Ergebnisse & Perspektiven des Marxismus

„Marx is’ Muss“-Kongress von marx21: Reformismus in der Krise

Vom 26. bis 29. Mai fand in Berlin der „Marx is’ Muss“-Kongress statt, veranstaltet von der reformistischen Gruppe marx21. Marx21 ist seit Jahren tief in der sozialdemokratischen Linkspartei vergraben, um diese „nach links zu drücken“, nachdem es vorher (unter dem Namen Linksruck, vorher SAG) jahrzehntelang das Gleiche bei der SPD versucht hat. Der Kongress war von den multiplen Krisen des Kapitalismus und der an ihm herumdokternden Linkspartei geprägt: Ukrainekrieg, Wirtschaftskrise, Inflation, Klassen- und andere soziale Kämpfe.

Am 27. Mai ging es bei einer Veranstaltung um die Frage „Was tun? Die Krise der Linkspartei“. Auf dem Podium saßen diverse marx21-Unterstützer, teilweise mit führenden Positionen in der Linkspartei, und zerbrachen sich den Kopf über bessere „Methoden“, um die angeblich „sozialistische“ Linkspartei aufzubauen. Ein Vertreter von Ergebnisse & Perspektiven meldete sich in der (auf je 3 Minuten begrenzten) Diskussionsrunde zu Wort:

„Es ist krass, wie wenig Marxismus in dem war, was vom Podium kam. Es wurde zwar [von einer Sprecherin] erwähnt, dass die Linkspartei eigentlich eine sozialdemokratische Partei ist, und [von einer anderen] wurde angedeutet, was in Berlin passiert ist. Die Linkspartei ist schon immer eine Partei, die darauf ausgerichtet ist und dort, wo sie am erfolgreichsten ist, das auch tut: den deutschen Kapitalismus mitzuverwalten. Stichwort Marxismus: Was ist denn die Lehre und die Erfahrung des Marxismus zu diesem Mitverwalten des kapitalistischen Staates? Die ganze geschichtliche Erfahrung zeigt, dass der Kapitalismus nicht im Interesse der unterdrückten Schichten, der Arbeiter, Frauen, ethnischen Minderheiten usw. reformiert werden kann. Und wenn man den kapitalistischen Staat mitverwaltet, kommt man zwangsläufig dazu, die ganze alte Scheiße durchzuführen, die gleichen Angriffe zu führen oder zumindest mitzutragen. Es wurde gesagt, dass eine Partei wichtig ist. Das sehe ich auch so, aber was für eine Partei? Die Linkspartei ist, da halte ich es mit Rosa Luxemburg, die das über die SPD gesagt hat, ein stinkender Leichnam. Die Arbeiter und alle Unterdrückten brauchen stattdessen eine revolutionäre Partei. Vom Podium wurde viel darüber geredet, wie die Linkspartei bei allen möglichen Bewegungen aktiv ist. Aber was da tatsächlich passiert, ist, dass die ganze Unzufriedenheit immer wieder in die Sackgasse kanalisiert wird, den Kapitalismus mitzuverwalten. Stattdessen muss die Linkspartei gespalten werden, ihre Arbeiterbasis und alle, die sich auf deren Seite sehen, müssen für den Aufbau einer revolutionären Partei gewonnen werden. Das habt ihr vielleicht heute schon von ‚Klasse gegen Klasse‘ gehört. Aber deren Konzept, wo es wirklich erfolgreich ist, läuft auf das gleiche hinaus. Der Knackpunkt ist die Haltung zum kapitalistischen Staat, und da läuft es bei ihnen auf die gleiche parlamentarische Perspektive hinaus. Also: Die Arbeiter brauchen eine revolutionäre Organisation. Aber wofür steht marx21? Seit den 50ern standen sie gegen die Sowjetunion, haben sich im Koreakrieg sogar geweigert, ein neokoloniales Land gegen den Imperialismus zu verteidigen, und so ging es weiter, über Solidarność1 bis zur Beschönigung des faschistischen Putsches in der Ukraine.2 Marx21 ist also keine Alternative.“

Auch einige marx21-Unterstützer hielten es für nötig, die Regierungspraxis ihrer Linkspartei schärfer als vom Podium zu kritisieren. Andere verwiesen in klassischer „Kleineres Übel“-Manier auf vereinzelte lokale Aktivitäten, die der Arbeiterklasse zugutekommen, wie die Organisierung und Unterstützung von einzelnen Streiks. Letztlich sind diese Aktivitäten aber der pro-kapitalistischen Politik der Linkspartei untergeordnet und dienen dazu, der nächsten Regierungsbeteiligung den Weg zu ebnen.

Am 28. Mai gab es beim Kongress eine Veranstaltung mit dem Titel: „Weder Putin noch NATO! Warum die LINKE eine konsequente Antikriegspartei sein muss“. Die marx21/Linkspartei-Unterstützer auf dem Podium (Christine Buchholz, Daphne Weber, Özlem Demirel, Heinz Bierbaum) waren bemüht, die pazifistischen Parteibeschlüsse gegen Waffenlieferungen usw. als Talisman hochzuhalten, dass die Linkspartei doch noch nicht verloren sei. Ein Vertreter von Ergebnisse & Perspektiven meldete sich in der knappen Diskussion zu Wort:

„Der Krieg in der Ukraine ist auf beiden Seiten reaktionär, und die Arbeiterklasse und alle Unterdrückten haben vom Sieg keiner Seite etwas zu gewinnen. Es stimmt, dass der Hauptfeind im eigenen Land steht, und es ist der deutsche Imperialismus (nicht nur die aktuelle Regierung). Marxisten wissen, dass das einzige Mittel gegen den Krieg Klassenkampf-Aktionen der Arbeiter sind, gegen Waffenlieferungen und all die Angriffe, die im Zuge des Krieges und der Wirtschaftskrise auf die Lebensbedingungen der Arbeiter geführt werden.

Was ist die Rolle der Linkspartei dabei? Gestern wurde uns hier schon lang und breit erzählt, dass die Linkspartei, auch nachdem sie 15 Jahre lang den deutschen Kapitalismus mitverwaltet hat, immer noch eine „sozialistische“ Partei sein kann. Die Linkspartei ist völlig darauf ausgerichtet, den Kapitalismus mitzuverwalten. Das ist eine Sackgasse, und der ganze Kampfwille, von dem auch hier zu hören war, wird nur immer wieder dorthin kanalisiert. Die Arbeiterklasse und alle Unterdrückten haben davon nichts zu gewinnen. Die Führung der Linkspartei unterstützt weit überwiegend den Krieg in der Ukraine auf seiten der Imperialisten. Die Linkspartei ist auf Bundesebene für Sanktionen, d.h. Wirtschaftskrieg. [Eine Vorrednerin] hat richtig gesagt, dass Krieg nur die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist.

Ich möchte auch noch etwas zu diesem Slogan ‚Weder Putin noch NATO‘ sagen. Dieser Slogan ist der Festellung ‚Der Haupfeind steht im eigenen Land‘ entgegengesetzt. Erstens setzt er den Herrscher einer kapitalistischen Regionalmacht3 mit dem imperialistischen Bündnis NATO gleich, und zweitens kommt der Hauptfeind, der deutsche Imperialismus, in dem Slogan gar nicht als selbständiges Ding vor. Das ist genau die Drittes-Lager-Position, die marx21 schon immer vertreten hat. Seit den 50ern haben sie behauptet, sie würden zwischen Sowjetunion und dem Imperialismus in einem ‚dritten Lager‘ stehen. Tatsächlich standen sie gegen die Sowjetunion und haben jegliche konterrevolutionäre Bewegung unterstützt und die Wiedereinführung des Kapitalismus begrüßt.“

Die einzigen anderen Organisationen, die bei den beiden Veranstaltungen in Aktion traten, waren RIO (Revolutionäre Internationalistische Organisation, mit ihrem Magazin Klasse gegen Klasse) und die GAM (Gruppe ArbeiterInnenmacht). Während die GAM aus Prinzip immer den linken Flügel der Sozialdemokratie unterstützt (selbstverständlich „ohne Illusionen“), ist auch RIOs Herangehensweise grundlegend nicht revolutionär, sondern opportunistisch.

Die pro-imperialistische „Drittes-Lager“-Position „Weder Putin noch NATO!“ teilen auch RIO und die GAM, und damit fügten sie sich gut in die großen pro-ukrainischen, d.h. im Kontext dieses Krieges pro-imperialistischen, Demonstrationen, wie am 13. März 2022 in Berlin, wo die sozialdemokratischen Führer des Deutschen Gewerkschaftsbunds zu „Frieden und Solidarität“ mit der Ukraine aufgerufen hatten.

Sowohl RIO als auch die GAM teilen mit marx21 gemeinsame Ursprünge in der reformistischen, antisowjetischen Strömung, die Anfang der 1950er von Tony Cliff begründet wurde. Cliff hatte sich, wie unser Redner angedeutet hat, im Koreakrieg geweigert, den deformierten Arbeiterstaat (Nord-) Korea gegen den US-Imperialismus zu verteidigen. Das war sein endgültiger Bruch mit der trotzkistischen Position der bedingungslosen militärischen Verteidigung von (auch bürokratisch deformierten oder degenerierten) Arbeiterstaaten gegen den Kapitalismus/Imperialismus. Die britische Mutterorganisation der GAM, Workers Power, entstand Ende der 1970er als Abspaltung von der Cliff-Strömung. RIOs Ursprung liegt in der Jugendgruppe der GAM, Revo(lution), von der sie sich in den frühen 2000ern abspalteten. Alle diese Spaltungen haben keine wesentlichen oder bleibenden Differenzen in den Kernfragen der Verteidigung der Sowjetunion oder der Haltung zur Sozialdemokratie zur Grundlage. Keine dieser Organisationen hat die Sowjetunion verteidigt, alle haben die kapitalistischen Konterrevolutionen von 1989/90 bis 91/92 begrüßt und teilweise sogar aktiv unterstützt.

Nachdem sich die Wahlergebnisse der Linkspartei in den letzten Jahren im freien Fall befinden, tritt RIO neuerdings offensiver gegen eine (Wahl-)Unterstützung dieser Partei auf. Teilweise reden sie, wie einer ihrer Sprecher in der Diskussion, von einem „revolutionären Bruch“ mit der Linkspartei und prangern (richtigerweise) die Taten der Linkspartei in Berlin an, wie Abschiebungen, Wohnungsprivatisierungen usw. Dieses Gerede von einem „Bruch“ hat aber nichts damit zu tun, dass sie sich die strategische Aufgabe zu eigen machen würden, die bürgerlichen Arbeiterparteien, wie Linkspartei und SPD, entlang der Klassenlinie zwischen Basis und Führung zu spalten.

Was RIO anstrebt, sieht man am Vorzeigeprojekt ihrer internationalen Organisation Trotzkistische Fraktion (FT-CI), der „Front der Linken und ArbeiterInnen“ (FIT) in Argentinien – ein prinzipienloses parlamentaristisches Wahlkartell aus mehreren pseudo-trotzkistischen Parteien, die sich auf ein reformistisches Programm des kleinsten gemeinsamen Nenners geeinigt haben, sich aber gleichzeitig immer wieder (oft zu recht) vorwerfen, sozialistische Prinzipien zu verraten.4 Solche Bündnisse, wo programmatische Differenzen einem besseren Abschneiden in bürgerlichen Wahlen untergeordnet werden (auch um für ihre Wahlergebnisse beträchtliche Geldsummen vom kapitalistischen Staat einzustreichen), sind entgegengesetzt zur Perspektive, die Arbeiter für den Aufbau einer revolutionären Arbeiterpartei zu gewinnen, um den bürgerlichen Staat durch eine Revolution zu zerschlagen.


  1. Siehe „Der Bankrott der Theorien über eine ‚Neue Klasse‘“, Spartacist, dt. Ausg. Nr. 21, Frühjahr 2000.↩︎

  2. Siehe dazu: „Vom marx21-Reformismus zum revolutionären Trotzkismus – Für eine revolutionäre Arbeiterpartei!“, Spartakist Nr. 218, Herbst 2017.↩︎

  3. Siehe dazu: „Das Schreckgespenst des ‚russischen Imperialismus‘“, Ergebnisse & Perspektiven, 11. September 2022.↩︎

  4. Siehe: „Die ‚Linksfront‘ FIT in Argentinien: Ein reformistisches Wahlkartell“, übersetzt von Ergebnisse & Perspektiven, Juli 2023, und (auf Spanisch): „El FIT argentino: Alquimia reformista y cretinismo parlamentario“, Espartaco Nr. 42, Oktober 2014.↩︎

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