Ergebnisse & Perspektiven des Marxismus

„Kommunismus“-Kongress der KO zu Anti-Imperialismus: Nachtraben hinter bürgerlichen Kräften statt revolutionäre Führung der Arbeiterklasse

28. November 2023 – Vom 6. bis 8. Oktober fand in Berlin der „Kommunismus-Kongress“ des DKP-Ablegers Kommunistische Organisation (nachfolgend KO-ZL1) unter dem Motto „Antiimperialismus – Klassenkämpfe und nationale Befreiung heute“ statt.2 Die KO-ZL, die sich von der DKP abgespalten hatte, weil sie ihr zu offen reformistisch war, hat ansonsten aber kaum anderes anzubieten. Sie wendet sich gegen die „Kriegshetze des Westens“,3 positioniert sich gegen NATO, Neokolonialismus und nationale Unterdrückung des „globalen Südens“ und sagt: „Wir ringen um eine klassenkämpferische Perspektive“. Bei diesem Ringen kommt dann regelmäßig die gleiche Nachtrabpolitik heraus, meist gegenüber kleinbürgerlichen oder bürgerlichen Bewegungen oder gar Regierungen – bevorzugt in abhängigen kapitalistischen Ländern –, die dafür als „fortschrittlich“ deklariert werden. Die Arbeiterklasse wird praktisch zu bloßen Unterstützern dieser Kräfte herabgestuft, die der notwendigen Zuspitzung aller partiellen Kämpfe in Richtung auf die sozialistische Arbeiterrevolution feindlich gegenüberstehen.

Ein Beispiel dafür ist die sogenannte Friedensbewegung in Deutschland. Die KO-ZL beklagt: „Deutschland führt Krieg gegen Russland, doch Teile der Bewegung beharren auf dem Mantra des ‚völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands‘. Klare Anti-NATO-Positionen werden geschwächt und die Bewegung gespalten.“ Die bei DKP und ihrem Umfeld legendäre Friedensbewegung der 80er Jahre hatte schon immer das kleinbürgerliche utopische Programm, den deutschen Imperialismus „friedlich“ zu machen und forderte mit dem nationalistischen Anspruch, den kalten Krieg vor allem in Deutschland nicht heiß werden zu lassen, auch die Abrüstung des bürokratisch degenerierten Arbeiterstaats Sowjetunion und der deformierten Arbeiterstaaten DDR und in Osteuropa – eine konterrevolutionäre Stoßrichtung.

Imperialistischer oder anderer reaktionärer Krieg kann nicht mit Appellen an die Einsicht und das schlechte Gewissen der Herrschenden bekämpft werden, und auch nicht mit Massenprotesten an sich. Notwendig ist die Mobilisierung der Arbeiterklasse, die durch ihre Stellung im Produktionsprozess als einzige die soziale Macht hat, den Kapitalismus zum Stillstand zu bringen und zu stürzen. Die Vorstellung, Frieden sei ohne Klassenkampf gegen die Kapitalisten möglich, steht dieser Mobilisierung entgegen. Arbeiteraktionen gegen Waffenlieferungen müssen erste Schritte hin zu dieser Mobilisierung sein – aktuell gegen Waffen an die Ukraine oder Israel. Diese Perspektive muss auch in laufende gewerkschaftliche Kämpfe wie die anstehenden Streiks der Eisenbahner- Gewerkschaft GdL hineingetragen werden. Das Haupthindernis dafür, dass die Arbeiter in Deutschland sich ihrer sozialen Macht und ihrer historischen Aufgaben bewusst werden, ist die Sozialdemokratie von SPD und Linkspartei, die den Kapitalismus mitverwaltet und deren Führungen sich u.a. bei der Ukraine überwiegend den Kriegszielen der deutschen Kapitalistenklasse im Rahmen der NATO andienen (Scholz, Werneke, Fahimi, Wissler, Gysi etc.) – oder sie vertreten, wie Sarah Wagenknecht, aus der gleichen Sorge um das Wohl der deutschen Nation (d.h. vor allem der deutschen Kapitalisten) alternative Strategien für den deutschen Imperialismus, was im Einzelfall Opposition zu bestimmten Kriegseinsätzen bedeuten kann. Die Arbeiterklasse muss von ihrer falschen sozialdemokratischen Führung weggebrochen werden – ein Kampf, den die KO nicht führt.

Ein anderes Beispiel für die Nachtrabpolitik der KO ist ihre Reaktion auf den Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober. Der zionistische, kapitalistische Staat Israel wurde mit dem Segen der britischen und anderen Imperialisten auf der Vertreibung von 750000 Palästinensern gegründet und basiert auf ihrer fortgesetzten nationalen Unterdrückung. Allen, die gegen diese Unterdrückung stehen, sollten Schläge gegen den israelischen Staat willkommen sein, und die Arbeiterbewegung muss alle, die gegen diese Unterdrückung kämpfen, gegen die Repression der kapitalistischen Staaten – von Israel bis in die imperialistischen Zentren wie Deutschland – verteidigen. Weg mit den Verboten und der Repression pro-palästinensischer Demonstrationen, Veranstaltungen und Organisationen! Gleichzeitig muss allen, die auf der Seite der Arbeiterklasse stehen und sich gar als Marxisten sehen, klar sein, dass die Art, wie die reaktionäre islamistische Hamas diesen Kampf führt, nur noch mehr Leid für die Palästinenser zur Folge hat. Die Hamas operiert, wie ihr Gegenstück, die Zionisten, auf der Grundlage von Nationalismus und religiösem Eifer. Deshalb geht sie nicht nur gegen legitime Ziele wie Soldaten oder paramilitärische Siedler vor, sondern zielt wahllos auch auf israelische Zivilisten. Das verstärkt nur die Loyalität der israelischen Bevölkerung gegenüber dem zionistischen Staat und erschwert das Aufkommen des notwendigen gemeinsamen Klassenkampfes von Palästinensers und israelischen Arbeitern gegen ihren gemeinsamen Feind, den kapitalistischen Staat Israel.4

Beim KO-Kongress hingegen wurde der Hamas-Angriff (der am Morgen des zweiten Kongresstages stattfand) völlig unkritisch als Beginn des Aufstandes bejubelt.5 Zu diesem Zeitpunkt lagen noch wenig Informationen vor und die brutale Offensive der israelischen Armee, die inzwischen große Teile des Gazastreifens in Schutt und Asche bombardiert, mehr als 14800 Palästinenser getötet, über 36000 verletzt und eine Massenvertreibung von Hunderttausenden in den Süden des Gazastreifens und nach Ägypten begonnen hat, war noch kaum gestartet. Aber allen, die nur das Geringste über die Geschichte des verzweifelten Überlebens- und Befreiungskampfes des palästinensischen Volkes und die regelmäßig extrem höheren Blutopfer auf palästinensischer Seite wissen, musste klar sein, dass das Hamas-Manöver unter diesen Umständen und mit dieser Führung vor allem zu mehr Leid für die Palästinenser führen wird.

Darauf nahm auch ein Sprecher von Ergebnisse & Perspektiven in der „Fragerunde“ zur Podiumsdiskussion „Eine Weltordnung im Wanken?“ zwischen Arnold Schölzel (DKP), Jörg Kronauer (DKP-naher Journalist) und Dimitrios Patelis (stalinoider Akademiker aus Zypern) bezug. Das Podium stellte sich Fragen wie: „Ist nun wirklich eine andere Situation eingetreten, die die Herrschaft der USA vollständig in Frage stellt? Stellen die BRICS und andere internationale Bündnisse ernsthafte Gegenspieler der US-Herrschaft dar, die die USA nicht mehr aufhalten kann? Wenn ja, was heißt das für den Imperialismus und was kann man sich unter ‚Multipolarismus‘ genauer vorstellen?“ In gewohnt reformistischer Manier stand der Hauptfeind der Arbeiterklasse in Deutschland, der deutsche Imperialismus, nicht im Fokus. Stattdessen bezogen sich die Diskutanten positiv auf diverse Manöver nicht-imperialistischer Staaten wie denen des BRICS-Bündnis: kapitalistische Staaten mit mehr oder weniger populistischen Regierungen und deformierte Arbeiterstaaten unter stalinistisch-bürokratischer Regierung. Revolutionäre Marxisten verteidigen zwar gegen die Imperialisten die Möglichkeiten solcher abhängigen Staaten zu Handel und Entwicklung, aber bloße Unterstützung der Politik dieser Staaten ist das Gegenteil einer Perspektive für die Befreiung der Arbeiter (und ggf. Bauern) selbst. Unser Sprecher führte aus:

„Die Frage kommt am Ende. Es gab Lippenbekenntnisse vom Podium gegen diese bürgerliche Ideologie von ‚Multipolarität‘ und für die zentrale Rolle der Arbeiterklasse, aber was ich dann eigentlich nur gehört habe an tatsächlichen Akteuren, waren verschiedene bürgerliche Staaten, also nicht-imperialistische Staaten, und der bürokratisch deformierte Arbeiterstaat China, oder auch andere bürgerliche Bewegungen, wie die Hamas z.B., und die Arbeiterklasse wurde … darauf reduziert, bestenfalls diese Akteure zu unterstützen. Das ist ein Hohn auf die zentrale Rolle der Arbeiterklasse. Es gab kein Wort darüber, dass es notwendig ist, eine revolutionäre Partei der Arbeiterklasse zu schmieden, dass das vor allem, im deutschen Imperialismus, bedeutet, die Arbeiterklasse von der Sozialdemokratie von SPD und Linkspartei wegzubrechen, die deren Führung gerade sind, usw. usf. Kein Wort über z.B. die Notwendigkeit von Arbeiteraktionen gegen Waffenlieferungen an die Ukraine – also tatsächlich, wo die Arbeiterklasse selbst aktiv wird, und zwar politisch unabhängig von allen bürgerlichen Kräften. Natürlich ist es auch im Interesse der Arbeiterklasse, Kämpfe von unterdrückten Nationen zu unterstützen, aber zentral ist immer die politische Unabhängigkeit der Arbeiterklasse. Diese ganze Politik, die ihr präsentiert habt, reiht sich ein in die Geschichte des Stalinismus von Volksfrontbündnissen, von einem Glauben an einen fortschrittlichen Flügel des Kapitalismus, wo die Arbeiterklasse immer wieder unter großen Blutopfern untergeordnet wurde. Und meine Frage ist: Was sagt ihr dazu?“

Andere Organisationen, die bei dem Kongress in Erscheinung traten, waren diverse Gruppen aus dem Umfeld der DKP, wie die Kommunistische Arbeiterzeitung (KAZ), und die junge Welt. Die einzigen Stimmen mit Bezug zum revolutionären Marxismus – d.h. Trotzkismus – außer Ergebnisse & Perspektiven waren die Internationalistische Gruppe (IG) und die Bolschewistische Tendenz (BT). Die Spartakist-Arbeiterpartei (SpAD/IKL) war trotz ihrer neuen Fokussierung auf „Antiimperialismus“ und ihrem Bestreben, NATO-Unterstützer aus der Linken herauszuwerfen, nicht zu sehen. Die IG, die vor dem Eingang zum Kongress zaghaft ein Flugblatt über die Spaltung der KO6 anbot, meldete sich in obiger Veranstaltung nicht zu Wort, während die BT in einem Redebeitrag ohne einen Hauch Kritik akademische Detailfragen zu den Ausführungen des Podiums stellte.

Bei einer anderen Veranstaltung des Kongresses, „Zur Entstehung und Charakterisierung des russischen Kapitals“, stellte die KO ihre unfertige Position zur Frage, ob Russland imperialistisch ist, dar – was sie im Prinzip, korrekterweise, verneinte. Mit politischen Konsequenzen aus dieser Analyse hält sie sich weiter zurück, betonte aber, dass die KO gegen die NATO und den deutschen Imperialismus kämpfe, nicht gegen Russland.

Es blieb einem Sprecher von Ergebnisse & Perspektiven überlassen, der von der KO nebenbei aufgestellten Schutzbehauptung zu widersprechen, das Konzept der „friedlichen Koexistenz“ mit dem Imperialismus sei erst nach Stalin mit Chruschtschow aufgekommen; er verwies z.B. auf den „Hitler-Stalin-Pakt“, der von weitreichenden Illusionen seitens Stalin und seiner Bürokratie und entsprechender Propaganda der „Kommunistischen“ Parteien begleitet war, solche diplomatischen Vereinbarungen könnten eine verlässliche Grundlage für Frieden mit den Imperialisten sein. Vor diesem Hintergrund ließ Stalin kurz vor dem drohenden Angriff Nazi-Deutschlands die Führung der Roten Armee in großem Stil von möglichen Kritikern säubern, was unmittelbar die Verteidigung der Sowjetunion untergrub. Während des Spanischen Bürgerkriegs arbeiteten die Stalinisten wieder im Interesse von „friedlichen“ außenpolitischen Beziehungen zu den demokratischen Imperialisten gegen die Machtergreifung der Arbeiterklasse.7

Unser Sprecher wies darauf hin, dass die KO in ihrem Referat die Frage des Kapitalexports, die bei Lenins Imperialismus-Analyse ein wesentlicher Bestandteil ist, nicht behandelt hat.8 Abschließend warnte er davor, in Bezug auf den Ukraine-Krieg schematisch vorzugehen und aus der Feststellung, dass Russland nicht imperialistisch ist, zu schlussfolgern, dass man militärisch die Seite Russlands beziehen müsse. Es gebe bei diesem Krieg keine Seite, deren Sieg im Interesse der Arbeiter sei.

Dem widersprach ein Redner der IG und forderte, im Ukraine-Krieg wie sie selbst (und vorher schon die BT) eine militärische Seite mit Russland zu beziehen. Er beschränkte sich damit praktisch auf die Aufforderung an die KO, in der eingeschlagenen Richtung weiterzugehen. Ein Sprecher der BT trug wiederum nur unkritische Ergänzungen zum KO-Referat bei.

Die Position der IG, im Ukraine-Krieg eine militärische Seite mit Russland zu beziehen, steht im Zeichen einer Anlehnung an pro-russische Reformisten wie die KO und DKP, die Anhängsel der Sozialdemokratie von Linkspartei und SPD sind. Während die IG betont, dass es um militärische und nicht politische Unterstützung geht, drückt sich die politische Anpassung am deutlichsten darin aus, das Kiewer Regime als „faschistisch“ zu charakterisieren9 und der russischen Armee zuzugestehen, angeblich einen „antifaschistischen“ Kampf zu führen.10 Während die faschistischen Milizen und Gruppen in der Ukraine eine reale Bedrohung für die Arbeiter und alle Unterdrückten sind – und von ihnen bekämpft werden müssen –, verdeckt die Charakterisierung des Krieges als „Faschisten gegen Antifaschisten“ den Klassencharakter beider Kontrahenten: Wie Russland ist die Ukraine im Wesentlichen eine kapitalistische Regionalmacht, und Selenskis Regierung vertritt die Interessen der ukrainischen Kapitalistenklasse und ihrer imperialistischen Oberherren.

Der wesentliche Inhalt von Russlands Krieg ist weder der Kampf gegen den Faschismus noch für seine eigene nationale Unabhängigkeit noch für die Verteidigung des deformierten Arbeiterstaats China. Russland führt gegen die Ukraine Krieg, um mehr Kontrolle in der Region zu behalten, die durch die NATO-Ostausdehnung und die zunehmende Anbindung der Ukraine an NATO und EU bedroht ist. Die Ukraine wird zwar von den NATO- und EU-Imperialisten (dort insbesondere Deutschland) „bis zum letzten Tropfen ukrainischen Bluts“ unterstützt und aufgerüstet, aber diese Unterstützung ist offensichtlich genau so bemessen, dass die Ukraine möglichst nicht verliert, aber auch nicht gewinnt. Russland ist keineswegs in seiner nationalen Existenz bedroht, und es ist gut möglich, dass sich die Imperialisten damit begnügen, was der Krieg ihnen jetzt schon gebracht hat, und die Ukraine dafür vorerst akzeptieren muss, dass die Ostukraine von Russland beherrscht bleibt: Russland ist militärisch und wirtschaftlich geschwächt, in den imperialistischen Ländern läuft eine beispiellose und leichter durchgedrückte Aufrüstung verbunden mit verschärfter Ausbeutung und staatlicher Repression, die NATO wurde weiter nach Osten ausgedehnt – und auch zwischen den Imperialisten wurden die Karten teilweise neu verteilt.11

Es gilt noch immer (siehe unsere Einleitung zu „Das Schreckgespenst des ‚russischen Imperialismus‘“ vom September 2022):

„Im gegenwärtigen Krieg liegt nur die Umwandlung des Kriegs in einen revolutionären Bürgerkrieg gegen die Kapitalisten in beiden Ländern, für die Niederlage beider Seiten, im Interesse der Arbeiterklasse und der Mehrheit der Bevölkerung. In den imperialistischen Ländern wie Deutschland muss die soziale Macht der Arbeiterklasse eingesetzt werden, um die imperialistischen Waffenlieferungen und den Wirtschaftskrieg (d.h. die Sanktionen) zu bekämpfen, in dessen Rahmen vor allem die arbeitende und arme Bevölkerung ausgeblutet wird. Ein Hindernis für diese Perspektive ist die Sozialdemokratie, die mittels der Gewerkschaftsbürokratie und der bürgerlichen Arbeiterparteien SPD und Linkspartei den Burgfrieden mit den deutschen Kapitalisten organisiert.“

Um diese revolutionäre Perspektive zu verwirklichen, braucht die Arbeiterklasse eine revolutionäre Partei nach dem Vorbild von Lenins und Trotzkis Bolschewiki, die im Kampf gegen den prokapitalistischen sozialdemokratischen Reformismus geschmiedet werden muss.

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