unsägliches Leid bringen. Es kann keinen Sieg geben, ohne die Verbindung zwischen den jüdischen Arbeitenden und ihren Machthabern zu brechen, und dies kann nicht geschehen, ohne das demokratische Recht des israelisch-jüdischen Volkes anzuerkennen, als Nation in Israel/Palästina zu leben.

Islamisten und palästinensische Nationalisten sind immer in der Zwickmühle, entweder ihren Kampf gegen das gesamte jüdische Volk in Israel zu richten oder ein Zusammenleben mit dem zionistischen Staat zu akzeptieren. Beides sind Sackgassen. Der Schlüssel liegt darin, einen Keil zwischen die israelische Bevölkerung und den theokratischen Staat zu treiben. Dies kann nur mit einer marxistischen militärischen und politischen Strategie geschehen, die auf der Einsicht beruht, dass die miteinander verknüpften Klassen- und Nationalitätenkonflikte nicht innerhalb der Grenzen des Privateigentums gelöst werden können. Nur von diesem Ausgangspunkt aus ist es möglich, ein Programm auszuarbeiten, das den Interessen sowohl der Palästinenser als auch der israelischen Arbeiterklasse entspricht.

Was das Land betrifft, so fordern die Palästinenser zu Recht eine Entschädigung für das an ihnen begangene historische Verbrechen. Innerhalb der bestehenden sozialen Strukturen ist dies aber unmöglich mit dem Recht der Juden zu vereinbaren, das Land zu behalten, auf dem sie oft seit Generationen leben. Israel ist jedoch, wie alle kapitalistischen Gesellschaften, extrem ungleich. Das meiste Land und Eigentum wird von einem winzigen Teil der Bevölkerung kontrolliert, während die Mehrheit darum kämpft, über die Runden zu kommen. Indem man diese parasitäre Schicht enteignet, kann man sowohl damit beginnen, den Palästinensern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, als auch die Bedingungen der jüdischen Arbeitenden zu verbessern.

Auf militärischer Ebene ist es notwendig, maximalen Druck auf die IDF auszuüben, um der israelischen Gesellschaft zu zeigen, dass die palästinensische Unterdrückung einen untragbaren Preis hat. Blindlings Raketen auf israelische Städte abzufeuern, erhöht nur die Bereitschaft der Truppen zu kämpfen. Stattdessen muss die gesamte palästinensische Bevölkerung mobilisiert werden, um sich jedem Zentimeter territorialen Eindringens zu widersetzen und die Belagerung des Gazastreifens und des Westjordanlandes zu durchbrechen.

Aber bewaffneter Widerstand allein kann nicht den Sieg bringen: Er muss mit einer Perspektive des Klassenkampfes innerhalb Israels kombiniert werden. Dies erfordert Kämpfe für die wirtschaftliche Befreiung der Arbeiter, gegen die rassistische Diskriminierung von Arabern und nicht-weißen Juden und für die Trennung von Religion und Staat. Diese müssen mit der Überwindung des Haupthindernisses verbunden werden, das jedem sozialen Fortschritt im Wege steht: Die Unterdrückung der Palästinenser durch Israel. Die vorrangige Aufgabe für Revolutionäre in Israel besteht gerade darin, dafür zu kämpfen, dass die Arbeiterbewegung die Sache der palästinensischen Befreiung aufgreift, im Kampf gegen die zionistischen Arbeiterführer.

Entscheidend ist, dass der Klassenkampf in den Städten auch in die israelische Armee hineingetragen wird, mit der Perspektive, sie zu spalten. Die IDF bestehen zum überwiegenden Teil aus Wehrpflichtigen, die zum Dienst gezwungen sind. Wenn der Militärdienst nicht mehr als lebenswichtig für das Überleben des jüdischen Volkes angesehen wird, wenn die Kosten der Unterdrückung des palästinensischen Volkes zu hoch werden und wenn der Konflikt innerhalb Israels einen Siedepunkt erreicht, kann und wird die israelische Armee auseinanderbrechen.

Mehr als 75 Jahre brutaler Geschichte haben die Schicksale der israelischen Juden und der Palästinenser vollständig miteinander verwoben. Die Befreiung Palästinas erfordert die Zerschlagung des zionistischen Staates, die ohne die Befreiung der israelischen Arbeiterklasse unmöglich ist. Der wirtschaftliche, demokratische und soziale Aufstieg der israelischen Arbeiter und sogar ihr Fortbestehen im Nahen Osten erfordern wiederum die Beendigung der Unterdrückung Palästinas, die das Fundament des zionistischen Staates ist.

Wie der Imperialismus besiegt wird

Israel wird von den USA und allen anderen imperialistischen Mächten unterstützt, wie ihre bedingungslose Unterstützung des Angriffs auf Gaza einmal mehr zeigt. Die Befreiung der Palästinenser erfordert daher eine Strategie zur Konfrontation und Niederlage des Imperialismus im Nahen Osten und letztlich weltweit. Doch die Nationalisten sind dazu völlig unfähig, da sie ihr Vertrauen in die UNO und die „internationale Gemeinschaft“ setzen oder sich darauf verlassen, dass die arabischen Staaten sich gegen die USA zur Wehr setzen werden.

Die UNO ist eine Räuberhöhle, die von den USA und den „Groß“-Mächten beherrscht wird, die selbst für die Zerstückelung Palästinas und seine anhaltende Unterdrückung verantwortlich sind. Der Konsens unter den Imperialisten ist durch und durch pro-israelisch. Selbst wenn sie einen Waffenstillstand oder ein Friedensabkommen aushandeln würden, würde dies zwangsläufig ihr Interesse widerspiegeln, das darin besteht, den zionistischen Staat als ihren Vorposten in der Region zu erhalten. Von der PLO bis zur BDS-Kampagne – jede Strategie, die sich auf die Räuber der Welt verlässt, kann die Unterdrückung Palästinas nur verstärken und zu einer Niederlage führen.

Die muslimischen Staaten wiederum, von Ägypten über Jordanien und den Libanon bis hin zum Iran, sind den Palästinensern um ihrer eigenen opportunistischen Interessen willen hundertfach in den Rücken gefallen. Die Scheichs, Diktatoren und Mullahs, die über die muslimische Welt herrschen, werden Palästina nur in dem Maße „verteidigen“, wie es ihren eigenen wirtschaftlichen und militärischen Zielen dient und ihre eigene Position stärkt. Jede Strategie, die den Kampf für die Befreiung Palästinas an sie bindet, wird zwangsläufig in Verrat enden.

Notwendig ist eine Strategie, die nicht auf der „internationalen Gemeinschaft“ der Imperialisten und regionalen kapitalistischen Herrscher beruht, sondern auf der Mobilisierung der internationalen Arbeiterklasse gegen alle imperialistischen und kapitalistischen Mächte. Notwendig ist ein Bündnis der Arbeiter und Bauern im gesamten Nahen Osten, um die US-Imperialisten zu verjagen und die gesamte Region zu befreien. Dazu gehören auch die israelisch-jüdischen Arbeiter, die kein Interesse daran haben, weiterhin als Schachfiguren für die USA benutzt zu werden. Außerdem müssen diejenigen, die für Palästina kämpfen, eine internationale Front mit US-amerikanischen, britischen, französischen und deutschen Arbeiterorganisationen bilden, um Waffenlieferungen an Israel zu stoppen. Das sind die Arbeiter, die diese Lieferungen abwickeln. Und es sind ihre Kämpfe, die der sicherste Weg sind, den Imperialismus zu schwächen und die Sache der palästinensischen Befreiung voranzubringen.

Aber wir sehen, dass diese verlässlichsten Verbündeten diejenigen sind, die von den Pan-Islamisten und Nationalisten abgelehnt werden. Indem sie sich mit den arabischen Herrschern verbünden, verbünden sie sich mit den Ausbeutern der arabischen Massen. Und die US-amerikanischen und europäischen Arbeiter, einschließlich jüdischer Arbeiter, werden niemals für einen Kampf gewonnen werden, der unter dem Banner des Islam und für die Vernichtung aller Israelis geführt wird.

Sozialistische Cheerleader für die Hamas

Nach der Hamas-Offensive gegen Israel am 7. Oktober haben die pro-israelischen Medien eine massive Propagandakampagne entfesselt, um Israels blutige militärische Vergeltung zu rechtfertigen und die Unterdrückung der Palästinenser zu übertünchen. Im Gegenzug haben sogenannte Kommunisten und Sozialisten, von der Socialist Workers Party in Großbritannien bis zur Kommunistischen Partei Griechenlands, die kriminellen Angriffe auf Zivilisten durch die Hamas im Namen des Rechts Palästinas auf Selbstverteidigung unter den Teppich gekehrt.

Damit wird nicht nur der Name des Kommunismus in den Dreck gezogen, indem er mit den Verbrechen der Hamas in Verbindung gebracht wird, sondern es wird auch in Kauf genommen, dass das palästinensische Volk weiterhin von diesen fanatischen islamistischen Schlächtern geführt wird. Sie wissen ganz genau, dass die Hamas die Freiheit der Palästinenser nicht herbeiführen wird, schweigen aber dazu aus leerer liberaler Solidarität.

Die gesamte Strategie der Hamas zielt darauf ab, eine starke israelische Reaktion zu provozieren und ganz Gaza einen selbstmörderischen Sprengstoffgürtel umzulegen. Es ist notwendig, den Gazastreifen uneingeschränkt gegen die blutige Vergeltung Israels zu verteidigen und sich gleichzeitig dieser verhängnisvollen Strategie zu widersetzen.

Einige Linke wie Left Voice, die US-Sektion der Trotzkistischen Fraktion,2 flüstern am Ende ihres Artikels: „Wir stehen auf der Seite des Widerstands des palästinensischen Volkes, ohne zu behaupten, dass wir die Strategie und die Methoden der Hamas teilen, deren Ziel die Errichtung eines theokratischen Staates ist“ (7. Oktober).3 Nichts von dem, was sie schreiben, zielt jedoch darauf ab, den Einfluss von Nationalismus und Islamismus auf den palästinensischen Befreiungskampf zu brechen. Wie die meisten Linken nehmen sie die Rolle liberaler Cheerleader ein, die keine Kritik an unterdrückten Gruppen üben können, selbst wenn diese an den Abgrund geführt werden.

Die Rolle der pseudo-sozialistischen Linken ist umso verabscheuungswürdiger, als die Palästinenser verzweifelt einen gangbaren Weg zur Befreiung suchen und immer dringender brauchen. Die Ereignisse bewegen sich rasch auf ein Maß an Gemetzel und Reaktion zu, das seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen wurde. Wenn Sozialisten nicht für eine revolutionäre Lösung des Konflikts kämpfen, wird die wachsende Verzweiflung des palästinensischen Volkes einmal mehr in die Arme der islamistischen Reaktion gelenkt, während die Juden noch tiefer in die Arme des Zionismus getrieben werden. Dieser Karneval der Reaktion wird nicht innerhalb der Grenzen Israels und Palästinas bleiben, sondern sich weit und breit über den Nahen Osten und die Welt ausbreiten. Es ist die dringende Aufgabe von Sozialisten, diesen Kreislauf zu durchbrechen.

  • Verteidigt Gaza!

  • Israel raus aus dem Westjordanland und den Golanhöhen!

  • Für eine sozialistische Föderation des Nahen Ostens!


  1. Deutsche Übersetzung in Spartakist, Nr. 159, Sommer 2005.↩︎

  2. FT-CI; deren deutsche Sektion ist RIO (Revolutionäre Internationalistische Organisation) – E&P.↩︎

  3. Übersetzt bei Klasse gegen Klasse, der Website von RIO – E&P.↩︎

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